Francesco Petrarca wurde in eine Zeit hineingeboren, da der (gemessen an der eifrigen Tätigkeit von Kopisten und Kommentatoren) vielleicht größte Rezeptionserfolg der italienischen Literaturgeschichte in vollem Gange war: Alle Welt kannte und las Dantes Commedia. Im späteren vierzehnten und im fünfzehnten Jahrhundert verbreitete sich angesichts dieser Situation der ironisch-kritische Gemeinplatz vom ‚Dante villano‘ – ein villano war Dante demnach, weil er alles Sagenswerte bereits gesagt und niemandem die Möglichkeit gelassen hatte, nach ihm noch weitere relevante Äußerungen zu tätigen und nennenswerte literarische Texte zu verfassen: «Dante è villano […] perché à decto ogni chosa degnia di memoria e fama nelle sue opere poetiche e non à lassato a dire nulla ad altri».1 Francesco Petrarca soll nach einer anekdotischen Notiz von Vincenzo Borghini (Zibaldone B.N.F. II.x.116) seinen Gefühlen gegenüber Dante villano unter anderem auf seinem Schreibtisch sehr konkret Ausdruck verliehen haben: Petrarca habe, so heißt es da, eine bildnerische Darstellung eines an den Füßen aufgehängten Dante vor sich stehen gehabt, als beständiges Erinnerungszeichen daran, dass der derart als Räuber bestrafte Dante ihm «ogni occasione di scrivere cosa che buona fosse» geraubt habe.
Dass Petrarca sich in einer Vielzahl von Texten gegen das übermächtige Vorbild Dante gestemmt hat, ist der Forschung seit längerem bekannt. An einem ‚Lieblingstext‘ der Petrarca-Philologie, der an Giovanni Boccaccio gerichteten Familiaris 21.15 (im Verbund mit der Senilis 5.2) – einem Brief, in dem Petrarca sich gegen den Vorwurf wehrt, er sei auf Dante ‚neidisch‘ gewesen, und in dem er es fertigbringt, Dante ohne Namensnennung zugleich zu loben und als Lieblingsschriftsteller des ungehobelten Volkes zu diskreditieren – hat man wieder und wieder das vielschichtige, antagonistische Verhältnis Petrarcas zu Dante sondiert.2 Petrarcas Verschwiegenheit im (kaum je expliziten) Umgang mit Dante wurde erfolgreich als Maskerade entlarvt. Insbesondere im Canzoniere hat man minutiös nachgewiesen, wie zahlreich und intensiv die intertextuellen Bezugnahmen auf Dante sind.3 Auch in den Trionfi4 ist eine dichte Präsenz Dantes längst erkannt worden.5 Hier, wie im Fall der Rerum vulgarium fragmenta, gilt allerdings die Kritik, ein noch so penibles sprachmateriell-statistisches Erfassen von Dante-Rekursen vermöge die Programmatik und ‚Ideologie‘ von Petrarcas Versuch, sich selbst gegen die Autorität Dante in Stellung zu bringen, nicht wirklich zu erklären.6 Dieser Versuch fällt nun in den Trionfi besonders massiv aus: Dieser Text – und nicht der Canzoniere7 – ist Petrarcas primäre selbstautorisierende Replik auf den Dante der Commedia, und die imitatio Dantis fällt in den Trionfi nicht nur besonders massiert, sondern auch besonders plakativ aus.8 Dieses Werk der Opposition gegen Dante ist wie kein zweites Werk Petrarcas als ein Projekt der Übertrumpfung Dantes und seiner Commedia angelegt. Diesem hohen Anspruch entsprechend hat sich Petrarca mit seinem Triumphprojekt über viele Jahrzehnte hinweg beschäftigt.9 Die ersten Skizzen hat er möglicherweise bereits in den 1340er Jahren angefertigt (ca. 1342/44, nach anderen spätestens ab 1351/52), Überarbeitungen und Korrekturen sind seit 1356 sicher bezeugt, und die handschriftlichen Notizen auf dem Autograph des letzten der Trionfi, des Triumphus Eternitatis, belegen für diesen Text eine späte Abfassung in Petrarcas Todesjahr (15. Januar bis 12. Februar 1374). Besonders intensiv scheint Petrarcas Arbeit an den Trionfi interessanterweise in jenen Phasen seines Arbeitslebens gewesen zu sein, in die sich seine genannten anti-dantistischen Briefe datieren lassen, mit denen sich die Forschung so angelegentlich befasst hat.10
Zu Beginn von TC 1 rekapituliert das erzählende Ich die zeitliche Situierung einer Traumvision, die dem erlebenden Ich widerfahren sei: eine Situation im Frühling, einer Jahreszeit, die in ihm stets die Erinnerung an den Tag wachrufe, an dem seine langen Leiden begonnen hätten. Die Zeit der Traumvision fixiert der Textbeginn auf die ersten Apriltage (TC 1.4–6). Im weiteren Verlauf thematisiert der Text die besagte Begegnung mit Laura am 6. April 1327 als einen Inhalt der Traumvision. Die Visionsinhalte insgesamt sind im Frühling und z.T. explizit am 6. April situiert. Das erzählende Ich teilt mit, an jenem Frühlingstag als erlebendes Ich zu Beginn eines nicht näher festgelegten Aprils (irgendwann nach 1327) eingeschlafen zu sein und im Traum einen Triumphzug gesehen zu haben (TC 1.11–15). Auf einem feurigen Wagen sei Amor (beschrieben als nackter geflügelter Jüngling mit Pfeil und Bogen) einhergezogen, hinter ihm eine Unzahl seiner Opfer. In deren Schar habe er (das erlebende Ich) sich bemüht, jemanden wiederzuerkennen. Dies habe sich als problematisch erwiesen, doch sei dem erlebenden Ich ein befreundeter ‚Schatten‘ («ombra») als Führerfigur hilfreich zur Seite getreten (TC 1.40–50; die Analogie zu Dantes Wanderer, dem sich Vergil als Führer beigesellt, ist überdeutlich).11 Der neu gefundene Freund und Führer deutet dem erlebenden Ich nun seine im Trauminhalt bevorstehende Verstrickung in die Banden der Liebe an. Der Führer identifiziert den Triumphierenden für das erlebende Ich als Amor und erläutert dann die Identität wichtiger Gestalten aus dem Zug der von Amor Unterworfenen. Es handelt sich um Figuren der römischen und dann auch griechischen Geschichte, beginnend mit Julius Caesar, gefolgt von prominenten Liebenden aus Literatur und Mythos (darunter Aeneas, Phaedra, Hercules, Achilles, Jason und Medea); präsent sind als Opfer Amors auch Vertreter des heidnischen Götterkosmos (u.a. Venus, Mars, Pluton und Proserpina und schließlich auch Jupiter persönlich).
Dieser katalogartigen Kaskade von Liebenden schließt sich in TC 2 eine Kombination von zwei exemplarisch ‚vertieften‘, nämlich im Dialog mit den Betroffenen diskutierten Fällen an: die von Scipio Africanus verhinderte Liebe von Massinissa und Sophonisba, und der memorable Fall von Seleukos, der seinem Sohn Antiochos die von diesem gleichfalls geliebte Frau Stratonike abtrat. Es folgt nach der summarischen Erwähnung einiger «moderni» (TC 2.155) die Nennung einer Reihe von Liebenden, die mitsamt ihren Verwandlungsformen aus den Metamorphosen Ovids bekannt sind.
Der dritte TC setzt zunächst das Défilé der Liebenden aus antikem Mythos und antiker Historie fort, schließt dann Liebende des Alten Testaments an (etwa David, Samson, Holofernes) und präsentiert dem Leser schließlich auch die literarischen Beispiele von «Lancilotto, Tristano, e gli altri erranti», von «Ginevra, Isolda, e l’altre amanti» und von «la coppia d’Arimino» (nämlich Dantes Paolo und Francesca da Rimini aus Inferno 5) in unvermittelter Vergegenwärtigung (TC 3.80–82). Die Rückkoppelung mit der ‚Gegenwart‘ und zugleich der evidenzierte Selbstanschluss Pe...