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Immer mittendrin
Gewerkschafterinnen und linke Aktivistinnen zwischen Arbeiterbewegung und Frauenbewegung
- 77 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
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Immer mittendrin
Gewerkschafterinnen und linke Aktivistinnen zwischen Arbeiterbewegung und Frauenbewegung
Über dieses Buch
Gewerkschaftlich engagierte Frauen, die sich der Arbeiterbewegung und den Frauenrechten verpflichtet fühlten, saßen historisch zwischen vielen Stühlen, und verkörpern geradezu paradigmatisch die, 'alte' Arbeiterbewegung. Dieser Beitrag der Buchreihe "re: work. Arbeit Global - Historische Rundgänge" schreibt die Geschichte der Fraueninternationale des Internationalen Gewerkschaftsbundes (Amsterdam International) in die neue Globalgeschichte der Arbeit ein.
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Information
Immer mittendrin. Gewerkschafterinnen und linke Aktivistinnen zwischen Arbeiterbewegung und Frauenbewegung
Ein Essay über eine kleine Gruppe international organisierter sozialistischer Gewerkschafterinnen und mögliche Wege zu einer integrativen Geschichte des politischen Aktivismus von Frauen
Um die Jahreswende 1924/1925 formierte sich, im Austausch zwischen Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen in Amsterdam, Berlin, Brüssel, Kopenhagen, London und Birmingham, Paris und Lyon, das Frauenkomitee des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB). Das aus fünf Frauen bestehende Komitee bildete bald den Kern jenes Konglomerats aus Institution und Organisation, moderatem Aktivismus, Forderungspaketen und politischem Handeln, den ich im Folgenden als IGB-Fraueninternationale bezeichnen möchte.
In diesem Essay zeige ich, wie die Geschichte dieses frauenpolitischen Netzwerkes des IGB und verwandter Frauennetzwerke so geschrieben werden kann, dass dies zur Weiterentwicklung des konzeptuellen Rahmens der Erforschung von Arbeiter- und Frauenbewegungen und Arbeiter- und Frauenpolitik beiträgt. Es geht darum, den Horizont der Forschungen über soziale Bewegungen und Politiken, die mit diesen Bewegungen historisch verbunden waren, so zu erweitern, dass alle Spielarten dieser Bewegungen und Politiken unter einem gemeinsamen konzeptuellen Dach begriffen werden können.
Im ersten Abschnitt stelle ich einige Elemente einer ‚entmarginalisierenden‘ und kritisch-distanzierten Analyse der IGB-Fraueninternationale vor, die diese kleine Gruppe international organisierter Gewerkschafterinnen in den historiografischen Fokus rückt und ihre Rolle für die Geschichtsschreibung zur Arbeiterbewegung und Frauenbewegung unterstreicht.1
Im zweiten Abschnitt beschäftige ich mich mit drei überlappenden Problematiken der Forschung zu klassenbezogenen frauenpolitischen Netzwerken und versuche einen Beitrag zur Diskussion darüber zu leisten, wie diese überwunden werden können.
Die Geschichte der IGB-Fraueninternationale neu und anders denken
In den Forschungen zur Geschichte der Tätigkeit und des Aktivismus gewerkschaftlich organisierter, frauenpolitisch aktiver Frauen sind mir immer wieder zwei recht unterschiedliche Tendenzen der Argumentation bzw. Darstellungsweise aufgefallen. Auf der einen Seite wird die Politik der Gewerkschafterinnen als zögerlich und ambivalent charakterisiert, wirkliche Durchbrüche habe es erst seit den 1970er Jahren gegeben. Zurückgeführt wird dies unter anderem auf die Verstrickung der Protagonistinnen in die maskulinistische Gewerkschaftspolitik, auf die häufig zu verzeichnende organisatorische Einbindung dieser Frauen in männerdominierte politische Zusammenhänge oder ganz schlicht auf die Macht männlicher Interessen. Die Gewerkschafterinnen hätten in vorauseilendem Gehorsam, oder weil ihnen wenig anderes übrigblieb, Kompromisspolitik gemacht und mit ihren Argumenten (implizit oder explizit) die Wünsche und Politikoptionen männlicher Gewerkschafter mit bedient, um auf diese Weise zumindest ein wenig Einfluss auszuüben.2 Solche Zusammenhänge hat es gewiss gegeben, und sie sind in die Untersuchung der von Frauen betriebenen gewerkschaftlichen Frauenpolitik unbedingt einzubeziehen.
Auf der anderen Seite wird die Politik sozialistischer Gewerkschafterinnen in der Zwischenkriegszeit oft als unbedingter politischer und persönlicher Einsatz präsentiert, mit dem sich die manchmal nahezu heroisierten Protagonistinnen, entgegen der Widerstände gewerkschaftlicher Führer und Funktionäre, unbeirrbar für die Interessen arbeitender Frauen einsetzten. Wenn etwas erreicht wurde, dann aufgrund des Aktivismus bzw. ausgehend vom Aktivismus dieser gewerkschaftlichen Frauenpolitikerinnen.3
Beide Ansätze zur Untersuchung der IGB-Fraueninternationale oder verwandter politischer Netzwerke greifen zu kurz und benötigen eine zweifache Erweiterung. Erstens bedarf es einer tiefergehenden und kritischen Analyse der Sichtweise der IGB-Gewerkschafterinnen auf die Arbeit von Frauen, und zwar ohne ihnen per se Kompromisslertum und frauenpolitischen Konservatismus oder Unbeirrbarkeit im Einsatz für ‚die‘ Interessen arbeitender Frauen zu unterstellen. Wie konstruierten die IGB-Gewerkschafterinnen ‚die‘ Interessen arbeitender Frauen? Wie begründeten sie ihre Positionen? Aus welchen dahinterstehenden eigenständigen politischen Konzepten speisten sich ihre Argumente? Zweitens muss die Analyse in die Geschichte jener enger und weiter gefassten politischen Kontexte und Konstellationen eingebettet werden, innerhalb derer sich die IGB-Gewerkschafterinnen bewegten, um historische Dynamiken und Muster der Weiterentwicklung gewerkschaftlicher Frauenpolitik erklären zu können.
Im Ergebnis können mit einer solchen Analyse zwei bedeutsame Merkmale der politischen Selbstpositionierung der IGB-Fraueninternationale hervorgehoben werden: die grundsätzliche Stoßrichtung der Politik der Fraueninternationale und der Charakter ihrer Auseinandersetzung mit Fragen zur Frauenarbeit und Geschlechterpolitik. Grundsätzlich kämpfte die Fraueninternationale dafür, bezahlte Frauenarbeit zu ‚normalisieren‘ und aufzuwerten. Außerdem ging es ihr darum, unbezahlte Frauenarbeit, also insbesondere die Sorgearbeit in der Familie, frei von materiellem Druck zu ermöglichen. Dazu konnten Mutterschutzbestimmungen und Kinderbeihilfen, aber auch die Erhöhung von Männerlöhnen einen Beitrag leisten. Mit ihrer Politik der Aufwertung und Ausweitung der bezahlten Frauenarbeit bezogen die IGB-Gewerkschafterinnen Stellung in einer langfristigen, ja, bis heute nicht abgeschlossenen übergreifenden gewerkschaftlichen Auseinandersetzung, die keineswegs nur die Frauenarbeit betraf: Wie sollte man mit neuen und größer werdenden Gruppen von Arbeitskräften umgehen, die unter dem Druck kapitalistischer Expansion und Umstrukturierung, die nicht selten von ‚modernisierenden‘ (auch: ‚globalisierenden‘) politischen Regimen unterstützt wurden, auf den Arbeitsmarkt strömten, oder sich in großer Zahl an dessen unregulierten Rändern drängten? Ging es darum, Sperren zu errichten – etwa in Gestalt von Erwerbsbeschränkungen für Frauen oder restriktiver Migrationspolitik – und den Status der traditionellen eigenen Klientel zu verteidigen, auch auf Kosten dieser ‚Anderen‘, seien es nun einheimische Frauen oder Migranten und Migrantinnen? Oder ging es darum, auf expansive kapitalistische Dynamiken mit solidarischer Integration der ‚Anderen‘ in die gewerkschaftliche Politik zu reagieren? Die IGB-Fraueninternationale verfolgte unzweifelhaft das Ziel, den Status der ‚Anderen‘ nach oben anzugleichen, und damit, im Rahmen des ansonsten nicht oder kaum beeinflussbaren kapitalistischen Wandels, den Status von Allen möglichst zu sichern oder zu verbessern. Sie bezog damit klar Position gegen traditionalistische und gegen ambivalente und abwehrende Haltungen auch aus der Mitte der IGB-Gewerkschaften gegenüber Frauenarbeit und Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt. Damit stellten sich die IGB-Gewerkschafterinnen auf die Seite jener Kräfte, denen ‚Modernisierung‘ und in diesem Zusammenhang auch Anpassung von Geschlechterverhältnissen an die kapitalistische Entwicklung, einschließlich der ökonomischen und rechtlichen Besserstellung von Frauen, ein Anliegen war. Innerhalb des eigenen politischen Lagers machten sich die IGB-Gewerkschafterinnen mit ihrem Diskurs zur Normalisierung und Aufwertung der Frauenerwerbsarbeit zum Motor der geschlechterpolitischen Modernisierung der politischen Kultur.
Auch die progressiv-liberalen Frauenorganisationen in dieser Zeit setzten sich für die Anpassung der Geschlechterverhältnisse an die kapitalistische Entwicklung ein und stimmten mit den IGB-Gewerkschafterinnen durchaus überein, wenngleich sie sich in anderer Hinsicht auch stark von ihnen unterschieden. Die IGB-Fraueninternationale stellte sich etwa hinsichtlich der Frage des frauenspezifischen Arbeitsschutzes in aller Schärfe gegen jene politische Doktrin, die vom aufstrebenden und zunehmend international organisierten Feminismus der Rechtsgleichheit der 1920er und 1930er Jahre vertreten wurde. Die Abgrenzung der Gewerkschafterinnen vom Feminismus der Rechtsgleichheit speiste sich bestenfalls in zweiter oder dritter Linie aus einem Kompromiss mit der gewerkschaftlichen Männerwelt. Zentrale Triebkraft war vielmehr der übereinstimmende, ureigenste Blick der großen Mehrheit der IGB-Gewerkschafterinnen auf die Beziehungen zwischen Geschlecht und Klasse in der Politik des Arbeitsschutzes. Die meisten lehnten Geschlechtergleichheit im Arbeitsrecht um den Preis möglicher Rücknahmen bestehender frauenspezifischer Schutzmaßnahmen ab, da dies in klassenpolitischer Sicht einen Rückschritt darstellte. Sie agierten dabei in einem auf doppelte Weise erweiterten politischen Kontext. Zum einen wurden seit den späten 1920er Jahren krisenbedingt Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte noch stärker als zuvor angegriffen. Vor diesem Hintergrund musste, so die Befürchtung der Gewerkschafterinnen, jede politische Infragestellung frauenspezifischer Arbeitsschutzregelungen unweigerlich dazu führen, dass, unter dem Mantel der Beförderung von Geschlechtergleichheit im Arbeitsrecht, Arbeitnehmerinnenrechte abgeschafft, und nicht etwa bisherige frauenspezifische Schutzbestimmungen auf Männer ausgedehnt werden würden. Zum anderen reagierten die Gewerkschafterinnen auf den politischen Aufstieg liberaler Konzepte internationaler Geschlechterpolitik, der seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu beobachten war. Der Feminismus der Rechtsgleichheit vertrat die Position, dass die rechtliche Gleichstellung von Frauen Vorrang hatte vor allen sonstigen politischen Agenden, und war daher tatsächlich bereit, für die Abschaffung des frauenspezifischen Arbeitsschutzes den Preis von klassenpolitischen Rückschritten im Arbeitsrecht zu bezahlen, die die Gewerkschafterinnen so fürchteten.4 Aus der Sicht der Gewerkschafterinnen handelte es sich also um eine unheilige Allianz zwischen wirtschaftlicher Krise, zunehmender Arbeitgebermacht, und dem politischen Credo eines liberalen Feminismus, für den die Angleichung der rechtlichen Stellung von Frauen und Männern vor der Frage nach der klassenpolitischen Besserstellung von Arbeitskräften kam.
Aber auch untereinander waren sich die IGB-Gewerkschafterinnen nicht immer einig. Sie stritten über die Aufwertung der unbezahlten Frauenarbeit und um die arbeits- und sozialpolitische Einbettung von Mutterschaft und weiblicher Sorgearbeit. Es gab unterschiedliche Meinungen, ob die unbezahlte Sorgearbeit ideell aufgewertet und materiell abgesichert werden sol...
Inhaltsverzeichnis
- Title Page
- Copyright
- Contents
- Arbeit global – historische Rundgänge
- Impressionen
- Einleitung
- Immer mittendrin. Gewerkschafterinnen und linke Aktivistinnen zwischen Arbeiterbewegung und Frauenbewegung Ein Essay über eine kleine Gruppe international organisierter sozialistischer Gewerkschafterinnen und mögliche Wege zu einer integrativen Geschichte des politischen Aktivismus von Frauen
- „Sobald die Frauenbewegung sich ‚tunnelmäßig‘ nur auf die sogenannte Geschlechterfrage konzentriert, öffnet sie dem Gegner Tür und Tor“ Ein Interview mit Susan Zimmermann
- Lebenslauf Susan Zimmermann
- ReM ReM Club – Remember Re:work Members
- Käte Hamburger Kollegs
- Work in Global and Historical Perspective Buchreihe