Grafiken, Diagramme, Schemata nehmen in der Linguistik wichtige Funktionen ein: Sie visualisieren Analyseergebnisse, verdeutlichen komplexe theoretische Konzepte oder ermöglichen überhaupt erst die Analyse von Daten. Es handelt sich dabei um Achsendiagramme, Netze, Listen, Karten und viele weitere Formen. Doch wie beeinflussen sie die Entstehung von wissenschaftlichen Tatsachen? In welche Handlungen sind sie eingebunden und welche Effekte haben sie auf sprachliche Daten? Wie ermöglichen Sie Transformationen von Daten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen? Das Buch untersucht diagrammatische Praktiken in der Sprachwissenschaft sowohl aus historischer als auch technischer Sicht und zeigt die Einbettung dieser Praktiken in Diagrammkulturen und "Coding Cultures". Die Vielfalt der Diagramme wird auf fünf diagrammatische Grundfiguren zurückgeführt, deren spezifischen Funktionen und Effekte analysiert werden. Semiotisch und wissenschaftstheoretisch unterfüttert wird sodann eine Methodologie der Visuellen Linguistik entwickelt.
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Oft geht wissenschaftliches Arbeiten damit einher, Bilder zu zeichnen. Sie spielen in allen Stadien der Forschung eine Rolle: Manchmal ordnen sie in Form einer flüchtigen Skizze die eigenen Gedanken, manchmal dienen sie dazu, komplexe Gedankengänge oder ein theoretisches Modell zu visualisieren und immer wieder werden konventionalisierte Formen verwendet, um empirische Ergebnisse darzustellen, etwa in Form von Balken- oder Liniendiagrammen. Bilder können aber auch dazu dienen, Forschungsgegenstände zu transformieren, so dass sie überhaupt erst analysierbar werden.
Diese Bilder unterscheiden sich von einem Gemälde dadurch, dass sie diagrammatische Eigenschaften aufweisen. Diagramme sind einerseits „graphische Abkürzungsverfahren für komplexe Schematisierungen“ (Stetter 2005, 125) und sind dadurch andererseits gleichzeitig ein Phänomen „operativer Bildlichkeit“ (Krämer 2009, 94). Wenn wir einen in Eile auf’s Papier gebrachten Kreis als Diagramm auffassen, sehen wir in ihm eine Realisierung des abstrakten Typs eines geometrisch definierten idealen Kreises. Fassen wir ihn als nicht-diagrammatisches Bild auf, erfreuen wir uns vielleicht am eleganten Schwung der Stiftführung und nehmen die sich ändernden Strichdicken wahr.
Abb. 1: Ein Kreis als Diagramm oder Bild
Wenn wir den Kreis jedoch als Diagramm auffassen, können wir damit operieren, indem wir beispielsweise mit einem Strich durch die (ungefähre) Mitte des Kreises verlaufend den Durchmesser andeuten. Die Unzulänglichkeiten des Diagramms (der Kreis entspricht nicht allen Kriterien der geometrischen Figur ,Kreis‘, so trifft der Endpunkt der Linie nicht auf den Anfangspunkt, damit kann kein Mittelpunkt bestimmt werden, von dem aus der Radius zu allen Kreispunkten identisch ist etc.) spielen keine große Rolle, da sie das Bild nicht genug verfremden, um es nicht mehr als Variante eines idealen Kreises aufzufassen.
Die Palette an unterschiedlichen Diagrammen ist breit: Man denke an die bekannten Balken-, Linien- und Kreisdiagramme, aber auch an spezialisiertere Diagramme wie Streudiagramme, Boxplots (auch: Kastengrafiken) oder Heatmaps, hin zu Graphen (auch ‚Netzdiagramme‘ genannt), Venn-(Mengendiagramme) und Flussdiagrammen. Doch auch Karten gehören dazu, in der Linguistik etwa als Dialektkarten häufig eingesetzt.
Neben diesen prototypischen Diagrammen möchte ich den Blick aber auch auf weniger offensichtliche diagrammatische Darstellungen lenken: Dazu gehören z. B. Listen und Tabellen. Die Liste ist selbstverständlich auch außerhalb der Linguistik eine wichtige informationsstrukturierende Darstellung, entfaltete aber in der Linguistik beispielsweise in der Form von Konkordanzen eine besondere Wirkung. Ein anderes Beispiel sind Partituren oder partiturartige Darstellungen, wie sie in der Linguistik für die Transkription gesprochener Sprache verwendet werden.
Thema dieses Buches sind Diagramme in der ganzen oben angedeuteten Breite und ihre Verwendung in der Linguistik.1 Ein Kernstück dieser Arbeit bildet dabei die Beantwortung der Frage, welche Typen von Diagrammen in der Linguistik überhaupt eine wichtige Rolle spielten und spielen. So ist es nämlich bemerkenswert, in welche semiotische Gemengelage wir geraten, wenn sprachliche Zeichen – selbst bereits komplexe Zeichen – in einen anderen Zeichentyp, wie etwa Diagramme, transformiert werden und damit überdies bestimmte sprachimmanente Eigenschaften (wie etwa Sequenzialität von Text) verloren gehen oder modifiziert werden. Diese Bestandsaufnahme wird jedoch erst in Kapitel 5 ausgebreitet und diskutiert.
Zunächst möchte ich im ersten Teil die Grundlagen vorbereiten, um Diagramme in der Linguistik nicht einfach als mitunter bunte Grafiken beschreiben zu können, sondern in wissenschaftskulturelle und wissenschaftspraktische Zusammenhänge einzubetten. Diese Zusammenhänge sind vielfältig: Zunächst drehen sich die Ausführungen um das Diagrammatische am Diagramm und insbesondere seine Rolle in der Wissenschaft (Kapitel 2). Darauf hin lenke ich den Blick stärker auf die Praxis des wissenschaftlichen Arbeitens mit Diagrammen, insbesondere in der Sprachwissenschaft (Kapitel 3). Das Diagramm ist selbst ein komplexes Zeichen, das prima vista in erster Linie darstellen soll, wobei bald deutlich werden wird, dass sich die Funktionen darin längst nicht erschöpfen, etwa wenn man beispielsweise an die rhetorischen Funktionen von Diagrammen denkt. Um die wissenschafts-disziplinären Wirkungsweisen von Visualisierungen zu verstehen, lohnt der Einbezug von Ludwik Flecks Theorie der „Denkstile“, die für eine Disziplin konstituierend sind. Im Anschluss daran ist zu fragen: Inwiefern sind Diagramme Ausdruck von in der jeweiligen Disziplin herrschenden Paradigmen und tragen sie gleichzeitig zur Konstruktion dieser Paradigmen bei? Diese Gedanken führen dann zu Überlegungen über die Macht diagrammatischer Kanons auf die Visualisierungspraxis und die Konsequenzen des Abweichens davon.
Besonders in der ausgeprägt empirisch arbeitenden Linguistik werden Diagramme normalerweise nicht manuell gezeichnet, sondern vom Computer über einen Algorithmus erzeugt. Dieser Prozess ist weit mehr, als einfach die Erstellung eines Diagramms mit anderen Mitteln, denn er setzt „verdatete“ Sprache voraus. Der Untersuchungsgegenstand muss in Form von Daten vorliegen, mit denen ein Computer operieren kann. Diese „Verdatung“ ist selbst bereits ein Set von diagrammatischen Operationen, wie auch die nachgelagerte Analyse und das, was wir dann als eigentlichen Akt der Erstellung eines Diagramms wahrnehmen. Die Anfänge der Diagramm-Genese liegen also bereits bei den ersten Schritten der Verdatung, daher ist es wichtig, diesen Prozess, der maßgeblich von der „diagrammatischen Maschine“ Computer geprägt ist, zu reflektieren (Kapitel 4). Wichtig ist dabei jedoch, dass diese vielleicht zu technizistische Sicht ergänzt wird durch einen Fokus auf die kulturelle Einbettung des dafür nötigen Programmierens selbst, wobei ich den Terminus der „Coding Cultures“ als wichtigen Aspekt des Umgangs mit Diagrammen in den Wissenschaften stark machen möchte (Kapitel 4.4).
Diese Ausführungen sind grundlegend, um im Anschluss fünf in der Linguistik bedeutende Grundformen von Diagrammen zu spezifizieren und auf ihre Funktionen hin zu untersuchen: Listen, Karten, Partituren, Graphen und Vektoren (Kapitel 5).
Unter der Überschrift „Praktiken“ werden anschließend im zweiten Teil drei Beispiele für visuelle Analyseprozesse präsentiert. Zweimal geht es um korpuslinguistisch geprägte Arbeiten, in denen es darum geht, komplexe Daten über Visualisierungen analysierbar zu machen. Im ersten Beispiel handelt sich um Daten mit Ortsbezügen (Sprachgebrauch und Ort, Kapitel 6): Es werden „Geokollokationen“ berechnet, also Kollokatoren zu Toponymen, und auf Karten visualisiert, um die sprachliche Konstruktion von Welt sichtbar zu machen. Das zweite Beispiel dreht sich um typische Sequenzen von sprachlichen Mustern (Sprachgebrauch und Sequenz, Kapitel 7): Ausgangspunkt sind Alltagserzählungen von Müttern über die Geburten ihrer Kinder und die Berechnung und Visualisierung von narrativen Mustern, die diese Erzählungen strukturieren. Ein drittes Beispiel stellt die traditionelle Darstellung von gesprochener Sprache in Transkripten in Frage und schlägt Alternativen vor, um Zeitlichkeit und Sozialität von Gesprächen besser sichtbar zu machen (Sprachgebrauch und Interaktion, Kapitel 8).
Im dritten und letzten Teil „Folgen“ werden die aus den Fallbeispielen gewonnenen Erkenntnisse zu einer integrierten diagrammatischen Methodologie für die Linguistik zusammengeführt (Kapitel 9). Diese Methodologie ist nicht als ein abgeschlossenes Set von analytischen Handlungsanweisungen zu verstehen, sondern soll mögliche Grundhaltungen aus geisteswissenschaftlicher Sicht gegenüber diagrammatischen Prozessen generell, insbesondere gegenüber diagrammatischen Operationen, der Verdatung und der Algorithmisierung der diagrammatischen Operationen vorschlagen. Insbesondere ist auch das interdisziplinäre Spannungsfeld zwischen den häufig verwendeten Methoden, die den „Sciences“ entlehnt sind und in den „Humanities“ angewandt werden, zu problematisieren. Schließlich ist vor dem Hintergrund der wirkmächtigen Disziplinierung diagrammatischer Kanons zu fragen, wo die Chancen für Rebellion gegenüber dieser Disziplinierung liegen, um Innovation in der Visualisierung von Sprachdaten zu begünstigen.
1.2 Kontextualisierung: Diagrammatische Perspektive auf Sprache
Blättert man linguistische Arbeiten durch, findet man wahrscheinlich nicht übermässig viele grafische Darstellungen. Vielleicht fallen einem hin und wieder Syntaxbäume oder Dialektkarten auf, die spezifisch sprachwissenschaftliche Darstellungen sind. Daneben wird man gewöhnliche Balken-, Linien- und Kuchendiagramme finden, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn quantitative Mengenverhältnisse dargestellt werden sollen.
Trotzdem scheinen mir in der Linguistik Diagramme eine äußerst bedeutende Rolle zu spielen. Oben habe ich bereits angetönt, dass auch unauffällige Ordnungsstrukturen wie Listen als diagrammatische Elemente aufgefasst werden können. Tut man das, ist die Grenze zwischen Visualisierung und Transformationen von Daten, von Visualisierung und Analyse, nicht mehr trennscharf. Hier befinden wir uns dann auch in einer Gemengelage, die verschiedene Perspektiven auf Darstellungen zusammenbringt, die teils lange Traditionen haben, teils erst in jüngster Zeit akzentuiert worden sind:
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In den Digital Humanities spielen Visualisierungen von Daten eine große Rolle (Drucker 2008; Jänicke et al. 2016). So visualisiert etwa Maximilian Schich (Schich et al. 2014), auf den ich später noch detaillierter eingehen werde, Geburts- und Sterbedaten auf einer Karte, um kulturelle Entwicklungen darstellen zu können.
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Die Visual Analytics wiederum sind eine Forschungsrichtung, die riesige Datenmengen bewältigen wollen, indem sie Aspekte davon grafisch darstellen (Keim et al. 2008; Dill et al. 2012). Nur so – so die Hoffnung – ist es überhaupt möglich, Muster in den Daten zu erkennen und die Daten zu verstehen.
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Die Diagrammatik verbindet epistemische Fragen mit Darstellung: Sie verbindet Semiotik, Medialität, Philosophie, Erkenntnistheorie und Wissenschaftsgeschichte um zu untersuchen, wie Diagramme Zeichen transformieren, mit den Diagrammen operiert und Erkenntnisse gewonnen werden (Stjernfelt 2007; Bauer/ Ernst 2010; Krämer 2016). Aus dieser Perspektive wird deutlich, warum der erste Eindruck einer eher armen Visualisierungstradition in der Linguistik falsch ist: Diagrammatisches ist für das Fach essentiell, um überhaupt erforschen zu können, was erforscht wird.
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Oft fallen algorithmisch erstellte Visualisierungen in den Blick. Damit in den Digital Humanities oder den Visual Analytics Visualisierungen überhaupt fruchtbar gemacht werden können, bedarf es computergestützter Visualisierungsmethoden. Es sind teilweise raffinierte Algorithmen, die eine große Datenmenge von Relationen zu einem gemeinsamen Netz formen, das wiederum so ausgelegt wird, dass es interpretiert werden kann. Die Software Studies, bzw. eine Analyse des Programmcodes innerhalb von Software, liefern das Rüstzeug für einen kritischen Blick auf diese Algorithmen (Fuller 2008).
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Die Überlegungen, die mit den oben genannten Perspektiven einher gehen, können in einen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext eingebettet werden. Welche Funktionen Visualisierungen in wissenschaftlichen Disziplinen einnehmen, welche Praktiken damit verbunden und welche Stile vorherrschend sind, ändert sich historisch und unterscheidet sich disziplinär. Mit Ludwik Flecks Theorie der „Denkstile“ (Fleck 1980) lassen sich diese Prozesse gut fassen – es spielen also allgemein wissenshistorische und wissenstheoretische Aspekte eine wichtige Rolle in der vorliegenden Untersuchung.
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Und schließlich breite ich meine ganzen Überlegungen vor dem Hintergrund einer Linguistik aus, die sich für kulturwissenschaftliche, pragmatische und sprachgebrauchsorientierte Ansätze interessiert und deshalb Konzepte wie Kultur, Praktiken, Sprachgebrauch, Musterhaftigkeit ins Zentrum stellt (Linke 2003; Feilke/Linke 2009; Bubenhofer 2009). Dies betrifft einerseits die im Teil „Praktiken“ ausgeführten Fallbeispiele, wie auch die diagrammatische Reflexion und Theoriebildung selber.
Diese Gemengelage bietet m. E. einen interessanten Zugriff auf das Diagrammatische in der Linguistik. Es geht nicht bloß darum zu untersuchen, welche Diagramme in der Linguistik Verwendung finden. Linguistische diagrammatische Praxis ist also nicht einfach Untersuchungsgegenstand einer Diagrammatik. Sondern (kultur-)linguistische Theorien erweitern ihrerseits die diagrammatische Perspektive.
1.3 Diagrammatik
Diagramme scheinen eine Konstante menschlicher Kultur zu sein. Sie dienen dazu, Wissen sichtbar zu machen, und zwar so, dass Relationen innerhalb dieses Wissens deutlich werden und daraus wi...