Existentialismus in Österreich
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Existentialismus in Österreich

Kultureller Transfer und literarische Resonanz

Juliane Werner

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  1. 378 Seiten
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Existentialismus in Österreich

Kultureller Transfer und literarische Resonanz

Juliane Werner

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Über dieses Buch

Die Studie "Existentialismus in Österreich. Kultureller Transfer und literarische Resonanz" untersucht, wie das Freiheitsdenken und -schreiben des Pariser Kreises um Jean-Paul Sartre nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich aufgenommen wird, in alliierten und unabhängigen Periodika, am Theater, im akademischen Bereich, als Mode und Subkultur sowie als literarischer und philosophischer Impuls für kommende Schriftstellergenerationen.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783110683158
Auflage
1
Thema
History

1 Existentialismus in Österreich. Einleitung

Jean-Paul Sartres voluminöse phänomenologische Ontologie L’Être et le Néant (1943) zählt zu der Lektüre, die das verzweifelnde Ich in Ingeborg Bachmanns Roman Malina (1971) „betört“1 zurücklässt. Den delinquenten Jugendlichen in Elfriede Jelineks Die Ausgesperrten (1980) dient sie als Fundus für großspurige Zitate und zur Rechtfertigung ihrer Straftaten. Sartres nobelpreisbefördernde Autobiographie Die Wörter wiederum gehört zu den wenigen Büchern, die Franz-Joseph Murau, Hauptfigur von Thomas Bernhards Opus Magnum Auslöschung (1986), nach eigenen Angaben zweimal lesen würde. AutorInnen wie Andreas Okopenko, Hertha Kräftner, Milo Dor, Peter Turrini, Josef Winkler, Ruth Aspöck, Werner Schwab und Gerhard Roth weisen sich selbst als vom Existentialismus beeinflusst aus, andere beziehen offensiv gegen ihn Stellung, wie Peter Handke, den Sartres Konzept der littérature engagée Mitte der 1960er-Jahre öffentlichkeitswirksam aus der Fassung bringt.
Auf welche Weise und in welcher Gestalt sich der Existentialismus von Paris aus nach 1945 seinen Weg Richtung Österreich bahnt, lässt sich anhand eines Corpus aus Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, Theaterspielplänen und -kritiken, Vorlesungsverzeichnissen und Hochschulschriften sowie Zeugnissen alliierter Kulturaktivitäten mithilfe der Kulturtransfertheorie erfassen. Für die Initiatoren dieses Mitte der 1980er-Jahre am Pariser Centre national de la recherche scientifique begründeten Ansatzes (cf. Kap. 2), Michel Espagne und Michael Werner, ist ein Kulturimport „nie ein rein kumulatives, sondern immer ein schöpferisches Verfahren“,2 das gemäß den Bedürfnissen der Zielkultur Sinnverschiebungen und Funktionsverlagerungen impliziert. Im Unterschied zu früheren Formen der Einfluss- und Rezeptionsforschung würden auf diese Weise Hierarchisierungen, also ‚richtige‘ oder ‚falsche‘ Aufnahmen entfallen; das transferierte Kulturem habe ebenso viel Legitimität wie das Original („autant de légitimité que l’original“3). Die Fokussierung auf „die in der Rezeptionskultur ausgelösten Verarbeitungsvorgänge“4 steht der in Sartres Qu’est-ce que la littérature? beschriebenen Produktivität von Rezeptionsprozessen nahe, nach der Werke nur in dem Ausmaß Wert haben, in dem sie aufgenommen werden, und dies immer wieder neu, da sich die Lesenden stets en situation befinden. Für den Umgang mit dem Phänomen Existentialismus, das sich ausdrücklich nicht als festumrissenes System verstanden wissen will, sondern als ein fortlaufend zu adaptierendes, im Werden begriffenes Denken, eignet sich die Kulturtransfertheorie durch ihre Situationsgebundenheit und Prozessualität ideal: ebenso wie einzelne Kulturgüter betrachtet sie Kulturen auf der Makroebene nicht als geschlossene Einheiten, sondern als hybride, dynamische Gefüge, als variable „Ensembles von Praktiken, Zeichen und Bedeutungszuschreibungen“5. Ihr Augenmerk richtet sich speziell auf „Spuren des Fremden in der eigenen Kultur“6 und auf die Frage, wie diese dorthin gelangt sein können, das heißt, nach welchen Kriterien kulturelle Elemente von institutionellen oder privaten Vermittlungsinstanzen selektiert und befördert oder blockiert werden.
Zwar bestimmen die spezifischen Erwartungen der Zielkultur in hohem Maß die Grenzen des Transferierbaren, allerdings ist gerade der sich zwischen 1945 und 1955 vollziehende Existentialismus-Transfer wegen des besatzungsbedingten Machtgefälles nicht von der alliierten Kulturpolitik Frankreichs (cf. Kap. 4.2)7 und ihrem Beitrag zur Identitätsbildung der Zweiten Republik zu trennen. Um zu ermessen, worin sich die Strömung nach der Rekontextualisierung von der französischen Ausprägung unterscheidet, beleuchtet Kapitel 3 zunächst den Ausgangskontext: die Entstehung, die VertreterInnen und die Tendenzen des Existentialismus. Das Gewicht liegt – den empirisch erfassbaren Transferinhalten entsprechend – primär auf dem Widerhall, den Jean-Paul Sartre als zentraler Repräsentant findet. Verwandte Ausprägungen existenzphilosophischen Schreibens – von Simone de Beauvoir, Albert Camus, Gabriel Marcel, Emmanuel Mounier und Maurice Merleau-Ponty, die, oft zugeordnet, teils wesentlich von Sartres Positionen abweichen und sich nur bedingt mit dem Etikett Existentialismus identifizieren – werden im Ausmaß ihrer tatsächlichen Rezeption in Österreich berücksichtigt (cf. Kap. 3.1).
Die Untersuchung des Aufnahmekontexts – das soziopolitische Klima und die kulturelle Landschaft in Österreich – macht deutlich, warum Sartre nicht nur in Frankreich zur richtigen Zeit kommt, um mit seinem Freiheitsdenken eine Breitenwirkung zu erzielen, sondern auch in Österreich, wo der literarisch-philosophische Leerstand nach Jahren der Abgetrenntheit vom internationalen Geistesgeschehen erheblich ist. Ein erstes Rezeptionsangebot wird indes fast vollständig ausgeschlagen: Das Résistance-Stück Die Fliegen, das in Westdeutschland als Theater-Ereignis der Saison 1947/48 eine intensive Debatte über die Notwendigkeit von Reue auslöst, wird dort von den französischen Alliierten aktiv gefördert, während man in Österreich, das durch seinen 1943 von der britischen, sowjetischen und amerikanischen Regierung festgelegten Opferstatus (als „the first free country to fall victim to Hitlerite aggression“8) von Frankreich als pays ami behandelt wird, auf Kontinuität setzt: Vor allem Klassiker der Habsburgerzeit ohne nennenswertes Polarisierungspotential und ein konformes französisches Angebot sollen die Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Größe und somit das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Zumal im Vergleich zu Deutschland wird im Folgenden eruiert, inwieweit diese unterschiedliche Ausgangslage Auswirkungen auf Art und Umfang der Aufnahme des aus dem Résistance-Umfeld erwachsenen und um den Themenkomplex Verantwortung kreisenden Existentialismus hat (cf. Kap. 3.2).
Vorgestellt werden Sartres Philosophie und Prosa dem österreichischen Publikum zunächst in den nach 1945 zahlreich neu erscheinenden Literatur- und Kultur-Periodika wie Plan, Wort und Tat, Wort und Wahrheit, Der Turm oder Tagebuch (cf. Kap. 4.3). In diesem Zusammenhang erweisen sich einzelne Schlüsselfiguren als entscheidend für den Kulturtransfer, wobei es sich überwiegend um zwischen den Kulturen stehende AutorInnen, RedakteurInnen und ÜbersetzerInnen handelt, etwa um MitarbeiterInnen bei alliierten Printmedien (wie Armand Jacob oder Lilly von Sauter) oder um ÖsterreicherInnen, die in das französischsprachige Ausland emigriert sind (wie Jean Améry, Manès Sperber und André Gorz).9 Ein Thema, das die Nachkriegsperiodika mit Vehemenz verfolgen, ist das der Verantwortung von SchriftstellerInnen: Vergleichsweise einhellig wird so in katholischen, kommunistischen und avantgardistischen Blättern ein Engagement gefordert, das in seinen Grundzügen mit den literaturtheoretischen Inhalten in Sartres Qu’est-ce que la littérature? übereinstimmt (cf. Kap. 6.4). Die nach dem Krieg zu neuer Aktualität gelangte Frage, ob die alte Sprache zur Abbildung des Erlebten und zum Aufbau des Neuen hinreichen kann oder ob sich durch sie bloß alte Denkmuster perpetuieren, wird von den in sprachskeptischer Tradition stehenden und jüngst auch vom Surrealismus beeinflussten NachkriegsautorInnen lebhaft debattiert. Das in Variationen vorgebrachte Motto „Keine neue Welt ohne neue Sprache“10 steckt die Grenzen der Bereitschaft vieler ab, sich einem auf die Sagbarkeit der Dinge bauenden Literatur-Konzept zu öffnen, das, wenig beeindruckt vom Missverhältnis zwischen Sprache und Realität, ersterer wieder zu Würde und Konstruktivität verhelfen will.
Form und Inhalt der littérature engagée präsentiert das 6. Kapitel, das charakteristische Themen und Motive des Existentialismus als literarische Strömung am Beispiel der neuen österreichischen ErzählerInnen der fünfziger Jahre veranschaulicht. Dabei macht die Literatur der Grenzsituationen (littérature des situations extrêmes) in dem von Hans Weigel herausgegebenen Jahrbuch Stimmen der Gegenwart (1951–1956) deutlich, wie analoge narrative Elemente nicht notwendig im Einfluss des Existentialismus gründen, sondern durchaus Zeitgeist-Ähnlichkeiten geschuldet sein können (cf. Kap. 6.3). Viele Konvergenzen beruhen auf indirekten oder umwegigen Kontakten und Verflechtungen; so führt Franz Kafka, der Einfluss auf das Werk Sartres und Camus’ hatte, den jungen österreichischen Kanon nach 1945 an und verstärkt, durch die zahlreichen Anknüpfungspunkte zu seinem existenzorientierten, absurdistischen Schreiben, den Transfer des Existentialismus (cf. Kap. 6.1). Das österreichische Lesepublikum samt den LiteratInnen, die diese Art von Prosa stark inspiriert, verkörpern allerdings keineswegs den etablierten Literaturbetrieb. Mit dem nach Kriegsende vorherrschenden Eindruck eines Neuanfangs erweisen sich auch der dazugehörige Elan und die literarische Offenheit der ersten Jahre bald als Illusion, an deren Stelle wieder der status quo ante tritt. Es dominiert konservative „Vorkriegsware“11, was dem selbst als Schriftsteller tätigen Kritiker und Publizisten Hans Weigel mehrfach Anlass zur Klage gibt. In Anbetracht des „Vakuums innerhalb unseres geistigen Lebens“12, bedingt durch die im Exil belassenen AutorInnen, durch die gezielte Förderung von teils belasteten VorkriegsliteratInnen und zuletzt durch das Ignorieren der neuen Generation (cf. Kap. 6.2), verlangt es gerade die jüngeren LeserInnen nach den zu Kriegszeiten unzugänglichen internationalen Neuheiten, unter denen der Existentialismus die aktuellste ist.
Dass der „Bürgerschreck“13 Sartre der österreichischen Jugend zugleich hilft, gegen die geistige Enge der Elterngeneration aufzubegehren, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor, der auch literarisch seinen Niederschlag findet. Um den Preis der inhaltlichen Verflachung erreicht die Strömung in den europäischen Metropolen schnell den Status eines Jugendkults, dessen Maßlosigkeit und Naivität Elfriede Jelineks Roman Die Ausgesperrten (1980) ironisiert. Dass das subversive Potential des Existentialismus eine gewisse Zeitlosigkeit auszeichnet, legt Norbert Gstreins Roman Eine Ahnung vom Anfang von 2013 nahe, der jugendlich-rebellische „Ausflüge ins Existentialistische“14 in den neunziger Jahren im ländlichen Österreich porträtiert (cf. Kap. 5.2). Als einen für den Transfer unumgänglichen Aspekt blickt Kap. 5.1 zuvor auf die von der Pariser Rive Gauche importierte Mode und den Lebensstil anhand von Zeitungs- und Zeitzeugen-Berichten über ExistentialistInnen-Treffpunkte wie das Wiener Kellerlokal „Strohkoffer“, das „Exil“ und das „Café Sport“.
Dass die Kennzeichnung ‚existentialistisch‘ nicht nur auf eine uneinheitliche Gruppe von Intellektuellen, SchriftstellerInnen und PhilosophInnen ausgedehnt wird, sondern auch auf die im Arrondissement Saint-Germain-des-Prés wirkenden MalerInnen, MusikerInnen und SchauspielerInnen, lässt gerade im akademischen Bereich Zweifel an der philosophischen Güte der Denkrichtung aufkommen. So beeinträchtigt der Ruf als skandalumwobene Modeerscheinung die Aufnahme in universitären Kreisen, wie die wissenschaftlichen Publikationen der Jahre 1945 bis 1955 unmissverständlich belegen. Diese werden im 7. Kapitel zusammen mit Lehrveranstaltungen und Hochschulschriften österreichischer Universitäten ausgewertet, wobei „dem Ernst und Engagement des existentiellen Denkens“15 des Dozenten Leo Gabriel – ein vergleichsweise aufgeschlossener Vermittler – besondere Aufmerksamkeit zukommt, ebenso der erheblichen Kritik durch seinen Konterpart Erich Heintel am Institut für Philosophie der Universität Wien, der der Strömung schon vor der Lektüre von Sartres noch nicht übersetztem philosophischem Hauptwerk L’Être et le Néant (1943) jede Wissenschaftlichkeit abspricht (cf. Kap. 7.2).
Generell ist der Existentialismus-Transfer vor dem Hintergrund vorhandener Übersetzungen und Berichterstattungen, also des potentiellen Wissensstands der RezipientInnen zu betrachten. Als wirkungsvollen Träger se...

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