
- 290 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Dimensionen der Heimat bei Herta Müller
Über dieses Buch
'Heimat' ist ein zentraler Topos im Werk Herta Müllers. Wie aber haben sich der Begriff und seine Verwendung historisch verändert? Und wie lotet Müller das Spektrum seiner Bedeutungen in ihrem Schreiben aus? Die systematische Untersuchung zeigt, dass 'Heimat' als multidimensional gedachtes Motiv globale Identitätsdiskurse bereichert. Sie leistet einen produktiven Beitrag zu einer kritischen Reflexion des Begriffs.
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Dimensionen der Heimat bei Herta Müller von Hanna Zehschnetzler im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Deutsche Literaturkritik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
1 ‚Kein Ort für den Kopf‘? – Einführende Bemerkungen
In einer Rede zum 70. Geburtstag Oskar Pastiors erklärt die spätere Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller im Jahr 1997:
Bringt man sich mit aus einem Land in ein anderes, wird man oft gefragt, ob man seine ‚Heimat‘ hinter sich gelassen oder neu gefunden hat. Als müsste man es besser wissen als jene, die ihre Füße nicht vom Boden weggehoben haben, als müsste das Weggehen und Ankommen etwas klären, was mit den Fußsohlen nicht zu betreten und mit keinem Gedanken zu treffen ist.1
Herta Müller macht kein Geheimnis aus ihrer kritischen Haltung gegenüber der ‚Heimat‘. Geboren 1953 als Teil der deutschen Minderheit im rumänischen Banat führten ihre private Nähe zu den regimekritischen Autoren der Aktionsgruppe Banat sowie die Veröffentlichung ihres Debütwerkes Niederungen im Jahr 1982 zur zunehmenden Verfolgung und Repression durch den rumänischen Geheimdienst Securitate, was sie schließlich, 1987, zur Übersiedlung in die Bundesrepublik trieb. Die Auswirkung der Diktatur auf den einzelnen Menschen ist das Thema, das ihr Leben und ihr Werk prägt – ein Thema, welches sie nicht frei gewählt habe, wie sie selbst sagt, sondern von dem sie ausgewählt wurde und das sie nicht in Ruhe lasse.2
Gerade im Kontext von Flucht, Vertreibung, Exil und Integration wird ‚Heimat‘ immer wieder diskutiert und wirft Fragen der Zugehörigkeit, der Identifikation und der Identität auf – Fragen, die in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung, von zunehmender Migration und sogenannten ‚Flüchtlingskrisen‘, von Heimatministerien und dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa und darüber hinaus, von Multi-, Trans- und Interkulturalität nicht an Bedeutung verlieren. Und auch mit dem Werk der Autorin wird ‚Heimat‘ immer wieder in Verbindung gebracht, nicht zuletzt in der offiziellen Begründung der Schwedischen Akademie zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur des Jahres 2009 an Müller, „die mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit zeichnet“.3 Was aber ist ‚Heimat‘? Und wie stellt sich diese im essayistischen und im erzählerischen Werk Herta Müllers dar?
Die vorliegende Arbeit untersucht die konzeptionelle Darstellung der ‚Heimat‘ in essayistischen sowie die motivisch-strukturelle Darstellung der ‚Heimat‘ in ausgewählten Prosatexten der Autorin. Dafür wird der Blick zunächst auf die historische Semantik4 der ‚Heimat‘ gerichtet. Im weitesten Sinne bezieht sich der deutsche Begriff ‚Heimat‘ auf das affektive Verhältnis zwischen Mensch und Raum – wobei dieser geographischer, kultureller oder auch sozialer Natur sein kann. Die inflationären Definitionsversuche unterliegen einem starken geschichtlichen Wandel und sind abhängig von jeweils aktuellen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Daher scheint weniger eine Festlegung auf eine konkrete Definition als vielmehr die diachrone Betrachtung der Entwicklung des Begriffs geeignet, die zahlreichen Facetten und Bedeutungen der ‚Heimat‘ zu fassen. Am Beispiel historisch und systematisch ausgewählter Quellen und unter Berücksichtigung der jeweiligen synchronen Verflechtungen werden „innovative Wende- oder Knotenpunkte“5 beleuchtet, um den Begriff in seiner komplexen Vielfalt für die weitere Untersuchung fruchtbar zu machen.
Die historische, kontextorientierte Perspektive ist nicht nur für die semantischen Dimensionen des Begriffs und eine differenzierte Arbeit mit diesem grundlegend, auch für die Analyse und das Verständnis von Herta Müllers persönlicher Deutung der ‚Heimat‘ ist diese konstitutiv. Ausgehend von den etymologischen Ursprüngen und der sprachlichen Verbreitung wird der Fokus im Hinblick auf Müllers konzeptionelle Auffassung der ‚Heimat‘ besonders auf die ideologische Bedeutungserweiterung des Begriffs im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert gelegt. Denn gerade aufgrund des ideologischen Missbrauchs des Wortes über weite Strecken des 20. Jahrhunderts und Müllers eigener Erfahrung mit den menschenverachtenden Nachwirkungen der nationalsozialistischen und Auswirkungen der poststalinistischen Diktatur lehnt sie eine Rehabilitierung der ‚Heimat‘ kategorisch ab.
In einem zweiten Schritt wird Herta Müllers persönliche ‚Begriffsgeschichte‘ der ‚Heimat‘ eruiert. Dafür werden verschiedene Essays, Vorlesungen, Zeitungsartikel, Dankreden und Interviews herangezogen, in denen die Autorin, basierend auf ihrer Biographie, unterschiedliche Verwendungskontexte rekonstruiert und ihr persönliches Verständnis des Begriffs diskutiert. Durch eine konzentrierte Analyse der ausgewählten Texte, die in reziprokem Verhältnis Aufschluss über die von Müller akzentuierten Bedeutungsinhalte der ‚Heimat‘ geben, soll zum einen ihre sprach- und ideologiekritische Haltung herausgearbeitet sowie zum anderen eine Grundlage für die spätere motivische, strukturelle Untersuchung geschaffen werden. Denn um sich der ‚Heimat‘ in differenzierter, reflektierter Weise zu nähern, entwirft die Autorin sowohl implizit als auch explizit ihre eigenen Begriffe.
Mit den neologistischen Komposita ‚Dorfheimat‘, ‚Staatsheimat‘, ‚Kopfheimat‘ und ‚Heimwehlosigkeit‘ begegnet Müller den verklärenden Tendenzen der ‚Heimat‘, die wiederum neue Benennungskonventionen fordern. Dabei nährt sich ihre Auffassung des Konzeptes zum einen wesentlich aus den kollektiven Identitäten und Machtstrukturen der zwei ‚Heimaten‘, die ihr Leben und ihr Werk prägen. Zum anderen konzentriert sie den Begriff konsequenterweise auf repressive, ideologisierende und exkludierende Funktionsmechanismen und erinnert so an die Instrumentalisierung des Wortes durch diktatorische, totalitäre gesellschaftliche Systeme. Auch wenn sie der ‚Heimat‘ unter den Voraussetzungen von Vertrauen und Identifikation, Sicherheit und Frieden eine gewisse (individuelle) Berechtigung einräumt, steht der Begriff bei Müller in enger Nähe zu dem ihr Werk ‚beherrschenden‘ Themenfeld der Diktatur.
Die sprach- und ideologiekritische Haltung, die Müllers Auffassung von ‚Heimat‘ offenlegt, schlägt sich in moderner Tradition auch in ihrer poetologischen Selbstkonzeption nieder. Aus der autofiktionalen Verarbeitung ihrer Erinnerungen, der individuellen Wahrnehmung der Realität sowie den begrenzten Möglichkeiten der Worte entstehen bildgewaltige Texte, die den Lesenden durch eine präzise und zugleich suggestive Sprache einen größtmöglichen Raum für Deutungen anbieten. Nach der begrifflichen Analyse der ‚Heimat‘ in essayistischen Werken und vor der motivisch-strukturellen Untersuchung derselben in ausgewählten Prosatexten wird der Blick daher auf die umfangreichen (selbstreflexiven) literaturkritischen und literaturtheoretischen Überlegungen der Autorin gelenkt. Auf der Grundlage einschlägiger Texte wird besonders ihre Tendenz zur sprachlichen, formalen, semantischen und ästhetischen Grenzüberschreitung reflektiert, die wiederum als Opposition gegen homogenisierende kollektive Identitätskonzepte und die ideologische Indienstnahme von Sprache durch Diktaturen gedeutet wird. Der subversive und unkonventionelle Sprachgebrauch der Autorin wirft schließlich nicht nur Licht auf ihre grundsätzliche Sprach- und Kunstaufassung, sondern erweitert zugleich die möglichen Lesarten der ‚Heimat‘ in ihrem Werk. Müllers ‚Poetologie der Entgrenzung‘ zeigt auf, wie der ‚Heimat‘-Diskurs auch ohne die begriffliche Nennung den Weg in ihre erzählerischen Texte findet und gilt damit als notwendiges Bindeglied zwischen der konzeptionellen und der motivisch-strukturellen Untersuchung.
Die folgende Analyse führt exemplarisch vor, wie sich die ‚Heimat‘ motivisch, strukturell sowie formalästhetisch in Müllers erzählerischem Werk darstellt. Dafür wurden drei Texte ausgewählt, die sich besonders fließend in den Argumentationsverlauf einfügen: Müllers 1984 erstmalig in der Bundesrepublik veröffentlichtes Debütwerk Niederungen, der erste nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik erschienene Text Reisende auf einem Bein aus dem Jahr 1989 sowie der 1994 publizierte Roman Herztier. Diese Auswahl soll nicht nahelegen, dass sich andere Texte der Autorin nicht ebenfalls für eine Untersuchung der Präsentationsformen von ‚Heimat‘ eignen: Sowohl ihre Collagen als auch erzählerische Texte wie Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt (1986), Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992) oder nicht zuletzt Atemschaukel (2009) bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte. Die Konzentration auf drei Werke erscheint jedoch besonders im Hinblick auf die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes als gewinnbringend und soll zugleich den Erkenntnisreichtum begünstigen.
Methodisch wird ein textzentrierter Ansatz verfolgt, wobei das close reading aufgrund der autofiktionalen Beschaffenheit der Texte durch biographische Seitenblicke ergänzt wird. Der Aufbau der Arbeit ergibt sich nicht aus der Chronologie der Erscheinungsdaten der ausgewählten Primärtexte, sondern aus deren thematischen Schwerpunkten; von der Kindheit im Dorf über die Jugend im Staat bis hin zur Übersiedlung von Ost nach West – also gewissermaßen von einer regionalen über eine nationale zu einer transnationalen Perspektive. Für die Analyse werden zudem die neologistischen Wendungen Müllers produktiv gemacht: Das in der Diskussion ihrer persönlichen ‚Begriffsgeschichte‘ erörterte Konzept der ‚Dorfheimat‘ wird anhand der Erzählungen des Bandes Niederungen, der Entwurf der ‚Staatsheimat‘ in Bezug auf den Roman Herztier und die Komposita ‚Kopfheimat‘ und ‚Heimwehlosigkeit‘ am Beispiel von Reisende auf einem Bein praktisch erprobt. Dieses korrelative Verhältnis zwischen begrifflicher und motivisch-struktureller Untersuchung ermöglicht einen differenzierten Blick auf die sprachlich-ästhetische Be- respektive Verarbeitung der konzeptionellen ‚Heimat‘-Entwürfe der Autorin.
Aus der Multidimensionalität des Begriffs ergibt sich zudem notwendigerweise eine Multidimensionalität des Motivs. Versteht man ‚Heimat‘ im weitesten Sinne als affektive Mensch-Raum-Beziehung, und versteht man Raum (espace) zugleich eben nicht im euklidischen, sondern im Sinne Henri Lefebvres als prozessuales Konstrukt, als kulturelle und soziale Praxis, kann sich die narrative Analyse der ‚Heimat‘ nicht auf örtliche (lieu) Dimensionen beschränken.6 Daher werden die ‚Heimat‘-Konfigurationen in den drei ausgewählten Texten jeweils zunächst auf topographischer, dann auf kultureller und anschließend auf sozialer Ebene betrachtet, um diese in einem vierten Schritt hinsichtlich des narrativ transportierten ‚Heimat‘-Gefühls zusammenzubringen.7 Dabei soll gezeigt werden, wie Müller sich sowohl begrifflich als auch motivisch und strukturell diskursiv mit tradierten ‚Heimat‘-Auffassungen auseinandersetzt und diese durch Hervorhebung einzelner Versatzstücke zugleich sprachlich und ästhetisch durchkreuzt. Denn während sich über Gespräche, Vorträge und essayistische Texte ihre begriffliche Auffassung der ‚Heimat‘ erschließt, verhandelt sie die unterschiedlichen Bedeutungen und Funktionen des Konzeptes in ihren erzählerischen Texten gewissermaßen auf motivischer sowie struktureller Ebene.
Aufgrund der Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes ist die Forschung im Hinblick auf die Darstellung von ‚Heimat‘ in Müllers Werk häufig bruchstückhaft. Graziella Predoiu widmet in ihrer Untersuchung Faszination und Provokation bei Herta Müller (2001) „Herta Müllers Heimatbegriff“ ein eigenes Kapitel,8 Moonika Küla gibt „Einblicke in den Heimatbegriff der rumäniendeutschen Schriftstellerin“ (2008),9 Dorle Merchiers liefert einen knappen Überblick über die „Perception et répresentation de la terre natale (Heimat) dans l’œvre de Herta Müller“ (2014)10 oder Garbiñe Iztueta deutet „Transiträume und Heimatlosigkeit als Grunderlebnis bei Herta Müller“ (2017).11 In zahlreichen Publikationen zur Autorin wird ‚Heimat‘ als Topos zudem am Rande erwähnt, dabei jedoch häufig nur gestreift und zum Teil sogar undifferenziert diskutiert und missverständlich interpretiert: Herta Müller wird eine (fehlende) ‚Heimat‘ im Banat, in Rumänien, eine neue ‚Heimat‘ in der Bundesrepublik oder eine existenzielle ‚Heimatlosigkeit‘ zugeschrieben, ohne die heterogene Beschaffenheit des Begriffs und die konkrete sprach- und ideologiekritische Haltung der Autorin angemessen zu berücksichtigen.12 Eine nuancierte und konstruktive Perspektive nimmt Paola Bozzi in ihrer Monographie Der Fremde Blick (2005) ein, in welcher sie sich Müllers Werk aus einer interdisziplinären Perspektive nähert und dabei besonders feministische und postkoloniale Diskurse einbezieht.13 Michel Mallet hat in seinem Aufsatz zu den Repräsentationsformen der ‚Heimat‘ in Atemschaukel (2013) zudem vorgeführt, wie ein multidimensionales Verständnis des Konzeptes für die Analyse der Erzähltexte Müllers fruchtbar gemacht werden kann.14
Dass ‚Heimat‘ einen zentralen Topos in Müllers Werk darstellt, wird kaum bestritten. Auch in dem umfangreichen Herta Müller-Handbuch (2017) wird ‚Heimat‘ von Gisela Ecker unter dem Stichwort ‚Grenzen‘ als wesentliche Denkfigur hervorgehoben.15 Eine ausführliche Beschäftigung mit den konkreten begrifflichen und motivisch-strukturellen Dimensionen der ‚Heimat‘ stellt jedoch bislang eine Leerstelle dar, die mit dieser Arbeit geschlossen werden soll. Die differenzierte, multidimensionale Herangehensweise soll dabei der Offenheit und der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes Rechnung tragen. Insofern will die vorliegende Arbeit einen produktiven Forschungsbeitrag liefern, neue Perspektiven auf Müllers Werk ermöglichen und zugleich die vielschichtigen Bedeutungen der ‚Heimat‘ in diesem offenlegen. Denn in ihrem werkinternen ‚Heimat‘-Diskurs analysiert Müller gewissermaßen die ‚herrschenden‘ Konzeptionen und Konnotationen des Begriffs, unterzieht diese einer kritischen Prüfung und hebt zugleich deren gesellschaftliche, politische und kulturelle Konstruiertheit hervor. Wenn sie in der eingangs zitierten Rede zu Oskar Pastiors Geburtstag davon spricht, dass ‚Heimat‘ „mit den Fußsohlen nicht zu betreten und mit keinem Gedanken zu treffen ist“, wird folglich nicht nur der naheliegende örtliche Bezug, sondern eben auch das konstitutive gedankliche, affektive Potential der ‚Heimat‘ infragegestellt, was für Müllers sprach- und ideologiekritische Haltung sowie für ihre poetologische Praxis symptomatisch ist; ergänzend heißt es entsprechend: „Vielleicht ist Heimat kein Ort für die Füße und keiner für den Kopf.“16
Inhaltsverzeichnis
- Title Page
- Copyright
- Contents
- Danksagung
- 1 ‚Kein Ort für den Kopf‘? – Einführende Bemerkungen
- 2 „Wieviel Heimat brauchen Sie?“ – Zur historischen Semantik eines umstrittenen Begriffs
- 3 „‚Heimat‘ war immer ein anderes Wort“ – Herta Müllers ‚Heimat‘-Begriff(e)
- 4 Vom „stummen Irrlauf im Kopf“ – Herta Müllers Poetologie der Entgrenzung
- 5 „Ich war eine schöne sumpfige Landschaft“ – ‚Dorfheimat‘ in Niederungen
- 6 „Zu Hause ist dort, wo du bist“ – ‚Staatsheimat‘ in Herztier
- 7 „Ausländerin im Ausland“ – ‚Heimwehlosigkeit‘ in Reisende auf einem Bein
- 8 „Ich mag das Wort ‚Heimat‘ nicht“ – Schlussbetrachtung und Ausblick
- Personenregister