TEIL 1:
WARUM BRAUCHEN WIR DIAKONINNEN UND DIAKONE? – GRUNDLAGEN
DIAKONISCHE QUALITÄT KIRCHLICHEN HANDELNS
Warum braucht die Kirche Diakoninnen und Diakone?
Jutta Beldermann
Kirche kommt als Gemeinschaft der Gläubigen (CA VII) im Grunde ohne beruflich Mitarbeitende aus. Kirchliche Berufe, wie z. B. der Pfarrer- und der Diakonenberuf, sichern jedoch die Qualität der von Kirche und diakonischen Einrichtungen verantworteten Arbeit.
Der Artikel legt dar, wie sich der Bedarf an Qualität insbesondere in den Sozialräumen einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft darstellt, wie Kirche und diakonische Organisationen dieser Anforderung in organisationaler Verantwortung begegnen und welche Rolle dabei die doppelte Qualifikation der Diakoninnen und Diakone spielt. Dabei wird deutlich, wie dringend Kirche und Diakonie gerade in den aktuellen Herausforderungen Diakoninnen und Diakone brauchen.
1 DIE KIRCHE BRAUCHT DIAKONINNEN UND DIAKONE ZUNÄCHST EINMAL NICHT!
Die Evangelische Kirche »trägt die Verantwortung für die lautere Verkündigung des Wortes Gottes und für die rechte Verwaltung der Sakramente«. Ebenso hat die Kirche(-ngemeinde) »den Auftrag zur Seelsorge, zur diakonischen Arbeit, zum missionarischen Dienst sowie zur Pflege der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen«.
Zur Erfüllung des oben beschriebenen Auftrages, d. h. »zum Zeugnis und Dienst in der Welt«, sind »alle Christinnen und Christen« auf Grund der Taufe berufen. Der kirchliche Auftrag gilt allen. Allerdings verpflichtet die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) die Kirchengemeinden, »zur Erfüllung des Auftrages Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, zu befähigen und zu begleiten, die nötigen Ämter und Dienste einzurichten sowie für Angebote der Fortbildung zu sorgen«. Aber auch »alle Ämter und Dienste dienen der Erfüllung dieses Auftrages«.
Dass die »Versammlung aller Gläubigen« auch heute zur Erfüllung ihres Auftrages nur wenige beruflich Mitarbeitende braucht, ist mit einem Blick in die weltweite Ökumene schnell belegt. Die chinesische protestantische Kirche z. B. hat im Vergleich zu ihrer Mitgliederzahl nur einen sehr geringen Anteil an Pfarrerinnen und Pfarrern und anderen Berufsgruppen und erfüllt ihren Auftrag in der überwiegenden Mehrheit mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hoch engagiert ihr Zeugnis geben und ihren Dienst tun.
Die Kirchenordnung der EKvW geht in Artikel 9 davon aus, dass es unter »allen« Christinnen und Christen, die zum Zeugnis und Dienst in der Welt verpflichtet sind, auch Menschen geben muss, die zur Erfüllung des Auftrages in besonderer Weise befähigt und ggf. auch aus-, fort- und weitergebildet werden. Dabei geht es um Qualität. Wenn die Kirche die Erfüllung ihres Auftrages ernst nimmt, dann braucht es Qualität; ja mehr noch: Dann muss die Qualität gesichert werden. Damit sie selbst die Sicherung der Qualität überprüfen und auch gewährleisten kann, stellt die Kirche Menschen ein, erlässt Bestimmungen für ihre Ausbildung, nimmt Prüfungen ab und beauftragt Mitarbeitende, die dazu ausgebildet sind, mit besonderen Diensten.
Dabei macht die Kirchenordnung der EKvW deutlich, dass viele verschiedene Berufsgruppen im Auftrag der Kirche tätig sind und dass auch mit dem Dienst im diakonischen Arbeitsfeld nicht allein Diakoninnen und Diakone beauftragt werden. Sie nennt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gemeindepflege- und Diakoniestationen, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, »die an der Erfüllung des diakonischen Auftrages mitwirken«.
2 DIE KIRCHE BRAUCHT QUALITÄT
Auch in der chinesischen protestantischen Kirche machen Gemeindeglieder, Presbyterien und Leitungsgremien die Erfahrung, dass die Arbeit, unabhängig davon, ob sie ehrenamtlich oder (in wenigen Fällen) beruflich ausgeübt wird, theologische und andersfachliche Qualität braucht. So finanzieren etwa kleine Landgemeinden die theologische Ausbildung ihrer ehrenamtlichen Pfarrerinnen und Pfarrer, damit ihre Predigten, ihre Gottesdienste und ihre seelsorgerliche Arbeit verbessert werden.
Es geht also um Qualität in der Erfüllung des kirchlichen Auftrages und um die berufliche Sicherung von Qualität in den Arbeitsfeldern der Kirche. Von der Kirche an einer anerkannten Ausbildungsstätte ausgebildete und geprüfte Diakoninnen und Diakone sichern die Qualität der Erfüllung des diakonischen Auftrages »in Sozial- und Bildungsarbeit, in pflegerischen und erzieherischen Tätigkeiten sowie in Verkündigung, Seelsorge«. Selbstverständlich kann Qualität auch durch ehrenamtliche Tätigkeit gewährleistet werden, insbesondere dann, wenn ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine entsprechende Ausbildung mitbringen und/oder besonders fortgebildet werden. Die hauptberufliche Anstellung erfordert allerdings eine fachlich und planerisch gesicherte Qualität und Qualitätssicherung.
Beruflich und ehrenamtlich Tätige haben eine eigene persönliche Verantwortung für die Qualität ihrer Mitarbeit in Kirche und in diakonischen Einrichtungen. Dies reicht jedoch nicht aus und überfordert die personale Verantwortung der Mitarbeitenden. Daher haben Kirche und diakonische Organisationen darüber hinaus eine organisationale Verantwortung für die Sicherung dieser Qualität. Die Qualitätsebenen unterscheiden sich in der fachlichen Ausbildung und durch die jeweilige Beauftragung durch Kirche/Diakonie. Beides ist für die Sicherung der Qualität von Bedeutung:
| Personale Verantwortung | Organisationale Verantwortung |
| Grundlegende theologische »Qualität« | Taufe (Alle Christen sind zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen, KO EKvW, Art18) | Taufe (KO EKvW, Art. 18) Beruflich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone u. a.) begleiten die Kirchenmitglieder |
| Fachliche Qualität | Teilnahme an Aus-, Fort-, und Weiterbildung: Befähigung zur Ausübung von Tätigkeiten auf unterschiedlichen Qualitätsebenen | Standards für Fachlichkeit Anerkennung von Curricula durch kirchliche und diakonische Träger Verantwortung für kirchliche Prüfungen (z. B. Theologisches Examen, Diakonenexamen durch die EKvW) auf der Grundlage von Prüfungsordnungen, Richtlinien etc. |
| Sicherung der Qualität der ehrenamtlichen Tätigkeit | Ehrenamtliche Tätigkeit generell | Begleitung durch Fachpersonal (s. o.) |
| Beantragung besonderer Beauftragungen | Verfahren für besondere Beauftragungen auf Antrag (z. B. Prädikantengesetz) |
| Sicherung der Qualität der beruflichen Tätigkeit | Berufliche Tätigkeit generell | Verständigung auf und Bekanntmachen von Berufsbildern (z. B. Pfarrbild, Berufsbild Diakonin/ Diakon, Gemeindepädagogin/ Gemeindepädagoge) Kirchliche Beauftragung/ Anstellungsfähigkeit/ Ordination/ Einsegnung/ Vokation Berufliche Begleitkonzepte (z. B. Pfarrkonvente, Diakonische Gemeinschaften etc.) |
| Beantragung besonderer Beauftragungen | Verfahren für besondere Beauftragungen (z. B. Prädikantengesetz, Seelsorgegeheimnisgesetz) |
3 QUALITÄTSSICHERUNG DURCH DOPPELTE QUALIFIKATION IN ZEUGNIS UND DIENST
Die »diakonische Arbeit« gehört zum Auftrag der Kirche(-ngemeinde). Diakonie, so formuliert dies umgekehrt das Diakonengesetz der Evangelischen Kirche der Union, »ist in dem Auftrag der Kirche begründet, Zeugnis von Jesus Christus in der Welt zu geben. Dienst der helfenden Liebe und Dienst mit dem Wort gehören untrennbar zusammen«. Entsprechend bedeutet Qualität, Sorge dafür zu tragen, dass im diakonischen Arbeitsfeld qualitativ hervorragende »helfende Liebe« erlebt werden kann und dass dies nicht von der qualitativ hervorragenden Verkündigung des Evangeliums getrennt wird.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft – Umbau des Sozialstaates unter zivilgesellschaftlichen Aspekten, hoher Anspruch an Dienstleistungen, weitgehend beruflich organisierte Diakonien und das alles »in einer »pluralistischen Welt« – bedeuten Qualität und Qualitätssicherung, Mitarbeitende in Kirche und Diakonie für beide Aspekte (Zeugnis und Dienst) so gut wie möglich auszubilden und sie außerdem zu befähigen, dafür zu sorgen, die beiden Aspekte auch zusammen denken und leben zu können, und dies nicht nur als Individuen, sondern als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter von Kirche und diakonischen Organisationen, die die organisationale Verantwortung dafür übernehmen, dass die Organisation selbst im oben beschriebenen Sinn dem Auftrag der Kirche entsprechen und Kirche sein und bleiben kann.
Weder eine diakonische Organisation noch eine Kirchengemeinde können heute selbstverständlich davon ausgehen, dass (alle) ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (unabhängig davon, ob sie Mitglieder der evangelischen oder einer anderen christlichen Kirche sind) christliche Grundlagen gut genug kennen, um sie z. B. in Diskussionen vertreten zu können, bzw. das nötige Wissen haben, um christliche Positionen fachlich begründen zu können, oder hinreichend kompetent sind, um z. B. christliche Spiritualität anleiten zu können.
Ebenso kann bei der Vielfalt der Milieus und Subkulturen, bei der Differenziertheit der Anforderungen im sozialen Bereich eine diakonische Einrichtung oder eine Kirchengemeinde nicht davon ausgehen, dass alle ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage sind, Menschen in ihrem Stadtteil/Sozialraum fachlich und methodisch angemessen anzusprechen und sie zu unterstützen (auch Pfarrerinnen und Pfarrer nicht).
Diakoninnen und Diakone sind also die für die Aufgabenvielfalt im kirchlich-diakonischen Arbeitsfeld mit seinen beiden Fachlichkeitsdimensionen (theologisch-kirchlich und sozialarbeiterisch-sozialpädagogisch-pflegerisch) die mit am besten ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und nicht nur dies: Sie sind durch ihre Einsegnung dazu auch in besonderer Weise durch die Kirche berufen und werden in ihrem Dienst von den diakonischen Gemeinschaften, deren Mitglieder sie sind, begleitet. Diese bieten ihnen geistliche, seelsorgerliche und fachliche Unterstützung und sorgen damit auch für den Erhalt der beruflichen und persönlichen Qualität.
4 … UND SIE BRAUCHT SIE DOCH!
Qualität und Qualitätssicherung in der kirchlich begründeten Doppel-Aufgabe braucht Diakoninnen und Diakone, die in sehr unterschiedlichen Fachausbildungen diese »helfende Liebe« gelernt haben (z. B. in einer staatlich anerkannten dreijährigen Ausbildung oder einem Studium der Sozialen Arbeit, der Pflege, der Heilerziehungspflege, der Erziehung etc.) und die in einer zweijährigen theologisch-diakonischen Ausbildung das nötige theologische Fachwissen erworben haben, um dem Auftrag zu Verkündigung und Seelsorge angemessen gerecht werden zu können und um die beiden Aspekte des einen Auftrages zusammenbringen können. Damit sind sie insbesondere befähigt, die Kooperation zwischen Kirchengemeinden, diakonischen Einrichtungen und anderen Akteuren im Stadtteil bzw. den Sozialräumen mit christlich-theologischem Gepräge ausfüllen zu können, unabhängig davon, wer der Anstellungsträger ist.
Drei Beispiele:
Eine Diakonin ist in einer Kirchengemeinde angestellt. Sie hat gelernt, wie sie mit Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus kommunizieren und wie sie sie fachlich und methodisch angemessen unterstützen kann. Ihre Arbeit, z. B. mit Familien, ist g...