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Fernbeziehungen
Diffraktionen zu IntimitÀt in medialen ZwischenrÀumen
- German
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Ăber dieses Buch
Fernbeziehungen reproduzieren nicht nur normalisierte Vorstellungen von IntimitĂ€t, sondern stellen sie zugleich infrage. Madeleine Scherrer erforscht, wie Frauen in Fernbeziehungen von vergeschlechtlichten Erfahrungen und Erwartungen berichten. Anhand theoretischer AnsĂ€tze zu Raum und MedialitĂ€t zeigt sie auf, wie Fernbeziehungen als produzierte und sich ĂŒberlagernde mediale ZwischenrĂ€ume fungieren. Mit RĂŒckgriff auf Karen Barads Methode der Diffraktion dekonstruiert sie normalisierte IntimitĂ€tsvorstellungen und hegemoniale dualistische Denkweisen.
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Education General1.Einleitung: Zur Produktion des PhÀnomens der Fernbeziehungen
Als Forscher wissen wir immer recht gut, woher wir kommen, [âŠ], aber wir wissen im Voraus nicht genau, wohin wir uns wenden, welchen Weg wir nehmen und wo wir uns zu einem bestimmten Augenblick befinden werden, denn um diese Positionen zu kennen und auf der Karte des Projekts einzutragen, mĂŒssten wir gefunden haben, wonach wir suchen, noch bevor wir es entdeckt hĂ€tten. [âŠ]
NatĂŒrlich können wir genau definierte Probleme voraussetzen, die bereits gelöst sind, aber wie sollten wir voraussetzen, dass eine Welt bereits konstruiert ist, deren Raum ĂŒber uns hinausgeht, uns durchdringt und noch gar nicht existiert? (Serres, 2005, S. 258)
NatĂŒrlich können wir genau definierte Probleme voraussetzen, die bereits gelöst sind, aber wie sollten wir voraussetzen, dass eine Welt bereits konstruiert ist, deren Raum ĂŒber uns hinausgeht, uns durchdringt und noch gar nicht existiert? (Serres, 2005, S. 258)
Das in der vorliegenden Arbeit zu untersuchende PhĂ€nomen der Fernbeziehungen ist, wie jedes andere PhĂ€nomen auch, der Untersuchung desselben nicht vorgĂ€ngig. Es ist zwar möglich, zu sagen, dass es Fernbeziehungen gibt, aber diese Aussage bedeutet nicht, dass die Untersuchung von Fernbeziehungen das PhĂ€nomen âșwie es wirklich istâč in Erscheinung treten lĂ€sst. Stattdessen fĂŒhren die theoretische wie auch die empirische Untersuchung dazu, dass das PhĂ€nomen in einer spezifischen Weise ĂŒberhaupt erst hervorgebracht wird. Diese Positionierung basiert auf dem von Karen Barad ausgearbeiteten Ansatz des agentiellen Realismus, welcher den Feminist Science & Technology Studies und dem sogenannten âșNew Materialismâč zugeordnet wird. Der agentielle Realismus problematisiert grundlegende, im wissenschaftlichen Diskurs weit verbreitete Annahmen wie etwa diejenigen des âșReprĂ€sentationalismusâč und des Individualismus, auf denen Barad (2007) zufolge unterschiedliche Spielarten sowohl realistischer als auch sozialkonstruktivistischer AnsĂ€tze fuĂen (vgl. ebd., S. 42ff., 408f.). DarĂŒber hinaus richtet sich der Fokus des agentiellen Realismus auf diskursiv-materielle Praktiken der Wissensproduktion, wobei von einer prinzipiellen Untrennbarkeit von Epistemologie und Ontologie ausgegangen wird (vgl. ebd.). Der auf diese Annahme zurĂŒckfĂŒhrbare Neologismus âșOnto-Epistemologieâč bezieht sich entsprechend auf »the study of the intertwined practices of knowing and being« (ebd., S. 409; vgl. ebd., S. 185, 341; Barad, 2003, S. 829) und unter ebendiesen Vorzeichen steht auch die vorliegende Dissertation.
In dieser Einleitung ist zunĂ€chst zu klĂ€ren, weshalb ich mich in meiner Arbeit mit dem PhĂ€nomen der Fernbeziehungen beschĂ€ftigt habe. Möglicherweise ist es so, wie Burckhardt (2018, S. 7) schreibt, dass ich mir als Forscherin die an diesen Forschungsgegenstand zu richtenden Fragestellungen nicht selbst ausgesucht habe, sondern dass ich stattdessen von ebendiesen Fragen »heimgesucht« (ebd.) worden und zum Schluss gekommen bin, dass sich ihnen in der Auseinandersetzung mit Fernbeziehungen besonders gut nachgehen lĂ€sst. Eine Einleitung zu schreiben bedeutet jedoch stets, einem bereits verfassten Text etwas nach- und unterzuschieben (vgl. Rheinberger, 1992, S. 9): »Ein solches Verfahren verstellt vorlĂ€ufige Ansichten ebenso, wie es erlaubt, Verweisungen herzustellen, die sich erst nachtrĂ€glich ergeben haben können« (ebd.; Hervorh. MS1). Die NachtrĂ€glichkeit des Verfassens einer Einleitung birgt demnach eine grundsĂ€tzliche ZwiespĂ€ltigkeit (vgl. ebd.). Im Folgenden werde ich einerseits jene Fragen darlegen, die mich dazu gefĂŒhrt haben, mich dem PhĂ€nomen der Fernbeziehungen aus wissenschaftlicher Perspektive zuzuwenden, andererseits aber auch jene, die den Fortgang meiner Untersuchung geleitet haben. Ich versuche dabei, sowohl die Vorannahmen zu skizzieren, die diesem Projekt zugrunde liegen, als auch Verbindungslinien zwischen thematischen Aspekten des untersuchten PhĂ€nomens zu ziehen, die vor dem Untersuchungsprozess noch nicht absehbar waren und die sich erst allmĂ€hlich haben ergeben können (vgl. ebd.).
Vor dem Hintergrund eines VerstĂ€ndnisses von Erziehungswissenschaft als kritischer Gesellschaftswissenschaft, deren zentrale Aufgabe mir unter anderem darin zu bestehen scheint, das Geflecht von Beziehungsstrukturen zwischen verschiedenen Menschen im Wechselspiel mit gesellschaftlichen VerhĂ€ltnissen zu untersuchen und damit zusammenhĂ€ngend beispielsweise auch vorherrschende Vorstellungen von (nahen) sozialen Beziehungen zu kritisieren, drĂ€ngte sich mir zu Beginn des Forschungsprozesses die Frage auf, welche Implikationen die Globalisierung2 fĂŒr (nahe) soziale Beziehungen birgt. Mit dem Begriff der Globalisierung werden in wissenschaftlichen wie auch in politischen und öffentlichen Diskursen gemeinhin Prozesse bezeichnet, die einer Vision von ungehinderter MobilitĂ€t von Menschen und Kapital durch technologische Entwicklungen Vorschub leisten. Dies hat die feministische Humangeografin Doreen Massey dazu veranlasst, dieses hegemoniale VerstĂ€ndnis von Globalisierung, das Macht- und HerrschaftsverhĂ€ltnisse ausblendet, als »economic globalisation« (Massey, 1999a, S. 15f.) zu bezeichnen. Inwiefern dieses einseitig auf ökonomische Prozesse abstellende Globalisierungskonzept problematisch ist, war mir zu Beginn des Forschungsprozesses keineswegs klar. Ich ging nicht nur davon aus, dass es so etwas wie âșFernbeziehungenâč wirklich gebe, sondern auch davon, dass diese Form naher sozialer Beziehungen in irgendeiner Art und Weise mit gegenwĂ€rtigen Globalisierungstendenzen einhergehe. Fernbeziehungen erschienen mir als eines der GlobalisierungsphĂ€nomene schlechthin, denn ein ĂŒber den ganzen Globus vernetztes kapitalistisches Wirtschaftssystem fĂŒhrt nicht zuletzt zu erhöhter MobilitĂ€t von denjenigen Menschen, deren Arbeitskraft sich dieses System zur Generierung von Mehrwert zu eigen macht. Daraus folgt, dass sich auch nahe soziale Beziehungen zunehmend ĂŒber geografische Distanzen hinweg erstrecken, wenn Beziehungspartner_innen nicht am gleichen Ort eine Arbeitsstelle oder einen Studienplatz finden. Diese Vorannahme begrĂŒndete mein ursprĂŒngliches Interesse daran, wie Menschen ihre Fernbeziehung erfahren und welche Erwartungen sie zukĂŒnftig hinsichtlich ihrer Beziehung hegen. Das damit verbundene Ziel bestand somit in der Analyse naher sozialer Beziehungen (und im Spezifischen: Fernbeziehungen) unter der Bedingung der Globalisierung auf der Grundlage individueller Erfahrungen und Erwartungen von in solche Beziehungen involvierten Personen.
Zu Beginn des Forschungsprozesses konkretisierte sich mein Erkenntnisinteresse dahingehend, dass sich zeigte, dass Fernbeziehungen nicht unabhĂ€ngig vom Begriff der Normalisierung zu untersuchen sind. Wenn beispielsweise bei Schneider (2009) in seinem Handbuchbeitrag ĂŒber Distanzbeziehungen von einem »normalen Institutionalisierungsprozess von Paarbeziehungen« (S. 681) die Rede ist, womit unter anderem impliziert wird, dass Beziehungspartner_innen einen gemeinsamen Wohnsitz teilen, dann fallen Fernbeziehungen zunĂ€chst auĂerhalb dieses âșNormbereichsâč, denn die Ko-Residenz ist bei dieser Beziehungsform gerade nicht gegeben. Die Ausgangslage fĂŒr die Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand der Fernbeziehungen scheint auf den ersten Blick relativ eindeutig zu sein, wenngleich diese Form von Beziehungen in der sozialwissenschaftlichen Forschung bislang kaum Beachtung fand (vgl. ebd.). Bei Fernbeziehungen handelt es sich den gĂ€ngigen Annahmen zufolge in der Regel um nahe soziale Beziehungen zwischen zwei Personen, die ĂŒber lĂ€ngere Zeit rĂ€umlich voneinander getrennt leben, wobei meist implizit davon ausgegangen wird, dass es sich dabei um sogenannte âșLiebesbeziehungenâč handelt. Mit meiner Untersuchung versuchte ich, vermeintliche Eindeutigkeiten in Bezug auf die Fernbeziehungsthematik zu befragen und nachzuzeichnen, welche normalisierenden Diskurse diese Thematik durchziehen. Im Fokus standen die Fragen, wie diese Diskurse Vorstellungen dessen prĂ€gen, was ĂŒberhaupt als Fernbeziehung gilt, und inwiefern diese Beziehungsform damit einhergehend als âșSpezialformâč von nahen sozialen Beziehungen â und im Spezifischen: âșPaarbeziehungenâč â konstituiert wird. Eine besondere Herausforderung dieses Vorhabens bestand darin, nicht a priori festzulegen, wie sich etwas verhĂ€lt oder wie etwas ist, sondern gerade infrage zu stellen, weshalb etwas genau so in Erscheinung tritt bzw. treten konnte und weshalb sich genau dieses und nicht ein anderes Wissen ĂŒber Fernbeziehungen konstituiert (hat). Ein Beispiel hierfĂŒr wĂ€re die Untersuchung der Frage, wie es dazu kommt, dass bei Fernbeziehungen gemeinhin an Liebesbeziehungen gedacht wird, anstatt von vornherein zu supponieren, dass es sich bei Fernbeziehungen um Liebesbeziehungen handle.
Diese Herangehensweise entspricht einer dekonstruktivistischen Forschungshaltung im Anschluss an Derrida (1998, 2016a), bei der es darauf ankommt, keine voreiligen BedeutungsschlieĂungen vorzunehmen und diese gleichsam zu zementieren. Vielmehr geht es dabei um eine Offenheit gegenĂŒber immer neuen Bedeutungsverschiebungen bei einer gleichzeitigen und kontinuierlichen Infragestellung dominanter Bedeutungen (vgl. Sandoval, 1994, S. 78). Angesichts dieser Ăberlegungen gilt es in der vorliegenden Arbeit, die oftmals unhinterfragt und als gegeben erachteten Bestimmungen darĂŒber, was Fernbeziehungen sind und wie sie sich charakterisieren lassen, dekonstruktivistisch »in die Schwebe zurĂŒckzuversetzen« (Wimmer, 2016, S. 331). Damit wird nicht zuletzt der Anspruch erhoben, »die performativ erzeugten Normen und AusschlĂŒsse sichtbar zu machen und in Frage zu stellen« (PlöĂer, 2010, S. 227; vgl. hierzu auch Biesta, 1998, S. 406; Wimmer, 2016, S. 331). Des Weiteren ermöglicht es eine dekonstruktivistische Forschungshaltung, tief in hegemonialen westlichen Perspektiven verankerte »metaphysische Dichotomien wie IdentitĂ€t und Differenz, Einheit und Vielfalt, Innerlichkeit und ĂuĂerlichkeit, Zeitlichkeit und RĂ€umlichkeit, Gegenwart und Abwesenheit« (Angehrn, 2001, S. 350) zu problematisieren und zu verschieben und dabei die UnabschlieĂbarkeit und die InstabilitĂ€t von BedeutungszusammenhĂ€ngen anzuerkennen. Mit dem Fokus auf das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen versuche ich einerseits, das âșSelbstâč und das âșAndereâč, zwischen denen sich eine Beziehung entfaltet, zu dezentralisieren und auf diese Weise aus ihren scheinbar festen Verankerungen zu heben. Andererseits geht es mir bei dieser Fokussetzung darum, insbesondere die Dichotomien der Begriffe von Raum und Zeit sowie Gegenwart bzw. Anwesenheit und Abwesenheit zu veruneindeutigen (vgl. ebd.).
Mit der gewĂ€hlten Perspektive schlieĂe ich mich Masseys (2001b, S. 12) Aussage an, dass die Arbeit einer feministischen Wissensproduktion nicht allein darin bestehen könne, ĂŒber GeschlechterverhĂ€ltnisse zu forschen, sondern dass es mindestens ebenso wichtig sei, »the gendered nature of our modes of theorizing and the concepts with which we work« (ebd.) selbst zum (problematischen) Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung zu erheben. Demnach muss die Wissensproduktion in mindestens zweierlei Hinsichten angegangen werden: Zum einen gilt es, das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen auf der ontologischen und auf der ontischen Ebene â unter BerĂŒcksichtigung der Tatsache, dass diese beiden Ebenen selbst nie zur Deckung zu bringen sind bzw. dass stets eine Kluft dazwischen besteht â in den Blick zu bekommen. GemÀà Rheinberger (1992) orientiert sich hierbei »das wissenschaftliche Denken [âŠ] am Gegenstand seiner Arbeit« (S. 9) und es wird ein Wissen ĂŒber das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen hervorgebracht. Dementsprechend versuche ich in Kapitel 4, FernbeziehungserzĂ€hlungen in Spuren bzw. Spuren in FernbeziehungserzĂ€hlungen nachzuzeichnen, wobei ich Spuren als materialbezogene Konstruktionen verstehe, die aus der narrationsanalytischen Arbeit an transkribierten GesprĂ€chen mit sich als Frauen verstehenden Menschen, die eine sich als Heterobeziehung verstehende Fernbeziehung fĂŒhren, resultierten. Auf diese Weise ergeben sich empirisch fundierte Erkenntnisse zur Frage, wie die ErzĂ€hlerinnen ĂŒber ihre (vergeschlechtlichten) Fernbeziehungserfahrungen und die mit ihrer Beziehung zusammenhĂ€ngenden Erwartungen sprechen. Zum anderen ist die epistemologische Ebene der Wissensproduktion zu bearbeiten, wobei sich das Denken »an der wissenschaftlichen AktivitĂ€t als seinem Gegenstand« (ebd.) ausrichtet. Hierbei ist zu fragen, wie das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen in einer spezifischen Art und Weise hervorgebracht wird (bzw. wurde) und wie Wissen darĂŒber erlangt werden kann (bzw. konnte). Dekonstruktivistisch ist dieses Vorhaben deshalb, weil damit der Anspruch verbunden ist, dass eine Auseinandersetzung mit der »Gewordenheit des Bestehenden« (Coffey, 2013, S. 15) erfolgt. Wie eingangs erwĂ€hnt, sind die Ebenen der Ontologie und der Epistemologie aus der Perspektive des agentiellen Realismus im Anschluss an Barad (2007) jedoch nicht als voneinander getrennt zu verstehen, denn »in contrast to the spectator theory of knowledge, what is at issue is not knowledge of the world from above or outside, but knowing as part of being« (S. 341).
Ăhnlich wie Coffey (2013) das Anliegen ihres Dissertationsprojekts als eine Genealogie der modernen Liebesgeschichte unter BerĂŒcksichtigung des HeteronormativitĂ€tskonzepts beschreibt, geht es auch in der vorliegenden Arbeit darum, »hegemoniale Bedeutungsstrukturen« (S. 15) ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rĂŒcken. Deshalb sind Bedeutungen zu untersuchen, »die so selbstverstĂ€ndlich geworden sind, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen; die so universell erscheinen, dass sie als natĂŒrlich eingestuft werden« (ebd.). Meine Fokussierung auf das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen liegt in der Annahme begrĂŒndet, dass sich spezifische â sich hĂ€ufig der Aufmerksamkeit entziehende â vergeschlechtlichte, normalisierende Strukturen und Dynamiken naher sozialer Beziehungen an in bestimmten Aspekten von der Norm abweichenden, als âșSpezialformâč etikettierten Beziehungen besonders gut zeigen lassen und sich solche Beziehungen gerade deshalb fĂŒr eine Untersuchung ebendieser Strukturen und Dynamiken anbieten (vgl. Scherrer, 2015, S. 137). Diese Fokussierung auf das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen stellt jedoch nicht einfach ein âșKunstgriffâč dar, der die Einnahme eines distanzierteren Blicks ermöglicht, um gemeinhin unsichtbar bleibende Strukturelemente naher sozialer Beziehungen â beispielsweise hinsichtlich der HeteronormativitĂ€t â untersuchbar zu machen. Vielmehr wird damit das Ziel verfolgt, die gleichsam dichotome Stellung von âșFernbeziehungenâč versus âșNahbeziehungenâč selbst infrage zu stellen und deren (vermeintliche) Differenz zu problematisieren. Dieses Vorhaben verstehe ich als feministisches »politisches Projekt« (Coffey, 2013, S. 15), denn
[i]ndem wir die Machtstrukturen analysieren, die der HeteronormativitÀt zugrunde liegen, und das sichtbar machen, was mit viel Aufwand immer wieder unsichtbar gemacht wird (wobei der Aufwand selbst ebenfalls unsichtbar gemacht wird), eröffnen wir ein Potenzial der VerÀnderbarkeit. (Ebd.)
Anders als es diese Autorin expliziert â nĂ€mlich, dass sie sich »nicht auf die Suche nach Möglichkeiten, Liebe anders zu erzĂ€hlen« (ebd.), begebe â geht es mir im Folgenden durchaus auch darum, alternative Geschichten zum PhĂ€nomen der Fernbeziehungen zu generieren, um dadurch gerade die herkömmlichen Bedeutungsstrukturen, die hinsichtlich dieses PhĂ€nomens existieren, zu verschieben, das heiĂt, zu rekonfigurieren und zu verĂ€ndern. Dies geht mit der Vermutung einher, dass sich neue Möglichkeiten von Wissensproduktionspraktiken eröffnen können, wenn »ein Wirbel aufgewĂŒhlter ErzĂ€hlungen« (Tsing, 2019, S. 55) erzeugt wird, wobei diese ErzĂ€hlungen »sich aus sich ĂŒberlagernden und disparaten Wissens- und Seinspraktiken ergeben« (ebd., S. 214). Im Buch Der Pilz am Ende der Welt. Ăber das Leben in den Ruinen des Kapitalismus fĂŒhre Tsing (2019) den Leser_innen die Kraft von Geschichten vor Augen, wie Haraway (2016, S. 37) festhĂ€lt, und sie zeige »in the flesh how it matters which stories tell stories as a practice of caring and thinking« (ebd.). Die Aussagen dieser beiden Autorinnen zum ErzĂ€hlen von Geschichten lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass das ErzĂ€hlen eine Praxis des Sorgens (im Sinne des Sorgsamseins) und Denkens sei (vgl. ebd.), wobei sich ErzĂ€hlungen selbst aus Praktiken des Seins und des Wissens (vgl. Tsing, 2019, S. 214) konstituierten. Diese unterschiedlichen, mit dem ErzĂ€hlen einhergehenden Praktiken scheinen eng miteinander verbunden zu sein, wodurch sich die Grenzen der (vermeintlich) klar voneinander trennbaren Bereiche des Seins, des Wissens, des Denkens und des Sorgens verflĂŒssigen. FĂŒr die andere Seite von ErzĂ€hlungen, das heiĂt jene des Zuhörens, stellt Haraway (2016) des Weiteren Folgendes heraus: »The risk of listening to a story is that it can obligate us in ramifying webs that cannot be known in advance of venturing among their myriad threads« (S. 132). Sowohl das Zuhören als auch das ErzĂ€hlen von Geschichten bergen angesichts dieser Ăberlegungen vielfĂ€ltige Herausforderungen, die etwa die (ethischen) Fragen nach dem verantwortlichen Umgang mit dem Unvorhersehbaren, dem Unbekannten und dem Ungewissen betreffen (vgl. ebd.).
Ăber das Zuhören und ErzĂ€hlen von Geschichten hinaus ist auch der Forschungsprozess an sich stets von Ungewissheiten begleitet, denn es ist unmöglich, von vornherein absehen zu können, wohin genau dieser Prozess fĂŒhren wird und welche Wege dabei einzuschlagen sein werden. Dabei folge ich Rheinberger (1992), der das Paradoxon der Formulierung eines âșForschungszielsâč darin begrĂŒndet sieht, »etwas zu produzieren, das definitionsgemÀà nicht in einer âșzielâč-gerichteten Weise produziert werden kann. Das Unbekannte ist etwas, das nicht geradlinig angesteuert werden kann, weil man eben nicht weiĂ, was man ansteuern soll« (S. 54). Eingangs habe ich versucht, zu erlĂ€utern, welche Fragen sich mir zu Beginn des Forschungsprozesses in Bezug auf das PhĂ€nomen der Fernbeziehungen gestellt hatten und welches die ursprĂŒnglichen Ausgangspunkte der vorliegenden Arbeit waren, von denen aus sich mein Erkenntnisinteresse fortan konkretisierte. Wenngleich also das Anstreben eines genau bestimmten und eingegrenzten Forschungsziels, auf welches dann jedwede ForschungstĂ€tigkeit direkt ausgerichtet wird, als paradoxes Unterfangen angesehen werden muss, bedeutet dies nicht, dass keine forschungsleitenden Fragen zu formulieren wĂ€ren. Solche Fragen sind auch fĂŒr ein offenes Projekt mit ungewissem Ausgang unabdingbar, denn sie stellen wĂ€hrend des zuweilen verworrenen Forschungsprozesses Orientierungspunkte dar, die dabei helfen, sich nicht allzu stark zu verzetteln und abzuschweifen â auch wenn nicht bestritten werden kann, dass manche Abschweifungen und Umwege durchaus produktiv sein können und zu neuen, unerwarteten Einsichten fĂŒhren. Die erste forschungsleitende Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet wie folgt:
Wie lassen sich am PhÀnomen der Fernbeziehungen (vergeschlechtlichte) Erfahrungen und Erwartungen von Frauen in Bezug auf ihre Beziehung untersuchen?
Diese Frage bezieht sich auf methodologische und methodische Problemstellungen auf der empirischen Gegenstandsebene der Wissensproduktion. Dabei wird zu klÀren sein, welchen Stellenwert individuelle ErzÀhlungen von Frauen, die sich in einer Fernbeziehung befinden, haben können und wie die Erkenntni...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titelseite
- Impressum
- Inhalt
- Dank
- 1. Einleitung: Zur Produktion des PhÀnomens der Fernbeziehungen
- 2. Normalisierungen: Fernbeziehungen als âșSpezialformâč von Paarbeziehungen
- 3. Methodologie und Methode I: Narrative Interviews und Narrationsanalyse
- 4. FernbeziehungserzĂ€hlungen in Spuren â Spuren in FernbeziehungserzĂ€hlungen
- 5. Intermezzo: Ausblick auf die theoretischen Schnitte
- 6. Theoretischer Schnitt I: Raum
- 7. Theoretischer Schnitt II: MedialitÀt
- 8. Methodologie und Methode II: Diffraktion
- 9. Das PhÀnomen der Fernbeziehungen in Diffraktionsmustern
- 10. Zum Schluss: RelationalitĂ€t im Dazwischen â Rekapitulation und Implikationen
- Literatur