Gleichheit ist Glück
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Gleichheit ist Glück

Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind

  1. 320 Seiten
  2. German
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Gleichheit ist Glück

Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind

Über dieses Buch

In jahrzehntelanger Forschung haben die beiden Wissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Pickett empirische Daten gesammelt und ausgewertet, anhand derer sie den Einfluss der Ungleichheit auf eine Vielzahl der drängendsten sozialen Probleme entwickelter Gesellschaften untersuchen. Die geistige und körperliche Gesundheit oder der Drogenkonsum der Mitglieder einer Gesellschaft, Lebenserwartung, Übergewicht, Bildung, die Geburtenrate bei Minderjährigen, die Verbrechensrate und nicht zuletzt die soziale Mobilität: All diese Phänomene hängen statistisch eindeutig davon ab, wie ungleich die Einkommens- und somit Chancenverteilung einer Gesellschaft ist. Ab einem gewissen Einkommensniveau, das etwa auf der Höhe dessen von - ausgerechnet - Kuba liegt, ist es eben nicht mehr die Höhe des Durchschnittseinkommens, die es den Menschen immer bessergehen lässt, sondern die Verteilung des Einkommens.Dieser Titel befasst sich, wie das zur Zeit viel besprochene Buch von Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, mit der Verteilung des Reichtums.

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II

Die Kosten der Ungleichheit

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HIMMEL
Geschlossene Wohnanlage

4.

Leben in der Gemeinschaft und soziale Beziehungen

Von all dem Neuen, das während meines Aufenthalts in den Vereinigten Staaten meine Aufmerksamkeit auf sich zog, hat mich nichts so lebhaft beeindruckt wie die Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen. Alsbald wurde mir der erstaunliche Einfluss klar, den diese bedeutende Tatsache auf das Leben der Gesellschaft ausübt.
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika23
Im August 2005 traf der Hurrikan Katrina auf die Golfküste im Süden der USA und verwüstete Städte in Mississippi und Louisiana. Die Deiche brachen, 80 Prozent des Stadtgebiets von New Orleans wurden überflutet. Einen Tag vor Eintreffen der Sturmfront war die Evakuierung der Stadt angeordnet worden, aber zu dieser Zeit funktionierte der öffentliche Verkehr schon nicht mehr, es gab kein Benzin und Mietwagen waren nicht zu bekommen. Für die Menschen, die New Orleans nicht mehr verlassen konnten, richteten die kommunalen Behörden Notlager ein, beispielsweise im Superdome, der riesigen Sportarena, deren Dach der Sturm bereits schwer beschädigt hatte. Dort fanden 26.000 Menschen Zuflucht. Nach offiziellen Angaben forderte der Hurrikan 1836 Todesopfer; 700 Personen galten als vermisst.
Nach der Katastrophe richtete sich das weltweite Medieninteresse nicht nur auf die Bilder der Zerstörung – eingestürzte Häuser, überflutete Straßen, unterspülte Autobahnen und beschädigte Ölanlagen –, sondern auch auf die offensichtlichen Probleme infolge des Zusammenbruchs der sozialen Ordnung in der Stadt. In der Woche nach dem Sturm kam es zu Schießereien und Verhaftungen, und in den Nachrichten sah man verzweifelte Einwohner, die um Hilfe flehten, um Medikamente und Nahrung für die Kleinkinder. Gezeigt wurden aber auch schwer bewaffnete Soldaten, die in ihren Booten durch die überfluteten Straßen patrouillierten, nicht um Menschen zu evakuieren oder zu versorgen, sondern um Plünderer aufzuspüren.
Dieser Umgang mit dem Chaos in New Orleans rief in den USA eine Welle der Empörung hervor. Viele sahen das Misstrauen, das zwischen der armen, überwiegend schwarzen Bevölkerung und den Polizei- und Militärkräften herrschte, als Ausdruck grundlegender Probleme zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer und sozialer Zugehörigkeit. Während eines Benefizkonzerts für die Opfer, das von vielen Fernsehstationen übertragen wurde, machte der Rap-Musiker Kanye West seiner Empörung Luft: »Es ist abscheulich, wie wir in den Medien dargestellt werden. Zu den Bildern einer weißen Familie heißt es: ›Sie suchen etwas zu essen.‹ Sieht man eine schwarze Familie, heißt es: ›Sie plündern‹.« Kathleen Blanco, die Gouverneurin von Louisiana, kommentierte den Einsatz der Nationalgarde in der Stadt mit den Worten: »Die Truppen sind mit M16-Gewehren ausgerüstet und kampfbereit. Sie wissen, wie man schießt und tötet, und ich erwarte, dass sie es tun werden.«
Auch international stand diese feindselige Haltung während der Rettungsmaßnahmen in New Orleans in der Kritik. Viele Länder boten Hilfe und Unterstützung an, während ihre Medien ein negatives Bild der offiziellen Maßnahmen zeichneten. In New Orleans war das Militär offenbar nur im Einsatz, um die Bevölkerung in Schach zu halten. Dass es auch anders geht, hat ausgerechnet China gezeigt: Nach dem schweren Erdbeben von 2008 kamen ebenfalls sofort Soldaten zum Einsatz, allerdings unbewaffnet und nur in Rettungs- und Hilfsmissionen; dafür gab es Beifall von der internationalen Gemeinschaft.

Die Gleichheit der sozialen Verhältnisse

Ein ganz anderes Bild von Amerika hatte einer der ersten Berichterstatter aus der Neuen Welt gezeichnet, Alexis de Tocqueville. Er bereiste 1831 alle damaligen Bundesstaaten, sprach mit dem Präsidenten und ehemaligen Präsidenten, mit Bürgermeistern und Richtern, aber auch mit den einfachen Bürgern. Er war beeindruckt von der »Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen«, die er überall antraf, und stellte fest, dass sich »die Stände vermengen und die Privilegien aufgehoben« sind (zumindest unter den Weißen), bis die Gesellschaft »eine einzige Masse darstellt«, dass die »Amerikaner jeden Alters, jeden Ranges, jeder Geistesrichtung sich fortwährend zusammenschließen«, dass »einander fremde Menschen an einem Ort zusammenkommen und einander ohne an Vorteil oder Nachteil zu denken, ihre Ansichten mitteilen«, dass die Amerikaner »sich natürlich, offen und vorbehaltlos geben«.23 Tocqueville hebt vor allem den Beistand hervor, den sich die Amerikaner in harten Zeiten leisten:
»Ereignet sich ein Unfall auf einer öffentlichen Straße, so eilen die Menschen von allen Seiten herbei, um dem Opfer zu helfen; und gerät eine Familie durch eine plötzliche Katastrophe ins Unglück, so werden tausende von Fremden bereitwillig ihre Geldbörse öffnen …«23
Tocqueville war überzeugt, dass die Gleichheit der Verhältnisse den Amerikanern half, Vertrauen zu entwickeln und zu bewahren.

Welche Rolle spielt gegenseitiges Vertrauen?

Untergräbt die Ungleichheit das Vertrauen? Treibt sie einen Keil zwischen die Menschen? Ist sie der Grund für die Gegensätze zwischen Regierung und Bürger, Reich und Arm, Minderheit und Mehrheit? In diesem Kapitel werden wir zeigen, dass die sozialen Beziehungen umso mehr verfallen, je stärker eine Gesellschaft von Ungleichheit geprägt ist.
Dass Ungleichheit ein potenziell trennender Faktor ist, kann kaum überraschen. Wir alle neigen dazu, Statusunterschiede am Lebensstandard zu messen, und wir suchen uns Freunde unter unseresgleichen mit etwa gleichem Lebensstandard. Mit viel reicheren Menschen oder solchen, die viel ärmer sind als wir, haben wir wenig zu tun. Es fällt uns schwer, Menschen zu vertrauen, mit denen wir kaum Kontakt haben, und wenig oder keinen Kontakt haben wir mit Menschen, die anders leben als wir. Wen wir der eigenen Schicht oder Gruppe – »wir« – und wen wir der Fremdgruppe – »die anderen« – zurechnen, hängt von unserer eigenen Position innerhalb der sozialen Hierarchie ab. Ob wir uns mit anderen identifizieren und Mitgefühl zeigen können, hängt von diesem Prinzip ab. In den folgenden Kapiteln wird noch zu zeigen sein, dass Ungleichverteilung nicht nur die Herablassung gegenüber jenen schürt, die weniger haben als wir, sondern auch anderen Formen der Diskriminierung wie Rassismus und Sexismus Vorschub leistet. Eine solche Haltung gegenüber Mitmenschen wird oft einfach mit der Behauptung legitimiert: »Die sind nicht wie wir.«
Tocqueville, Zeit seines Lebens ein überzeugter Gegner der Sklaverei, hatte genau diesen Punkt erkannt: Die Freiheit und Gleichheit in Amerika, berichtet er, blieb den Afroamerikanern und den Ureinwohnern Amerikas verwehrt. Nach seiner Ansicht konnte die Sklaverei nur Bestand haben, weil die Afroamerikaner so sehr als »anders« galten, dass »der Unterschied zwischen dem Europäer und anderen Rassen wie der Unterschied zwischen Mensch und Tier erscheint«. Mitgefühl empfinden die Menschen nur für jene, die sie als gleichgestellt erachten: »Zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten besteht dieses Gefühl füreinander nicht.« Nach Tocqueville sind Vorurteile die »imaginäre Ungleichheit«, die »aus der wirklichen Ungleichheit der Vermögen und vor dem Gesetz entsteht«.23
Die Frühsozialisten und andere sahen die materielle Ungleichheit als Hindernis auf dem Weg zur allgemeinen Harmonie der Menschheit, zu einer universellen Brüderlichkeit, Schwesterlichkeit oder Genossenschaftlichkeit. Unsere Befunde werden zeigen, dass sie damit nicht falsch lagen: Ungleichheit trennt die Menschen, so sehr, dass ihnen selbst geringe Differenzen als große Unterschiede erscheinen.

Einkommensungleichheit und Vertrauen

Aus den in den Abbildungen 4.1 und 4.2 dargestellten statistischen Erhebungen ergibt sich, dass das Vertrauen unter den Menschen in dem Maße abnimmt, je weiter die Einkommensschere in ihrem Land (bzw. US-Bundesstaat) geöffnet ist. Die Korrelation ist eindeutig und nicht zufallsbedingt. In Abbildung 4.1 werden die Ergebnisse des European Values Survey und des World Values Survey veranschaulicht, einer internationalen vergleichenden Studie zu gesellschaftlichen Werten und Normen.5 In jedem Land wurden Zufallsstichproben zu der Aussage erhoben: »Den meisten Menschen kann man trauen.« Zustimmung und Ablehnung der Befragten variierten deutlich von Land zu Land. In den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden war das Vertrauensniveau hoch, am höchsten in Schweden, wo 66 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten. Die niedrigsten Zustimmungswerte ergaben sich in Portugal, wo nur 10 Prozent der Bevölkerung glaubten, den meisten Menschen trauen zu können. Allein im Vergleich dieser reichen marktwirtschaftlichen Demokratien zeigte sich eine Differenz von mehr als dem Sechsfachen im Vertrauensniveau. Kein Zweifel also, dass weniger Ungleichverteilung mehr Vertrauen zwischen den Menschen bedeutet.
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Abb. 4.1 In Ländern mit mehr Gleichheit sind auch mehr Menschen bereit, ihren Mitbürgern zu vertrauen.
Die Daten für den internen Vergleich der US-Bundesstaaten in Abbildung 4.2 stammen aus dem General Social Survey der US-Bundesregierung, einer Erhebung, die seit einem Vierteljahrhundert regelmäßig durchgeführt wird, um die sozialen Veränderungen in den USA zu erfassen.24 Wie in den vergleichenden internationalen Studien bat man auch hier die Befragten um Zustimmung oder Ablehnung der Aussage: »Den meisten Menschen kann man trauen.« Zwischen den US-Bundesstaten ergaben sich Unterschiede im Vertrauensniveau bis zum Vierfachen. Während etwa in North Dakota das Vertrauen ein ähnlich hohes Niveau wie in Schweden erreicht (62 Prozent), glauben in Mississippi nur 17 Prozent der Bevölkerung, anderen Mitbürgern trauen zu können. Und ebenso wie im internationalen Vergleich ergibt sich auch in den USA eine eindeutige Korrelation zwischen steigender Ungleichverteilung und schwindendem Vertrauen.
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Abb. 4.2 In den US-Bundesstaaten mit größerer Gleichheit stimmen auch mehr Menschen der Aussage zu, dass die meisten Mitmenschen vertrauenswürdig sind (Daten aus 41 Bundesstaaten).
Die entscheidende Aussage der hier ausgewerteten Daten zum Verhältnis von Vertrauen und Ungleichverteilung lässt uns ahnen, wie unterschiedlich das Lebensgefühl in den erfassten Gesellschaften sein muss. Was mag es im Alltag bedeuten, in einem Land zu leben, in dem 90 Prozent der Menschen dem anderen nicht über den Weg trauen? Wie geht man in dieser Gesellschaft miteinand...

Inhaltsverzeichnis

  1. Decken
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. I: Wirtschaftlicher Erfolg, soziales Scheitern
  8. II: Die Kosten der Ungleichheit
  9. III: Eine bessere Gesellschaft
  10. Anhang
  11. Anmerkungen und Quellen
  12. Register
  13. Dank