1 Einleitung
Die Gemeinden sind gemäß den Feuerwehrgesetzen der Länder dazu verpflichtet, eine den örtlichen Verhältnissen entsprechend leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, auszurüsten und zu unterhalten. Die wesentliche Kernfrage, die mit dieser gesetzlichen Forderung aufgeworfen wird, lautet:
Wie viel Feuerwehr braucht die Gemeinde?
Zur bedarfsgerechten Bemessung von Feuerwehren hat sich in den letzten beiden Dekaden die Feuerwehrbedarfsplanung etabliert, welche ein wichtiges Planungsinstrument für die Politik, die Verwaltung und die Feuerwehr selbst, der dieses Fachbuch gewidmet ist, darstellt.
1.1 Ziel dieses Buches
Das vorliegende Fachbuch richtet sich an Angehörige der Feuerwehr, Lokalpolitiker, Verwaltungsmitarbeiter, Aufsichtsbehörden, Lehrende und Studierende sowie an sonstige interessierte Personen, die sich mit den Grundlagen und Methoden der Bedarfsplanung von Feuerwehren vertraut machen möchten. Es handelt sich um ein Fachbuch, welches sowohl als Nachschlagewerk als auch als Lehrbuch zum Gesamtstudium dienen kann.
Bei bundesweit über 10.000 Gemeinden in einer Größenordnung von unter 20.000 Einwohnern, die gegenüber den knapp 700 Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern die deutliche Mehrheit in der Bundesrepublik bilden (vgl. Kapitel 2.3), richtet sich dieses Buch insbesondere an die vielen Freiwilligen Feuerwehren der kleineren Kommunen im Lande, die sich (teilweise zum ersten Mal) gezwungen sehen, eine kritische Bestandsaufnahme der IST-Struktur ihrer Feuerwehr zu erheben und ein fachlich fundiertes sowie zukunftssicheres SOLL-Konzept zu erstellen. Aber auch die Besonderheiten von hauptamtlich besetzten Wachen bis hin zu Berufsfeuerwehren in Großstädten werden intensiv thematisiert.
Dieses Fachbuch soll das notwendige Handwerkszeug sowie die fachlichen Hintergründe auf verständliche Weise darstellen, um die Akteure in den Städten und Gemeinden zur Bedarfsplanung ihrer kommunalen Feuerwehren zu befähigen. Hierbei werden nicht nur die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen sowie deren kritische Würdigung, sondern auch aktuelle Debatten in der Fachwelt sowie zahlreiche Erfahrungen aus der Praxis berücksichtigt. Mit einer Übersicht über die verschiedenen Regelungen in den einzelnen Ländern erhebt dieses Buch den Anspruch, bundesweit gleichermaßen Anwendung finden zu können und die »gesamte Bandbreite an Feuerwehr« ganzheitlich abzudecken. Ziel ist es, das für die Bedarfsplanung notwendige Verständnis der Zusammenhänge zu schaffen und anhand von Praxisbeispielen das notwendige Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen.
Ziel des Buches kann es von der Natur der Sache her jedoch nicht sein, eine Universallösung zur Bedarfsplanung anzubieten, die als »Blaupause« auf jede Kommune angewendet werden kann. Es liefert keine abschließenden Festlegungen für die »einzig richtige« Methodik und Bedarfsplanlösung. Vielmehr sollen das Grundverständnis vermittelt und Lösungsansätze aufgezeigt werden, mit denen der Leser in die Lage versetzt wird, eigenständig eine Bedarfsplanung durchzuführen, zu begleiten und zu bewerten sowie sich reflektiert auch mit anspruchsvollen Fragen der Bedarfsplanung auseinanderzusetzen.
Da die Feuerwehrbedarfsplanung eng auch mit organisatorischen Aspekten und Einsatzplanung der Feuerwehr verknüpft ist (z. B. Einsatztaktik, Ausrückverhalten, Zuschnitt und Alarmierung der Löschbezirke), handelt es sich auch um ein Grundlagenwerk zur grundsätzlichen, praktischen Organisation der Feuerwehr.
1.2 Inhalt und Aufbau dieses Buches
Das vorliegende Fachbuch beinhaltet drei thematische Schwerpunkte: In den ersten drei Kapiteln stehen die allgemeinen Grundlagen, Prozesse, Theorien und Zusammenhänge im Vordergrund, mit denen das Grundverständnis für die Feuerwehrbedarfsplanung vermittelt werden soll. In Kapitel 4 werden die konkreten Planungsgrundlagen dargestellt, aus denen sich die SOLL-Struktur einer Feuerwehr ableitet. In den Kapiteln 5 bis 10 erfolgt die Darstellung der handwerklichen Umsetzung der einzelnen Planungsschritte, die zur Veranschaulichung mit zahlreichen Praxisbeispielen untermauert werden. Im Fazit wird nochmal eine Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte vorgenommen, mit denen der Leser in die Bedarfsplanungspraxis verabschiedet wird.
Dem eiligen Leser, der sich einen schnellen Überblick über die Zusammenhänge und das Wesen der Feuerwehrbedarfsplanung verschaffen möchte, sei insbesondere das Kapitel 2 nahegelegt.
Bemerkung:
Die in diesem Buch genannten landesbezogenen Rechtsquellen, Ministerien und Zuständigkeiten sind stets in Bezug auf das im gleichen Kontext genannte Bundesland zu verstehen. Der Stand der Rechtsgrundlagen bezieht sich im vorliegenden Buch auf das Jahr 2018 – einzelne Regelungen können sich fortlaufend ändern.
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im vorliegenden Buch die männliche Sprachform genutzt. Es sind jedoch alle Personen im gleichen Maße gemeint.
Inhaltliche Abgrenzung
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der Feuerwehrbedarfsplanung im »klassischen Sinn«, also mit der notwendigen operativen Vorhaltung der Feuerwehr. Damit grenzt sich die »Feuerwehrbedarfsplanung« von der »Organisationsuntersuchung der rückwärtigen Bereiche«, also von möglicherweise hauptamtlich zu besetzenden Stellen im Büro- oder Innendienst, in Werkstätten bis hin zur vollumfänglichen Branddirektion einer Berufsfeuerwehr ab. Ferner ist nicht Gegenstand dieses Buches die Bemessung von Leitstellen, von Werkfeuerwehren oder des Rettungsdienstes. Eine ausführliche Abgrenzung der Inhalte eines Feuerwehrbedarfsplans wird in Kapitel 3.2 vorgenommen.
1.3 Ausgangslage zur Feuerwehrbedarfsplanung
Für eine qualifizierte und effektive Bedarfsplanung ist es essentiell, sich den aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen im Feuerwehrwesen bewusst zu sein, um mit geeigneten Maßnahmen im SOLL-Konzept des Feuerwehrbedarfsplans auf diese reagieren zu können. Nur wer die Herausforderungen kennt und berücksichtigt, kann ziel- und zweckgerichtete Lösungen für die nachhaltige Sicherstellung der kommunalen Gefahrenabwehr finden.
Nachfolgend werden daher die wesentlichen für die Bedarfsplanung relevanten Entwicklungstendenzen im Feuerwehrwesen skizziert, die zusammenfassend in Bild 1 dargestellt sind. Hierzu gehören insbesondere der gesellschaftliche Wandel, das veränderte Einsatzgeschehen sowie die Finanzsituation der Kommunen. Als Kernprobleme der Feuerwehren stellen sich zudem die Sicherstellung des haupt- sowie ehrenamtlichen Personalbestands und die eingeschränkte Alarmverfügbarkeit der Freiwilligen Kräfte dar, die insbesondere durch den gesellschaftlichen Wandel und die veränderte Arbeitswelt bedingt sind.
Gesellschaftlicher Wandel
Die Veränderung der Gesellschaft und ihres Wertesystems, in denen das Feuerwehrwesen eingebettet ist, zeigt sich vielschichtig und in ihrem zukünftigen Verlauf
Bild 1: Aktuelle Herausforderungen im Feuerwehrwesen
nicht abschließend vorhersehbar. Der demografische Wandel, der insbesondere durch einen Bevölkerungsrückgang, eine niedrige Geburtenrate, den Anstieg der Lebenserwartung und eine damit verbundene Alterung der Bevölkerung gekennzeichnet ist, führt zu einer signifikanten Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerungszahl in Deutschland von 82,3 Millionen Menschen im Jahr 2000 je nach Ausmaß der Nettozuwanderung langfristig bis zum Jahr 2060 auf eine Zahl zwischen 67,6 Millionen und 73,1 Millionen sinken (Statistisches Bundesamt, 2015). Dann wird voraussichtlich über ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland über 65 Jahre und weniger als ein Sechstel unter 20 Jahre alt sein.
Diese Bevölkerungsentwicklung hat (auch heute schon) Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des Systems Feuerwehr, da durch den Bevölkerungsrückgang und die Bevölkerungsüberalterung immer weniger ehrenamtliche Kräfte insbesondere in der erwerbstätigen und damit für die Feuerwehr relevanten Altersgruppe zur Verfügung stehen. Wie mit den Alterspyramiden in Bild 2 für die Jahre 2000 und 2060 dargestellt, lag die Bevölkerungszahl der für den Feuerwehrdienst relevanten Personen (im Alter zwischen 18 und 65 Jahren) bei 53,1 Millionen Menschen im Jahr 2000, was einem Bevölkerungsanteil von 64,5 Prozent entspricht. Im Jahr 2060 wird die für den Feuerwehrdienst in Frage kommende Bevölkerungszahl zwischen 35,6 und 39,2 Millionen Menschen liegen, was nur noch einem Anteil von 52,7 bis 53,6 Prozent der dann in Deutschland lebenden Gesamtbevölkerung entspricht. Die Bundesrepublik Deutschland verliert damit zwischen 13,9 und 17,5 Millionen Menschen, die in Bezug auf ihr Alter für den Feuerwehrdienst in Frage kommen, was im Vergleich zu den 53,1 Millionen Menschen im Jahr 2000 einem Verlust von fast einem Drittel (26,2 bis 33,0 Prozent) entspricht.
Bild 2: Altersaufbau der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 im Vergleich zum Jahr 2060
Dabei sind insbesondere ländliche, peripher gelegene Gebiete von der demografischen Schrumpfung betroffen. Als einer der Gründe hierfür ist insbesondere die Tendenz junger Menschen, vom Land in die Stadt zu ziehen, um dort zu leben und zu arbeiten, zu beobachten. Neben den von Schrumpfungsprozessen betroffenen Räumen sehen sich Agglomerationsräume mit starkem und unaufhaltsamem Wachstum konfrontiert, das mit einem steigenden Bedarf an Gefahrenabwehrstrukturen einhergeht.
Zudem ist zunehmend eine steigende Anspruchs- und Erwartungshaltung der Bürger zu beobachten. Zwar konnte sich bislang die Feuerwehr in Zeiten, in denen sich Bürger mittlerweile über Ruhestörung durch Einsatzfahrzeuge mit Martinshorn beschweren und die Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Rettungskräften zunimmt, trotzdem an der Spitze der alljährlichen Liste der angesehensten Berufe (Beamtenbund und Tarifunion (dbb), 2018) halten. Dennoch macht die Entwicklung zu einer »Hochleistungsgesellschaft« auch vor dem Rettungswesen keinen Halt, die mit hohem Anspruchsdenken und wachsendem Sicherheitsbedürfnis eine dienstleistungsorientierte Feuerwehr als universelle Hilfeeinrichtung fordert (»Vollkaskomentalität«). Heutzutage gibt sich der Hilfeersuchende nicht mehr nur damit zufrieden, dass die Feuerwehr »überhaupt geholfen hat«. Etwaige Schlechtleistungen der Feuerwehr1 werden nicht mehr toleriert, sondern beklagt und zumindest mit öffentlicher Imageschädigung sanktioniert (z. B. in der Lokalpresse oder den sozialen Netzwerken). Dieser Trend führt unweigerlich zum Zwang zur Professionalisierung und zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Feuerwehr, die zwar durchaus wünschenswert ist, der aber nicht nur im Ehren-, sondern auch im Hauptamt kaum nachgekommen werden kann. Nicht selten führt eine zu große Differenz zwischen dem...