Flöten und Dolche
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Flöten und Dolche

Novellen

  1. 115 Seiten
  2. German
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Flöten und Dolche

Novellen

Über dieses Buch

Vier Novellen von Heinrich Mann:

- Pippo Spano

- Fulvia

- Drei-Minuten-Roman

- Ein Gang vors Tor

Null Papier Verlag

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Information

Auflage
3

Pippo Spano

Sem­bla­ble à ces cri­mi­nels d’au­tre­fois, qui, pour­sui­vis par la ju­sti­ce, étai­ent sau­vés s’ils att­ei­g­nai­ent l’om­bre d’un au­tel, il essa­yait de se glis­ser dans le sanc­tuaire de la vie.
Wie jene Ver­bre­cher von einst, die, von der Jus­tiz ver­folgt, ge­ret­tet wur­den, wenn sie den Schat­ten ei­nes Al­tars er­reich­ten, ver­such­te er, in das Hei­lig­tum des Le­bens zu schlüp­fen.
(La Peau de Cha­grin)

I. Die Komödie

»Und ver­ra­tet mich nicht«, sag­te Ma­rio Mal­vol­to zu sei­nen zwei Freun­den. »Lasst sie glau­ben, ich käme zu­rück.«
»Du kommst nicht?«
»Ich muss nach Hau­se. Ich habe Kopf­schmer­zen … Nein, ich will euch ge­ste­hen, ich muss al­lein sein.«
»Dei­nen Tri­umph über­den­ken. Gute Nacht, glück­li­cher Dich­ter.«
»Schla­fen wirst du kaum.«
»Wer weiß. Gute Nacht.«
Die an­de­ren gin­gen hin­ein. Ma­rio Mal­vol­to stand noch einen Au­gen­blick oben an der Trep­pe. Hin­ter ihm ver­hall­te das Ban­kett zu sei­nen Ehren. Links und rechts neig­ten sich tief zwei La­kai­en voll gol­de­ner Schnü­re. Er hielt sei­ne schmäch­ti­ge Ge­stalt ganz steif und schritt hin­ab, über den blas­sen, di­cken Tep­pich, zwi­schen den ver­gol­de­ten Ge­län­dern.
»Die­se Ei­tel­keit muss aus­ge­kos­tet wer­den«, dach­te er da­bei. »Drin­nen ar­bei­te­te ich zu sehr an mei­ner Rol­le. Jetzt be­herr­sche ich das Er­leb­nis.«
»Wo­hin fah­ren wir, Herr Mal­vol­to?« frag­te der Kut­scher.
»Nach Set­ti­gna­no.«
»Wa­rum frag­te denn der. Mein­te er, ich fah­re jetzt noch zu Mimi? O Mimi, du hin­und­her­we­hen­des Sei­den­fähn­chen! Bald flat­tert es dem um den Hals, bald je­nem. Ich hab’ es ge­küsst, so oft an mir die Rei­he war, habe so­gar Aben­teu­er hin­ein­ge­stickt. Ja, Mimi, klei­ne Ko­kot­te mit flüch­ti­gen Im­pul­sen, aber ohne Spur von Grö­ße in dei­ner Sinn­lich­keit, ich habe dir Lei­den­schaf­ten an­ge­dich­tet, habe sie zu mei­ner ei­ge­nen Ge­nug­tu­ung, aus Ei­tel­keit, aus Sehn­sucht, dei­nen gan­zen Le­bens­lauf ent­lang auf­ge­stellt, wie Pup­pen, die große Ge­bär­den schleu­dern. Du warst nur ein Mä­del. Adieu, Mimi.
Wir wün­schen mehr, wün­schen Stär­ke­res. So et­was wie Mimi lässt sich noch ne­ben ei­ner Tra­gö­die her lie­ben. Es nimmt so we­nig Herz ein. Mei­ne Tra­gö­die hat heu­te Abend ge­siegt. Ja, ich wer­de stark. Aber es heißt von den klei­nen Ge­nug­tu­un­gen ganz frei blei­ben, die schwach er­hal­ten, und die Der ver­bie­tet, der in mei­nem Zim­mer über sei­ne ei­ser­ne Schul­ter hin­weg mich her­aus­for­dert!«
Nahm die­ses enge Flo­renz kein Ende? Es ver­lang­te ihn auf ein­mal hef­tig nach der Luft von sei­nen Hü­geln, nach der von Öl­laub durch­schim­mer­ten, von Lor­beer ge­würz­ten Luft, die ihn bit­ter und sanft auf den Mund küss­te. Die Gas­sen lie­ßen noch im­mer ihr nächt­li­ches Echo klap­pern. Der Schat­ten von Pferd und Kut­scher stieg die Mau­ern hin­auf und hin­ab. Dann lich­te­ten sich die Vor­stadt­häu­ser. In die ers­ten Gär­ten tauch­te das Mond­licht.
»Ich habe den Hü­gel dort hin­ten er­obert, der mein Haus trägt. Und nicht bloß ihn – alle die­se Hü­gel hab’ ich er­obert.«
Sei­ne Hand form­te in der Luft einen Halb­kreis; sie glitt über das ent­fern­te Bild ei­nes Hü­gels, wie über eine Frau­en­brust.
»Dies gan­ze Land, alle sei­ne Städ­te, je­des Haus, bis auf das letz­te, hab’ ich er­obern müs­sen. Denn mir ge­hör­te kei­nes. Kein heim­li­cher Feld­weg in kei­nem Win­kel des Lan­des kennt mich von mei­nem An­fang an. Be­den­ke das heu­te. Du bist auf dem Meer ge­bo­ren, von ei­ner Mut­ter aus frem­dem Volk. Dei­ne tra­gi­sche Kunst hat um die­ses Land, um jede sei­ner Acker­fur­chen ge­wor­ben, wie ein sehn­süch­ti­ger Pil­ger im Ket­ten­hemd, der aus In­brunst Blut ver­gießt.
Jetzt hab’ ich Fuß ge­fasst. Je­der in Ita­li­en weiß, in wel­chem Dorf und auf wel­chem Tisch das Blatt Pa­pier liegt, das ich mit Zei­chen be­de­cke. Heu­te Nacht sind die Be­sieg­ten an mir vor­über­ge­zo­gen, ein gan­zer Thea­ter­saal, von mir un­ter­wor­fen. Was habe ich zu ver­mer­ken? Elf Her­vor­ru­fe. Die Wor­te der Kö­ni­gin. Den Hän­de­druck des Gra­fen von Tu­rin. Dann das Ban­kett. Die bei­den De­pu­tier­ten, das Te­le­gramm des Mi­nis­ters. Der Bür­ger­meis­ter re­det. Die Kol­le­gen hel­fen sich mit Iro­nie. Was noch? Nichts; kei­ne Frau­en beim Ban­kett. Kei­ne Frau­en – was bleibt von al­lem also üb­rig.«
Aus dem Wa­gen ge­lehnt, das Kinn in der Hand, sah Ma­rio Mal­vol­to zu, wie die Blü­ten­bäu­me weit­hin in blei­chem Lich­te schwam­men. Vor Pon­te a Men­so­la mein­te er einen Au­gen­blick einen zwei­ten Wa­gen zu ent­de­cken, dem sei­ni­gen vor­aus, in der Höhe. Er war gleich wie­der ver­schwun­den. Das Ver­deck war auf­ge­stellt ge­we­sen. Der Kut­scher hat­te nichts ge­se­hen, und wer soll­te die Nacht auf der Land­stra­ße ver­brin­gen.
»Ob sie’s ei­gent­lich wis­sen, die Frau­en, dass al­les im Grun­de nur für sie ge­schieht? Man­che tun, als ob sie an den Geist glaub­ten – an den Geist, das hilflo­se Kind, das ohne un­se­re Sin­ne nicht ste­hen und ge­hen kann. Wir ha­ben nur un­se­re Sinn­lich­keit; und wem gilt die, wie heißt ihr höchs­ter Preis? O, eine Sit­zung am Schreib­tisch ist ver­schwen­de­tes Wer­ben um die Frau, eine durch­dich­te­te Nacht ist eine frucht­lo­se Lie­bes­nacht. Ob sie’s wis­sen? Was frag’ ich. Ihr Miss­trau­en ge­gen das Ta­lent lehrt mich ge­nug, und ihre Vor­lie­be für den Dumm­kopf, der nur ih­nen ge­hört, und nicht dem Buch. Die Frau und das Buch, das sind Fein­de.
Ein Dich­ter von zwan­zig Jah­ren, ich kann mich ent­sin­nen, hat ih­nen zu viel zu sa­gen – dar­um schweigt er lin­kisch; sucht zu viel Lei­den­schaft – das ist den We­sen un­be­quem, die kei­nen Rausch ken­nen als den der Ei­tel­keit. Ich habe da­mals von je­der ein­zel­nen ge­träumt, so vie­le in ei­nem Sa­lon sa­ßen, oder in den Wa­gen beim Kor­so. Mit fa­na­ti­scher Ent­schlos­sen­heit und fürs Le­ben hät­te ich mich der zu Fü­ßen ge­wor­fen, die mich er­kannt hät­te. Sie sind nicht so dumm. Kei­ne ein­zi­ge fühlt sich be­ru­fen, un­se­re neur­asthe­ni­schen Über­reizt­hei­ten zu trös­ten. Sie ge­sel­len sich nie­mals un­sern ein­sa­men Ver­fei­ne­run­gen, son­dern un­fehl­bar dem wohl­ge­lun­ge­nen Ty­pus. Den er­hal­ten sie, das ist ihre Be­stim­mung. Sie las­sen es, un­wis­send über ihre Funk­ti­on, ge­sche­hen, dass wir schö­nen Krank­haf­tig­kei­ten uns an ih­nen zu­grun­de rich­ten. Sie aber sind von der Mensch­heit das Un­ver­wüst­li­che. Und ich bete sie an, weil ich die Kraft an­be­te!
Mit­ten aus mei­nen Schüch­tern­hei­ten her­aus ent­führ­te ich mich da­mals plötz­lich – mich, und die klei­ne Prin­zes­sin Nora. Was für eine Über­ra­schung! Ein Haus­leh­rer von un­be­deu­ten­der Ge­stalt, dem die Da­men nicht ein­mal ein Pa­ket zu tra­gen ga­ben! … Ich hat­te sie durch eine Tat der Verzweif­lung alle auf ein­mal er­nied­rigt. Eine ent­führ­te Prin­zes­sin Gal­li­po­li – wer war die, vor der ich noch die Li­der zu sen­ken brauch­te. Ach, ich be­hielt trotz­dem im­mer die Nei­gung, zu Bo­den zu se­hen. Jede Frech­heit bei Frau­en ist mir seit­her ge­lun­gen; aber zu je­der habe ich mich zwin­gen müs­sen.
Man wirft mir Unz­art­hei­ten vor, et­was Schlim­me­res als Frech­hei­ten. Ein Klub­mann hat sich ge­wei­gert, sich mit mir zu schla­gen, und ein Ehren­rat hat ihm recht ge­ge­ben. Die To­ren, wie könn­ten sie ah­nen, dass mei­ne Unz­art­hei­ten aus mei­ner Furcht vor der ei­ge­nen Zart­heit stam­men. Ich lei­de an zu viel Ver­ste­hen, zu viel Be­den­ken, zu viel Voraus­sicht des Jam­mers der an­de­ren. Ich habe ganz das Zeug, als Be­sieg­ter zu en­den. Wel­che Selbst­ver­ge­wal­ti­gung hat es mich ge­kos­tet, die klei­ne Prin­zes­sin Nora sit­zen zu las­sen, ent­ehrt, de­klas­siert. Noch heu­te, wenn ich ihr in Rom in der ho­hen Halb­welt be­geg­ne – ich spü­re et­was wie Angst …
Hab’ ich nicht oft­mals Angst we­gen Tina, der großen Tra­gö­din, die an mir lei­det?«
Ma­rio Mal­vol­to warf sich in den Wa­gen zu­rück, er späh­te er­regt nach der Höhe des fer­nen Ber­ges, wo dem Mond­grau wei­ter Laub­wel­len mond­grau ein Schloss ent­stieg. Ein Licht, ein klei­nes, boh­ren­des, schwä­len­des Licht stak, ähn­lich ei­nem Ge­dan­ken, hin­ter ei­ner Baum­kro­ne und ver­wan­del­te sie in eine röt­li­che Wol­ke.
»Wo in der Welt wacht sie jetzt? Wie lan­ge schon bin ich ohne Nach­richt. Es ist schlimm dies­mal, da sie sich ge­wei­gert hat, heu­te Abend die Schöp­fe­rin mei­ner Arach­ne zu sein. Habe ich ihr einen Schmerz zu­ge­fügt, den ich nicht von ihr emp­fan­gen hät­te? Wer ist so kun­dig im Lei­den und im Lei­den­ma­chen als wir bei­de. Wir wis­sen, dass wir nir­gends so ar­bei­ten, dass wir nie so große Künst­ler sind, wie bei­ein­an­der, durch­ein­an­der. Und trotz al­ler Ver­wün­schun­gen, al­ler Er­schlaf­fung und al­len Has­ses stür­zen wir im­mer wie­der auf­ein­an­der zu. Es gibt in der Welt kei­ne Ko­mö­die wie un­se­re Lie­be. Hin­ter al­len un­se­ren Lei­den­schaf­ten, wil­den Ge­stal­ten, die von un­serm Le­ben bren­nen, lau­ert die Kunst, ein zwei­fel­haft lä­cheln­der Ku­lis­sen­mensch, gie­rig nach Wir­kun­gen für eine neue Rol­le.
Von Zeit zu Zeit er­tappt ei­ner den an­de­ren dar­auf, dass er nur Ko­mö­die spielt. Und plötz­lich bricht bei bei­den der Ekel aus, und wir pral­len aus­ein­an­der. Aber vier Mo­na­te spä­ter er­schei­nen wir wie­der bei der Pro­be. Das ist Be­rufs­an­ge­le­gen­heit. Von Lie­be hat das nichts – nichts von der Lie­be, für die man als Jüng­ling die ar­beit­sa­men Näch­te durch­wacht, um de­rent­wil­len man den Ruhm er­sehnt. Denn ich möch­te wis­sen, wozu der Ruhm dient, wenn er nicht Lie­be ein­trägt … Ach, er ist Phan­tom wie sie. Er ent­weicht im­mer wei­ter, je has­ti­ger man auf ihn zu­läuft. Als ich ganz un­be­kannt war, hat­te er Kör­per; ein Kö­nig, der den gol­de­nen Kranz schwang. Seit ich ihn Fet­zen um Fet­zen er­kauft habe und ge­nau weiß, wie er her­ge­stellt wird – was kann er mich noch füh­len las­sen. Der Ruhm ist ein von mir weit­hin aus­ge­streu­ter, glän­zen­der Irr­tum über mei­ne Per­son. Er gilt ei­nem, der nicht ich bin. Über mich darf die Wahr­heit kei­ner wis­sen.
Man muss sa­gen: Die­ser Mal­vol­to be­han­delt Wei­ber und Le­ben mit ei­ner Ent­schlos­sen­heit – et­was an­rü­chig ist er. Er ist ein stäh­ler­ner Da­seins­kämp­fer, das ist auch die See­le sei­ner Kunst. Die Grö­ße und die Kraft der Ras­se ist auf­er­stan­den in ei­nem Dich­ter. Man sieht, auch in ei­ner schma­len Brust kön­nen sie sich er­he­ben. Die Re­naissance ist, zum An­griff be­reit, zu­rück­ge­kehrt … Das muss man sa­gen, und darf nichts ah­nen von mei­nen schwar­zen Ängs­ten, von der De­mü­ti­gung, die mir jede Frau, je­des große Kunst­werk, je­der ge­sun­de Mann zu­fügt; nichts da­von, dass ich für eine mei­ner Sei­ten, worin das Le­ben rauscht mit rei­chem Blut, hal­be Tage see­li­schen Jam­mers und hy­gie­ni­scher Übun­gen be­zah­le. Ich will nicht, dass man es ahne. Es steht wohl hin­ter je­der vollen­de­ten Schön­heit der Schmerz und hat noch den Mei­ßel in der Hand. Soll­te ich nicht stolz sein?
Ich füh­le den me­lan­cho­li­schen Stolz auf ein Werk, das nicht die Kraft schuf, son­dern nur der Wil­le zu ihr; auf ein Le­ben ohne wah­re Stär­ke, das nur sehn­süch­ti­ger Drang in die Höhe reckt, wie eine Nio­be ihre Arme. Ich seh­ne mich am Schlus­se von al­len, die ich ge­habt habe, noch heu­te nach der Frau. Ich träu­me noch von ihr wie mit zwan­zig Jah­ren – nur hoff­nungs­lo­ser. Denn ich habe sie in­zwi­schen er­probt, und dass sie nie die Ge­fähr­tin des Ko­mö­di­an­ten ist. Sie ist mir zu ähn­lich, was hät­te sie mir zu bie­ten, oder ich ihr. Sie will sel­ber Ap­plaus. Sie will mit Lei­den­schaf­ten be­zahlt wer­den: – mir ist sie zu teu­er. Ich brau­che mei­ne Ge­füh­le, um sie den Leu­ten vor­zu­spie­len. Ich muss an mei­ner See­le spa­ren, da­mit an­de­re sich mit ihr be­rau­schen kön­nen. Je mehr ich Le­ben aus­tei­le, de­sto är­mer muss mein ei­ge­nes wer­den.
Die sel­te­ne­re Frau aber und die wah­re – sie, die sich ein­fach hin­gibt, in un­be­dach­ter Lei­den­schaft; die an nichts zwei­felt, nichts ver­langt, kei­nen Bei­fall, kein Mar­ty­ri­um; die all ihr Le­ben zu­sam­men­rafft, um es ohne ein Zau­dern, ohne ein Be­sin­nen auf Welt, Ruf, Zu­kunft in mei­nes zu wer­fen, mich reich zu ma­chen, durch mich zu at­men und mit mir un­ter­zu­ge­hen: na­tür­lich gibt es sie für mich nicht. Trä­te sie auch leib­haf­tig in mei­ne Tür, das Wun­der wäre un­voll­stän­dig. Denn in mir, in mei­nen Ta­gen, hät­te sie nicht Raum: nicht sie selbst, die zu groß, zu stark wäre; nur die Sehn­sucht nach ihr!
Hab’ ich sie heu­te Abend wie­der be­gehrt, auf der Büh­ne, durch das Loch im Vor­hang, hin­ter dem mein Platz ist! Hab’ ich sie alle be­gehrt!«
Ma­rio Mal­vol­to leg­te den Kopf in den Na­cken, stöhn­te und schau­te tief in den blei­chen Fluss der Ster­ne.
»Ich kann­te fast alle. Ein paar hat­te ich be­ses­sen, ei­ni­ge an­de­re könn­te ich ha­ben. Wozu. Soll ich sie zu mei­ner sen­ti­men­ta­len Er­zie­hung und zu mei­nem ge­sell­schaft­li­chen Fort­kom­men be­nut­zen, wie die klei­ne Prin­zes­sin Nora, oder zum Stu­di­um von zwan­zig ver­schie­de­nen Rol­len, wie Tina, die Tra­gö­din? Oder sol­len sie arme lee­re Glie­der­pup­pen sein wie Mimi, und ich be­hän­ge sie im Traum mit Lei­den­schaf­ten, die we­der sie er­le­ben wer­den noch ich? Sol­len sie zum Schluss da­hin­ter­kom­men, wer ich bin, und mich be­lei­digt und voll Ver­ach­tung weg­schi­cken? … Man wird müde, die Ster­ne dort oben mit den Au­gen zu pflücken, einen nach dem an­de­ren, und am Ende nichts in den Hän­den zu hal­ten …
So glänz­ten sie auf den Rän­gen heu­te Abend.«
Er be­trach­te­te einen großen, rei­fen Stern.
»Die Li­noz­zo. Ägyp­tisch plat­te, lan­ge Nase, lan­ge Au­gen eng bei­ein­an­der. Die Brau­en dicht un­ter der fett­schwar­zen Haar­wel­le. Wei­ter wei­cher Mund, feucht, tief ge­färbt, be­weg­lich. Sie ist am be­geh­rens­wer­tes­ten, wenn sie einen hell­g­lit­zern­den Fä­cher an den Mund­win­kel hält, oder wenn sie über die Schul­ter weg, den Kopf zu­rück­ge­legt, aus den Ecken ih­rer Au­gen lä­chelt … So­lan­ge ich in der Loge der Kö­ni­gin war, hat sie im­mer­fort hin­ge­se­hen. Sie ist ehr­gei­zig, ich könn­te sie ha­ben.«
Sei­ne Au­gen häng­ten sich an an­de­re Gestir­ne.
»Die Borgo­fi­na­le. Ein fet­tes Pro­fil mit hän­gen­dem Kinn, wil­d­äu­gig aus ei­nem hef­ti­gen Wulst braun­ro­ter Haa­re her­vor, über ei­nem mäch­ti­gen Her­me­lin­kra­gen. Das war eine der ers­ten, die mich hin­auf­ge­hisst ha­ben. Auf ih­rem zer­stör­ten Ge­sicht tref­fe ich mei­ne Erin­ne­run­gen an so vie­le er­lo­ge­ne Auf­re­gun­gen. Sie aber war viel­leicht ehr­lich?
Eine Un­mög­li­che: die Lan­cre­do­ni. Ma­ge­re Prin­zes­sin von bräun­li­cher Haut. Ein stei­ler Hals trägt den klei­nen, star­ren Kopf, mit der ent­wei­chen­den Li­nie von Nase und Stirn. Der Spit­zen­är­mel ent­fal­tet sich sehr tief un­ter der nack­ten Schul­ter, die ab­fällt, zer­brech­lich, rein. Un­ter den kal­ten Blit­zen ih­res Dia­dems gähnt die Prin­zes­sin … Und heu­te Abend, hin­ter mei­nem Vor­hang, hab’ ich sie ver­ge­wal­tigt! Ich habe zu ihr hin­aus tri­um­phiert, wis­send, dass ich mehr von ihr schme­cke als der, der sie jede Nacht in den Ar­men hiel­te! Was bleibt da­von üb­rig. Vi­el­leicht ein paar Zei­len, die ich dru­cken las­se. Aber für mich, in der See­le? …
Die jun­gen Mäd­chen! Da sa­ßen sie, ganz nah, und lu...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. Pippo Spano
  6. Fulvia
  7. Drei-Minuten-Roman
  8. Ein Gang vors Tor
  9. Das weitere Verlagsprogramm