Apokalypsis ex media
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Apokalypsis ex media

Horizonte einer Medialitätsgeschichte von Offenbarung und Untergang

  1. 188 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Apokalypsis ex media

Horizonte einer Medialitätsgeschichte von Offenbarung und Untergang

Über dieses Buch

Bis in die heutigen Tage nimmt die Apokalypse in der abendländischen Kulturgeschichte eine wirkmächtige Rolle ein. In schöner Regelmäßigkeit wird sie in Kunst, Wissenschaft, Unterhaltung, Nachrichtenwesen usf. aufgerufen, um bestimmte Seins- und Zeitverhältnisse zu adressieren, um die Dringlichkeit eines Anliegens oder Sachverhaltes vor Augen zu führen oder einfach um als drängendste Diskursform unter den Prämissen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit auf Alleinstellung zu pochen. Gleichzeitig gibt sie in Form von konkreten Medienprodukten eine willkommene Projektionsfläche für jene Lust am Untergang ab, die in der distanzierten Sicherheit medialisierter Wahrnehmungen über Jahrhunderte hinweg Kultivierung fand. Diese mediale Kultiviertheit gilt es kritisch zu reflektieren.

In drei Kapiteln werden unter Einnahme einer mediologischen Perspektive dargestellt, wie sich apokalyptische Erfahrungen im Zeitalter technische medialisierter Wahrnehmungspraktiken aus medientechnischen Konstitutionsbedingungen (aus Bedingungen der Apparatewelt) ableiten lassen.

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Information

Parenthese 1: Katastrophe

Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt.
Die Natur kennt keine Katastrophen.
Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän (1979)
Vulkanausbruch. Kometeneinschlag. Eisenbahnunglück. 9/11. Überflutung. Atomarer Super-GAU. Klimwandal. Covid-19. – Dies sind nur wenige der geläufigen Beispiele für Ereignisse und Szenarien, die heute wie selbstverständlich eng an den Begriff der ‚Katastrophe‘ gekoppelt sind. Dabei wird allzu oft ignoriert, dass ein solcher Kurzschluss begriffsgeschichtlich alles andere als ausgemachte Sache ist. Sehr wenige Arbeiten reflektieren bis heute zeitübergreifend das Gebrauchsverständnis des Katastrophenbegriffs und markieren damit, selbst in Zeiten, da die Katastrophe zweifellos zu einem Schlüsselwort nicht nur wissenschaftlicher, politischer und publizistischer Auseinandersetzung avanciert ist,170 eine frappierende Leerstelle. Auch wenn heute das Wissen zu holistischem Katastrophenmanagement in Hochschullehrgängen erwerbbar ist,171 auf politischer Ebene entsprechende transstaatliche Zusammenschlüsse und Abkommen existieren sowie die Weltgemeinschaft Bewusstsein in Form von kollaborativer Berichtslegung dokumentiert,172 bleibt der Begriff in seiner Anwendung weitgehend unhinterfragt.
Gleichzeitig ist unser heutiger Gebrauch vom Apokalyptischen, wie uns nach wie vor beinahe tagtäglich vor Augen geführt wird, untrennbar mit dem Konzept der Katastrophe verbunden. Das Denken in Katastrophen beziehungsweise multiplen Katastrophenszenarien freilich ist historisch geformt und beansprucht keinerlei universelle Gültigkeit. Nicht nur ist der assoziative – oder vielmehr weithin synonyme – Gebrauch der beiden Begrifflichkeiten keine kulturelle Selbstverständlichkeit, auch sind im Rahmen eines (diskursiv) vereinbarten ‚katastrophischen‘ Apokalypse-Verständnisses, Brüche und inhaltliche Verschiebungen adäquat zu reflektieren.
Es gilt als François Rabelais’ (1483 – 1553) Verdienst, die dem Wortschatz der Theatersprache entstammende ‚Katastrophe‘, das unheilvolle Ende der Theaterhandlung, „das Ende und die Katastrophe des Schauspiels“,173 in die französische Sprache eingeführt zu haben. Als terminus technicus fand der Begriff in Folge ins Englische und Deutsche Eingang, wohlgemerkt ebenfalls ohne implizite affektgeladene Untergangs- oder Strafbedeutung. Die instrumentelle Verwendung zielte vielmehr innerdramatisch auf bestimmte Publikumseffekte ab:
Daher erfuhr die Bedeutung von Katastrophe als Glied einer Entwicklung (Krise, Katastase, Katastrophe, Katharsis) in der ästhetischen Rezeption eine ablösende Verselbständigung zum Stilmittel der Dramaturgie, so daß die relativ eigenständige Existenz als ästhetische Kategorie als Sonderweg der Begriffsgenese angesehen werden muß.174
Jörg Trempler verweist gleichzeitig auf den Befund, wonach der Gebrauch des Katastrophenbegriffs im außerdramatischen Kontext als Lehnwort Mitte des 18. Jahrhunderts belegbar ist und dabei auch bereits mit einer etwas mehrdimensionaleren Bedeutung einherging: Generalisierend als Wendepunkte einer Fortschrittsgeschichte verstanden, wurde die Katastrophe zur Markierung einer neuen Epoche – allerdings noch deutlich positiver belehnt als dies heute der Fall ist. Sie wurde, und dies durchaus mit dem inhärenten Ziel der Wiederherstellung von Freiheit und Ordnung, als „Taktgeber der Geschichte“175 identifiziert. Obgleich der Begriff im 17. und 18. Jahrhundert also Verwendung fand, lässt im Deutschen eine außerdramatische Interpretation nach heutigem Gebrauchsverständnis noch länger auf sich warten. Ähnlich stellt sich der Sachverhalt in anderen europäischen Nationalsprachen dar.
Denn tatsächlich sollte es bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dauern, ehe geläufige lexikalische Definitionen den Begriff prominent in der Bedeutung von ‚großem Unglück‘ oder ‚schlimmen Ende‘ auswiesen:
Diese Neuerungen in der Bedeutung entsprechen gänzlich dem Muster der radikalen Trennung von Mensch und Natur, wie sie im 19. Jahrhundert vorherrscht. Die Natur erscheint als Bündel von Kräften und Erscheinungen, deren Mechanismen die Wissenschaft zu ergründen sucht und für deren Beherrschung die Technik das Know-how bereitstellt. Man könnte sagen, dass der Begriff Katastrophe aus der Scheidung von Mensch und Natur geboren wird, die die Moderne kennzeichnet […].176
Vergleichbar hält der Begriff des Katastrophismus, der ursprünglich einer der Geologie, der Astronomie sowie der Paläontologie ist, nicht vor den 1970er Jahren Einzug in den sozialwissenschaftlichen Jargon, wo er wiederum – bereits im Kontext einer technologischen Hochrüstung der menschlichen Lebenswelt – im sprachlichen Beschreibungsinventar mit der Fallhöhe (im Falle) des Kontrollverlusts kurzgeschlossen wird. Die Titulierung bestimmter Ereignisse als Katastrophen unter Betonung zerstörerischer Potentiale und verheerender Folgen kann also als verhältnismäßig jung bezeichnet werden.
Inhärent ist der modernen Façon der Katastrophe eine tiefgreifende temporale Komponente. Die Zeit, die nach der großen Katastrophe kommen wird, wird gänzlich anders sein, als jene, die gewesen ist. Was war, wird nicht mehr sein – ja, es wird vielleicht auch nichts mehr sein. Um diesem Nichts freilich vorzubeugen oder sich zumindest dagegen versichern zu können, wird präventives Handeln, werden Schadensbegrenzung und Risikokalkulation zur obersten Maxime.177 Die Katastrophe birgt mithin auch tatsächlich stets ein entblößendes, enthüllendes, apokalyptisches Momentum, indem sie die Zukunftsfähigkeit in Frage stellt. Sie markiert, anders formuliert, den kulturwissenschaftlich viel zitierten ‚Einbruch des Realen‘. Es wird nachvollziehbar, inwiefern die Katastrophe selbst zum Programm der Moderne gehört und als Ereignis in eine diskursive Verhandlung des Offenbarungsbegriffes tritt: „Da wir Wahrheit seit jeher als Ans-Licht-Kommen oder als Offen-Zutage-Treten vorstellen, wäre die Katastrophe tatsächlich nur die grellste Manifestation eines enthüllungsartigen Wahrheitsgeschehens.“178
Unter diesem Lichte erfährt das Verständnis des Begriffs von der Apokalypse mit der neuzeitlichen Aufklärungsbewegung eine bis in die Zeit der Postmoderne wirkende, entscheidende Horizonterweiterung. Diese fasst ihren distinkten Aussagewert weniger in einer mit apokalyptischen Texten kurzgeschlossenen Vorstellung vom Weltuntergang, sondern bringt die Apokalypse hinsichtlich ihres charakteristischen, auf Alleinstellung abzielenden Anspruchs auf die Kongruenz von Wahrheits- und Geltungsanspruch in Anschlag. In den endlosen apokalyptische Diskursen seit der Moderne, in deren Zentrum stets katastrophales Geschehen für eben diese Kongruenz bürgt, wäre das Apokalyptische nicht Inhalt, sondern Struktur, nicht Form, sondern Funktion, nicht Tonfall, sondern Stimme.
Philosophiegeschichtlich ist damit der Bogen von einer Schrift Immanuel Kants zu einem Apokalypse-Kommentar Jacques Derridas gespannt, der nicht auf apokalyptische Vorstellungsgehalte, deren Erfahrungszusammenhänge oder ein bestimmtes Zeit- und Geschichtsverständnis abzielt, sondern auf eine Analyse des apokalyptischen Tons, der Stimme (Stimmung) oder auch Sprachform. Diese Gedankenbewegung sei kurz in Erinnerung gerufen: 1796 verwehrt sich Kant eines zeitgenössischen vornehmen Tons in der Philosophie, welcher sich in Weltdeutung und Erklärung nicht auf die Anstrengungen geistig wacher Kontemplation (dem Programm der Aufklärung), sondern vielmehr auf mirakulöse Eingebungen respektive Mythizismus stütze und somit Verrat an der ernst arbeitenden philosophischen Kollegenschaft begehe.179 Dieser vornehme Ton, welcher auch als apokalyptischer identifiziert wurde,180 stünde also im Kontrast zu wahrlich aufklärerischem Denken. An der Schwelle zur politischen Moderne scheint die Frage nach der Legitimität des apokalyptischen Wahrheitsanspruchs geisteswissenschaftlich an den Grenzen der reinen Vernunft zu eskalieren. Derrida sollte diesen Befund knapp zwei Jahrhunderte später gegen aufgeklärte Diskursprinzipien selbst in Stellung bringen. Allgemein gesprochen begreift er auch in den mannigfaltigen, dem Lichte der Aufklärung verpflichteten Diskursen über das Ende ein das Abendland beherrschendes einflussreiches Programm:
Und wer auch immer dahin käme, das Ganze auf die Spitze zu treiben und das Raffinierteste [le fin du fin] zu sagen, nämlich das Ende des Endes [la fin de la fin], das Ende des Zwecks [la fin des fins], daß das Ende immer schon begonnen hat […], so würde auch er, ob er will oder nicht, in das Gesamtkonzert miteinstimmen.181
Gleich einer Endlosschleife, konstatiert auch Wolfgang Welsch, produziere die sich diesbezüglich ständig neu übertrumpfende „Essaymaschine unserer Kultur […] Kaskaden des Abschieds und Katarakte der Verschlingung“, und dies schon rein aus Gewohnheit und nicht selten unter den Prämissen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit:
Trotz dieser Endbeschwörungen bleibt alles beim Alten. Also hat man erneuten und gesteigerten Anlaß zur Abschiednahme, zur vehementen Distanzierung, zum Finalpamphlet. Und wieder ändert sich nichts. Daher nimmt man das Spiel noch einmal auf – und so weiter in finitum. Wenn in unserer Gesellschaft sonst nichts mehr läuft, die Reden vom Ende sind längst zu einem perpetuum mobile geworden.182
Die vollständige Genese des Katastrophenbegriffs seit der ersten nachweislichen Verwendung im antiken Drama ist heute alles andere als vollständig rekonstruiert. Gleichwohl gilt für die ‚Katastrophe‘ wie für die ‚Apokalypse‘ im selben Maße, dass sich konkrete Bedeutungen nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Gebrauchskontexte und Artikulationsbedingungen erschließen, denn „durchgehaltene Worte sind für sich genommen kein hinreichendes Indiz für gleichbleibende Sachverhalte. […] Erst die diachronische Tiefengliederung eines Begriffs erschließt langfristige Strukturänderungen.“183
Wirkungsgeschichtliche Relevanz fiel dem Terminus ‚Katastrophe‘ jedenfalls lange Zeit ausschließlich im innerdramatischen Sinne zu, ehe er, deutlich positiv besetzt, im 17. Jahrhundert auch in Bezug auf allgemeine Lebenssituationen Anwendung fand, um seit dem 19. Jahrhundert zunehmend und mit dem fortgeschrittenen 20. Jahrhundert fundamental im Zuge institutionalisierter Überbietungsdiskurse als markant desaströser Negativfall festgeschrieben zu werden.184 Zeugenschaft an der Wahrheit manifestiert sich im katastrophalen Ereignis in bedeutsamer Form. Diese Wahrheitsansprüche der Wirklichkeitsdeutung durchdrangen in den alten Gesellschaften visionär den sakralen Raum und sind seit der Neuzeit wissenschaftsbezogen, das heißt im Anschluss an Galilei medientechnisch vermittelt, also medien-generiert.
Die Wahrnehmung von Katastrophen als disruptiven Ereignissen bedeutsamer Größenordnung ist dabei untrennbar mit einer Idee verbunden, welche die geschichtliche Zeit als zielgerichtetes, teils teleologisches Unterfangen der unentwegten Optimierung zum Gegenstand hat: der Idee des Fortschritts. Dem Glauben an die selbst verantwortete Möglichkeit eines (gesellschaftlichen) Paradieses auf Erden liegt die Überzeugung der freien Gestaltbarkeit der Welt nach rationalen Kriterien zugrunde, und es ist diese Geisteshaltung, welche die europäische Kulturgeschichte des späten 18. Jahrhunderts entscheidend prägte. Es liegt auf der Hand, dass das, was heute selbstverständlich als Fortschrittskonzept identifiziert wird, viele verschiedene Keimzellen kennt und sich erst langsam von einer partikulären Vorstellung zur universal wirksamen politisch-historischen Kategorie zu entwickeln vermochte.185 Die genealogische Spur des Fortschritts führt über die neuen naturwissenschaftlichen Paradigmen des 17. zur Geschichtsphilosophie und zu den universalhistorischen Entwürfen des 18. Jahrhunderts.
Wie Ernst Cassirer betonte, liegt die ubiquitäre Geisteskraft jener Zeit in der Überzeugung von der „Einheit und [der] Unwandelbarkeit der Vernunft. Sie ist dieselbe für alle denkenden Subjekte, für alle Nationen, alle Epochen, alle Kulturen“,186 wobei der große Unterschied zum 17. Jahrhundert in der Gewissheit begründet lag, es nicht länger mit eingeborenen Ideen oder ewigen Wahrheiten zu tun zu haben, „die vor aller Erfahrung gegeben sind, und in denen sich und sie absolute Wesenheit der Dinge erschließt […], sie ist vielmehr die geistige Grund- und Urkraft, die zur Entdeckung der Wahrheit und zu ihrer Bestimmung und Sicherheit hinführt.“187 Es sind die Phänomene, die gegeben sind und anhand derer allgemeine Schlüsse zu ziehen wären und gerade nicht die Prinzipien, von denen ausgehend schlüssig deduziert werden könnte. Das Auffinden der verborgenen Strukturen hinter den Phänomenen nun hat unter anderem für das Verständnis der historischen Zeit entscheidende Bedeutung. Die erste systematische Konzeption einer Geschichtsphilosophie durch Giambattista Vico in den Principi di una scienza nuova d’intorno alla comune natura delle nazioni (1725) blieben von der Aufklärung weitgehend ignoriert und es war Montesquieu vorbehalten, in seinem Buch Esprit des Lois (1748) den ersten Versuch einer Geschichtsphilosophie zu formulieren.188 Im selben Jahr begann Anne Robert Jacques Turgot mit seinen Recherches sur les causes des progrès et de la décadence des sciences et des arts, ou Rèflexions sur l’histoire des progrès de l’esprit humain, Fortschritt zu einem durchgängigen Prinzip des Geschichtsverlaufs zu erklären.189 In weiterer Parallelität sollten Denker wie Voltaire, Denis Diderot, David Hume oder Immanuel Kant ihre Beiträge zu einem subjektzentrierten, aber kollektiven Geschichtsverständnis im Zeichen des Fortschritts leisten:
Zur konsequenten Ges...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Einleitung
  6. I Vom Zirkulieren zum Zoomen
  7. Parenthese 1: Katastrophe
  8. II Vom Zoomen zum Zappen
  9. Parenthese 2 – Digitalisation
  10. III Vom Zappen zum Zippen
  11. Resümee
  12. Literaturverzeichnis
  13. Abbildungen
  14. Personenregister