Zwischen den Rassen
eBook - ePub

Zwischen den Rassen

Roman

  1. 585 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Zwischen den Rassen

Roman

Über dieses Buch

Lola stammt von einer brasilianischen Mutter und einem deutschen Vater ab, sie steht heimatlos zwischen den Rassen, gleich wie das südliche Blut der Mutter und die vom Vater ererbte Gewissenhaftigkeit Konflikte in ihr verursachen, die sie nicht auflösen kann. Mithin hieße der Roman besser "Zwischen den Temperamenten".

Thomas Mann schrieb in einem Brief, dass sein Bruder Heinrich "nie so viel Hingabe gezeigt habe" und es "das gerechteste, erfahrenste, mildeste und freieste seiner Werke sei."

Null Papier Verlag

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Zwischen den Rassen von Heinrich Mann im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Altertumswissenschaften. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Zweiter Teil

I

Mit glän­zend glat­ten Ban­de­aus und ei­nem roh­sei­de­nen Schlaf­rock, cre­me und pfau­en­blau, kam Frau Ga­bri­el ins Zim­mer und frag­te:
»Sind die Sa­chen da?«
Lola las, hing da­bei aus dem Fens­ter und hör­te nicht. Er­mat­tet seuf­zend lehn­te Frau Ga­bri­el sich in einen Ses­sel.
Lo­las schlan­ker, kräf­ti­ger Na­cken da­hin­ten lag pflau­mig blond im Licht. Um ihr Haar her war ein gol­di­ges Ge­f­lim­mer. Die un­ge­heu­re blaue und durch­golde­te Wei­te trug Lo­las Schat­ten­riss in sich, be­reit, ihn da­hin­zu­raf­fen, auf­zuz­eh­ren. Drei Pal­men­blät­ter nick­ten mit ih­ren Spit­zen über den Fens­ter­rah­men hin­weg. Die Ho­tel­glo­cke ging. Nun schnaub­te ein Damp­fer. Von Ge­sprä­chen, Mu­sik und Ge­läch­ter flat­ter­ten Bruch­stücke durch Wind und Son­ne her­bei.
Frau Ga­bri­el saß und po­lier­te mit dem Ta­schen­tuch ihre Nä­gel. Lola sah sich plötz­lich um und fuhr zu­sam­men.
»Sind die Sa­chen da?« frag­te Mai ge­dul­dig.
»Da ste­hen sie doch!«
Nicht ein­mal den Kopf konn­te Mai wen­den; lie­ber saß sie eine hal­be Stun­de und war­te­te. Wenn je­mand aber auch gar kei­ne Ner­ven hat­te! Lola stell­te die ge­öff­ne­ten Schach­teln dicht ne­ben Mai hin.
»Gra­de habe ich sie noch be­zah­len kön­nen. Aber es war fast das Letz­te.«
»Schrei­be doch an Nene.«
»Das sagst du im­mer. Oh! Wäre ich erst aus­ge­bil­det und selbst­stän­dig! … Weißt du, wie viel wir schon vor­aus ha­ben? Die Zin­sen ei­nes hal­b­en Jah­res.«
»Nene ver­dient aber auch; er wird mit uns tei­len.«
»Er hat schon mit uns ge­teilt. Mir ist’s son­der­bar ge­nug, dass dort drü­ben ein jun­ger Mann für mich ar­bei­tet, den ich kaum ken­ne.«
»Ver­sün­di­ge dich nicht, er ist dein Bru­der.«
»Erin­nerst du dich, wie ich an­fangs, nach­dem du her­über­ge­kom­men warst, nicht wuss­te, wer Pao­lo war? Als Kind hat­te ich nie ge­hört, dass er Pao­lo hieß und dass Nene nur Baby be­deu­tet.«
»Der gute Nene.«
»Wir las­sen ihn also für uns ver­die­nen; nur dür­fen wir ihn nicht zu­grun­de rich­ten. Hörst du?«
»Ihr wer­det das schon zu­sam­men aus­ma­chen, ihr seid klü­ger als ich. Ach, un­se­re jet­zi­gen Ver­le­gen­hei­ten hat Pao­lo mir vor­aus­ge­sagt. Er woll­te mich durch­aus nicht rei­sen las­sen.«
»Zum Glück scheint er ener­gisch; sonst könn­te es schlimm en­den. Ich selbst ver­ges­se mich manch­mal. Zum Bei­spiel war’s sehr un­nö­tig, dass wir hier­her ka­men. Wir sind ge­nug hin­ter der Bran­zil­la her ge­reist. Da sie nun in der Ner­ven­heil­an­stalt sitzt und für mei­ne Stimm­bil­dung nichts mehr tun kann, hät­ten wir in Pa­ris blei­ben sol­len.«
»Pa­ris war schön!«
»Un­ser Le­ben in Pa­ris kos­te­te schließ­lich we­ni­ger: wir sa­ßen doch man­chen Abend zu Hau­se. Hier lässt man uns nicht.«
»Du hast recht, es ist schreck­lich; nun, Gott wird hel­fen. Kann ich jetzt die Sa­chen se­hen?«
»Aber – sie lie­gen dir doch vor der Nase!«
»Muss ich sie selbst her­aus­neh­men?«
Frau Ga­bri­el lä­chel­te zag­haft; die Lip­pe mit dem Le­ber­fleck im Win­kel kräu­sel­te sich und zer­stör­te die rei­ne Li­nie der gra­den Nase; die Au­gen ba­ten; in das ge­las­se­ne Ma­don­nen­ge­sicht ka­men Furcht und Un­be­hol­fen­heit ei­nes Schul­mäd­chens. Um ih­ren gu­ten Wil­len zu be­wei­sen, tauch­te sie eine ih­rer klei­nen, wei­chen, un­ge­üb­ten Hän­de in die Schach­tel. Gerührt hob Lola die Ko­stü­me her­aus, sah ein we­nig von oben her­ab zu, wie Mai sie be­wun­der­te, fass­te selbst Teil­nah­me – und bald wa­ren sie im Ve­rein ganz hin­ge­ge­ben an die­se Stof­fe, an die neu­en Er­fin­dun­gen die­ser Töne, die­ser Schnit­te, die ih­nen ver­spra­chen, ihre Schön­heit um­zut­au­schen und ih­nen eine noch nicht ge­kos­te­te Form von Le­ben und von Glück zu ver­mit­teln. Zum Schluss ver­riet Frau Ga­bri­el, wel­che Züge ihr Glück heu­te trug; denn sie frag­te:
»Meinst du, dass der Her­zog von Fin­ga­do mich liebt?«
Ihre Stim­me und ihr Blick wa­ren voll kind­li­cher Er­war­tung. Lola sag­te trös­tend:
»Ge­wiss, Mai.«
»Tat­sa­che ist, dass er neu­lich auf der Gar­den-Par­ty sich fast nur um mich küm­mer­te. Die Bri­cheau ver­si­cher­te mir, sei­ne Ver­lo­bung sei ins Wan­ken ge­kom­men. Das wäre mir wahr­haft un­an­ge­nehm.«
Aber es klang stolz. Dann, be­hut­sam:
»Sage mir eins, mein lie­bes Kind: gibt dir der Her­zog kein Ge­fühl ein? … Du brauchst es nur zu sa­gen.«
»Nicht das ge­rings­te … ob­wohl ich ihn sym­pa­thisch fin­de«, setz­te Lola höf­lich hin­zu. Und Mai, zit­ternd:
»Ich wür­de sei­ne Lie­be nicht wol­len, wenn du sie woll­test. Gott ist mein Zeu­ge, dass dein Glück mir hö­her steht als meins.«
»Gute Mai, ma­che dir kei­ne Sor­gen!«
Lola woll­te sich ent­fer­nen; Mai hielt sie, trä­nen­den Au­ges, am Rock fest.
»Ich wür­de mich dir op­fern, weißt du … Also du liebst ihn nicht? Schwö­re es mir!«
»Ich schwö­re es«; und Lola lä­chel­te nach­sich­tig. Man muss­te ein Kind sein wie Mai, um sich in den Ti­tel die­ses küm­mer­li­chen Jüng­lings zu ver­lie­ben.
»Aber auf dem Heim­we­ge«, be­merk­te Mai, »ist er mit dir ge­gan­gen. Ihr habt euch so­gar ab­ge­son­dert.«
»Er woll­te mir aus der Fer­ne sei­ne Yacht zei­gen – auf der er nicht fah­ren kann, weil er see­krank wird.«
»Wo­von spracht ihr noch?«
»Von Karl dem Zwei­ten.«
»Wer ist das?«
»Ein Kö­nig von Spa­ni­en – es ist lan­ge her, es wür­de dich nicht in­ter­es­sie­ren. Mich in­ter­es­sier­t’s auch nur manch­mal. Aber mit Fin­ga­do weiß ich nichts an­de­res zu re­den.«
»Wirk­lich nicht?«
»Tat­säch­lich.«
Mai nick­te be­ru­higt. Mit ei­nem un­auf­halt­sa­men Lä­cheln des Tri­um­phes:
»Mit mir re­det er an­de­res!«
»Wür­dest du ihn hei­ra­ten, Mai?« frag­te Lola, knie­te ne­ben ih­rer Mut­ter hin und strich ihr schmei­chelnd über Hals und Arm.
»Ich sehe mei­ne Mai schon als Her­zo­gin, in ih­rem Schloss in der Sier­ra; sie geht auf die Jagd nach Wöl­fen, Ad­lern und ähn­li­chen Wap­pen­tie­ren.«
Mai hat­te ernst­haft nach­ge­dacht.
»Al­les wohl über­legt«, sag­te sie, »hat auch Herr Aguir­re sei­ne Vor­zü­ge. Er ist Ab­ge­ord­ne­ter, sehr ein­fluss­reich, und Spa­ni­en wird viel­leicht Re­pu­blik wer­den.«
»Wie weit du denkst, Mai! Aguir­re, dies un­ge­sund ro­si­ge Baby, denkt nur an das Nächs­te: er will un­ser Geld, das Geld, das er uns zu­traut. Zu viel Ehre!«
»Du siehst zu trü­be, Lola. Und fer­ner ist er in ge­setz­tem Al­ter, und ich bin, ach, nicht mehr ganz jung.«
»Im Ge­gen­teil«; da­bei herz­te Lola ihre Mut­ter eif­ri­ger; »du bist so jung, dass ich mich ne­ben dir mei­nes Al­ters schä­me. Schon als du mich aus der Pen­si­on ab­hol­test, war ich, glaub’ ich, wei­ter im Le­ben als du. Die zwei Jah­re aber, die wir in der Welt um­her­ge­reist sind, ha­ben mei­nem Al­ter zehn hin­zu­ge­fügt. Ich fan­ge so­gar an, häss­lich zu wer­den.«
»Das ist nicht wahr! Du bist die Fri­sche selbst. Dein Al­ter bil­dest du dir ein, weil du zu viel denkst. Das könn­te dei­ne Stirn fal­ten; gib acht! Du bist zer­streut bei der Toi­let­te, und ge­ra­de sie ver­langt un­se­re gan­ze Geis­tes­kraft. Dann hät­test du dir nicht die Stirn­haa­re ab­ge­brannt und wä­rest jetzt nicht so schwer zu fri­sie­ren.«
Lola griff seuf­zend nach den krau­sen Här­chen.
»Ich habe schließ­lich doch mei­nen Be­ruf ver­fehlt. Oft kom­me ich mir vor wie ein ver­klei­de­ter Mann.«
»Das wird ver­ge­hen, wenn du hei­ra­test. Fin­dest du es noch nicht an der Zeit? Wel­che schö­nen Ge­le­gen­hei­ten hast du vor­über­ge­hen las­sen! Ich weiß nicht: du bist doch so klug; aber eine Schwar­ze hat mehr Ge­schick, sich einen Mann ein­zu­fan­gen. Halt, ge­fällt dir etwa Herr Aguir­re? Er scheint mich zu lie­ben. Meinst du nicht?«
»Ge­wiss, Mai.«
»Tat­sa­che ist, dass er wäh­rend der Re­gat­ta nicht von mei­ner Sei­te wich. Wenn du ihm aber ir­gend­ein Ge­fühl ent­ge­gen­bringst …«
Mais Stim­me beb­te schon wie­der; Mai war schon wie­der zu ei­nem Op­fer be­reit und ängs­tig­te sich da­vor. Lola wehr­te ab; sie lach­te be­fan­gen, tat ein paar Schrit­te; dann, ernst­haft, mit ver­hal­te­nem Zorn:
»Du sprachst von mei­ner Ver­hei­ra­tung, und doch ver­lierst du sie zu oft aus dem Auge. Die Toch­ter ei­ner Mut­ter, die sich zu gut un­ter­hält, wird nicht leicht einen Mann fin­den.«
Mai sah tief er­schro­cken aus; Lola schloss ver­zei­hend:
»Ich weiß, du ver­dienst kei­nen erns­ten Ta­del. Erin­ne­re dich nur, bit­te, wie leicht man sich un­schul­dig kom­pro­mit­tiert, und ver­spä­te dich abends mit kei­nem der Her­ren mehr!«
»Du bist streng wie dein Va­ter«, sag­te Mai und er­schau­er­te. »Weißt du wohl, dass ich ihn wie­der­ge­se­hen habe? Ja, ge­ra­de in der Nacht, von der du sprichst, er­schi­en er mir.«
De­mü­tig bit­tend:
»Willst du nicht sein Bild in dein Zim­mer neh­men?«
»Das geht nicht, Mai: es wür­de ihn noch mehr er­zür­nen.«
Lola ging ans Fens­ter und sah hin­aus. Frau Ga­bri­el mur­mel­te vor sich hin und seufz­te. Eine jun­ge Män­ner­stim­me kam von un­ten:
»Fräu­lein Lola, ich habe al­les, was Sie wünsch­ten.«
»Gut«, ant­wor­te­te Lola.
»Sie be­ste­hen im Ernst dar­auf?«
»Ohne Zwei­fel. Wann kom­men Sie?«
»Sehr bald. In ei­ner Stun­de wer­den die bei­den Ka­va­lie­re Ih­rer Mama da­sein. Emp­feh­len Sie mich ihr!«
»Auf Wie­der­se­hen!«
»In ei­ner Stun­de – und ich bin nicht an­ge­zo­gen!« rief Frau Ga­bri­el und sprang auf. »Lola, be­ei­le dich! Welch Glück, dass wir fri­siert sind.«
Bei der Tür kehr­te sie um.
»Was denkst du über un­sern Lands­mann?«
»Da Sil­va Do­len­ha?« – und Lola fühl­te sich un­frei.
»Ja. Hältst du es für un­mög­lich, dass er eine von uns liebt? Er kommt täg­lich.«
Da Lola schwieg:
»An­zei­chen gäbe es wohl, dass ich es bin, die er liebt.«
Lola kam plötz­lich in Be­we­gung.
»Nein, Mai, dies­mal irrst du. Sei ver­si­chert, der denkt nicht an dich!«
»Ach«; Mai war ge­kränkt; »wie kannst du das be­ur­tei­len. Du bist in sol­chen Din­gen ein Kind.«
»Mag sein. In die­sem Fall aber weiß ich, wen Da Sil­va liebt. Wir sind Freun­de, und er hat es mir ge­sagt.«
»Wen denn? Mein Gott!«
Mai stam­mel­te, hef­tig ent­täuscht. Lola, über­le­gen:
»Das ver­rät man nicht un­ter Freun­den.«
»Freun­de: was ist denn das?«
»Du wirst es se­hen. Geh, Mai, zieh dich an! Du wirst es se­hen.«
Dann rief sie noch­mals:
»Mai! … Glaubst du wohl, dass ich lei­den­schaft­lich bin?«
»Du? Wa­rum, Kind?«
»Ich mei­ne, weil wir von sol­chen Din­gen spre­chen … Nein, ich weiß ge­wiss, ich bin es nicht.«
»Wie son­der­bar du bist!«
Lo­las be­weg­te Mie­ne blieb noch auf die Tür ge­rich­tet, die sich ge­schlos­sen hat­te. All­mäh­lich ward ihr Blick sin­nend, und sie setz­te sich auf einen Kof­fer. Mais Mäd­chen trat ein und hol­te die Sa­chen ih­rer Her­rin. Lo­las ei­ge­ne la­gen auf Bett und Stüh­len ver­streut, mit Bü­chern und No­ten­blät­tern da­zwi­schen. Ein Glas mit Ro­sen war um­ge­fal­len; Lola er­hob sich un­be­wusst und rich­te­te es auf. Dann sah sie sich nach ei­nem frei­en Sitz um, fand kei­nen und kehr­te auf den Kof­fer zu­rück.
»Mai hat’s gut«, sann Lola. »Täg­lich an­de­re Klei­der, und merkt nicht, dass es ei­gent­lich al­les eins ist. So hat sie auch alle Tage eine neue Lie­be; und wem im­mer sie gel­ten mag: dass es Lie­be, rich­ti­ge Lie­be ist, dar­an zwei­felt sie nie. Wenn ich wüss­te, ob ich Da Sil­va lie­be! Manch­mal ist’s nur zu klar. Kurz dar­auf kom­me ich nach Haus und den­ke an et­was an­de­res. Aber das Manch­mal ist schlimm ge­nug, es ist be­schä­mend. Ich wer­de dann me­lan­cho­lisch, wie in der Pen­si­ons­zeit, als die di­cke Jen­ny mir ge­wis­se Auf­schlüs­se ge­ge­ben hat­te … Ich glau­be, nur äu­ßer­lich hal­te ich mich fes­ter; in­ner­lich bin ich viel lo­cke­rer als Mai. Ich glau­be jetzt, sie ist die bei Wei­tem Un­schul­di­ge­re. An­fangs habe ich sie un­ge­recht be­ur­teilt; es war ver­zeih­lich. Aus der an­stän­di­gen Welt Er­nes­tes plötz­lich her­aus – an die­se süd­li­chen Al­ler­weltsplät­ze, in ein er­hit­zen­des Durchein­an­der flüch­ti­ger Be­gier­den. Je­den Tag, den ich mich nicht amü­sier­te, sah ich als ver­lo­ren an; nur der Ehr­geiz, durch mei­ne so plötz­lich ent­deck­te Stim­me groß zu wer­den, er­hob mich noch, und auch er schwin­det schon, und ich will mit dem Sin­gen heu­te fast nichts mehr er­rei­chen als mei­ne Un­ab­hän­gig­keit … Und nun die Frau ne­ben mir, die eben­solch tau­meln­des In­stinkt­we­sen war wie die an­de­ren, ohne die Wür­de ei­nes Geis­tes, das war mei­ne Be­schüt­ze­rin, mei­ne Freun­din, mei­ne gan­ze Fa­mi­lie, das war Mai, die schö­ne Mai, die ich in al­len mei­nen Kind­heits­er­in­ne­run­gen so poe­tisch in ih­rer Hän­ge­mat­te lie­gen sah! Der ein­zi­ge Mensch, an den ich ge­glaubt hat­te! Ich weiß noch, wie em­pört ich war. Da­von also hat­te sie ge­träumt in ih­rer Hän­ge­mat­te! Kaum ist Pai tot, stürzt sie sich, ih­rer Frei­heit froh, in die dümms­te Un­en­t­halt­sam­keit! Um Pais wil­len war ich em­pört und be­reit, sie zu has­sen. Wie arg­wöh­nisch solch ganz jun­ges, un­er­fah­re­nes Mäd­chen das Le­ben ei­ner Frau durch­spürt – das Le­ben der Mut­ter! Als ich da­mals in Trou­ville mei­ner Sa­che end­lich ganz si­cher zu sein glaub­te: wel­che Ka­ta­stro­phe! Mai hat einen Ge­lieb­ten! In dem Ge­dan­ken saß ich wie in ei­nem be­täu­ben­den Ge­tö­se, wie in ei­nem Welt­un­ter­gang. Das Furcht­ba­re, sag­te ich mir, ist, dass auch ich das in mir habe und so wer­den muss! Was wuss­te ich da­mals? Heu­te habe ich fast einen Ge­lieb­ten, könn­te ihn je­den Au­gen­blick ha­ben, und wun­de­re mich alle Mor­gen beim Er­wa­chen, dass es noch nicht ein­ge­tre­ten ist.
Seit­dem muss ich Mai wohl mil­der be­ur­tei­len. Sie ist ein Kind und wird über die ge­fähr­li­chen Stel­len im­mer nur spie­lend hin­hu­schen. Geht sie einen Schritt zu weit, er­scheint ihr als­bald der tote Pai; und ich be­stär­ke sie in ih­ren Ge­sich­ten. Wa­rum ei­gent­lich? Doch nicht mehr um Pais wil­len. Auch nicht, weil Mais Auf­füh­rung mich hin­dern könn­te, einen Mann zu fin­den. Das ist mir gleich. Aber ich weiß wohl, warum: ich selbst bin in Ge­fahr und brau­che Rein­heit um mich her … Bin ich in Ge­fahr? So­bald ich’s aus­den­ke, glau­be ich’s nicht mehr. Ich! Ich bin doch eine ganz an­de­re! Auf We­sen wie die arme Mai bli­cke ich doch, deucht mir, ein gu­tes Stück hin­ab!
Je­den­falls hab’ ich sie gern. Wir sind gra­de im rich­ti­gen Ver­hält­nis: dem von ei­nem Paar Schwes­tern, die ein­an­der ei­fer­süch­tig schmei­cheln. Ob wir uns schwer ent­beh­ren wür­den, ist nicht si­cher. Wie schwärm­te Mai die ers­te Zeit von Nene! Jetzt er­wähnt sie ihn ge­mäch­lich und fast nur, wenn von Geld die Rede ist. Jetzt bin ich dar­an, die Mut­ter­lie­be zu ge­nie­ßen. Es tut doch wohl, wenn spät abends, nach­dem man sich ge­kämmt hat und die De­cke über sich ge­zo­gen hat, eine Mut­ter her­ein­kommt und einen küsst. Sie herzt mich lan­ge; mir wird ganz kind­lich und weich zu Sinn; dann spricht sie mir mit klei­ner sü­ßer, ent­zück­ter Stim­me von ih­ren Er­fol­gen, fragt mich nach mei­nen, und wir sind wie zwei Klei­ne un­term Weih­nachts­baum.
Nein, für Pai neh­me ich nicht mehr Par­tei. Ich ste­he, wenn ich’s be­den­ke, so­gar ent­schlos­sen auf Mais Sei­te. Ers­tens wohl, weil ich füh­le, dass auch mit mir, wie ich ge­wor­den bin, Pai nicht sehr ein­ver­stan­den wäre. Haupt­säch­lich aber, weil er ein Mann war und Mai un­ter­drückt hat. Und schließ­lich, mein Gott, ha­ben die Le­ben­den recht. Wenn ei­ner stirbt, ver­säumt er das Wei­te­re und darf nicht mehr drein­re­den. Käme Pai wie­der, er fän­de gar kei­ne An­knüp­fung mehr mit uns, glau­be ich. Mai lie­ße sich nicht mehr so leicht in die Hän­ge­mat­te le­gen; und ich – ach, ich bin wohl auch nicht sein rech­tes Kind: wie hät­ten wir sonst, kaum dass er tot war, den gan­zen bür­ger­li­chen Bo­den un­ter den Fü­ßen ver­lie­ren kön­nen! Denn das ta­ten wir doch …«
Lola sah sich im Zim­mer um.
»So sieht’s über­all aus, wo wir kam­pie­ren. Und ich sit­ze auf ei­nem Kof­fer. Nie kom­men die Kof­fer aus den Zim­mern, und sind im­mer nur halb aus­ge­packt. Die Jah­res­zeit wird stau­big, der Lieb­ha­ber fade. Fort von hier! Wo­hin am Ende? Dort ste­hen die An­sich­ten von zu Hau­se, die Mai mit­ge­bracht hat. Zu Hau­se! Wenn wir Lust be­kämen, einen Aus­flug dort­hin zu ma­chen, wür­de ich vor dem Blick auf Rio den­ken, dass er tat­säch­lich un­ver­gleich­lich schö­ner ist als der auf Nea­pel; wür­de von ei­nem Ho­tel, wo al­les wäre wie in die­sem hier, auf Se­hens­wür­dig­kei­ten aus­ge­hen, die Hit­ze un­er­träg­lich fin­den und ge­las­se­nen Ab­schied neh­men. Et­was an­de­res wäre es viel­leicht mit der Gro­ßen In­sel; aber die Pflan­zung ist ver­kauft … Wo­hin also am Ende? Da­nach fra­ge ich, scheint mir, zum ers­ten Mal. Fan­ge ich etwa an zu er­mü­den. Mais Kin­der­ner­ven hab’ ich nicht gra­de. Aber ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. Anmerkungen zur Bearbeitung
  6. Erster Teil
  7. Zweiter Teil
  8. Dritter Teil
  9. Das weitere Verlagsprogramm