Die kleine Stadt
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Die kleine Stadt

Roman

  1. 555 Seiten
  2. German
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Die kleine Stadt

Roman

Über dieses Buch

Eine kleine, italienische Stadt gerät aus den Fugen, als sie von einer illustren Theatergruppe heimgesucht wird, denn diese zieht in ihrem Spiel lustvoll und gnadenlos den Schleier von Bürgerlichkeit hinfort.

"Die Kleine Stadt ist mir von meinen Romanen der liebste …" (H. Mann)

Null Papier Verlag

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Information

V.

Der Ge­mein­dese­kre­tär trat an den Tisch vor dem Café »Zum Fort­schritt«.
»Die Her­ren wis­sen noch nicht die Neu­ig­keit? … Ich sage sie Ih­nen im Ver­trau­en. Wir ha­ben Grund, sie dem Pub­li­kum so lan­ge wie mög­lich vor­zuent­hal­ten, denn wir müs­sen Un­ru­hen be­fürch­ten.«
»Man­ca­fe­de ist er­bleicht«, sag­te der Herr Gio­con­di. »Wel­chen Schlag wer­den Sie uns ver­set­zen?«
Ca­muz­zi nahm um­ständ­lich Platz; er setz­te an, lä­chel­te skep­tisch, – da kam aus dem In­nern des Cafés mit har­tem Schritt der jun­ge Sa­vez­zo, pflanz­te sich, die Arme ver­schränkt, vor den Tisch hin und sag­te:
»Der Ad­vo­kat hat sei­nen Pro­zess ge­gen Don Tad­deo ver­lo­ren.«
»Nicht der Ad­vo­kat; die Stadt hat ihn ver­lo­ren«, sag­te der Se­kre­tär.
»Gleich­viel« – und der Sa­vez­zo zeig­te sei­ne schwar­zen Zäh­ne, »die Stadt: das ist der Ad­vo­kat. Sie ver­liert, weil sie auf ihn ge­hört hat.«
»Ich leug­ne es nicht«, sag­te der Se­kre­tär. Pol­li und Gio­con­di sa­hen sich an.
»Ist das der Grund, wes­halb der Ad­vo­kat sich heu­te nicht se­hen lässt?«
»Herr Sa­vez­zo …«
Der Kauf­mann leg­te sei­ne dür­re Hand in­stän­dig auf den Arm des jun­gen Man­nes.
»– wel­che Ab­sich­ten hat Don Tad­deo? Wird er das Volk ge­gen uns schi­cken?«
»Man hat ihn schwer be­lei­digt«; – und Sa­vez­zo hob un­heil­voll die Schul­tern. Der Kauf­mann bäum­te sich wim­mernd.
»Nur der Ad­vo­kat hat ihn be­lei­digt. Mag er emp­fan­gen, was er ver­dient. Wie, Ihr Her­ren? Wir wer­den uns, da das Wohl der Stadt es ver­langt, los­sa­gen von ihm, wir wer­den ihn aus­lie­fern.«
Der Apo­the­ker Ac­qui­sta­pace schlug auf den Tisch.
»Wir alle ha­ben den Pro­zess ge­führt, und wenn die Ge­rich­te uns un­recht ge­ben, will es hei­ßen, dass sie an die Pries­ter ver­kauft sind.«
»Tat­säch­lich«, äu­ßer­te Pol­li, »weiß alle Welt, dass der Ei­mer der Stadt ge­hört, die ihn er­obert hat.«
»Noch dazu mit Hil­fe der Göt­ter«, setz­te der Herr Gio­con­di hin­zu.
Der Ge­mein­dese­kre­tär be­trach­te­te sie mit spöt­ti­schen Au­gen.
»Man sieht, dass die Her­ren das Ge­setz nicht ken­nen. Das Ge­richt der ers­ten In­stanz hat er­wo­gen, dass die Kir­che, die ihn Jahr­hun­der­te hin­durch ver­wal­tet hat, durch die so lan­ge ge­tra­ge­ne Verant­wor­tung für das ruhm­rei­che Erin­ne­rungs­stück ge­wis­se Rech­te auf den Ei­mer er­wor­ben habe …«
Der Apo­the­ker fiel ein:
»Al­les das be­weist nur, dass heu­te die Pries­ter wie­der oben­auf sind.«
»Aber wir kön­nen ap­pel­lie­ren«, mein­te der Ta­bak­händ­ler.
Ca­muz­zi er­wi­der­te:
»Ich weiß nicht, ob die Ge­mein­de sich dazu ent­schlie­ßen wird. Der Ad­vo­kat wird es ver­lan­gen, aber wer­den wir ihm fol­gen? Die Tat­sa­che spricht nicht da­für, dass sein An­trag, am Rat­haus eine Ge­denk­ta­fel für den Ca­va­lie­re Gior­da­no an­zu­brin­gen, ges­tern ab­ge­lehnt wor­den ist.«
»Es gibt Leu­te«, er­klär­te Pol­li, »die von den Ko­mö­di­an­ten ge­nug ha­ben. Es scheint, dass sie mor­gen ab­zie­hen wer­den. Adieu, lasst es euch gut ge­hen.«
Auch der Herr Gio­con­di wink­te Ab­schied.
»Wir ken­nen jetzt ihre ›Ar­me To­ni­et­ta.‹ Ob wir sie ken­nen! Wenn ich mir den Mund aus­spü­le, klingt es wie ›Sieh Ge­lieb­te, un­ser um­blüh­tes Haus.‹ Nie­mand will mehr da­für be­zah­len, ver­steht sich, und da­mit man noch hin­geht, ma­chen sie zwi­schen dem ers­ten und zwei­ten Akt ein Kon­zert, wo­bei die Gar­lin­da im Ball­kleid und der Gen­na­ri im Frack her­aus­kom­men und die Mu­sik des Mae­stro Dor­leng­hi sin­gen, der ein gu­ter jun­ger Mann ist.«
»Sol­len sie sie sin­gen«, sag­te Pol­li. »Aber in den vier Wo­chen, die sie in un­se­rer Mit­te sind, ge­schieht ein Un­glück nach dem an­de­ren. Man spricht bes­ser nicht von den bei­den Pa­ra­di­si. Der Vit­to­ri­no Bac­calà war sei­ner­seits im­mer ein ehr­li­cher Bur­sche, und den­noch hat er nun, weil solch ein klei­nes Weib ihm auf dem Bu­ckel saß, sei­nen Meis­ter be­stoh­len. Wä­ren we­nigs­tens in die­ser Hin­sicht die gu­ten Fa­mi­li­en ver­schont ge­blie­ben …«
Der Ta­bak­händ­ler sah mit Gram­fal­ten zwi­schen sei­ne Knie. Sa­vez­zo stell­te bru­tal den Fuß vor.
»Und wem ver­dan­ken Sie das Un­glück mit Ihrem Olin­do? Denn man weiß, dass auch er, um sei­ne gel­be Cho­ris­tin zu be­zah­len, in die vä­ter­li­che Kas­se ge­grif­fen hat. Wer hat die­se Ban­de von Aben­teu­re­rin­nen auf die Stadt los­ge­las­sen?«
»Es sind Künst­ler!« rief der Apo­the­ker. »Sie hin­ter­las­sen uns eine Erin­ne­rung an die Idea­le.«
»Und Schul­den«, sag­te der Ge­mein­dese­kre­tär, »– die ich üb­ri­gens vor­aus­ge­sagt habe. Aber wer vor Ver­schwen­dung warnt, ist ein Geg­ner des Fort­schritts, und wer die Ent­sitt­li­chung nicht wünscht, ein Kle­ri­ka­ler.«
»Ein Dieb ist der Te­nor!« stieß plötz­lich der schö­ne Alfò aus, der um den Tisch strich. »Will der Leut­nant ihn nicht ein­sper­ren, dann brin­ge ich ihn um«; – und er knirsch­te mit ent­blö­ßtem Ge­biss. Sa­vez­zo leg­te einen schwe­ren Blick auf ihn; der schö­ne Alfò wich dar­un­ter ins Café zu­rück, und Sa­vez­zo folg­te ihm. Im Ge­hen er­klär­te er:
»Der Gen­na­ri be­zahlt nie­mals sein Früh­stück, – da er ja al­les zum Par­fü­meur und zum Schnei­der trägt.«
»Wel­che Le­bens­wei­se!« sag­te Man­ca­fe­de. »Aber alle sind jetzt ver­rückt. An dem Fest, das der Se­ve­ri­no Sal­va­to­ri den Ko­mö­di­an­ten ge­ge­ben hat, ver­dient der Ma­land­ri­ni we­nigs­tens zwei­hun­dert­fünf­zig Lire. Der Sal­va­to­ri ist auf dem Wege, sich zu rui­nie­ren.«
»Und sein Dä­mon ist der Ad­vo­kat«, sag­te Ca­muz­zi. »Man wür­de glau­ben, dass die­ser Mann nichts an­de­res sinnt, als wie er mit der ei­ge­nen Per­son, die Aus­schwei­fun­gen auf­rei­ben, zu­gleich die Stadt zer­stö­ren kön­ne.«
»Der Ad­vo­kat?« rief Ac­qui­sta­pace. »Er ist tap­fer und hat große Ge­dan­ken. Wenn wir einst das neue Thea­ter, das öf­fent­li­che Schlacht­haus, die Eis­fa­brik und das Mi­li­tär in Som­mer­gar­ni­son ha­ben wer­den, dann wer­den wir auf dem Platz, der nach sei­nem Plan schön vier­e­ckig re­gu­liert und rings­um mit Ar­ka­den ver­se­hen sein wird, ein Stand­bild des Fer­ruc­cio Be­lot­ti er­rich­ten – des größ­ten Bür­gers un­se­rer Stadt!«
Pol­li kratz­te sich den Kopf.
»Alle die­se schö­nen Din­ge wä­ren noch schö­ner, wenn es nicht so vie­le wä­ren.«
»Um Frem­de her­zu­zie­hen«, be­merk­te der Herr Gio­con­di, »hat der Ad­vo­kat die Ge­mein­de vier­hun­dert Lire aus­ge­ben las­sen. Man muss sa­gen, dass der ein­zi­ge Eng­län­der, der beim Ma­land­ri­ni wohnt, uns et­was zu viel kos­tet.«
Der Ge­mein­dese­kre­tär be­weg­te ele­gant die Hand.
»Ihre Ent­täu­schung, mei­ne Her­ren, wird von vie­len ge­teilt. Der Ad­vo­kat in sei­nem Schaf­fens­drang, der in Ver­nich­tungs­trieb aus­ar­tet, merkt nicht, wie er die Res­te sei­nes An­se­hens ver­braucht. Dass er die Ko­mö­di­an­ten her­ge­holt hat, be­dau­re ich nicht. Die Fol­gen ih­rer An­we­sen­heit ha­ben vie­le Au­gen ge­öff­net und vie­le Mei­nun­gen, die schwank­ten, be­fes­tigt. Man sieht sich plötz­lich der An­ar­chie und dem Bank­rott ge­gen­über und be­sinnt sich auf die Mä­ßi­gung und die Stren­ge, ohne die kein Ge­mein­we­sen be­steht.«
»Tat­sa­che ist«, be­merk­te der Ta­bak­händ­ler, »dass heu­te früh in der Mes­se so vie­le Leu­te wa­ren, wie seit zwan­zig Jah­ren nicht mehr.«
»Der Un­ter­prä­fekt soll da­ge­we­sen sein«, sag­te Gio­con­di. »Man muss also viel­leicht wie­der hin­ge­hen?«
Der Apo­the­ker schnob zor­nig.
»Das ist nicht nur bei uns so. Über­all regt sich die Re­ak­ti­on, und die Re­gie­rung in ih­rer Furcht vor der De­mo­kra­tie, der sie doch ent­stammt, un­ter­stützt sie. Hat nicht bei der Fest­vor­stel­lung, die der Kö­nig dem Kai­ser von Deutsch­land in Rom gab, den gan­zen ers­ten Rang die päpst­li­che Ari­sto­kra­tie ein­ge­nom­men? Das li­be­ra­le Bür­ger­tum war gut ge­nug, die Mon­ar­chie zu er­rich­ten; ihre Ehren emp­fan­gen nicht wir, son­dern ihre al­ten Fein­de. Es gibt Au­gen­bli­cke, wo man be­reu­en möch­te. Denn, sa­gen wir nur die Wahr­heit, mit Ga­ri­bal­di wäre das nicht mög­lich ge­we­sen; und viel­leicht war der Held zu groß, als er ab­dank­te und uns ver­ließ.«
»Sie ha­ben recht«; – Ca­muz­zi feix­te – »un­ter Ga­ri­bal­di und der Re­pu­blik gäbe es kei­nen Streit, we­der um einen Ei­mer noch um sonst et­was.«
Der Alte brei­te­te die Arme aus.
»Den­ken Sie, ich zwei­fel­te dar­an? Dann muss ich Ih­nen sa­gen, was ich glau­be. Dies, mein Bein, das ich im Dienst der Re­pu­blik ver­lo­ren habe: – ah! die Re­pu­blik bleibt jung, wie ich selbst da­mals war, und käme sie nun, sie lie­ße mir mein Bein wie­der wach­sen!«
Ca­muz­zi er­hob sich vor­nehm.
»Sie sind ein Dich­ter, Herr Ac­qui­sta­pace.«
Zu Gio­con­di, der ihn be­glei­te­te, sag­te er:
»Was soll man die­sen Ra­di­ka­len ant­wor­ten? Sie glau­ben die Wahr­heit für sich zu ha­ben. Aber ers­tens: gibt es eine Wahr­heit? Und dann wür­de sie zu weit füh­ren.«
*
»Wo­hin, Alfò?« rief Pol­li; aber der Sohn des Ge­vat­ters Achil­le ball­te nur, ohne sich um­zu­se­hen, die Fäus­te und ging mit lan­gen Schrit­ten in die Rat­haus­gas­se.
»Was hat der schö­ne Alfò?« frag­ten, wo er vor­bei­kam, die Frau­en. »An­statt uns zu­zu­lä­cheln, zieht er sich den Hut auf die Nase, als däch­te er an Übles.«
Ein großes Stück hin­ter dem Tor, schon jen­seits des Wasch­hau­ses, trat hin­ter ei­nem Busch der Sa­vez­zo her­vor. Der schö­ne Alfò be­gann zu schlot­tern.
»Ich weiß al­les, was du denkst« – und der Blick des Sa­vez­zo las­te­te dumpf auf ihm. »Wehe, wenn du je ver­rätst, du ha­best mit mir ge­spro­chen. Du weißt nicht, was ich kann; an dei­nem ei­ge­nen Wort wür­dest du ster­ben.«
»Aber wenn es wahr ist«, sag­te Alfò, scheu ge­duckt, »wenn er sie ver­führt hat, dann er­mor­de ich ihn.«
»Er­mor­de ihn! Du kommst auf die Ga­lee­re.«
Der Sa­vez­zo zog ihn in den Feld­weg.
»Leu­te wie du ge­hen nicht auf der Land­stra­ße«, sag­te er, düs­ter la­chend; und auf der Kreu­zung der lan­gen Busch­gän­ge, vor ei­ner Ka­pel­le:
»Hier habe ich sie ges­tern be­lauscht. Sie sag­te zu ihm: ›Du sollst die Ma­don­na nicht an­se­hen, ich bin ei­fer­süch­tig auf sie.‹ Dann schwor er ihr Treue, und sie ver­sprach ihm, dass sie zu ihm ent­flie­hen wol­le, gleich mor­gen, kaum dass die Ko­mö­di­an­ten fort sei­en … Lass das Mes­ser in der Ta­sche!« – und der Sa­vez­zo trat, die Arme ver­schränkt, einen Schritt vor.
Der schö­ne Alfò wich, lei­se win­selnd, zu­rück.
»Da sind sie«, flüs­ter­te der Sa­vez­zo vor Vil­las­cu­ra. »Sie ver­ste­cken sich nicht ein­mal mehr. Alle Bau­ern, die vor­bei­kom­men, ha­ben sie um­armt ge­se­hen, und du, Dumm­kopf, willst noch zwei­feln?«
Der schö­ne Alfò warf sich lang hin; er er­stick­te sein Ge­wim­mer im Staub.
»Wenn du ihn er­mor­dest, kommst du auf die Ga­lee­re« – und der Sa­vez­zo zog sich laut­los zu­rück, in­des der schö­ne Alfò, flach am Bo­den, über die Stra­ße und durch den Spalt im Gat­ter kroch. Er warf sich seit­wärts auf die wei­che Erde zwi­schen den Zy­pres­sen, wand sich von ei­ner zur an­de­ren, und da­zwi­schen, die Zäh­ne ge­fletscht, späh­te er.
Nel­lo ließ einen sil­ber­nen Spie­gel in der Son­ne glän­zen.
»Wel­che fei­nen Din­ge du mir schenkst! Oh! ich habe eine ele­gan­te Frau zur Ge­lieb­ten, eine Dame der großen Welt.«
»Ich?« sag­te Alba und hob sich, schwach er­rö­tet, an sei­nen Schul­tern em­por. »Ach, ich Arme! Du aber kennst die Frau­en der großen Städ­te.«
»Wie dei­ne Hän­de duf­ten!«
»Hast du mir nicht das Par­füm ge­ge­ben, das die Grä­fin­nen ge­brau­chen? Mein Nel­lo, du weißt so vie­les, was ich nicht weiß.«
»Ein ar­mer Ge­sangs­künst­ler! Wie kommt es, dass du mich liebst?«
Sie ließ ihn plötz­lich los. Die Au­gen dun­kel und heiß in sei­nen, schüt­tel­te sie schwer den Kopf. Er ging ihr nach in den Schat­ten.
»Was hast du? … Hier ist es kühl, man at­met.«
»Fin­dest du? Mir macht mei­ne Lie­be Fie­ber, sie er­stickt mich. Sie ist schwer wie der Mond. Sie treibt mir Sta­cheln ins Fleisch, wie die­ser Busch.«
»Alba, was tust du? Dei­ne ar­men Hän­de!«
»Siehst du? Ich kann kei­nen an­de­ren Schmerz mehr füh­len, als nur die Lie­be zu dir.«
»Und ich?« rief Nel­lo. »Was ge­schieht mir, was nicht von dir käme? Ich sehe nie­mand, nichts be­wegt mich; aber wenn ich al­lein zwi­schen den Fel­dern gehe, muss ich plötz­lich an­hal­ten und lech­zend blin­zeln, denn in der hei­ßen Luft kommt dein blen­den­des Ge­sicht, o Alba, kühl hau­chend auf mei­nen Mund zu.«
Sie sah ihn, ein­sam grü­belnd, an.
»Ich glau­be dir nicht.«
»Du glaubst mir nicht?«
»Die Er­si­lia und die Mina Pa­ra­di­si ha­ben sich auf of­fe­nem Platz geohr­feigt: dei­net­we­gen, sagt man.«
Er schnell­te auf.
»Aber ich ken­ne sie nicht! Und sie könn­ten ein­an­der vor mei­nen Au­gen tö­ten, so wür­de ich über sie hin­weg­stei­gen, um zu dir zu ge­lan­gen!«
»Ist das wahr?« – und sie brei­te­te ihm, schwel­ge­risch zu­rück­ge­neigt, Ge­sicht und Arme hin. Un­ter sei­nen Küs­sen be­gann sie zu zit­tern.
»Und wenn dies die letz­ten wä­ren? Nel­lo! Die letz­ten Küs­se?«
»Du willst mich also im Stich las­sen, du Böse! Hat nicht der Päch­ter uns den Wa­gen ver­schafft, und ha­ben wir ihn nicht ge­se­hen? Den­sel­ben Wa­gen, worin du mir mor­gen früh nach­kom­men wirst und in den ich ein­stei­gen wer­de zu dir, mor­gen früh!«
»Als ich ges­tern zwi­schen Tür und An­gel mei­ner Loge heim­lich lausch­te, wie du sangst, ward plötz­lich das Herz mir schwach von der Angst, dies sei­en die letz­ten Töne, die ich von dir hö­ren sol­le. Ich häng­te mich an je­den, ich er­schrak, wenn der nächs­te fiel; und ganz um­schmiegt von dei­ner Stim­me, sehn­te ich mich nach dir.«
»Mei­ne Alba!«
»Du schwiegst; ich hat­te nichts mehr zu hof­fen; mei­ne Knie ver­ließ die Kraft. Aus den Ku­lis­sen ka­men in wei­ßen Perücken die Die­ner und brach­ten dir auf Samt­kis­sen in off­nen Scha­tul­len die Ge­schen­ke. Von wel­chen Frau­en ka­men sie?«
»Du weißt doch, dass das Ko­mi­tee sie je­dem gibt und dass sie nichts wert sind.«
»Mag sein. Aber wie vie­le Frau­en war­ten, da­hin­ten in der Welt, auf dich mit ih­ren Ga­ben? Wie vie­len wirst du da­für sin­gen? Ach, Nel­lo! viel­leicht ha­ben wir al­les ge­habt, was uns ge­gönnt war. Vi­el­leicht wirst du nie zu mir in je­nen Wa­gen stei­gen, und ich wer­de, al­lein und ver­ges­sen, dar­in zu­rück­keh­ren.«
»Alba! Was fasst dich an?«
Er schüt­tel­te sie an den Ar­men. Sie sah über sei­nen Schei­tel fort. Er er­blick­te un­ter dem düs­te­ren Glanz ih­res Au­ges ihr ge­schlif­fe­nes Pro­fil, als ste­he es dro­hend über ihm. Schau­dernd bück­te er sich. Sie sag­te hin­auf in die Luft:
»Nicht aber wer­de ich dich je­nen zu­rück­las­sen. Höre! Du hörst die erns­tes­ten Wor­te, die je dein Ohr tref­fen kön­nen. Jene wer­den ihn um­sonst su­chen, der Alba lieb­te und der kei­ne mehr lie­ben soll. Du wirst ver­stummt sein. Das Echo dei­ner letz­ten Töne schlie­ße ich in dies Herz, das ver­stei­nern wird.«
Ein Schwin­del er­griff ihn. Er schlug sich auf die Brust, er warf sich in die Knie.
»Wenn ich je dich be­trü­gen kann, will ich nicht mehr le­ben: töte mich!«
Sie ließ sich nie­der zu ihm, sie um­arm­te...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. Anmerkungen zur Bearbeitung
  6. I.
  7. II.
  8. III.
  9. IV.
  10. V.
  11. Das weitere Verlagsprogramm