Die Geburt des 'Christentums' als 'Religion' am Ende des 19. Jahrhunderts
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Die Geburt des 'Christentums' als 'Religion' am Ende des 19. Jahrhunderts

Ernst Troeltschs Theologie und ihre Quellen im Kontext einer globalen Religionsgeschichte

Mathias Thurner

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Die Geburt des 'Christentums' als 'Religion' am Ende des 19. Jahrhunderts

Ernst Troeltschs Theologie und ihre Quellen im Kontext einer globalen Religionsgeschichte

Mathias Thurner

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

In der gegenwĂ€rtigen religionswissenschaftlichen Diskussion ist die Frage einer angemessenen Historisierung ihrer GegenstĂ€nde hoch umstritten. Die Begriffe "Religion" und "Christentum" gelten als Produkte der europĂ€ischen Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts. Andererseits hat die Postkolonialismus-Forschung und die Globalgeschichtsschreibung die Entstehung eines globalen Religionsdiskurses im 19. Jahrhundert herausgearbeitet, in dessen Verlauf sich "Buddhismus", "Hinduismus" und "Islam" als "Religionen" konstituierten. Bislang fehlt eine detaillierte historische Untersuchung zur Frage, ob sich auch das VerstĂ€ndnis des "Christentums" als "Religion" in diesen globalen Aushandlungsprozess in der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts eintragen ließe. Die vorliegende Studie fokussiert auf die Religionstheologie Ernst Troeltschs (1865-1923), der von der liberalen Theologie fĂŒr die KontinuitĂ€t von "Religion" und "Christentum" seit dem 18. Jahrhundert in Anspruch genommen wird. Die historische Kontextualisierung der Religionstheologie Troeltschs und ihrer Quellen zeigt, dass hier ein VerstĂ€ndnis vom "Christentum" als "Religion" entwickelt wird, das nur im Rahmen des neuen globalen Religionsdiskurses im ausgehenden 19. Jahrhundert zu verstehen ist.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110717525

1 Einleitung

Die Postkolonialismusforschung hat in den vergangenen 30 Jahren eindrĂŒcklich herausgearbeitet, dass sich das VerstĂ€ndnis von ‚Hinduismus‘ und ‚Buddhismus‘ als einheitliche ‚Religionen‘ auf einen kolonial bestimmten Aushandlungsprozess in der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts zurĂŒckfĂŒhren lĂ€sst.1 Insbesondere der britische Kolonialismus in SĂŒdasien zeigte sich dabei als der historische Rahmen, innerhalb dessen indigene Quellen im 19. Jahrhundert entdeckt und von europĂ€ischen Gelehrten im Horizont eines zeitgenössischen VerstĂ€ndnisses von ‚Religion‘ gedeutet wurden.2 Anhand von regionalwissenschaftlichen Studien lĂ€sst sich ablesen, wie umstritten die dadurch entstandenen Kategorien in den postkolonialen Kontexten bis in die Gegenwart sind: In ihnen haben sich asymmetrische MachtverhĂ€ltnisse und Strategien von Ausschluss und Vereinnahmung niedergeschlagen, durch die die Frage der ReprĂ€sentation kultureller IdentitĂ€ten virulent bleibt.3 Trotz der privilegierten Position europĂ€ischer Stimmen gehört es zu den grundlegenden Einsichten der Postkolonialismusforschung, dass den kolonialen Subjekten eine wesentliche Rolle bei der Herausbildung kolonialen Wissens zukam und dies wiederum auf die Diskussion ĂŒber ‚Religion‘ in Europa zurĂŒckwirkte.4 In Ă€hnlicher Weise wurde die Konzeptualisierung des ‚Islam‘ als ‚Religion‘ im Rahmen einer kolonialen Wissensproduktion im 19. Jahrhundert deutlich gemacht.5 Dementsprechend muss die Etablierung der Kategorien ‚Hinduismus‘, ‚Buddhismus‘ und ‚Islam‘ als das Ergebnis eines globalen Religionsdiskurses verstanden werden, der zwar von asymmetrischen MachtverhĂ€ltnissen geprĂ€gt war, sich aber dennoch konstitutiv in wechselseitiger Bezogenheit von ‚westlichen‘ und ‚kolonialen‘ Äußerungen ereignet hat.
Angesichts dieses Befundes wĂ€re eigentlich zu erwarten, dass sich auch eine Historisierung der Bezeichnung ‚Christentum‘ und des Allgemeinbegriffs ‚Religion‘ selbst etabliert hĂ€tte, die beide als diskursiv erzeugte Kategorien begreift und sie zu jenem globalen Aushandlungsprozess ab der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts in Beziehung setzt. Wie gleich zu zeigen sein wird, herrscht stattdessen in der Religionswissenschaft wie in der konfessionellen Theologie gegenwĂ€rtig ein breiter Konsens darĂŒber, dass das Konzept ‚Religion‘ ein genuin europĂ€isches sei, das im Zeitalter der ‚AufklĂ€rung‘ im 18. und frĂŒhen 19. Jahrhundert unter ‚christlichen‘ Vorzeichen geprĂ€gt wurde. Erst in einem zweiten Schritt sei dieses unter den Bedingungen des Kolonialismus global rezipiert worden. DemgegenĂŒber versucht diese Untersuchung nachzuweisen, dass die Herausbildung der heutigen Bedeutung von ‚Religion‘ und ‚Christentum‘ parallele Entwicklungen darstellen, die sich wie die Entstehung der Kategorien ‚Hinduismus‘, ‚Buddhismus‘ und ‚Islam‘ in der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts in einem globalen Religionsdiskurs vollzogen haben.
Die hegemoniale Geltung der Rede vom ‚europĂ€ischen Religionsbegriff‘ zeigt sich zunĂ€chst in der Religionswissenschaft. Der französische Religionswissenschaftler Daniel Dubuisson bezeichnet ‚Religion‘ als ein Konzept, das am ‚Christentum‘ orientiert sei und ein bestimmtes Ideal verfolge:
Diese ideale Definition befördert eine psychologische und hochgradig individualistische Zielvorstellung. Sie reduziert Religion auf ein inneres GefĂŒhl, das zwangslĂ€ufig aus der Erfahrung von Transzendenz herrĂŒhrt, [
]. Dieses Konzept, das im 20. Jahrhundert im Zuge der PhĂ€nomenologie wiederentdeckt wurde, verdankt sich grĂ¶ĂŸtenteils [
] theologischen Überzeugungen lutherischer Herkunft: Johann Herder, Friedrich Schleiermacher [
] und viele weniger bekannte Namen haben seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zum Erfolg dieser einprĂ€gsamen Pseudo-Reduktion beigetragen.6
Dieses VerstĂ€ndnis findet sich auch in regionalwissenschaftlichen Werken. In dem Standardwerk An introduction to Hinduism schreibt Gavin Flood: „Unser VerstĂ€ndnis des Hinduismus ist vermittelt durch westliche Vorstellungen davon, was Religion ist [
].“ Dies begrĂŒndet er damit, dass „die Kategorie ‚Religion‘ sich aus einem christlichen, weitgehend protestantischen VerstĂ€ndnis heraus entwickelt hat.“7 In Ă€hnlicher Weise skizziert der Heidelberger Indologe Axel Michaels die Genese des heutigen VerstĂ€ndnisses von ‚Religion‘:
Die frĂŒhen Christen in Rom nannten sowohl ihren eigenen Glauben als auch den heidnischen Kult religio; erst spĂ€ter wurde der christliche Glaube als vera religio (‚wahre Religion‘) abgehoben, und erst in der AufklĂ€rung wurde ‚Religion‘ zu einem den Religionen ĂŒbergeordneten Begriff. [
] Nicht-westliche Sprachen kennen den Begriff religio nicht.8
Doch auch unter Fachvertretern, die sich einem postkolonialen Forschungsansatz verpflichtet wissen, gehört der Verweis auf den vermeintlich europĂ€ischchristlichen Ursprung der Kategorie ‚Religion‘ zu den Voraussetzungen ihrer Kritik. Der britische Religionswissenschaftler Timothy Fitzgerald fĂŒhrt die Entstehung von ‚Religion‘ als transkulturelles Konzept auf den europĂ€ischen Deismus im 18. Jahrhundert zurĂŒck.
Jedenfalls haben verschiedene Autoren wie die Deisten spĂ€testens seit dem 18. Jahrhundert im Verlauf eines historischen Prozesses [
] bewusst versucht, die Bedeutung von ‚Religion‘ zu verĂ€ndern, indem sie ihre spezifisch christlichen Elemente abschwĂ€chten; dadurch erweiterten sie sie zu einer kulturĂŒbergreifenden Kategorie.9
Aus der historischen Verortung der Kategorie ‚Religion‘ im ‚Christentum‘ ergibt sich fĂŒr Fitzgerald ein epistemologisches Problem, wenn diesem Religionsbegriff eine grundlegende heuristische Funktion in der Religionswissenschaft zugeschrieben wird:
Wenn man das unscharfe und doch ideologisch aufgeladene Konzept von ‚Religion‘ und ‚Religionen‘ zum Ausgangspunkt seiner Forschung macht, kann dies einerseits das Ergebnis der Analyse entstellen und wertlos machen und andererseits wichtige Verbindungen verdecken, die andernfalls sichtbar geworden wĂ€ren. Schließlich fördert es die unkritische Anwendung jĂŒdisch-christlicher Anschauungen auf nicht-westliche Sachverhalte und maximiert generell die Möglichkeiten des Missverstehens.10
Der unreflektierte, referentielle Gebrauch des Religionsbegriffs in der Religionswissenschaft fĂŒhrt nach Fitzgerald mithin zu einer Verzerrung der empirischen Daten und historischen Archive, die eine sachgerechte Erschließung der ForschungsgegenstĂ€nde gefĂ€hrde. Aus diesem Grund plĂ€diert Fitzgerald dafĂŒr, auf den Religionsbegriff in der Religionswissenschaft ganz zu verzichten.11
Der britische Religionswissenschaftler und Indologe Richard King spricht sich zwar nicht fĂŒr den Verzicht auf die Kategorie ‚Religion‘ aus, doch auch er begreift die Herausbildung des Religionsbegriffs als Produkt der ‚AufklĂ€rung‘: „In der Tat ist die moderne Kategorie ‚Religion‘ eine westliche Konstruktion, die sich in erheblichem Maße den Voraussetzungen der AufklĂ€rung verdankt.“12 Ferner stellt auch King aufgrund dieses vermeintlichen historischen Ursprungs einen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Entstehung der Kategorie ‚Religion‘ und dem ‚Christentum‘ her. Diese Verbindung markiert fĂŒr King ebenfalls ein erkenntnistheoretisches Problem fĂŒr die Religionswissenschaft:
Das Konzept ‚Religion‘ ist das Ergebnis kulturspezifischer, diskursiver Entwicklungen der westlichen Christentumsgeschichte und wurde im Feuer interreligiöser Konflikte und Auseinandersetzungen geformt. Der Ausdruck impliziert daher einen pluralistischen Kontext. Wie [der Leidener Indologe; M. T.] Balagangadhara betont, diente dabei das Christentum als prototypisches Beispiel einer Religion und bildete daher den grundlegenden Maßstab oder den paradigmatischen Fall fĂŒr die Untersuchung ‚anderer Religionen‘. Unter dieser Voraussetzung sollte anerkannt werden, dass die vergleichende Religionswissenschaft weiterhin auf einem Fundament ruht, das in seiner Ausrichtung unzweifelhaft theologisch und christlich ist.13
Kings Kritik fokussiert auf den Umstand, dass durch die Anwendung des Konzepts ‚Religion‘ faktisch das ‚Christentum‘ zum Prototyp der ‚Religion‘ erklĂ€rt wĂŒrde, wodurch alle ĂŒbrigen ‚Religionen‘ implizit am Maßstab des ‚Christentums‘ gemessen wĂŒrden. In der Religionswissenschaft zielt der Rekurs auf einen ‚europĂ€ischen Religionsbegriff‘ somit auf die Kritik am strukturellen Eurozentrismus der eigenen Forschungspraxis, insofern sie unreflektiert eine vermeintlich europĂ€isch geprĂ€gte Kategorie zum Ausgangspunkt wĂ€hle.
Aus ganz anderen GrĂŒnden und mit einer anderen Stoßrichtung kommt der deutsche katholische Theologe Ernst Feil in seinem vierbĂ€ndigen Monumentalwerk Religio (1986–2007) zu der gleichen historischen Verortung der gegenwĂ€rtigen Bedeutung von ‚Religion‘. Die vom Umfang grĂ¶ĂŸte auf einer detaillierten Quellenforschung basierende Begriffsgeschichte zu ‚Religion‘ zielt auf eine Kritik an der Verwendung der Kategorie ‚Religion‘ innerhalb der Theologie. Zu diesem Zweck will Feil zeigen, dass das bis in die Gegenwart dominierende VerstĂ€ndnis von ‚Religion‘ als ein allgemeinmenschliches PhĂ€nomen der Innerlichkeit14 erst im Europa des 18. Jahrhunderts, genauer: im deutschsprachigen Protestantismus, unter Einfluss des Deismus entstanden sei: „Die lange gesuchte und nun nachgewiesene ZĂ€sur liegt also erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Weg von ihr bis hin zur vielleicht wichtigsten Entfaltung der ‚Religion‘ im neuen Sinn bei Schleiermacher ist somit sehr kurz gewesen.“15
In gleicher Weise wird die Entstehung des heutigen VerstĂ€ndnisses von ‚Religion‘ auch von Vertretern der zeitgenössischen deutschsprachigen protestantischen Theologie in der Epoche der ‚europĂ€ischen AufklĂ€rung‘ im 18. Jahrhundert lokalisiert. Im Unterschied zur Religionswissenschaft und zur katholischen Theologie wird diese Zuschreibung hier jedoch positiv rezipiert. In der Einleitung seiner begriffsgeschichtlichen Monographie Was ist Religion? schreibt der evangelische Theologe Falk Wagner (1939–1998):
Obwohl der Religionsbegriff seine Karriere erst unter den Bedingungen der Neuzeit und der Moderne antritt, wird doch auch die Geschichte seiner antiken Entstehung und mittelalterlichen Verwendung zumindest ĂŒberblicksweise einbezogen, um so den entscheidenden VerĂ€nderungen seiner Verwendungsweise gewahr zu werden. Diese bahnen sich in der Renaissance, Reformation und altprotestantischer Orthodoxie an und erreichen in der europĂ€ischen AufklĂ€rung mit ihrem VerstĂ€ndnis natĂŒrlicher Religion allgemeine Geltung, die bis in die Gegenwart bestimmend geblieben ist. Die Grundlagenbedeutung, die dem Religionsbegriff seit der AufklĂ€rung und seit Herder, Schleiermacher und Hegel insbesondere fĂŒr die protestantische Theologie und Religionsphilosophie zukommt, wird zwar in kritischer Absetzung vom VerstĂ€ndnis natĂŒrlicher Religion formuliert. Gleichwohl ist nicht zu ĂŒbersehen, daß diese bis in die Gegenwart als konstitutiv geltende NeubegrĂŒndung des Religionsbegriffs auch dem Interesse an der Allgemeinheit der Religion verpflichtet bleibt, das zum VerstĂ€ndnis natĂŒrlicher Religion als entscheidendes Kriterium zugrunde liegt.16
Die entscheidende – weil bis heute gĂŒltige – PrĂ€gung habe das Konzept ‚Religion‘ nach Wagner demnach im Sinn der ‚natĂŒrlichen Religion‘ zur Zeit der ‚europĂ€ischen AufklĂ€rung‘ im engeren Kontext der protestantischen Theologiegeschichte erhalten.
Wagner steht mit dieser EinschĂ€tzung innerhalb der deutschsprachigen evangelischen Theologie nicht allein. In einem Beitrag fĂŒr den Sammelband AufgeklĂ€rte Religion und ihre Probleme – der in paradigmatischer Weise die positive Rezeption der Hypothese eines ‚europĂ€ischen Religionsbegriffs‘ zum Ausdruck bringt – bezeichnet der Theologe Ulrich Barth die Entstehung der Kategorie ‚Religion‘ als ein Erzeugnis des ‚Christentums‘ zur Zeit der ‚europĂ€ischen AufklĂ€rung‘:
Der Wortbedeutung nach verweist der Ausdruck ,Religion‘ in die römische Antike und wurde als solcher vom Christentum ĂŒbernommen. Unmittelbare semantische Äquivalente in anderen Hochkulturen lassen sich nicht leicht ausmachen, obwohl es natĂŒrlich sachliche Entsprechungen in HĂŒlle und FĂŒlle gibt. Innerhalb der vorneuzeitlichen Geschichte des Christentums spielte er allerdings eine erstaunlich geringe Rolle. Seine eigentliche Geburt fĂ€llt in die Epoche der europĂ€ischen AufklĂ€rung. Hier erlangt er den Status einer reflexiven Darstellungskategorie mit vergleichender, kontrastierender oder integrativer Funktion.17
Sowohl Wagner als auch Barth kommen darin ĂŒberein, dass sich der gegenwĂ€rtige Bedeutungsgehalt der Kategorie ‚Religion‘ zur Zeit der ‚europĂ€ischen AufklĂ€rung‘ formiert habe und mit dem ‚Christentum‘ – besonders in seiner protestantischen Form – in einem konstitutiven Zusammenhang stehe. Daneben wird auch der Ausdruck ‚Christentum‘ als Reflexionsbegriff verstanden, der im Zuge der Deutung ‚religionskultureller‘ UmbrĂŒche im 18. Jahrhundert entstanden sei.18 Die Herausbildung der Konzepte ‚Religion‘ und ‚Christentum‘ werden in der...

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