Kafkas Kerngedanke
Die Verwandlung – ein Unding der Liebe
Die vielleicht meist gelesene und weltweit bekannteste Erzählung Kafkas trägt den bezeichnenden Titel Die Verwandlung. Legendär ist bereits der erste Satz:
Der angestellte Handelsreisende Gregor Samsa liegt hilflos auf dem eigenartig harten Rücken und sieht erstaunt auf seinen neuen Körper mit den zappelnden dünnen Beinchen. Erst nach zahlreichen vergeblichen Versuchen gelingt es ihm, sich mit Schwung über seinen runden Rückenpanzer aus dem Bett zu rollen und auf die Beine zu kommen. Allerdings schafft er es nicht, sich aufzurichten, um den Türschlüssel umzudrehen und herauszutreten. Es bleibt ihm auch keine Zeit, sich an den neuen Körper zu gewöhnen. Der Prokurist seiner Firma verschafft sich bereits Zutritt zum Haus und stellt ihn wegen seiner Verspätung durch die noch verschlossene Zimmertür zur Rede:
Gregor bittet darum, seine Unpässlichkeit zu entschuldigen, er würde alles wiedergutmachen, doch seine Stimme klingt auf der anderen Seite der Türe piepsig und verzerrt, fast wie eine Tierstimme:
Als Gregor durch die Türe hört, dass ein Arzt und zudem ein Schlosser verständigt werden sollen, um ihn zu befreien und zu kurieren, ist er zunächst sehr froh, ja geradezu erleichtert:
Wenn es ihm nur gelingen würde, das Zimmer zu verlassen, würde man ihn wieder in die Gemeinschaft aufnehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Als er nämlich die Türe endlich mit seinem Kiefer entriegeln und herauskrabbeln kann, wird er keineswegs, wie erhofft, „wieder in den menschlichen Kreis einbezogen“. Stattdessen reagiert die Mutter mit blankem Entsetzen, der Prokurist verlässt panikartig das Haus und der Vater treibt ihn mit einem Stock zurück in sein Zimmer:
Schließlich gelingt es Gregor, sich doch irgendwie umzudrehen und zurück zu rennen. Doch sein Körper ist zu breit für die schmale Tür. Er müsste sich zuerst, wie schon beim Heraustreten, am Türstock aufrichten, auf die Hinterbeine stellen und dann Stück für Stück hindurchtänzeln. Doch er spürt, dass die Geduld des Vaters eine so aufwendige Aktion nicht mehr zulassen würde:
Mit der Verwandlung Gregors ändert sich über Nacht nicht nur sein Leben, sondern auch das der ganzen Familie. Hatte Gregor durch seine gewissenhafte und fleißige Tätigkeit als Handelsreisender beziehungsweise als Vertreter für Textilstoffe viele Jahre lang den Eltern und seiner Schwester ein komfortables Leben ermöglicht, eine große Wohnung, eine Putzfrau und eine Köchin bezahlt, musste die Familie nun wieder selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Grete hofft anfangs noch auf eine baldige Heilung und Rückverwandlung ihres Bruders. Sie bringt ihm verschiedene Nahrungsmittel wie Milch, Speisereste und Marmelade, die er zu sich nehmen kann. Doch auch sie vermeidet es, ihn zu sehen, wenn sie das Tellerchen bringt.
Gregor hat dafür größtes Verständnis, schließlich ist ihm bewusst, dass sich die Familie erst an seine neue, zunächst bestimmt schreckenerregende, Gestalt gewöhnen muss. Auch akzeptiert er, dass die Familie ihn in seinem Zimmer einsperrt, da sie ja nicht wissen kann, wie friedlich und voller Liebe er nach wie vor ist. Die Schwester kündigt ihre Essenslieferungen jedes Mal vorher an, indem sie laut mit dem Schlüssel rasselt. Gregor versteckt sich dann unter dem Kanapee, um ihr seinen Anblick zu ersparen. Als sie einmal früher als üblich hereinkommt und er nicht so schnell verschwinden kann, weicht sie erschreckt zurück:
Seine Mutter, die bisher auf Anraten der Familie „vernünftigerweise“ darauf verzichtet hat, ihren Sohn zu besuchen, fällt sofort in Ohnmacht, als sie Gregor beim Ausräumen von Möbeln dann doch einmal begegnet. Gregor ist bewusst aus seinem Versteck gekommen, um sich bemerkbar zu machen und zu verhindern, dass sein Zimmer gänzlich leergeräumt wird. Obwohl die Familie es wie immer gut meint und er tatsächlich keine Möbel mehr brauchen kann, will er zumindest ein Bild behalten. Er fürchtet, in einem völlig kahlen Raum „seiner Menschlichkeit beraubt“ zu werden. Doch seine Schwester hat dafür kein Verständnis. Sie wird Zeuge, wie sich Gregor trotzig auf ein am Boden liegendes Bild setzt und die Mutter deshalb in Ohnmacht fällt:
Der aus der Arbeit heimkehrende Vater ist ebenfalls verärgert. Als er von seiner Tochter erfährt, Gregor wäre „ausgebrochen“, treibt er ihn sofort wütend ins Zimmer zurück. Dabei wirft er ihm einen Apfel hinterher, der Gregor aber nur streift und an seinem runden Rücken abgleitet:
Der Vater besinnt sich allerdings in den folgenden Tagen eines Besseren und wird versöhnlicher. Er sieht nämlich, dass sich Gregor aufgrund der schmerzenden Rückenverletzung nur noch wie ein Invalide seitlich fortbewegen kann. Die Wunde um den Apfel herum entzündet sich zusehends, aber kein Familienmitglied hat den Mut, ihn wieder herauszuziehen:
Dieses Zugeständnis, zumindest passiv wieder am Familienleben teilhaben zu können, schätzt Gregor sehr. Es lässt ihn hoffen, führt aber schließlich erst recht in die Katastrophe. Eines Abends hört er nämlich, wie seine Schwester Violine spielt. Sie hatte das Spielen nach seiner Verwandlung komplett aufgegeben. Gregor ist von ihrem nun wiedereinsetzenden Spiel sehr gerührt. Er fühlt sich so stark zu ihr hingezogen, dass er sich aus dem Dunkel seines Zimmers herauswagt:
Diese Erwartung und der Zauber ihres Spiels lassen noch einmal all seine Lebensgeister erwachen und beflügeln ihn. Hoffnungsvoll schiebt er sich langsam an die geliebte Schwester heran, wird von ihr aber schon in einiger Entfernung entdeckt:
Die Mutter wird kurzatmig, beginnt zu zittern und verstummt angesichts des Vorschlags, Gregor „loszuwerden“. Sogar der Vater zögert etwas und schlägt vor, den Versuch zu unternehmen, mit Gregor eine diesbezügliche Übereinkunft zu treffen, sofern man sich mit ihm noch verständigen könne. Doch die Schwester bleibt dabei:
Gregor, überrascht von der Reaktion seiner Schwester, schleppt sich zurück ins Zimmer. Kaum angekommen, bemerkt er, wie die Schwester, die zunächst erschreckt zwei Schritte zurückgewichen war, ihm nun doch unbemerkt gefolgt sein muss. Denn sie schließt hinter ihm sofort die Türe zu und sagt: „Endlich!“. Gregor wundert sich, dass ihm der Weg in das Wohnzimmer unter den Klängen der Musik so unglaublich leichtgefallen ist, während ihn der Rückweg, wie er jetzt feststellt, seine letzte Kraft gekostet hat:
Vor Erschöpfung sackt er zusammen. Aber zu seiner Erleichterung spürt er, wie in diesem Moment gleichzeitig auch die Schmerzen verschwinden, die ihm in den letzten Wochen jede Bewegung zur Qual gemacht haben:
Als die Putzfrau ihn am anderen Morgen findet, denkt sie zunächst, er stelle sich schlafend oder „spiele den Beleidigten“. Dann aber wird sie neugierig, kitzelt ihn mit dem Besen. Als er nicht reagiert, ärgert sie sich und stößt den Besenstiel etwas in Gregor hinein. Als er wieder nicht reagiert, schiebt sie seinen vertrockneten Leib mehrmals hin und her, bis sie merkt, dass er tot ist. Triumphierend überbringt sie der Familie die gute Nachricht und ruft mit lauter Stimme:
Ebenso legendär wie der erste Satz der Verwandlung ist auch der Schlusssatz. Nachdem nämlich die Eltern und die Schwester über die neue Situation mehr als erleichtert sind, beschließen sie, an diesem Tag nicht zur Arbeit zu gehen. Sie versenden Entschuldigungen an ihre Arbeitgeber und fahren mit der Straßenbahn ins Grüne. Die Frühlingssonne scheint hell durch das Fenster und sie stellen zufrieden fest, dass sie eigentlich ganz ...