Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart
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Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart

Band I: Ostasien, Indonesien, Pazifischer Raum

  1. 264 Seiten
  2. German
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Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart

Band I: Ostasien, Indonesien, Pazifischer Raum

Über dieses Buch

Modern research on matriarchy differs from earlier research on the subject by using an approach based on scientific methodology, as is demonstrated at the outset in this book. This is followed by a brief critical survey of previous research and its development. Modern matriarchy research is once again making accessible this completely different form of society & which is not an inversion of patriarchy. The way in which we conceive of matriarchal societies is being increasingly enriched through comparative cultural analyses. This approach affects and alters every sociocultural area of our knowledge. Modern matriarchal research therefore now forms part of basic research and represents a new philosophical paradigm. This first volume is devoted to contemporary matriarchal societies in East Asia, Indonesia and the Pacific.

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Information

Auflage
1
Thema
History

Kapitel 1: Eine kritische Geschichte der traditionellen Matriarchats­forschung

Dieses Kapitel ist keine Forschungsgeschichte im herkömmlichen Sinne. Zum Thema Matriarchat lässt sich eine solche nicht ohne weiteres schreiben, denn die Ansätze zu einer fortlaufenden Forschung in diesem Gebiet hören immer wieder auf, und der wiederholte Beginn verschwindet im Dunklen. Die Fäden reißen ab, wobei die Bruchstücke ins Nirgendwo zu führen scheinen, die Argumente nicht verfolgt werden oder – wie in der europäisch-westlichen Wissenschaft – gründlich verdrängt werden. Dennoch gibt es einen unterschwelligen Strom an Wissen über matriarchale Muster und Gesellschaften, der sich aus verschiedenen wissenschaftlichen Zweigen speist. Aber auch diese Tatsache, dass es seit dem 19. Jahrhundert, genauer: seit mehr als 150 Jahren, eine Forschung und Diskussion zum Thema Matriarchat gibt, ist nicht allgemein bekannt. Wenn sie bei seltenen Gelegenheiten zu Tage tritt, wird sie rasch durch Verachtung oder Lächerlichmachen zum Schweigen gebracht.
Angesichts dieses merkwürdigen Sachverhalts fragt man sich, was hier eigentlich vorgeht? Es scheint so zu sein, dass die Forscher – zumindest die traditionellen – hier etwas für ihr Selbstverständnis Ungeheuerliches entdecken, etwas, das ihr patriarchales Weltbild erschüttert. Sie müssten es hinter sich lassen, wenn sie den Konsequenzen ihrer Entdeckungen weiter folgen würden. Außerdem würden sie in der patriarchal geprägten Wissenschaftsgemeinschaft ihr Prestige aufs Spiel setzen und sich isolieren, vielleicht gar ihre Stellung verlieren, wenn sie ihren Erkenntnissen treu bleiben würden. Darum drehen sie immer wieder zurück, was sie entdeckt haben; sie heben ihre Erkenntnisse theoretisch wieder auf, um das patriarchale Paradigma von Gesellschaft und Geschichte zu retten – woraus sich zahllose logische und sachliche Widersprüche ergeben.
Wie sehr das System des Patriarchats Erkenntnisse über die matriarchale Gesellschaftsform immer wieder unsichtbar machen will, zeigt sich insbesondere dann, wenn Forscher und Forscherinnen diese Selbstzensur durchbrechen und zu ihren Erkenntnissen stehen, das heißt, sie offen benennen – wie es in der jüngeren Zeit öfters der Fall ist. Sie werden unverzüglich auf verschiedene Weise diffamiert und ihr Werk mit allen Mitteln verdunkelt, sowohl von Fachkollegen als auch von den Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit. Hier tritt die ideologische Gewalt des patriarchalen Systems hervor, eine Gewalt, die sich zunehmend verschärft, je weniger sich das Wissen über die matriarchale Gesellschaftsform unterdrücken lässt.
In diesem Kapitel sehe ich meine Aufgabe deshalb darin, diese abgerissenen Fäden aufzufinden und wieder anzuknüpfen. Ich folge diesen verdunkelten Linien und mache den unterschwelligen Strom der Forschung zum Thema Matriarchat wieder sichtbar. Es geht mir darum, in die geschichtliche Entwicklung der Gedanken und der Forschung zu matriarchalen Gesellschaften einzuführen. Dass es sich hier um eine eigene Gesellschaftsform handelt, die sich von der patriarchalen wesentlich unterscheidet, dieser Gedanke existierte tatsächlich nicht vor den Pionieren, die ihn erstmals formulierten. Hier ist insbesondere Johann Jakob Bachofen zu nennen. Matriarchale Gesellschaften gab es schon lange vorher, auch Berichte über sie, aber nicht dieser Gedanke von einer eigenständigen Gesellschaftsform und auch nicht der Begriff »Matriarchat«. Was aber nicht benannt werden kann, kann auch nicht erkannt werden.
Darum versuche ich das Zerstückelte hier wieder zusammen zu fügen wie ein Mosaik aus seinen verstreuten einzelnen Steinen. Mich werden die Fragen leiten: Was tragen die genannten Forscher zur Sache bei, und was tun sie danach mit ihren Erkenntnissen? Ferner: Was wird aus ihren Erkenntnissen in der patriarchalen Wissenschaft und Öffentlichkeit gemacht? Das sind ideologiekritische Fragen, die zeigen werden, wie begrenzt und absichtlich begrenzend bisher mit diesem faszinierenden sozio-kulturellen Thema umgegangen worden ist. Dabei führt uns der Weg zur heutigen Situation, die sehr spannungsgeladen ist – denn das patriarchale Paradigma beginnt zu bröckeln.
Gleichzeitig macht dieses Kapitel in sachlicher Hinsicht sichtbar, welche wissenschaftlichen Fächer zur Erkenntnis der matriarchalen Gesellschaftsform beigetragen haben, und es zeigt die Schlüsselrolle der interdisziplinären Methodologie, die für ein angemessenes Verständnis dieser Gesellschaftsform nötig ist. Doch statt eine vollständige Liste aller Quellen, die für die Matriarchatsforschung relevant sind, zu geben, stelle ich hier nur sehr wenige Werke als exemplarische Beispiele aus den wichtigsten Disziplinen kurz dar.1 Das zeigt, wie der Weg der traditionellen Matriarchatsforschung bisher verlief.
Meine Fragen werfen dabei neues Licht auf alte Theorien, doch auch auf Theorien jüngerer Herkunft. Dass ältere Theoretiker nicht von kritischen und feministischen Studien profitieren konnten, sollte kein Grund sein ihre Ergebnisse zu ignorieren. Schließlich waren sie zu ihrer Zeit die einzigen, die matriarchale Muster zur Sprache brachten. Die Situation hat sich seither sehr verändert, aber – wie wir sehen werden – nicht immer zum Besseren im Universitätswesen. Patriarchale Ideologie, die im Fall der älteren Forschung eher unbewusst blieb, wird bei der jüngeren Forschung bewusst und aggressiv eingesetzt. Daher ist diese Übersicht als eine kritische Würdigung der Forscher gemeint, die Wesentliches zur Matriarchatsforschung beigetragen haben. Gleichzeitig gibt sie Aufschluss darüber, was sich durch die moderne Matriarchatsforschung grundsätzlich ändert.2

1.1 Die Pioniere

Johann Jakob Bachofen gilt mit seinem Werk »Das Mutterrecht« (1861) als der Begründer der Matriarchatsforschung traditioneller Prägung, denn von ihm ausgehend hat sich die Diskussion zu diesem Thema entwickelt.3 Sein Werk hat in dem Jesuiten-Missionar Joseph-Francois Lafitau einen Vorgänger. Lafitau stellte in seinem mehr als hundert Jahre früher erschienenen Werk »Die Sitten der amerikanischen Wilden, im Vergleich zu den Sitten der Frühzeit« (1724) das Leben der irokesischen Stämme Kanadas, bei denen er weilte, mit ziemlicher Genauigkeit dar, insbesondere die bedeutende Rolle der Frauen.4 Obwohl dies mit den beschränkten Mitteln seiner Zeit geschah, ist sein Bericht wertvoll, weil diese Gesellschaften damals noch weniger vom Einfluss der Weißen gestört waren als später. Er stellte bereits eine Verbindung her zwischen seinen Beobachtungen an einer zeitgenössischen matriarchalen Gesellschaft und manchen Sitten, die ihm von antiken Schriftstellern bekannt waren. Doch als Missionar leitete ihn dabei kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse, weshalb das Buch, außer dass es eine wichtige Quelle ist, folgenlos blieb.
Erst Bachofen eröffnete bewusst ein neues Forschungsgebiet und nannte es »Mutterrecht«, womit er die Matrilinearität und die damit verbundenen sozialen Muster meint. Gleichzeitig benutzte er auch den griechischen Begriff »Gynaikokratie«, der völlig missverständlich ist, denn er bedeutet »Frauenherrschaft« – was aus Bachofens Untersuchungen jedoch nirgends hervorgeht. Beide Begriffe gebrauchte er gleichzeitig ohne genaue Unterscheidung, womit er den Boden für das grundsätzliche Missverständnis und Vorurteil bereitet hat, das bis heute der Matriarchatsforschung entgegengebracht wird und sie behindert. So verwundert es nicht, dass bei der englischen Ausgabe seines Werkes der Begriff »Gynaikokratie« dann mit »Matriarchat« übersetzt wurde (1967).
Sein Verdienst ist, dass er mit seinen Untersuchungen den kulturhistorischen Zweig der Matriarchatsforschung begründet hat und darin bedeutende Arbeit leistete, was eine neue Tür zum Verständnis der menschlichen Kulturentwicklung geöffnet hat. Aus den Quellen antiker Schriftsteller machte er in seinem Werk unmissverständlich klar, dass das Mutterrecht nicht nur eine exotische südasiatische Spezialität gewesen ist, wie man damals annahm. Es war vielmehr in Indien, Persien, Ägypten und im östlichen Mittelmeerraum einschließlich Griechenlands verbreitet und überall die Grundlage der späteren kulturellen Entwicklung. Er kann zeigen, dass es sich in diesen Erscheinungen nicht um bedeutungslose Ausnahmen handelt, sondern um gesellschaftliche Gebilde mit innerer Ordnung, die nicht nur einzelne Völker umfassen, sondern ganz allgemein zu einer bestimmten frühen Kulturstufe gehören.
Bachofen gibt ebenfalls Auskunft über seine Methode, mit der er seine Untersuchungen macht: Es ist die Mythenanalyse, die er so weit wie möglich mit historischen Zeugnissen vergleicht. Er interpretiert also nicht nur Mythen, sondern arbeitet rudimentär mit einer vergleichenden kulturhistorischen Methode. Auf diese Weise kann er, trotz der weiten Zeiträume, die dabei überbrückt werden, erstaunliche Ähnlichkeiten feststellen und kommt zu dem Schluss, dass man Mythen durchaus als geschichtliche Zeugnisse betrachten darf, die in Bildern statt in Worten reden. Damit nimmt er Mythologie als Aussage über vergangene geschichtliche Zustände und Denkweisen ernst.
So akzeptabel und erfolgreich Bachofens Vorgehen ist, so problematisch sind seine theoretischen Deutungen und Wertungen, in die er sein reiches Material presst. Seine Theorie stellt eher die eigene romantisierende Ideologie vom Matriarchat dar als das, was er zur Sache selbst aus den Quellen herausfand. Seine Matriarchats-Ideologie ist geprägt von der Vorstellung vom »Wesen der Frau«, die den patriarchalen Klischees seiner Zeit entspricht. Aus diesem hypothetischen Wesen der Frau versucht er, die Geschichte des Mutterrechts in drei Stufen zu erklären: Die erste Stufe soll ein regelloser »Hetärismus« gewesen sein, wobei sexuelle Promiskuität bestimmend gewesen sei, welche die Frauen unentwegtem Beischlaf ausgeliefert habe. – Doch dieser Hetärismus ist lediglich eine unbewiesene Annahme. – Aus ihm soll sich nach Bachofen das Mutterrecht als entschiedener Widerstand der Frauen gegen diese Lebensweise entwickelt haben, und zwar als das »Demetrische Prinzip« von Keuschheit, Monogamie und ehelicher Zucht. – In diesem Demetrischen Prinzip sehen wir lediglich eine Rückprojektion bürgerlich-christlicher Verhältnisse in die frühe Geschichte. – Nach Bachofen soll die Demetrische Stufe des Matriarchats zuletzt im Amazonentum ihrer »Verwilderung« und ihrem Verfall entgegengegangen sein. – Diese Verwilderung ist für den patriarchalen Blick schon deshalb notwendig, weil die Amazonen weder monogam noch männerfreundlich lebten. – Dafür geht es bei ihm danach umso schneller mit dem Patriarchat, das sich einfach aus den Trümmern der vorigen Epoche erhebt. Das geschieht gemäß dem hypothetischen »Wesen des Mannes«: Kampf und Krieg, Entstofflichung und Unsterblichkeit durch das Macher-Prinzip, von Bachofen das »Geistig-apollinische Prinzip« genannt, bei dem sich der männliche Gott »vollständig von jeder Verbindung mit dem Weibe befreit«.5 – Damit hätten wir in schöner Deutlichkeit die grundlegenden Ideen des Patriarchats beieinander.
Mit dieser geschichtslosen Geschichtsschreibung müssten wir uns nicht weiter befassen, hätte sie nicht eine fatale Konsequenz. Sie hat nachhaltig das öffentliche Bewusstsein zur Frage des Matriarchats geprägt. Die von Bachofen aufgebrachten Klischees zur matriarchalen und patriarchalen Gesellschaftsform halten sich zäh, woraus sich wie von selbst die Höherwertigkeit des Patriarchats ergibt, die allgemein vertreten wird.
Henry Lewis Morgan wurde der Begründer der Ethnologie durch sein Werk über die Irokesen-Liga in Nordamerika (1851), eine matriarchale Gesellschaft – die er allerdings nicht so benennt.6 Bachofen nahm jedoch wissenschaftlichen Kontakt zu Morgan auf, weil er seine kulturhistorische Forschung durch das ethnologische Vorgehen Morgans bestätigt sah. Morgans hervorragende Studie erlaubt zum ersten Mal einen Blick in das Gefüge einer sehr lebendigen, hochentwickelten matriarchalen Gesellschaft der damaligen Zeit – wobei Morgan seine Informationen einem wichtigen irokesischen Gewährsmann verdankt. Doch wie schon bei Bachofen hat auch bei Morgan die eigene Forschung keine tiefergehende Erkenntnis oder gar ein patriarchatskritisches Umdenken bewirkt; daher bleibt seine Forschung zu den Irokesen problematisch. Noch problematischer ist, dass er daraus in seinem Buch »Die Urgesellschaft« (1877) eine evolutionistische Stufentheorie der menschlichen Familienentwicklung konstruiert,7 bei der sich die Geschichte ebenso unentwegt in patriarchale Höhen emporschwingt wie schon bei Bachofen.
Auch er nimmt drei große Stufen an, die der »Wildheit«, der »Barbarei« und der »Zivilisation«, sämtlich Begriffe, die im höchsten Maß bewertend sind. Auf der Stufe der »Wildheit« beschreibt er Familienformen, die auf unterschiedslosem Geschlechtsverkehr und Vielehe beruhen. Begriffe von Blutsverwandtschaft gibt es noch nicht, denn nur die Mitgliedsbeziehungen bestimmen das Hordengefüge.
Auf der Stufe der »Barbarei« entstehen nach Morgan durch Einschränkung der Heiratsbeziehungen »Gentilgesellschaften«, die er am Beispiel der Irokesen erklärt. Er zeigt, wie sich Stämme dieser Gesellschaftsform nicht aus »Familien« aufbauen – eine unbekannte Größe in der Frühzeit – sondern aus Sippen, die sich zuerst in der weiblichen Abstammungslinie bilden und viel später in der männlichen Abstammungslinie. Mehrere Sippen bilden nach bestimmten Heiratsregeln einen Stamm, und mehrere Stämme wiederum ein Volk. In einer solchen Stammesgesellschaft ist jede politische Einflussnahme und Entscheidung identisch mit den persönlichen Beziehungen zur Sippe und zum Stamm.
Durch diese Identität von Verwandtschaftslinie und politischer Entscheidung ist die Stammesgesellschaft »homogen«, anders als die durch den Einbruch von Fremden später zerrissene Gesellschaft. Zugleich ist sie eine der ältesten und am weitesten verbreitete Organisation der Menschheit. Morgan nennt sie die »universelle Verfassungsgrundform der alten asiatischen, europäischen, afrikanischen, amerikanischen und australischen Gesellschaft«.8 Sie war das Werkzeug, durch das die frühe Gesellschaft ohne politische Herrschaft zusammengehalten wurde.
Einmal ohne seine Stufentheorie der Geschichte betrachtet sind diese Feststellungen weitreichende Erkenntnisse. Denn sie weisen auf den relativ späten, geschichtlich nachweisbaren Ursprung von Herrschaft hin. Diese wird aber allgemein als seit Beginn der Menschheit bestehend hingestellt, aus durchsichtigen Gründen. Es ist der Mythos von der Ewigkeit patriarchaler Herrschaft, insbesondere des Mannes über die Frau. Morgan geht jedoch einen anderen Weg, um die Brisanz seiner eigenen Erkenntnisse wieder zu verdunkeln: Er wertet diese frühere Entwicklungsstufe ab.
Wie nicht anders zu erwarten ist, dämmert nach dieser matriarchalen Verwandtschaftsgesellschaft endlich die »Zivilisation« herauf. Wenn sich aufseiten der Männer Privateigentum und Landbesitz entwickeln, ist dies der Auslöser für die Umwandlung von matrilinearen in patrilineare Sippen. Unaufhaltsam und offenbar kampflos schreitet die Menschheit fort zur »Zivilisation«, die gekennzeichnet ist von Monogamie, in welcher der Mann endlich seine Vaterschaft erkennen kann. Morgans hohe Bewertung der »Zivilisation« beruht darauf, dass er in dieser Monogamie beide Partner die gleiche Würde und die gleichen Rechte besitzen sieht, was in der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit ideal gelungen sein soll. – Dieser Schluss ist erstaunlich, denn zuvor hat er als Motor dieser Entwicklung das Privateigentum in der Hand des Mannes ausgemacht und erkannte an, dass diese Entwicklung zu Lasten der Frau geht! Doch das entschuldigt er damit, dass die Frau dieses Opfer für den Fortschritt der Menschheit bringen muss.
Damit entlarvt sich auch diese Stufentheorie der Geschichte als pure Ideologie. Sie spiegelt eine Vaterschafts-Ideologie, die für die spätbürgerliche Kleinfamilie typisch ist und außer ihrem Rassismus gegenüber anderen Kulturen auch einen groben Sexismus zeigt. Dennoch wird Morgan als »Vater der Anthropologie« gefeiert, da er diese Disziplin auf einen empirischen Boden gestellt hat.9 Aber bis heute hat die Ethnologie in ihrer westlichen Spielart die rassistischen und sexistischen Züge nicht überwunden.
Als dritter unter den Pionieren sei noch John Ferguson McLennon (1865) genannt, der sich auf Morgan stützt.10 In seinem Werk über elementare Eheformen bringt er noch weitere Beispiele von geschichtlichen und gegenwärtigen Völkern, die ihre Abstammung in der Mutterlinie, nicht in der Vaterlinie verfolgen. Sein Werk hatte die Absicht, die Vorstellung von einer patriarchalen Urgesellschaft, die damals vorherrschend war, zu widerlegen – was sehr verdienstvoll ist. Allerdings löste es unter den Wissenschaftlern damals eine heftige Kontroverse aus.

1.2 Die marxistische Diskussion

Die Diskussion der marxistischen Theoretiker, die auf den Forschungen Bachofens und Morgans aufbaut, hat sich insbesondere mit Fragen der Patriarchatsentstehung befasst. Das gilt besonders für Friedrich Engels in seinem Werk »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« (1884).11 Im Anschluss an Karl Marx greift er genau die beiden Fragen auf, die Morgan offen gelassen hat: erstens die Frage, ob die bürgerliche Monogamie das ideale Gebilde für die Gleichheit der Geschlechter ist, zweitens die Frage, wie es denn zum Privateigentum in den Händen von Männern kam.
Zur ersten Frage äußert er sich mit unmissverständlicher Klarheit, indem er feststellt, dass der Umsturz des Mutterrechts die »weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts« gewesen sei. Der Mann habe das Steuer auch im Hause ergriffen, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau sei allmählich beschönigt und verheuchelt worden, stellenweise auch in mildere Formen gekleidet; beseitigt sei sie keineswegs.12
Was den Mann zum ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Impressum
  3. Danksagung
  4. Vorwort: Zum Begriff »Matriarchat«
  5. Allgemeine Einleitung. Die Philosophie und Methodologie der modernen Matriarchatsforschung.
  6. Kapitel 1: Eine kritische Geschichte der traditionellen Matriarchats­forschung
  7. Zu Band I: Indigene matriarchale Gesellschaften in Ostasien, Indonesien und dem Pazifischen Raum
  8. Kapitel 2: Matriarchat in Nordost-Indien
  9. Kapitel 3: Matriarchale Religion in Nepal
  10. Kapitel 4: Alte Königinnenreiche und Gruppenehe in Tibet
  11. Kapitel 5: Matriarchale Kulturen in China
  12. Kapitel 6: Schamaninnen in Korea
  13. Kapitel 7: Inseln um Japan – die südliche und die nördliche Frauenkultur
  14. Kapitel 8: »Alam Minangkabau« – die Welt der Minangkabau in Indonesien
  15. Kapitel 9: Matriarchale Muster in Melanesien
  16. Kapitel 10: Kulturen im Raum des Pazifischen Ozeans
  17. Verzeichnis der Abbildungen
  18. Literatur