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Das schönste Gewerbe der Welt
Hinter den Kulissen der Modeindustrie
- 336 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
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Über dieses Buch
" Es gibt die klassische Ausbeutung – und es gibt die Ausbeutung in der Mode." Giulia Mensitieri
Da ist die Fotostylistin Mia – Pradatasche, Jeans, Kapuzenpulli –, der Giulia häufiger begegnet und sofort fasziniert ist von den Gegensätzen, die Mias Berufsleben bestimmen: Während sie erster Klasse um die Welt fliegt und in Fünf-Sterne-Hotels nächtigt, um ihre Aufträge zu erledigen, kann sie ihre Miete kaum bezahlen, geschweige denn ihre Telefonrechnung. An Mias Seite erforscht Giulia daraufhin die Pariser Modewelt, die längst zur Industrie geworden ist. Sie führt Gespräche mit Stylisten und Stylistinnen, mit Designern, Visagistinnen, Fotografen und Models, am Rande von Fotoshootings, nach Modenschauen, bei Verabredungen in angesagten Cafés. Als ihr dieser Eindruck nicht mehr ausreicht, beginnt sie selbst ein unbezahltes Praktikum bei dem unabhängigen belgischen Designer Franck – und erlebt die Herabwürdigung, die Aggression und die konstante Überforderung, auf die vonseiten der Mitarbeiterinnen zumeist mit Unterwürfigkeit und noch härterer Arbeit reagiert wird. Denn so sind eben die Regeln des Spiels: Wer nicht durchhält, der war es nicht wert, dabei zu sein. Mode, das wird in dieser beeindruckend recherchierten und packend geschriebenen Ethnografie rasch klar, ist ein glänzendes Beispiel für die Perfidie des modernen Kapitalismus, in dem die Vereinzelung der Subjekte so weit vorangetrieben ist, dass es kein Außerhalb der Identifikation mit der eigenen Arbeit mehr gibt. Mit der zugewandten Offenheit und Neugier der Ethnologin und ohne auf vorgefertigte Bilder zu vertrauen, dringt Giulia Mensitieri in die Untiefen unserer hyperkapitalistischen Gegenwart vor, in der der Schein das Sein bestimmt.
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Information
Zweiter Teil
ARBEITEN
IN DER MODEBRANCHE
ODER »VOM GLÜCK,
DABEI ZU SEIN«91
4
Auf der Schwelle zum Traum, das Verkaufspersonal
Als ich Annie frage, warum sie ihre feste Stelle als Kostümbildnerin aufgegeben hat, um einen nicht bezahlten Job in der Mode anzunehmen, antwortet sie mir: »Weil ich so hin und wieder mal im Ritz zu Abend esse, das ist mir vorher nie passiert.« Sie fährt fort: »Seit ich in der Mode arbeite, wollen immer alle über meine Arbeit sprechen, sind neugierig und interessiert und bewundern mich. Früher, als ich noch am Theater war, hat das keinen interessiert, obwohl ich an wichtigen Produktionen mitgearbeitet habe.« Die Arbeit in der Mode hat Annies symbolisches Kapital verändert: Sie weckt Begehren, obwohl sie unbezahlt ist.
Das Zusammenspiel von Außenwahrnehmung und Selbstdarstellung der Modearbeiterinnen und -arbeiter ist ein wesentlicher Faktor, um die Gleichzeitigkeit von größtmöglicher Sichtbarkeit und Intransparenz zu verstehen. Neben der Faszination für das Rampenlicht bedeutet Sichtbarkeit auch, dass die Modearbeiterinnen und -arbeiter sich gesehen fühlen. Für die Sichtbarkeit braucht es ein »Publikum« — das zuschaut und begehrt und sich außerhalb des Lichts der Scheinwerfer befindet. Erst unter diesen Bedingungen entsteht eine Elite des Begehrens.
Aber wer gehört dieser begehrten Welt tatsächlich an? Die Antwort fällt schwer, da die Mode ein weitläufiges System ist und ein sehr heterogenes Arbeitsfeld hervorbringt. Es ist nahezu unmöglich, eine Aussage darüber zu treffen, wer dazugehört und wer nicht, auch weil die Einschlüsse auf Beziehungen und Situationen beruhen und die Modewelt selbst stark hierarchisch organisiert und ausschließend ist. Anstatt Aussagen über Zugehörigkeiten zu treffen, bietet es sich an zu beschreiben und zu entschlüsseln, wie diese erteilt, gewichtet, bestätigt und infrage gestellt werden, um zu beobachten, wie die Arbeiterinnen und Arbeiter trotz der internen Hierarchien die Sichtbarkeit selbst nutzen.
Dafür lohnt es sich, das Verkaufspersonal im Luxussegment in den Blick zu nehmen. Dieses verkörpert die Schwelle, die unscharfe Grenze zwischen denen, die dazugehören, und denen, die nicht dazugehören. Es ist das letzte Glied der Fertigungsstraße des Traums, sie sind die »Schmuggler«, die die Transaktion zwischen Produktion und Konsumtion abwickeln, die Ware und den mitgelieferten Traum an die Kundschaft übergeben. Durch ihre Randstellung in der Modebranche95 lässt sich an den Verkäuferinnen und Verkäufern von Luxuswaren nachvollziehen, wie die Anziehungskraft dieses Milieus wirkt und welche Arbeitsweisen sie hervorbringt.
Gilbert und der Traum vom Luxus
Gilbert ist sechsundzwanzig Jahre alt und studiert Jura. Wir lernen uns über Jaime kennen und verabreden uns in der Folge viele Male. Vom ersten Treffen an stellt er klar, dass er zwar studiere, seine Leidenschaft aber allein der Mode gelte. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet er als Verkäufer bei H&M, in Vollzeit und mit unbefristetem Vertrag, möchte »in der Mode Karriere machen« und träumt davon, für eine Luxusmarke zu arbeiten. Von seinem Umfeld ermutigt, beschließt er, diesen Traum zu verfolgen und eine Stelle in diesem Bereich zu suchen. Er meldet sich bei einer Zeitarbeitsfirma an und besucht regelmäßig eine Webseite, die auf »fashion jobs« spezialisiert ist. Er schickt eine erste Bewerbung an Chanel und versucht es dann bei Lucceto96, wo ebenfalls eine Stelle im Verkauf ausgeschrieben ist. Er wird eingeladen, muss eine Reihe von sehr strengen Auswahlgesprächen führen, in denen er zur Geschichte und zu den Produkten von Lucceto befragt wird und ausführlich über seine Motivation Auskunft geben soll. Er durchläuft ein dreistufiges Verfahren97, an dessen Ende er eingestellt wird.
Bei unseren Treffen erklärt er mir, dass sich sein Studentenstatus bei der Auswahl positiv für ihn ausgewirkt habe, »weil sie Menschen mit Niveau suchen«. Er sagt, dass er sehr froh sei, endlich für eine Luxusmarke zu arbeiten und in den Genuss einiger Vorteile zu kommen: bei der Arbeit »einen extra fürs Verkaufspersonal entworfenen Lucceto-Anzug« zu tragen und zwanzig Prozent Nachlass auf alle Produkte der Marke zu erhalten.
Sein erster Vertrag ist auf drei Monate befristet, was der Probezeit entspricht, nach der er, wenn alles gut geht, einen unbefristeten Vertrag bekommen soll. Die Freude über eine Anstellung bei einer Luxusmarke wird bald von den Arbeitsbedingungen getrübt. Während er sich erhoffte, im Laden zu arbeiten, wird Gilbert in einem »corner« eingesetzt, einem Stand der Marke in den Galeries Lafayette. Das ist eine Enttäuschung, denn im Luxussegment gibt es eine räumliche Hierarchie, in der solche »corner« ganz unten stehen. In dem großen Kaufhaus, in dem Gilbert arbeitet, ist Lucceto an mehreren Orten vertreten: mit einem Hauptstandort, an dem alle Kollektionen ausgestellt werden, und mit einem Stand von fünfzehn Quadratmetern im ersten Untergeschoss, wo ausschließlich Handtaschen verkauft werden. Dort, in einer abgelegenen Ecke des Kaufhauses, steht Gilbert hinter der Kasse. Er verbringt den ganzen Tag in der Nische zwischen Kasse und Wand. Seine Arbeit besteht folglich nicht wie erhofft in der Beratung der Kundschaft, sondern vor allem im Kassieren. Außerdem ist er nicht mit der vornehmen Kundschaft in Kontakt, weil er »strategisch positioniert« wurde, »um die Busladungen von chinesischen und japanischen Touristen bei ihrer Ankunft im Laden abzugreifen, die keine Zeit haben, nach oben zu fahren«.
Bei meinen Treffen mit Gilbert verfolge ich, wie sich sein Verhältnis zur Arbeit verändert, vom Begehren zur Begeisterung und von der dunklen Vorahnung zur Enttäuschung. Er hatte sich vorgestellt, exklusive Beziehungen mit der Kundschaft zu unterhalten, und sieht sich nun Massen von »fernöstlichen, lauten, unhöflichen und schlecht gekleideten« Touristen gegenüber. »Manchmal nehmen sie gleich fünf oder acht Taschen …«
Ein Standardmodell von Lucceto kostet 1800 Euro. Manchmal hat Gilbert an einem einzigen Tag Einnahmen von 250 000 Euro. An seinem Stand werden monatlich drei Millionen Euro umgesetzt.
Nach den drei Probemonaten möchte das Unternehmen Gilbert weiterbeschäftigen, löst aber sein Versprechen nach einer Entfristung nicht ein und gibt ihm erneut einen auf drei Monate befristeten Vertrag. Obwohl er unzufrieden mit seiner Arbeit ist, willigt Gilbert ein, weil er das Geld braucht und hofft, im Unternehmen aufsteigen zu können – eine Hoffnung, die unerfüllt bleiben wird: Über einen Kollegen findet er heraus, dass er als Schwangerschaftsvertretung eingestellt wurde und nie fest übernommen werden sollte. Bei Lucceto verdient Gilbert monatlich 1800 Euro brutto, dasselbe wie vorher bei H&M. Als ich ihn darauf hinweise, antwortet er mir, dass es einfach nicht dasselbe sei, bei H&M98 oder bei Lucceto zu arbeiten. Wie kommt das? Wenn der Lohn derselbe ist, was macht dann den Mehrwert einer Anstellung im Luxussegment aus?
Den Traum verkaufen: David und die Markenbotschafter
David ist um die vierzig und arbeitet für eine bekannte französische Luxusmarke in der Personalabteilung. Ich frage ihn, nach welchen Kriterien sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Verkauf auswählen:
Das müssen Leute sein, die die Codes des Luxus beherrschen. Was das für Leute sind? Sie kaufen nicht unbedingt selbst Luxusprodukte, weil so ein Luxusprodukt ein Mehrfaches ihres monatlichen Einkommens kostet, aber sie sprechen mehrere Sprachen, haben keine Schwierigkeiten, mit einer sehr internationalen Kundschaft umzugehen, und sind kulturell gebildet. […] Die Codes des Luxus beherrschen heißt auch, eine bestimmte Ethik zu haben, eine bestimmte Höflichkeit, ein bestimmtes internationales Lebensgefühl.
Das von David entworfene Profil ist eines, das sich zwischen verschiedenen Welten bewegt: eine Art Elite, die über kulturelles Kapital99 und interaktive Kompetenz verfügt, um ihrer Kundschaft auf Augenhöhe zu begegnen, ohne jedoch selbst finanziell in der Lage zu sein, Luxuswaren zu konsumieren. David fügt hinzu: »Wenn man in einem Bewerbungsgespräch sitzt, achtet man auf verschiedene Marker. Es ist mein Job, auf Marker zu achten und sie zu deuten. Ich halte Ausschau nach Anzeichen für Eleganz, Raffinesse und sprachliche Gewandtheit.«
Anders formuliert besteht Davids Arbeit darin, das symbolische und kulturelle Kapital der zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzuschätzen, die für den Verkaufsprozess unabdingbar sind: »Wir suchen Verkäufer, deren Hauptaufgabe nicht darin besteht zu verkaufen, sondern die Kunden in Empfang zu nehmen, willkommen zu heißen und ein Botschafter unserer Marke zu sein. Wir suchen Botschafter.« So müssen die Verkäuferinnen und Verkäufer den Traum und die Verheißungen dieser Marke verkörpern, um ihn weiterzugeben und der Kundschaft zu verkaufen. Ihre Rolle als Botschafter ist grundlegend, weil der Traum bis zum Schluss der Inszenierung bedarf, und den Schluss stellt der Moment des Kaufs dar. »Wenn man eines unserer Geschäfte betritt, egal ob hier oder im Ausland, soll es eine Erfahrung von Exklusivität und Gastfreundschaft sein, [die Kunden] sollen sich willkommen fühlen. Sie erleben also einen besonderen Moment und verlassen das Geschäft mit einem Gegenstand, auf den sie stolz sind, der für ihren Status und für ihren Wohlstand steht.«
Die Rolle des Verkaufspersonals ist zentral für die Ökonomien der Mode und zeigt einmal mehr, wie sehr in dieser Industrie die imaginären und die materiellen Dimensionen ineinander übergehen. Die Konsumenten und Käuferinnen erwerben nicht einfach Dinge, sie »machen eine Erfahrung« durch den ritualisierten Kauf eines Luxusguts, während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Image der Marke repräsentieren, sie im Augenblick des Verkaufs verkörpern. Als Markenbotschafter haben sie die Aufgabe, beim Verkauf der Produkte immer auch einen Traum von Distinktion und Zugehörigkeit zu einer Elite zu verkaufen:
Die Idee ist, alle auf dieselbe Weise willkommen zu heißen, mit derselben Aufmerksamkeit, und ihnen eine besondere Erfahrung zu ermöglichen. Das nennt man ware experience. Du kommst in den Laden und sofort spricht dich jemand an: »Willkommen, kann ich Sie durch unser Geschäft führen?«, man behandelt dich wie einen VIP. Es geht mehr um diese Erfahrung als ums Verkaufen. Verkaufen interessiert uns weniger. Das ist ein Kollateralschaden.
Verkaufen als Kollateralschaden. Und doch ist die Mode eine auf Profit ausgerichtete Industrie und die Marke, für die David arbeitet, die umsatzstärkste Marke Frankreichs und vielleicht sogar weltweit. Also muss das Ritual, bei dem alle, die den Tempel des Luxus betreten, wie VIPs behandelt werden, lukrativ sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen eine »Erfahrung« vermitteln. Aber um den Traum weiterzugeben, müssen sie selbst an ihn glauben. Um der Sache zu dienen, müssen sie sie zu ihrer machen. Das bestätigt David, als er mir sagt, dass die Verkäuferinnen und Verkäufer schon zum Zeitpunkt des Einstellungsgesprächs »verliebt in die Marke« seien:
Wir haben das Glück, sehr attraktiv für die Bewerber zu sein, und ich denke, das gilt für alle Luxusmarken. Wir repräsentieren den Traum von Qualität, Tradition und gleichzeitig von Innovation, Modernität, von Fashion, und das zieht viele an. […] Bei uns arbeiten Leute, die wirklich verliebt sind in die Marke, und wir fördern das mit dem Markenimage, vor allem in den Weiterbildungen, die wir anbieten. […] Wir möchten, dass unsere Verkäufer diesen Traum mit den Kunden teilen.
Während unseres Gesprächs spricht David wenig von der Qualität und den materiellen Eigenschaften der Produkte. Er spricht von »Erfahrung«, von »Botschaftern«, von »Image«, ein Wortschatz, der auf die symbolische Dimension der Marke verweist, auf den Traum, für den sie steht. Dieser wird vor allem für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschaffen und ihnen in Weiterbildungen über die »core values«, die »zentralen Werte«, vermittelt, die sie an die Kunden weitergeben. Für die »Botschafter« ist die Teilhabe an der symbolischen Dimension des Luxus der Lohn für ihre Mühen. In Davids Worten: »Wer im Luxussegment arbeitet, hat noch lange keine Luxuslöhne.«
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen dem Unternehmen ihr ästhetisches100, soziales und kulturelles Kapital zur Verfügung, über sie kann das Unternehmen den Traum verkörpern und verkaufen. Der Lohn dafür ist weniger materiell, er sichert den einfachen Angestellten gerade einmal ein Auskommen. Tatsächlich beträgt das Gehalt eines Filialleiters höchstens 4000 Euro brutto pro Monat – das Maximum in diesem Bereich – und mindestens 1800 Euro brutto für die Person an der Kasse, ganz unten in der Hierarchie stehen die Lagerarbeiter und -arbeiterinnen.101 Diese Gehälter machen die verkauften Produkte nahezu unerschwinglich: Die günstigste Damenhandtasche der Marke, für die David arbeitet, kostet ungefähr 700 Euro, die teuerste bis zu 40 000 Euro. Und doch sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst Kunden, wie David erzählt:
Unsere Verkäufer, unsere Mitarbeiter lieben die Marke und sparen auf unsere Produkte. Die Marke bedankt sich für ihr Engagement, indem sie ihnen Vergünstigungen gibt. Es gibt Sonderverkäufe nur fürs Personal. […] Das ist immer sehr chic, sehr nobel und unsere Mitarbeiter greifen wirklich zu, einschließlich mir.
Die Produkte bleiben gemessen am Monatseinkommen trotzdem unerschwinglich, da Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höchstens zwanzig Prozent Preisnachlass erhalten. Ob sie nun eine Marke lieben oder den Luxus an sich, die Kluft zwischen ihrem erträumten Status und ihrer materiellen Wirklichkeit bleibt bestehen. In gewisser Weise bilden sie eine Möchtegern-Kundschaft, die nicht das ökonomische Kapital besitzt, um sich die materielle Dimension des Luxus anzueignen, und stattdessen ihr immaterielles Kapital einsetzt, um an der symbolischen Dimension teilzuhaben. Der Tauschhandel zwischen Unternehmen und Verkaufspersonal ist nicht nur ökonomisch, sondern besteht darin, dass es für eine bestimmte Zeit an der »Erfahrung« des Luxus teilhaben kann, die es auch den Kundinnen und Kunden bietet. Die Verkäuferinnen und Verkäufer setzen ihre Subjektivität ein, ihre Beziehungsfähigkeit, ihr kulturelles, ökonomisches und soziales Kapital,102 um teilzuhaben am Luxus, den sie verkaufen, den sie herstellen, dem sie sich widmen. Das Begehren wird weitergegeben zwischen dem Verkaufspersonal, den Kundinnen und Kunden und auch den höheren Angestellten wie David, der von sich sagt, er sei »sehr froh, Zugang zu solchen Produkten zu haben«: »Ich kaufe viel, weil ich weiß, dass es ein Privileg ist, weil ich weiß, dass es ein Statussymbol ist.«
Die Modearbeiterinnen und -arbeiter profitieren von der Sichtbarkeit der Marken, für die sie arbeiten, weil es ihnen »einen Status verleiht« und sie täglich mit dem Objekt der Begierde in Kontakt sind. Für eine Luxusmarke zu arbeiten, bedeutet am Traum teilzuhaben und selbst ein wenig vom Licht der Scheinwerfer abzubekommen.
5
Mehr Prestige, weniger Geld.
Die Spielregeln der Modearbeit
Shooting Mena
Im Dezember 2012 begleite ich Mia zu einem Fotoshooting von Mena103, einem unabhängigen englischen Magazin, das laut Mia sehr angesehen ist. Als Fotostudio dient der Loft eines jungen italienischen Künstlers im Süden von Paris. Weil die Zeitschrift kein Budget für das Shooting zur Verfügung stellt, konnte das Team kein Fotostudio anmieten. Ich komme gegen Mittag dazu, während das Team schon seit acht Uhr morgens dort ist. Es ist gerade Essenszeit. Außer Mia und María, ihrer Assistentin, kenne ich niemanden. Um den runden Tisch in der Küchenecke des Loft sitzen Adèle, die französische Fotografin, Carmelo, der italienische Hairstylist, Eleonora, die französisch-italienische Visagistin, und der französische Fotoassistent, dessen Vornamen ich nicht kenne. Sie sind alle um die vierzig, außer Vanja, das ungarische Model, und eine französische Nageldesignerin, die beide vierundzwanzig Jahre alt sind. Unweit des Tisches sitzt eine sehr junge Frau, die französische Praktikantin der Fotografin, und ein junger osteuropäischer Mann, der Lichtassi...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Widmung
- INHALT
- Prolog
- Einleitung. Wenn die Mode zum System wird
- Erster Teil MODE UND KAPITALISMUS, DIE PRODUKTION DES TRAUMS
- Zweiter Teil ARBEITEN IN DER MODEBRANCHE ODER »VOM GLÜCK, DABEI ZU SEIN«
- Dritter Teil DER TRAUM DER ARBEITERINNEN UND ARBEITER
- Schluss
- Danksagung
- Anmerkungen
- Impressum