Frau - Männin - Menschin
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Frau - Männin - Menschin

Zwischen Feminismus und Gender

  1. 288 Seiten
  2. German
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Frau - Männin - Menschin

Zwischen Feminismus und Gender

Über dieses Buch

Wer heute zum Thema "Weiblichkeit" schreibt, wagt sich in ein Minenfeld unterschiedlichster Standpunkte. Doch auch in der Diskussion um Gender und Feminismus ist die Frauenfrage nicht allein eine Frage weiblichen Selbstverständnisses, sondern ebenso eine von Geschichtsdeutung und Selbstverständnis des Menschen. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz definiert das "Frausein" nicht biologisch, sondern kulturell. Sie stellt kritische Anfragen und bringt aus christlichem Kontext neue Denkanstöße in die Diskussion ein. Ihr Fazit: Die Frau ist weder Männin noch Menschin, sie ist Frau.

Häufig gestellte Fragen

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Information

III. Kultur der Geschlechter, Kultur des Geschlechts: Zu einem europäischen Endlosthema

1. Efeu und Eiche: Symboliken für Frau und Mann

1789, im Jahr der Französischen Revolution und in der Hoch-Zeit der Aufklärung, erschien ein Buch Väterlicher Rat für meine Tochter. Väterlicher Autor war der Verleger und Schriftsteller Johann Heinrich Campe (1746 – 1818), aufgeschlossener Zeitgenosse Kants und der bedeutendsten philosophischen Strömungen Europas dieser Jahre. Sein Buch zielte laut Vorwort vornehmlich auf „junge Frauenzimmer des glücklichen Mittelstandes“ und ergab als Fazit: „Gott selbst hat gewollt, und die ganze Verfassung der menschlichen Gesellschaft auf Erden, so weit wir sie kennen, ist darnach zugeschnitten, daß nicht das Weib, sondern der Mann das Haupt seyn sollte. Dazu gab der Schöpfer in der Regel dem Manne die stärkere Muskelkraft, die straffern Nerven, die unbiegsamern Fasern, das gröbere Knochengebäude; dazu den größern Muth, den kühnern Unternehmungsgeist, die auszeichnende Festigkeit und Kälte, und – in der Regel meine ich – auch die unverkennbaren Anlagen zu einem größern, weitblickenden und mehr umfassenden Verstand.“ Quintessenz war schließlich: Der Mann sei „die Eiche, sie der Epheu, der einen Theil seiner Lebenskraft aus den Lebenskräften der Eiche saugt, der mit ihr in die Lüfte wächst, mit ihr den Stürmen trotzt, mit ihr steht und mit ihr fällt – ohne sie ein niedriges Gesträuch, das von jedem vorübergehenden Fuß zertreten wird.“82
Was hier zum Lachen reizt, gehört zu jener eigentümlichen Bildlichkeit, die auch die viktorianische Romanwelt des 19. Jahrhunderts noch genüsslich pflegte: die Frau als zart-schönes Geschöpf, das bei Gelegenheit in Ohnmacht fällt, der Mann als der starke Arm, der sie dabei auffängt. Trotzdem ist es zu leicht, sich aus dem Abstand von 200 Jahren über diese poetischen Klischees erhaben zu fühlen. Zu leicht wäre auch der Schluss gezogen, die Frauen wären noch zu Ende des 18. Jahrhunderts schlechthin efeuartig gehalten worden. Warum muss Campe mit langen Argumentationswindungen das töchterliche Ideal festigen? Weil die Tochter schon längst anderes wittert: Knapp nach des Vaters betulichen Ratschlägen verkündet 1791 Marie Olympe de Gouges in Paris eine Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne – in genauer Übernahme der französischen Menschenrechtserklärung („Männerrechtserklärung“) von 1789. De Gouges wird ihre nur 17 Artikel umfassende, aber bahnbrechende Erklärung nicht mehr theologisch, sondern ontologisch begründen: Im Pflanzen- und Tierreich stünden die Geschlechter zueinander in Harmonie und Symmetrie. Die unmittelbare Übertragung auf die menschliche Welt kann als ideelle Grundlage der Frauenrechtsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts gelten. Weder Eiche noch Efeu, sondern das gemeinsam Menschliche und die darin wurzelnden „natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Frau“ bilden den Kern von de Gouges’ Erklärung. Denn: „Wenn die Frauen ein Recht auf das Schafott haben, so haben sie auch ein Recht auf die Tribüne.“ Wenn auch der Gedanke der Rechtsgleichheit schon im nachrevolutionären Frankreich als „unweiblich“ verworfen war und de Gouges sogar tatsächlich geköpft wurde, so sprang doch der Funke europäisch sofort über in eine längst aufnahmebereite Mentalität; bereits ein Jahr später verfasste die Engländerin Mary Wollstonecraft (1759 – 1797) A Vindication of the Rights of Women (1792). Es ging um gleiche Rechte, nicht mehr um ergänzende Tugenden, die auf einer anthropologischen Metaphysik über das polare „Wesen“ von Frau und Mann aufbauten.83
Bevor Campe allzu rasch in „rückschrittlich“, de Gouges und Wollstonecraft in „fortschrittlich“ eingeteilt werden, bedarf es der Koordinaten solcher Wertung. Erst wenn Herkunft und Motive einer Denkhaltung bekannt sind, lässt sich über ein Fortschreiten reden. In der Geschlechterfrage handelt es sich um ein ebenso erregendes wie unabgeschlossenes Kapitel der Geistesgeschichte – hier verschränken sich Philosophie und Theologie unmittelbar mit Handeln, Kultur und Ethik, mit Glück und Unglück des Alltags. Wenn im Folgenden der knappste Überblick aufgerufen wird, so in der Hoffnung, dass er nicht klischiert wirkt; alle Daten könnten ihrerseits noch auf Begründungen im Gesamt der Lebenswelt zurückgeführt werden.

2. Das Vorfeld: Die Querelle des femmes

Die neuzeitliche Deutung des Geschlechterverhältnisses fußt auf zwei Quellen: dem klassisch-antiken Erbe der Philosophie und dem jüdisch-christlichen Impuls. Wo es in der griechischen Antike einen Ansatz zur Theorie des Menschen gibt, meint sie den Menschen als freien, geistbestimmten Mann. Die Frau, gyne, ist zuallererst, anschaulich und sinnenfällig, Mutter der Kinder und Verwalterin des oikos, des häuslichen Innen – hier liegen ihre Macht und Reichweite. Zu einem weit schmaleren Teil und nur an die Jugendjahre gebunden, ist sie Trägerin des Eros und der Schönheit; allerdings übernimmt in der athenischen Hochkultur auch der Jüngling diese Qualitäten. Zu einem geringen Teil kann sie auch Trägerin des Geistes sein – so Diotima, die Lehrerin des Sokrates, und andere Philosophinnen, wobei die spätantike Neuplatonikerin Hypatia von Alexandria (gest. 415) sich „vermännlicht“ im Sinne von „vergeistigt“ und ihre Weiblichkeit als widergeistig verneint. Vorwiegend bleibt die Frau der antiken Hochkulturen jedoch fruchtbare Gebärerin, mater foecunda möglichst vieler Kinder, sexuell ein Gegenstand irritierender Faszination, magische Verwalterin lebendiger und tötender Kräfte des Unbewussten, unentbehrliche Dienerin und Unterworfen-Willenlose, Kultsymbol ohne eigene Züge (wie in den Fruchtbarkeitsriten) – in jedem Fall ein Wesen ohne eigene Individualität und Freiheit des Selbstseins.84
Schon das Judentum, massiv dann das Christentum brachten eine geistesgeschichtlich bis dahin unbekannte Komponente ein: Frau und Mann als gemeinsames Bild des göttlichen Ursprungs. Grundsätzlich gilt, dass die biblische Denkweise das Menschen- wie Gottesbild entscheidend dahin klärt, dass es beide Bilder ihrer üblichen magisch-mythischen Dämonie entkleidet. Dieser rasch hingesagte Satz bildet die erstaunliche Geschichte der geistigen und kulturellen Entwicklung insbesondere Europas, und diese Dramatik umfasst zugleich den Durchbruch zu einem Frauenbild, das nicht mehr vom Triebbereich des Geschlechts und der damit verbundenen (magisch-unbewussten) Macht, aber auch nicht mehr allein von seinen kompensierenden Aufgaben zu Entlastung oder Genuss des Mannes bestimmt ist. Vielmehr leistet dieser Ansatz – gerade in der großen Ouvertüre der Genesis – die entscheidende Formulierung von Menschlichkeit, Personalität, Identität, und zwar gleichermaßen für den Mann wie für die Frau. Diese Richtung (Richtung auch zu hören als Gericht über die andersartige soziale Wirklichkeit) setzt sich fort über die in der Spätantike einzigartige Stelle des Paulus über die Einheit der Geschlechter in Christus (Gal 3,28). Den letztgültigen Maßstab findet diese Auffassung in der Gestalt Jesu, seiner tatsächlich gleichwertigen Behandlung von Frau und Mann im Blick auf das Gottesreich.85 Es scheint, dass die erste urkirchliche Generation diese Gleichwertigkeit nach dem Tode Jesu in Tat und Gedanke umzusetzen suchte, wenn man die berühmte Namens- und Funktionsliste des Paulus am Ende seines Römerbriefes erwägt.86
Alltags- wie Rechts-Praxis des Abendlandes mussten allerdings weithin anders als theoretisch grundgelegt bei der Inkulturation der christlichen Botschaft in höchst verschiedene Gesellschaften erst bearbeitet werden. Patriarchale Züge im mediterranen Raum, matriarchale Züge bei den germanischen und slawischen Stämmen werden nicht schlagartig eliminiert, sondern einbezogen, müssen sich allerdings immer unterscheidend messen lassen an dem neu eingeführten Maßstab. Auf jeden Fall setzt das Christentum das wichtige Modell der nicht in familiären Bindungen lebenden Frau durch, die sich einem Orden angliedert und dem Karitativen und dem Gebetsleben zugeordnet ist – auch in der Form der Mitsorge und Stellvertretung. Gerade die Frauenklöster bieten eine bemerkenswerte Öffnung zu geistiger wie musischer Betätigung und rechtlicher Unabhängigkeit der Frau – ein noch zu wenig ausgeschöpftes Kapitel der Kirchengeschichte. Im Übrigen sind auch die anderen weiblichen Lebensformen keineswegs rechtlos, wie ein unausrottbares Klischee behaupten will.87
So wird der jüdisch-christliche Grundsatz erlöster Menschlichkeit von Frau wie Mann nicht mehr vergessen. Seine mühevolle, sich langsam ausformende Dynamik braucht allerdings Jahrhunderte, bis sie sich aus der eher religiösen Sphäre (Gleichwertigkeit vor Gott, manifest in der besonderen Verehrung heiliger Frauen) auch in der Gesellschaft, der Politik, dem Recht, den Wissenschaften, dem Alltagsleben zu Wort meldet.
Die Frage nach der Ebenbürtigkeit von Mann und Frau wird in der Neuzeit an der Forderung nach erweiterten weiblichen Lebensformen dingfest gemacht und religiös unterbaut, und zwar mit biblischer Bezugnahme. Die Diskussion leitet sich ein mit der berühmten Querelle des femmes des 15. bis 18. Jahrhunderts, die – wie die Bezeichnung verrät – zunächst vor allem in Frankreich ausgetragen wurde, dann aber auf Deutschland und Italien übergriff.88 An ihrem Beginn steht der Name von Christine de Pizan (1364 – um 1430), die mit ihrem Konzept einer Cité des Dames von 1404/05 gegen den süffisanten Ton des „Rosenromans“ ein durchgängiges europäisches Thema intoniert.89
Die Querelle hat zum Gegenstand eine Bestimmung des Wesens der Frau, in Weiterführung der scholastischen, biblisch gestützten Argumentation, aber unter Einbeziehung antiker Quellen, neuer Bibelauslegungen (Entschärfung des Eva-Bildes!) und rationaler, auch naturrechtlicher Bestimmungen. Eines der vielen Argumente lautete: Adam sei aus Lehm (lutus) geschaffen, Eva aber aus Fleisch; er als Erstgeschaffener sei ein Entwurf, sie als Zweitgeschaffene das vollendete Werk. Die Stellungnahmen von Männern wie von Frauen schwanken jedoch zwischen der These, dass Frauen die besseren Menschen seien, und der gehässigen (allerdings ironischen) Anfrage, „Ob die Weiber Menschen seyn oder nicht?“ Dazwischen liegt eine Fülle anderer, auch ausgewogenerer Behauptungen, die sich um ein Gleichheits- oder Polaritätsmodell gruppieren und weniger um Unter- oder Überlegenheit.
Christine de Pizan, von italienischen Eltern aus Venedig an den Hof Charles’ V. nach Paris gebracht, von ihrem Vater ausgebildet, durch den Ehemann in den unmittelbaren kulturellen Umkreis des Königs eingedrungen, wird nach dem Tode von Vater und Mann ihre Familie ernähren müssen; sie gilt als erste Berufsautorin Frankreichs. Theoretisch anspruchsvoll formuliert sie in der Cité des Dames, aber auch in späteren, teils autobiografischen Schriften eine Anthropologie der Frau. Im Übrigen lässt sie sich gerade in diesem Manuskript bereits als Intellektuelle in ihrem Studio voller Bücher mit allen Ausstattungen und Hinweisen auf ihren gelehrten Status abbilden; ihr Selbstbewusstsein drückt sich auch in dem häufigen „je, Christine“, „ich, Christine“, aus.
300 Jahre vor der Aufklärung wird Christine de Pizan eine Stadt mit Hilfe der Dame Raison errichten und sie ausschließlich für Frauen zugänglich machen. Elemente des immer noch nicht hinreichend interpretierten Werkes sind Exempla, beispielhafte Geschichten über Frauen, welche sich später verschiedentlich in den sogenannten Frauenkatalogen – im Übrigen einer nicht zu unterschätzenden Geschichtsquelle – wiederfinden. Es geht dabei um die theoretische Kapazität, also den gleichen Intellekt von Frauen, insbesondere aber um ihre ethischen Vorzüge in der Widerlegung angeblich weiblicher Schwächen und Fehler. Christine scheut sich nicht, bereits vorhandene Geschichten hermeneutisch in einen anderen Kontext zu stellen und insbesondere die Bewertung von Verhaltensweisen weitgehend zu ändern. Insofern kann sie als eine der ersten Entdeckerinnen des Zusammenspiels von Identität und historischem Kontext gelten. Um dies deutlicher zu konturieren, sei hingewiesen auf ihre Behandlung der Frage: „Ob es Gott jemals gefallen habe, den weiblichen Verstand durch die Erhabenheit der Wissenschaften zu adeln; ferner die Antwort, die Frau Vernunft daraufhin gibt“ (Kap. XXVII). Hier gelingen vier theoretisch bemerkenswerte Erhellungen aufgrund von Historisierung: Frau Raison beklagt erstens die geschichtliche Vernachlässigung der Frauenbildung. Zweitens arbeitet sie mit Kompensation: Wenn schon Frauen körperlich unterlegen sind, so kompensieren sie es durch Geist, Tugenden, Religion. Drittens benennt sie die Beschränkung weiblicher Lebenserfahrung auf das Haus (Christine erfuhr selbst eine Zurücksetzung durch ihre Mutter in ihrem Studiendrang). Viertens folgert sie, falls diese historischen Einschränkungen entfallen würden, eine ebenbürtige Intelligenz von Frau und Mann, wie sie sich bereits innerhalb verschiedener sozialer Klassen feststellen lasse. Die Differenz der Geschlechter sieht sie am intensivsten in der Biologie, und dort freilich unüberholbar festgeschrieben; dennoch habe diese Differenz einen deutlichen Ausgleich durch die geistigen Qualitäten der Frau erfahren. Wo dieser Ausgleich nicht stattfinde, sei eine geschichtliche und soziale Vernachlässigung solcher Qualitäten am Werke, nicht eine Wesensdifferenz von weiblicher und männlicher Grundausstattung.
Die Frage nach dem Intellekt findet also um diese Zeit bereits egalitäre Antworten, während die Frage nach dem „Gutsein für“ (nicht moralisch, sondern funktional gedacht) zu einer Unterscheidung von Mann und Frau führt, die relativ festgeschrieben durch die Jahrhunderte tradiert wird. Diese Unterscheidung wird teils empirisch (biologisch) vollzogen oder stützt sich auf die biologischen Fakten. Bedeutsamer aber ist, dass die leibliche Vorgabe in der Regel metaphysisch gedeutet und durch die Biologie gleichsam erhärtet wird: Frau als Empfangende, Passive, Materielle, Sinnliche . . .
Dabei verklammert sich die Wesensfrage auch und schon zu Beginn der Neuzeit mit der Religion, denn die Empirie wird vorrangig im Deutungsrahmen der Religion geordnet. Die Anthropologie von Frau und Mann konnte also zureichend nur in einem Blick auf die Theologie, genauer auf die Theomorphie des Menschen erhellt werden. Es ist deswegen eine bedeutende theoretische Leistung der frühen Neuzeit, die Adam-Eva-Deutung neu zu bewerten und eine neue Exegese mit dem Ziel der Entlastung Evas zu entwickeln. Der erste bekannte Versuch dieser Art verdankt sich der italienischen Humanistin Isotta Nogarola mit ihrem Essay Über die gleiche oder ungleiche Sünde Evas und Adams von 1451. Es handelt sich um einen Dialog, dessen weiblichen Part sie selbst vertritt, wobei sie mit dem Argumentationsschema dabei auf eine merkwürdige Weise Eva sowohl entlastet wie zugleich an ihrer untergeordneten Stellung festhält. Sie geht nämlich zunächst von der Prämisse aus, Adam wäre das vollkommene, Eva das unvollkommene Lebewesen, „ihrer Natur nach schwach, unwissend, unbeständig“. Gerade deswegen aber sei ihre Haltung weit weniger sündhaft, weil unreflektiert, weil unbeabsichtigt, in gewissem Sinne von ihrer gottgewollten Natur geleitet. Isotta wendet zum ersten Mal ein Verfahren an, das in der Querelle später zu einer scharfen Argumentationsfigur zugeschliffen wird: die Voraussetzung des Gegners zu teilen und daraus mit Hilfe beiderseits anerkannter Logik Gegenteiliges zu folgern. Damit sind weder die heiligen Texte noch die Instrumentarien ihrer Auslegung angegriffen: Beides bleibt bestehen, wird aber immanent, von einer anderen Zielrichtung her anders akzentuiert.90 Auf dieser Grundlage kann die Diskussion letztlich nur offen enden. Der Gesprächspartner Ludovicus weicht der Schlussfolgerung aus und vertritt die gewohnte Position: größere Schuld Evas, weil größere Schwäche; Isotta bleibt bei der Theorie: kleinere Schuld, eben weil größere Schwäche.
Im 16. Jahrhundert beginnt Deutschland in den Streit einzutreten mit der Verteidigungsschrift des Agrippa von Nettesheim, Declamatio de nobilitate et praecellentia Foeminei sexus (1529). Dem Spanier und Converso Juan Luis Vives (1492 – 1540) verdankt sich eine – vor dem Hintergrund der Zeit frauenfreundliche – Schrift zur Erziehung der (adeligen) Frau, De institutione feminae Christianae (1529), worin ihr umfassende Bildungsmöglichkeit eingeräumt und zugleich weiblich-besondere Funktionen zugewiesen werden. Jedoch verstärkt das 16. Jahrhundert die Inferioritätsthese in Deutschland wie in Italien. Zeitgleich ist zwischen 1590 und 1630 übrigens der Höhepunkt der Hexenverfolgung im europäischen Maßstab zu verzeichnen. In deutscher Fassung erschien 1618 der Titel „Ob die Weiber Menschen seyn oder nicht?“ (1595 lateinisch) mit der aberwitzigen Behauptung, den Frauen sei nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch das Erlöstsein durch Christus abzusprechen. Der Dialog stützt sich auf das gesamte vorhandene Arsenal von der natürlichen Verfehltheit der Frau, sei es biologisch, psychisch oder geistig. Das „lustig Gespräch“ ist von einer so durchgängigen Absurdität, dass man in der Forschung davon ausgeht, der Autor habe, wie bereits im Vorwort erkenntlich, überhaupt die Unsinnigkeit der ganzen Fragestellung durch seine Übertreibungen bloßstellen wollen. Da der Anonymus zweifelsfrei als Valerius Acidalius (1567 – 1595) identifiziert wurde und sein Lebenslauf – deutscher Latinist mit Ausbildung in Italien – einen an sich klugen Kopf vorstellt, ist der These zuzustimmen, dass er mit der Disputatio eine Verunglimpfung der protestantischen Diskutierweise seiner Zeit habe verfassen wollen. Die Rezeption der Schrift greift jedoch nicht auf diese subtile Absicht zurück, vielmehr erweist sich ihre Argumentation als eine auf den naiven Leser unmittelbar wirkende Quelle.
Ende des 16. Jahrhunderts begibt sich auch Italien, insbesondere Venedig, in die Arena solcher Anwürfe. Zwei einflussreiche Schriften verstärkten die Aussage über die dämonische Natur der Frau. Giuseppe Passi lieferte mit I donneschi diffetti, Die Fehler der Frauen, eine Blütenlese böswilliger Zitate von den Kirchenvätern bis zu seiner Gegenwart, worin ein bestimmtes Laster mit einem historischen Beispiel und einer biblischen Geschichte gekoppelt wird. Die Beispiele sind ausschließlich weiblich, während die Kur vom Laster durch Tugenden des Mannes besorgt wird. Offensichtliches Ziel ist es, eine bereits theoretisch behauptete und zuweilen in Anspruch genommene Unabhängigkeit der Frau als unethisch zu erklären und in der Abhängigkeit vom Mann das einzige, auch religiös und historisch gesicherte Mittel der Zähmung der Frau zu preisen. Sein Zeitgenosse, der Abt Tondi, verfasste die noch gehässigere Schrift La femina origine d’ogni malo, Die Frau – Ursprung jeden Übels: Die Frau tut nicht das Böse, sie ist das Böse. Die Polaritätsthese der Geschlechter lässt hier nicht nur die einfache Aufteilung von Gut und Böse zu. Sie zwingt auch zur Aufspaltung der Polarität zur Dualität: Der Mann ergänzt sich nicht an der Frau, er hat sie schlechthin zu meiden.
Um 1600 werden in Venedig drei Frauen – Lucretia Marinella, Moderata Fonte und Arcangela Tarabotti – in unmittelbarer Reaktion darauf die Superioritätsthese der Frau über den Mann in Anspruch nehmen. Diese betont einseitigen Antworten sind als leidenschaftliche Gegenwehr gegen eine historisch überwiegende Betrachtung der Frau als inferiores Wesen verfasst. In der Schrift Le nobiltà delle donne (. . .), Über die Vorzüge der Frauen der Venezianerin Lucretia Marinella (1561 – 1653) wird der Mann überhaupt finalisiert auf die Frau hin begriffen, „um aus seinem Körper die Frau zu schaffen“. Marinella will metaphysisch die Gö...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhalt
  2. Einleitung: Gang durch ein Minenfeld?
  3. I. „Herkunft bleibt Zukunft.“ Frau und Mann: Ein Gang durch Kulturen und Religionen
  4. II. Es lebe doch der Unterschied!? Zum Spannungsfeld Christentum und Feminismus
  5. III. Kultur der Geschlechter, Kultur des Geschlechts: Zu einem europäischen Endlosthema
  6. IV. Fließende Identität? Gender – eine Theorie auf dem Prüfstand
  7. V. Personsein in Mann und Frau: Eine Annäherung
  8. VI. Fragen an die feministische Göttin: Zurück zu Hypotheken der Vergangenheit?
  9. VII. Nachdenkliches zu Ordination oder Nichtordination der Frau
  10. VIII. Ja und Nein zusammen: Keuschheit und Geschlecht
  11. Anmerkungen