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Trauer erschließen
Eine Tafel der Gezeiten
- 220 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
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Trauer erschließen
Eine Tafel der Gezeiten
Über dieses Buch
Ruthmarijke Smeding stellt hier erstmals in Deutschland ihr Modell der Trauer und der Trauerbewältigung mit ihrer ersten umfassenden Buchpublikation vor. Sie ist wohl national und international die bedeutendste Fachfrau in allen Fragen und Theorien rund um die Trauerbewältigung. Wird von dem Bundesverband der Hospize in Deutschland (Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V.) zu Schulungszwecken empfohlen.
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Information
I.
Wenn Kinder sterben
Du hast ein Grübchen in meine Seele gedrückt...1
Von Ruthmarijke Smeding
Neuere Forschungsergebnisse im Arbeitsgebiet der pädiatrischen Palliative Care
Die pädiatrische Palliative Care bezieht sich auf Kinder mit AIDS, auf neonatale Sterbefälle, Kinder mit neurologisch bedingten Krankheiten (z.B. Batten-Spielmeyer- Vogt; neurologisch progressiv verlaufende Krankheiten, usw.; den ganzen Bereich der Stoffwechselkrankheiten, sowie Krebs, Herzkrankheiten usw.). Obwohl man z.B. Krebserkrankungen bei Kindern zunehmend therapieren kann, bleibt auch hier eine Gruppe, die früher oder später den Weg gehen muss, für den die pädiatrische Palliative Care spezielle Kenntnisse sammelt. Eine letzte Gruppe im Feld der pädiatrischen Palliative Care sind Kinder – im Folgenden nur sehr kurz mittels des Todes eines kleinen Jungen angesprochen –, die bei post-traumatischen Situationen sterben, z.B. nach einem Unfall.
Diese Anzeige fand ich in einer niederländischen Zeitung. Das königliche Kind trägt in seinem Mantel eine Todesanzeige. Die Eltern, sein Bruder, seine Großeltern und noch viele andere gaben mit folgenden Worten bekannt, dass es vom 30. März bis 15. April 2001 einen kleinen Jungen namens Austin Zwetsloot gegeben hat: „Tschüss, mein wunderschönes Königskind, so lieb und so gelassen, Deine Wärme strahlte so tapfer bis plötzlich die Sonne verschwand. Aber am dunklen Himmel, wenn man nach rechts oben schaut, sieht man ein ganz kleines Sternlein, das sein Licht auf uns scheinen lässt...”2

Auch in deutschen Zeitungen findet man heutzutage ähnliche Anzeigen: Ein Leben von „nur“ 14 Tagen oder gar nur einen Tag? Es gibt Tage, an denen mehr Fragesätze als Antworten gesprochen werden. Es sind angefragte Tage – Fragen vom Leben, über das Leben.
Eine unserer wichtigsten Fragen hinsichtlich von Palliative Care wird dabei immer sein: Wie und wo erlebte diese Familie so prägende Tage? Was geschah? Die Trauer, die ein so kurzes Menschenkinderleben betrauert, wird nicht selten unterschätzt. Gute Betreuungsmodelle, so wie ich diese z.B. in der Augsburger Kinderklinik kennen lernte, suchen spezifisch nach Möglichkeiten der ganzheitlichen Betreuung dieser Eltern. Pädiatrische Palliative Care als Hauptbestandteil der Begleitung und Begegnungen zielt auf eine heterogene Gruppe von Krankheitsbildern. Hier gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch krankheitsspezifische Aspekte. Allen Betroffenen gemeinsam ist die Unheilbarkeit. Speziell in der pädiatrischen Palliative Care liegen schon viele Erfahrungen mit multi-disziplinärem Arbeiten vor, sowohl inter- als auch infra-professionell, sowie in der Zusammenarbeit mit den Familien. Hier will ich die letzte Phase der Krankheitsverläufe und die Zeit danach fokussieren, und zwar spezifisch nach Wissens-, Handlungs- und Reflektionsbreite der pädiatrischen Palliative Care. Meine Arbeit in der Palliative Care besteht aus der Suche nach Schulungskonzepten für diese Begleitung. Ich frage vor allem: Wie wird geschult, was wird geschult und wo und wer wird geschult? Der klinische Teil meiner Arbeit beginnt da, wo die Kliniken oft abgeben (müssen): in der Begegnung von Tod und Leben und dem langen Weg danach. Meine Erfahrungen aus diesem klinischen Standbein erlauben mir eine „Rückübersetzung“ auf die Schulungskonzepte. Letzteres bewegt sich zunehmend in Richtung präventivem Denken, d.h.: Die Verstorbenen weiterhin ehren, indem wir aus der Begleitung und Sorge, welche sie bekamen, noch weiter lernen und eine nächste Begleitung an dem Gelernten verbessern oder qualitativ auf demselben Niveau überwachen. Es müssen ja noch weitere einen ähnlichen Weg gehen. Erfahrungsreflexion, Analyse, Interpretation, aber auch zunehmend Forschung an größeren Gruppen sind dabei wichtige Rückmeldungsmechanismen.
Definition von Palliative Care
Der Begriff Palliative Care3 hat auch im Deutschen Einzug gehalten. Diejenigen, die diese Art Care ausführen, möchte ich hier als „Carer“ bezeichnen. Das enthebt mich der Notwendigkeit, immer alle Bereiche aufzuzählen, die in der Palliativ Care aktiv sind: Medizin, Krankenpflege, Psychologie, Sozialarbeit, Seelsorge, Ehrenamt. Um einige der Aufgaben, die diese Carer gemeinsam haben, in den Fokus zu nehmen, ist die WHO-Definition von Palliative Care von Bedeutung: „Palliative Care ist die aktive ganzheitliche Begleitung (Care) eines Patienten in dem Krankheitsstadium, in dem dieser nicht mehr auf eine kurative Behandlung reagiert und die Kontrolle der Schmerzen und anderer Symptome, sowie die psychologische, soziale und spirituelle Problematik im Vordergrund stehen. Ziel von Palliative Care ist die höchstmögliche Lebensqualität, sowohl für den Patienten als auch für seine Angehörigen. Palliative Care unterstützt das Leben und betrachtet Sterben als einen normalen Prozess. Palliative Care zielt auf Schmerzfreiheit und Linderung anderer belastender Symptome; sie integriert physische, psychische und spirituelle Aspekte der Patientenbetreuung, hilft dem Patienten, damit er bis zum Tode so aktiv wie möglich leben kann, und unterstützt die Familie, damit diese bis zu seinem Tode mit der Krankheit sowie nach seinem Tode mit der Trauer (bereavement) umgehen kann.“ (aus: World Health Organisation: Cancer Pain Relief and Palliative Care. Technical Report Services 804, Genf 1990) Die hier genannten „physischen, psychischen und spirituellen Aspekte“ verlangen Berufswissen und Können, das in der westlichen Gesundheitswelt auf unterschiedliche Berufe verteilt ist. In den Kursen „Trauer erschließen“ wird auf die Nahtstellen der verschiedenen Berufsgruppen mit den Trauerwissenschaften geschaut, so dass diese Konzepte ihren reflektierten Platz in den Handlungsschemen bekommen können.
Einzigartige Aspekte der (pädiatrischen) Palliative Care
Die weiteren in der obigen WHO-Definition hervorgehobenen Worte weisen dann auf drei meines Erachtens einzigartige Aspekte der Palliative Care (nicht nur der pädiatrischen) hin:
- Palliative Care bezieht sich auch auf den menschlichen Kontext, in dem der Patient sich befindet.
- Palliative Care definiert sich inklusive dem Tod.
- Palliative Care bezieht sich auch auf die durch den Todesfall ausgelöste Trauerperiode.
Die Trauer der Carer kommt in dieser Definition nicht vor, sie spielt jedoch ebenfalls eine wichtige Rolle bei Palliative Care. Wie wir sehen werden, war diese auch Ziel einiger Untersuchungen.
Der menschliche Kontext
1. Das kranke Kind
Die krankheitsbedingten Faktoren der pädiatrischen Palliative Care sind (in Deutschland und anderswo) von Ärzten zu bearbeiten. Immer wieder hört man, dass es da beispielsweise im Feld der Schmerzerforschung bei Kindern mangelt.4 Meine Lehraufgaben liegen mehr im Bereich des Umgangs mit dem Kind: „Jedes Kind hat ein Anrecht auf ehrliche, persönliche, taktvolle und nicht ausweichende Antworten.“5 Diese Aussage aus dem deutschen Raum unterstreicht eine angloamerikanische Studie.6 Die Forschergruppe hat die Mythen und Realitäten im Bereich Kinder und Tod aufgelistet und viele der herrschenden Einstellungen in Frage gestellt. Selbstverständlich sollte die Care-Einheit richtungs- und tempoweisend sein. Dabei sind neben dem Alter des Kindes viele weiteren Faktoren zu berücksichtigen. Die Grundhaltung besteht in einem offenen, nicht schonenden Umgang mit den kranken Kindern. Dies betonen auch andere Untersuchungen. Die nachstehenden Beiträge von Beate Ergenz und Erika Müller, sowie von Hubertus Busch zeigen in Bezug auf unterschiedliche Berufsgruppen, wie das eigene „Carer-Sein“ und der mutige, offene Umgang mit Menschen am Ende des Lebens von den Professionen selbst in Einklang gebracht werden. Das Wort „Umgang“ verdeckt die in diesen Beiträgen umgesetzte, berufsbezogene Frage nach einem befähigenden Umgang. Ein solcher Umgang gehört in der Palliative Care zunehmend zum normalen Konzept.
Gerade in der pädiatrischen Palliative Care ist das multi-disziplinäre Arbeiten schon jahrelang entwickelt worden. I. Byock7 vergleicht die Stadien des Sterbens mit denen der Entwicklung eines Kindes. In einem aktuellen Artikel beschreibt er, dass die Art der Begleitung bei pädiatrischen Krankheiten zu einer Ethik tendiert, die das Ausdehnen favorisiert und insofern eine „addierende Ethik“ darstellt.8 Dagegen bezeichnet er unsere kleinliche Art, mit alten sterbenden Menschen umzugehen, als eine sich verengende („subtrahierende“) Ethik. In diesem Sinne finden sich also in der Pädiatrie schon viele günstige Ausgangspunkte, die für die Palliative Care vorbildlich sein könnten.
2. Die Eltern
In diesem multi-disziplinären Gefüge sind Eltern von schwerstkranken Kindern auch in Deutschland schon sehr lange Teil des pädiatrischen Teamworks. Die Frage nach einem befähigenden Umgang ist jedoch auch weiterhin in der Forschung und Beschreibung zu reflektieren. Eltern können für den Weg, der vor ihnen liegt, nach den richtigen Worten und den adäquaten Handlungsweisen mitsuchen. So lernen sie zum Beispiel in und von den oft krankheitsspezifischen Elterngruppen.
Barbara Monroe, Sozialarbeiterin und jetzige Direktorin des St. Christopher’s Hospice in London, sagte zu den Begegnungen mit Eltern sterbender Kinder: „Ich kenne keine Gruppe, die unter derartig schweren Umständen so schnell lernt wie die Eltern kranker Kinder.“9 Eine Studie über die Erfahrungen von Eltern in fünf Ländern zeigte mehr Übereinkünfte als Unterschiede.10 Trotz geografischer und kultureller Unterschiede (die befragten Mütter wohnten in Kanada, Griechenland, Hongkong, Norwegen und den USA) ging es diesen Müttern hauptsächlich um ein Thema: die Kommunikation. Die Notwendigkeit “so lange wie möglich, egal wie“ war dem Bedürfnis nach menschlichen Interaktionen untergeordnet. Eine weitere Studie von D. Papadatou11 zeigte, dass es Eltern auch nicht um das Streicheln oder Küssen ihrer Kinder als Zeichen der Zugewandtheit geht. „Das können wir selbst”, sagen diese Mütter. Sie brauchen vielmehr Mitleben, Dasein, Antworten und Begleitung auf dem wohl schweren, aber unvermeidlichen Weg. Zwei Aussagen aus einer Studie von B. Davies u.a. bestätigen dieses: Mütter waren (mehr oder weniger) zufrieden. Diese Zufriedenheit nahm aber zu, sobald die Professionalität ihnen gegenüber auch nur das kleinste Zeichen von Menschlichkeit zeigte. Weiterhin zeigte diese Studie, dass alle Mütter es als Unterbrechung der Care ansahen, wenn das Kind nach Hause kam. Sie fühlten sich dann vom Krankenhauspersonal ,verlassen’. Denn das Nach- Hause-Gehen zum Sterben bedeutete ein Bruch in der Versorgung.12 Neue Modelle, wie z.B. im Augsburger Nachsorgemodell erlauben das Unterbinden der Folgen dieser Veränderung der Umgebung.13 Wenn ein Kind krank wurde, konnten die meist noch jungen Familien in ihrem Leben bis dahin kaum adäquate Handlungsweisen entwickeln für das, was danach auf sie wartet. Auch die Carer sind oft jung, aber im Gegensatz zu diesen jungen Familien haben sie, zumindest im klinischen Bereich, bereits entsprechende Erfahrungen gemacht, waren regelmäßig und wiederholt mit dem Ende von Krankheitsverläufen konfrontiert.
Familien suchen nach Hilfe beim „Lernen des Umgangs mit dem Unausweichlichen”. Diese Suche ist auch in Studien klar dokumentiert: Manche suchen diese Lernmöglichkeit in der Selbsthilfegruppe, die man auch als moderne, jetzt temporäre Erscheinung der Großfamilie sehen könnte. Die Lernhilfe solcher Gruppen ist bekannt und auch in Deutschland für viele Krankheiten mit spezifizierten Gruppen organisiert. Fast alle publizierten Studien handeln von Müttern. In Bezug auf die Väter möchte ich für Vorsicht plädieren: Nicht nur automatisch auf diejenigen achten, die mit dem Kind zur Beratung kommen, oder „nur“ von denjenigen ausgehen, die zu Hause sind, wenn die kranken Kinder besucht werden.
Väter bringen nicht nur das Geld nach Hause – zu Hause pflegen kostet auch -, sondern sind auch fähig, bei der Versorgung ihres Kindes mitzumachen und im Austausch mit ihrem Kind eine Kraftquelle zu finden. Nach dem Tod bleibt die Trauer über den Verlust, aber bei (selbst gefundener oder moderierter) Befähigung auch das Wissen um das Geschenk der „ewigen“ Liebe, die ausgetauscht werden konnte. Die Liebe ist eine Quelle, die oft den weiteren Lebensweg der Hierbleibenden nährt, sie ist ein Schritt auf dem auch für Väter schweren Trauerweg. Janiks Pflege und Sterben nach einem schweren Unfall löste die Gründung des Kindeshospizes „Löwenherz“ aus, über das ebenfalls in diesem Band berichtet wird. Moulton Milo untersuchte in einer qualitativen Studie die Befähigung von 15 Müttern, die ihre Kinder nach kürzerer oder längerer Zeit durch Entwicklungsstörungen verloren haben.14 Die Studie unterstreicht den Wert kognitiver Coping-Mechanismen, die nach der Beschreibung von Moulton Milo förderbar, d.h.: lehrbar sind. Aus ihrer Studie geht eindeutig hervor, dass der Weg für die Mütter, die die Zeit hatten (oder sich genommen haben), den Verlust des idealen Kindes zu betrauern, einfacher war, als der Weg für jene, die an den „Tropf der Hoffnung“ gehängt wurden. Ein ähnliches Plädoyer formuliert M. Jonas.15
Die Mütter schwerstbehinderter Kinder berichten, dass ihre oft sehr tiefe Trauer um das verlorene ideale Kind neue Bewegungen auslöste, da das kranke Kind ja noch da ist! Sie empfanden es auch als hilfreich, wenn sie unterstützt wurden beim Beschreiben dessen, was ihnen denn jetzt helfe (und nicht: was ihnen fehle), und bei den Fragen danach, was das Kind in ihnen berühre, „wach küsse”. In einem Kurs für SozialarbeiterInnen, die Familien mit Muskeldystrophien begleiten, habe ich dies als „Meilenstein-Gespräche“ vorgeschlagen: Wenn deutlich wird, dass ein neues, tiefer liegendes Plateau erreicht wurde oder gerade ansteht. Hier gilt es, den Eltern zu helfen, damit sie das benennen können, was jetzt ist. Und es gilt der Frage, „Was würde in Ihrem Leben fehlen, wenn diese Person in Ihrem Leben nicht existiert hätte?” nachzugehen. Sie verweist auf das große Vermächtnis dieser Beziehung. Die Frage, „Was würde nicht mehr da sein, wenn diese Person jetzt nicht mehr da wäre?” erlaubt eine Art Abstufung: Es ist ein Gewahrwerden, ein Sich-Sicher-Sein, was immer noch ist, auch wenn Abstriche bei progressiver Krankheit hingenommen werden müssen. So entsteht ein anderes „Ordnen der Erfahrungen”. Dieses ist oft hilfreich bei der Bewältigung von Verlusten.
Das Lehren, das von den Professionellen im täglichen Umgang mit den Betroffenen als Impuls angeboten werden kann, braucht gezielte Reflexionen, bevor wir Modelle schulen. Natürlich läuft das auch schon längst in Deutschland. G. Strittmaier hinterfragt z.B. die Paradigmen bei der Krebsbegleitung: „Metastasierung und Progredienz verlangen nach Bewältigungskonzepten, bei denen Hoffnung nicht nur Hoffnung auf Gesundwerden bedeutet und Sterben nicht mit Versagen und Misslingen gleichgesetzt wird.”16 Wenn Mütter und Väter in der Begleitung ihrer kranken Kinder befähigt werden sollen, braucht es Lehr- und Lernorte für die Carer (Seminare, Kongresse, usw.). Sie müssen das familiäre Erleben von Sterben, Tod und Trauer nicht nur anerkennen, sondern auch Wege mit der Familie entwickeln, trainieren und reflektieren. Es geht darum, dass die Familie sich sicherer und befähigter fühlt, um diesen schweren Weg miteinander zu schaffen.
3. Die Geschwister
Bezüglich der Geschwister von sterbenskranken Kindern gibt es mehrere Studien, von denen ich zwei mit auf den ersten Blick entgegengesetzten Resultaten besprechen möchte: Eine finnische Studie verglich die Belastungen von Eltern und Geschwistern von Kindern, die schon während der akuten Therapiephase starben, und Kindern, die erst nach einer palliative...
Inhaltsverzeichnis
- Titel
- Titelseite
- Impressum
- Inhalt
- Vorwort
- Vorwort
- Einführung
- I. Wenn Kinder sterben
- II. Verlieren, verloren?
- III. Grenzübergänge
- Das Modell: „Die Gezeiten der Trauer“®
- IV. Die Schleusenzeit® Schleusen-Wächter® und Schleusenzeit-Wächter®
- V. Begleitung in Januszeit® und Labyrinthzeit®
- VI. Das Loch, in das ich fiel...
- VII. Die Regenbogenzeit®: Von Ambivalenz zu „Amphivalenz“
- VIII. Die Spirale der Gezeiten
- Das Modell lebt
- Aus-, Weiter- und Fortbildungen und ein Multiplikatorenkurs zum Trauererschließer®
- Autorinnen und Adressenliste
- Literaturverzeichnis