III.Die Strategie
Wer an die Spitze will, tut gut daran, seinen Aufstieg langfristig zu planen und dann kurzfristig zu handeln, wenn die günstige Gelegenheit da ist. Erfolg hat schließlich derjenige, der Organisationen schnell durchschaut, Geschäftsfelder richtig einschätzt, Chancen nutzt und nicht davor zurückschreckt, in eigener Sache disruptiv zu denken.
3.1Wie sie wurden, was sie sind
Radikale, innere Freiheit ist die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Weg bis ganz an die Spitze. Doch welches Marschgepäck brauche ich unterwegs? Mit welchen Strategien komme ich voran? In diesem Kapitel schauen wir uns die Biografien etlicher CEOs an, um zu verstehen, wie diese wurden, was sie sind. Wir gehen weg von der Hektik im Twitter-Format und denken über langfristige Perspektiven nach. Schließlich durchlaufen wir fünf Schritte in Richtung High Performance – vom richtigen Fundament für die große Karriere über das passende Sprungbrett zum Spitzenjob und die Kunst, Organisationen zu lesen bis hin zum disruptiven Denken in eigener Sache. Denn der beste Weg, mit dem eigenen Job eben nicht der Disruption zum Opfer zu fallen, ist der, genau diese Entwicklung mit Gedankenexperimenten vorauszusehen.
Kommt die fluide Organisation?
Allerorten lesen wir jetzt von einer Auflösung klassischer Konzernstrukturen zugunsten fluider und agiler Organisationsformen. Wer sich im Berliner Start-up-Milieu als Vordenker etablieren will, ist geradezu gezwungen, derartige Thesen zu formulieren.54
Auch ich lese sie mit Interesse – leider deckt sich aber so gut wie keine der formulierten Prognosen mit den Erfahrungen aus meiner Beratungspraxis. Zumindest in den von mir beratenen Unternehmen führt der Weg an die Spitze heute noch ausschließlich über die »alten« Strukturen, selbst dann, wenn sie sich einen jugendlichen Anstrich verpassen. Meine Erfahrungen aus jüngerer Zeit zeigen sogar, dass sich erfolgreiche Top-Manager aus Start-ups mit genau dem gleichen Habitus konfrontiert sehen, der schon in den 1980er und sogar in den 1960er Jahren en vogue war – und genau darüber stolpern.
Ich sehe es so: High-Performance-Strategien funktionieren nur dann, wenn sie die vielschichtige Entwicklung hiesiger Organisationsstrukturen in den Blick nehmen, die jeweiligen Spielregeln erkennen und mit leichter Hand darauf eingestellt werden. Dazu ein aktueller Fall aus meiner Praxis:
In Orange auf’s Abstellgleis
Er leuchtete. Mit seinem orangefarbenen T-Shirt zwischen all den seriös gekleideten Top-Managern der Automobilbranche wirkte er so wie ein Pausenclown auf einer VIP-Beerdigung: im falschen Film. Der Geschäftsführer des IT-Start-ups sah das nicht so. War er nicht hoch erfolgreich? Hatte er nicht Geschäftsmodelle neu aufgebaut, groß gemacht, an die Börse gebracht? Konnte er da nicht etwas aus der Reihe tanzen – mehr noch: Musste er das nicht sogar als Start-up-Guy?
In der jungen Firma herrschte beste Gründerstimmung: Man duzte sich, trank Smoothies, trug Kopfhörer, bunte T-Shirts und Hoodies, testete agile Managementmethoden und krempelte disruptiv den Markt um. Mit den Jahren wurde das Startup erwachsen, die Macher wechselten in die Ü-40-Liga, schließlich strukturierte der Mutterkonzern den ganzen Laden um: Er holte das agile Beiboot aus dem Wasser und entwickelte es weiter zu einer Yacht. Damit wurde es größer, leistungsstärker und … sehr viel schicker. Die Führungsmannschaft wechselte von Farbshirt plus Chino zu Anzug und Hemd minus Krawatte.
Nach und nach also stellten sich die Mitarbeiter um auf Business-Look. Nur der Chef nicht. Nach so vielen erfolgreichen Jahren und mit seinem sehr gut dotierten Jahressalär ließ er sich den Start-up-Spaß nicht verderben. Blieb bei seinem Style. Und kurz darauf komplett zu Hause.
Und nicht nur er. Nach und nach kegelte der Mutterkonzern alle Start-up-Manager aus dem Boot, die nicht ins neue Bild passten. Alle in gegenseitigem Einvernehmen, alle gingen mit der Überzeugung, dass ihre Smartphones schon am Tag danach heiß laufen würden: Nach dem Erfolg der jüngsten Jahre musste sich doch binnen Stunden herumsprechen, dass High Performer zu haben sind. Nach einem schönen Urlaub – so viel Zeit muss sein – wäre man demnächst High Perfomer im Valley, in Tel Aviv oder zumindest in Berlin-Mitte. Neuer Start-up-Job, alles auf Anfang. Super.
Das Alles-auf-Anfang-Gefühl war stark, die neue Freiheit nach Jahren harter Startup-Arbeit willkommen. Doch dann passierte das, was passieren musste: Nichts. Keine Anrufe, keine Mails, gar nichts. Die alten Business-Freunde meldeten sich seltener, das High-Performance-Umfeld bröckelte weg, die Familien wurden unruhig.
Dann klingelte endlich das Telefon, und zwar bei mir in Stuttgart. Am anderen Ende der Leitung war der Mann im orangefarbenen T-Shirt. »Sie haben zu lange gewartet, Sie sind nicht vermittelbar« – ich spulte mein übliches Repertoire ab, knallte den Hörer aber nicht sofort auf die Gabel. Ich hatte den Eindruck: Der kann was. Der will was. Der hat vielleicht strategische Fehler gemacht, aber jede Menge Potential.
Wenige Tage später saß er in meinem Büro. Ein cooler Typ – für eine Start-up-Karriere allerdings zu erwachsen, für eine Industrie-Karriere deutlich zu bunt und deutlich zu weit entfernt vom mittlerweile üblichen Marathon-Format. »Haben Sie eigentlich schon einmal über das Thema Habitus nachgedacht?«, stach ich mit dem Finger in die Wunde. Der Kandidat staunte. Und dachte nach.
In den kommenden Wochen sortierten wir Kompetenzen, Kontakte und mögliche Karrierewege. Ich unterstützte bei einem kompletten Makeover, engagierte einen Personal Trainer für die Fitness und einen Personal Shopper für’s Outfit.
Nach einem Dreivierteljahr intensiver Arbeit und nach vielen Feedbackgesprächen hatte der Kandidat das Maß seiner inneren Freiheit deutlich erweitert: Er sah sich jetzt nicht mehr nur als »der bunte Start-up-Typ«, sondern wählte das, was er darstellen wollte, je nach Anlass einmal so und einmal anders aus. Er hatte sich eine sehr viel größere Bandbreite an Habitusformen und an Rollen erschlossen, wirkte in jeder Fasson aber souverän und authentisch.
Dass er heute wieder an der Spitze steht, ist natürlich nicht seiner größeren Bandbreite an Oberbekleidungsfarben geschuldet, sondern vor allem seiner überragenden Kompetenz. Doch die lässt sich eben nur mit einem anschlussfähigen Habitus auf die Straße bringen. Bauchansatz und Knallfarben-Shirts können Karrieren killen.
Das ist der eine Fall, der mich in jüngerer Zeit erstaunt hat. Und jetzt der andere Fall – sozusagen das Gegenmuster.
Mit Magenta an die Spitze
John Legere, CEO von T-Mobile US, ließ sich noch im Jahr 2003 höchst seriös am Hochglanztisch ablichten mit Gelfrisur, dunklem Anzug, weißem Hemd mit Manschettenknöpfen, Krawatte und Pokerface.
Heute trägt er oben gerne eine Mischung aus Hoodie und Blazer, unten Jogginghose, darunter Funktionswäsche, um den Hals Silberkettchen, an den Handgelenken Glitzerzeug und Fitnessarmband, auf dem Kopf eine Rockermähne und mit der Handfläche praktisch verwachsen sein Smartphone, mit dem er permanent Kommentare twittert und Selfies postet.
Er ist schon deutlich keine 30 mehr (tatsächlich ist er Jahrgang 1958) und steht an der Spitze eines etablierten Mobilfunk-Konzerns. Seine Masche ist nun die: Statt die Rolle des klassischen Konzernlenkers zu spielen, stets bedacht auf diplomatische Wortwahl und seriöse Business-Wirkung, macht er genau das Gegenteil: Er inszeniert sich als Rockstar und trägt dazu Magenta.
Kernpunkt seiner Performance-Strategie ist Aggression: Bei jeder Gelegenheit zieht er per Twitter über die Konkurrenz her. »Jede gute Geschichte braucht einen Bösewicht«, schreibt er in Harvard Business Manager. »Und wir hatten unseren schon früh ausgemacht: AT&T.« Das ist genau das Unternehmen, bei dem er seine Laufbahn begann und fast 20 Jahre blieb.
»Unsere Anwälte waren entsetzt: Sie rieten mir dringend davon ab, Tweets zu posten. Aber ich ignorierte ihren Rat. Einer meiner ersten Kontakte auf Twitter war jemand, der sehr ernsthaft um Rat bat, wie er seine berufliche Karriere aufbauen solle. (…) Also schrieb ich schlicht: ‚Fang an, World of Warcraft zu spielen. Erreiche Level 90.‘ Und plötzlich lasen jede Menge Gamer und Techies meine Kommentare auf Twitter. Mittlerweile habe ich über drei Millionen Follower.«55
Weil darunter sehr viele Promis sind, wird manche seiner Nachrichten 150 Millionen Mal aufgerufen. So spart man sich Werbung in Zeitschriften, im Fernsehen und im Radio. Die Kombination aus Wild-Child-in-Magenta und Twitter scheint aufzugehen: Als Legere 2012 seinen Job antrat, hatte T-Mobile US 33 Millionen Kunden, im dritten Quartal 2016 waren es mehr als 69 Millionen.
T-Mobile US ist eine Tochter der Deutschen Telekom. Das Unternehmen ist kein Start-up, aber der exzentrische Star an der Spitze tut alles dafür, das Unternehmen nicht so aussehen zu lassen wie einen Konzern, sondern eben wie ein Start-up. Frage ich mich: Ist das ein Einzelphänomen? Eine neue, globale Business-Ära? Oder ist das eine neue Variante von US-Wild-West-Kultur? Ein Automobilvorstand mit Langhaarfrisur und Funktionswäsche in der jeweiligen Hausfarbe ist in Baden-Württemberg jedenfalls schwer vorstellbar.
C-Level: Eine geschlossene Gesellschaft?
Man muss sich schon etwas einfallen lassen, um an die Spitze zu kommen und dann auch dort zu bleiben. Das hat nicht nur etwas mit Kompetenzen zu tun, sondern eben auch sehr viel mit Show. Warum das so ist, erklärt sich aus der begrenzten Zahl der Spitzenplätze. Es gibt eine stabile Zahl von rund 200 CEO-Poste...