Eingesperrt!?
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Eingesperrt!?

Reiselust und Reisefrust in der DDR, Reiseerzählungen

  1. 192 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Eingesperrt!?

Reiselust und Reisefrust in der DDR, Reiseerzählungen

Über dieses Buch

Ja, wart ihr denn nicht eingesperrt?Ansichtssache!Wer unbedingt in den Alpen klettern, Paris, oder gar New York sehen wollte, der fühlte sich wohl eingesperrt. Wer stattdessen die Berge der Hohen Tatra besteigen, im Moskauer Bolschoi-Theater Schwanensee erleben oder am Balaton und am Schwarzen Meer seinen Badeurlaub verbringen wollte, für den gab es auch als DDR-Bürger wunderschöne Urlaubserlebnisse.Eingesperrt oder eingeschränkt? Der Leser mag selbst entscheiden.

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Information

Russland 1977 - Moskau und Leningrad (Petersburg)

Vogtland, Erzgebirge, Ostsee, - das waren Reiseziele, solange unsere Tochter noch kleiner war. Jetzt aber mit neun Jahren muten wir ihr die erste Flugreise zu, Leipzig – Moskau. „Ätzend“ fand sie es, als der Flieger abhob, „cool“ war damals wohl noch nicht das Modewort. Weihnachten und Jahreswechsel 77/78 wollten wir gemeinsam fern der Heimat erleben. Schon die ersten Schritte nach der Landung auf dem Flughafen Scheremetewo machten deutlich: Der russische Winter macht seinem Namen alle Ehre.
Gut, dass wir der Kleinen die neue blau-gesteppte warme Winterkutte nicht bis zum Heiligabend vorenthalten hatten. Die wird das Kind vor Erkältung schützen. Unsere Winterkleidung hatte uns seit Jahren gut durch die kalte Jahreszeit gebracht, also vertrauten wir ihr auch hier. Und schließlich hatten wir ja unsere Pelzmützen. Die schienen in Moskau besonders in Mode zu sein, kaum ein Kopf ohne.
Spätestens am nächsten Tag bei unserem ersten „Freigang“ war klar, warum: 49 Grad minus! Papas schöner dunkler Bart war nach wenigen Minuten weiß gefroren, dem Weihnachtsmann gleich, „djed moros“ - Väterchen Frost. Hier wurde sie uns völlig nachvollziehbar diese Namensgebung!
Ein schönes Hotel, zentrumsnah, das Zimmer mit Aufbettung für unser Kind, das einzige übrigens in der Reisegruppe, von Mitreisenden mitunter schräg beäugt. Nach dem Abendessen ein erstes Treffen in einem der Kronleuchter-geschmückten, attraktiv möblierten Empfangsräume.
Die sowjetische Hauptstadt hieß uns herzlich willkommen. Nur wenige Sätze zur Stadt, die es bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts gibt. Das Gebiet um den Kreml und den Roten Platz ist der älteste Teil der Stadt und zugleich ihr historischer Mittelpunkt. Das soll unser morgiges Ziel sein. Heute ist Moskau eine der größten europäischen Hauptstädte. Und schon Lew Tolstoi meinte, dass jeder Russe fühlt, „wenn er auf Moskau blickt, dass es seine Mutter ist.“ Na denn, Mütterchen Moskau, wir wollen dich erkunden, egal wie eiskalt du uns auch empfängst. Am nächsten Morgen, wir bereiteten uns noch auf den anstrengenden Besichtigungstag vor, erkundete unsere Kleine zwischenzeitlich das Hotel. Seit vier Monaten lernte sie in der Schule die russische Sprache in einer der R-Klassen mit vorzeitigem Russisch-Unterricht. Jetzt wollte sie wohl das Gelernte auch anwenden. Ich sauste verzweifelt durch die Flure, suchte und rief. Endlich kam sie an der Hand eines der Zimmermädchen und erklärte mir, das sei Anuschka, schon 20 Jahre alt und sie arbeitet hier. In der Hand einige der berühmten russischen Süßigkeiten. Anuschka erzählte, die Kleine sei plötzlich aufgetaucht in einem der Zimmer, in dem sie und ihre Kollegin arbeiteten, habe ihren Namen genannt und gefragt, wie sie denn heißt. wie alt sie ist ... Ihre Kolleginnen kamen aus den Nachbarzimmern dazu, schenkten ihr das Konfekt. Sowas hatten sie hier noch nie erlebt. Sogar die Zimmernummer konnte sie sagen, wenn auch in Einzelzahlen, tri – pjat - pjat. Also brachte Anuschka sie wohlbehalten zu uns zurück.
Per Bus ging es heute zum Kreml, dem einstigen Sitz der russischen Zaren, zumindest bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Danach war die russische Hauptstadt ins mondänere Sankt Petersburg verlegt worden. 1918, nach dem Sieg der Oktoberrevolution, ging es jedoch zurück nach Moskau. Der Kreml wurde zum Sitz der Sowjetregierung. Auch seit dem Ende der Sowjetunion im Jahre 1992 befindet sich der Amtssitz des Präsidenten der Russischen Föderation im Kreml, - daran allerdings war zur Zeit unserer Moskau-Reise nicht einmal im Traum zu denken. Dieses Sechstel der Erde, so meinten wir, sei der Ewigkeit gewidmet. Doch auch heute noch ringt Moskau um Anerkennung als kulturelle Hauptstadt mit dem attraktiven Sankt Petersburg. Ein Vergleich zum polnischen Wettkampf zwischen Warschau und Krakau drängt sich auf. Da ist sie schon, die Burg. Sie stammte ursprünglich aus dem Mittelalter. Die architektonische Vielfalt des zitadellenartigen Ensembles zeugt von jahrhundertelangen baulichen Ergänzungen oder Veränderungen. Türme über Türme, viele in Gold und Grün entlang der fast durchweg roten Begrenzungsmauer. Diese Mauer und die Kreml-Türme gehören zu den ältesten erhaltenen Bauwerken in Moskau. Sie wurden einst als Befestigungsanlage errichtet, sollten den Kern der Stadt vor Angriffen schützen. Der Bus parkt mitten auf dem riesigen Arsenal innerhalb der Kremlmauern. Er parkt ganz selbstverständlich zwischen Kathedralen, Palästen und Verwaltungsgebäuden. Der Busfahrer hilft freundlich beim Aussteigen. Als er unsere Tochter entdeckt hatte, zog er seine dicke Pelzjacke aus und wickelte sie dahinein. „Cholodno, cholodno!“ (kalt, kalt). Daraufhin verschwand er wieder im warmen Bus. Hier erfuhren wir sie sehr oft, die schon sprichwörtliche Kinderliebe der Russen. Ein erster Rundblick auf die unendliche Fülle an Sehenswertem. Was bloß hier ansehen? Die Rüstkammer auf jeden Fall. An deren Eingang formierte sich bereits eine Menschentraube, Kreml ohne Blick in die Rüstkammer? Unvorstellbar! Dieses wohl größte Museum innerhalb des Kremls befindet sich in einem klassizistischen Palais, vom Stil her vergleichbar der Zarenresidenz des Großen Kremlpalastes. Rüstkammer? Ja schon, aber es ist nicht ausschließlich ein Waffenmuseum. Seit dem 16. Jahrhundert werden hier einzigartige Werke der angewandten Kunst aufbewahrt und ausgestellt, gefertigt von den für den Zarenhof arbeitenden Waffenschmieden, Juwelieren oder Ikonenmalern. Hinzu kommt eine Vielzahl von Schätzen aus Kreml-Kathedralen und Palästen. Während immer einer von uns den Platz in der Warteschlange hielt, versuchte der andere unserer Tochter die Wartezeit zu verkürzen und durch gemeinsames Rennen, Hüpfen, Springen ein wenig die Kälte zu überlisten. Schon hatte sie die vom Schnee gesäuberte grünmetallisch glitzernde Zarenkanone entdeckt.
Jetzt ihr Versuch, eine der riesigen Kanonenkugeln anzuheben, vergebens, klar! Weiter hüpfte sie zu der über sechs Meter hohen Zarenglocke. Beides, Kanone und Glocke, lediglich Schmuckelemente, jedoch tief beeindruckende.
Endlich ins Warme! Kolja, der Busfahrer, hatte am Eingang seine Jacke wieder übernommen, unsere Kleine in die Luft gehoben und herumgewirbelt. Für die erwachsenen Besucher waren wohl die edelsteinüberhäuften Zareninsignien das Besichtigungs-Highlight, für unser Kind war es die umfangreiche Sammlung originaler weiß-gold strahlender Equipagen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Mit denen sah sie ihre geliebten Märchenfiguren am glücklichen Märchenende zur Hochzeit mit ihrem jeweiligen Prinzen fahren. Kindheitsphantasien! Herrlich! Und was führte mich in eine ähnliche Traumwelt? Es waren die speziell für die Krönungszeremonien angefertigten gold- und edelsteinbestickten Paradegewänder der Zarinnen. Nur meinem Töchterchen verriet ich diesen Anflug von Putzsucht. Und gemeinsam wählten wir je eines der kostbaren Gewänder, in denen wir ihre Traumkutsche bestiegen. Pst, niemandem etwas verraten, jetzt haben wir ein gemeinsames Kreml-Geheimnis.
Und noch etwas, das man wohl nicht in einer Rüstkammer vermuten würde, es waren die berühmten dekorativen Ostereier aus der Werkstatt des Petersburger Hofjuweliers Fabergé. Unseren Vati, Bergmann im ersten Beruf und daher Sammler schöner, auch edler Steine, faszinierte besonders die im gleichen Gebäude zu sehende ständige Ausstellung des Juwelierhandwerks, auch einzelne Diamanten und andere Edelsteine faszinierten. Bis zum Abend hatten wir uns aufgewärmt und ausgeruht, denn ein Besuch des legendären Bolschoi-Theaters gehörte zum Programm
Bereits seit 1780 befindet sich der Kulturtempel hier an eben dieser Stelle. Zunächst bot er vor allem russischen Komponisten eine Bühne für deren Opern, bald aber dominierte das Ballett, das weltbekannte Bolschoi-Ballett. Und auf dem heutigen Programm stand „Lebedinoje osero", eines der berühmtesten Ballette zu Tschaikowskis unnachahmlicher Musik. Und genau hier im „Bolschoi" erlebte dieses "Schwanensee" im Jahre 1877 seine Uraufführung. Was für ein glücklicher Programm-Zufall!
Per Bus gelangten wir direkt bis zum hell erleuchteten Theatereingang seitlich der Säulenfront. Vor Kälte hatten wir kaum einen Blick für das imposante Gebäude, nur schnell hinein ins Warme! Jetzt aber hatten unsere Augen ein wahrlich großartiges Betätigungsfeld. Der gesamte Zuschauerraum - ein Traum in Rot und Gold. Von unseren Parkett-Plätzen aus hatten wir nicht nur uneingeschränkte Sicht auf die zunächst noch mit einem schweren rot-goldenen Brokatvorhang geschlossene Bühne, nein, auch der Rundblick über die Zuschauerränge und die einst den Vornehmsten des Landes vorbehaltenen, oft säulengeschmückten Logen ließ uns ehrfürchtig werden. Rotgold auch die Bestuhlung. „Wie im Märchen“, kommentierte unsere Neunjährige.
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Sonst hatte sie stets unser heimisches, durchaus nicht unattraktives Landestheater bereits gern als märchenhaft beurteilt. Und das sicher nicht nur, weil sie dort vom Kindergartenalter an alljährlich die Aufführung des Weihnachtsmärchens erlebt hatte. Hier und heute nun ihr erstes Balletterlebnis. Und was für eins! Die weltberühmte Primaballerina Maja Plissetzkaja in ihrer Paraderolle als Odette. Unnachahmlich ihre legendären schwanenähnlichen Armbewegungen! Für unsere Kleine aber als besonderes Erlebnis der Tanz der vier kleinen Schwäne: „Guck bloß, Mama, guck bloß“, flüsterte sie mir zu. Aufmerksamer und mitunter wohl auch stärker beeindruckt als manche der Erwachsenen, die sich zuvor doch ein wenig darüber mokiert hatten, was wir unserem Kind so zumuteten.
Für den folgenden Abend war die Weihnachtsfeier geplant. Das ehrwürdige Hotel „PRAGA“ am Arbat erwartete uns. Der Arbat, eine der ältesten und gut erhaltenen Straßen Moskaus mit vielen markanten historischen Gebäuden, liegt mitten im Moskauer Stadtkern. Und den wollten wir tagsüber erkunden.
Unweit unseres Hotels der international berühmte Rote Platz. Dies verdankt er nicht nur seiner Größe und seiner geschichtlichen Bedeutung, sondern auch seinen unverwechselbaren angrenzenden historischen Bauwerken. Der absolute Blickfang am südlichen Ende des Roten Platzes - die Basiliuskathedrale mit ihrem roten Grundton und den sechs Türmen und Türmchen in Grün, Weiß, Gold,- eine Augenweide. Vor dem Lenin-Mausoleum wie immer, trotz dieser unvorstellbaren Kälte, eine lange Menschenschlange. Uns dagegen zieht es in die Moskauer Untergrund-Paläste, die prunk- und kunstvolle Moskauer Metro. Sie gehört zu den ältesten der Welt. Ihre ersten Stationen entstanden noch zu Stalins Zeiten. Einer ihrer Architekten erklärte damals: "Früher gab es Paläste für Könige, aber wir werden Paläste fürs Volk bauen!" Welch schöner Gedanke!
Ein Beweis dafür die luxuriösen Hallen am Ploschtschad Rewoljuzii, dem Platz der Revolution. Es ist die Station unmittelbar am Roten Platz, hier beginnt unsere Untergrundtour. Die hellen Marmor-Hallen beherbergen Bronzestatuen von sowjetischen Soldaten, von Revolutionären, von Bauern, Matrosen, Arbeitern, Ingenieuren, eigentlich von allen sowjetischen Bevölkerungsgruppen. Den Figuren werden sogar magische Eigenschaften zugeschrieben. Und wie gern die Menschen daran glauben, das zeigen die vielen Körperstellen, die bis aufs Metall abgerieben wurden. Vielleicht sollten auch wir einmal unser Glück versuchen?
Wir wählten die Ringlinie durch das Moskauer Zentrum. Deren Züge verkehren ständig im Kreis. Der Ring wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut, deswegen sieht man in der Dekoration vor allem den militärischen Ruhm des russischen Volkes. Und das so beeindruckend „verpackt“ in unterschiedlichsten Marmorarten und –farben, von weiß über beige, hellgrau bis schwarz gestreift.
Wir bestaunen die monumentalen Mosaike in der Komsomolskaja, bewundern die Glasmalereien der nächsten Station, erleben mittelalterliche Architektur mit Deckenbögen und majolikaverzierten Säulen. Jede der Metro-Stationen – ein einzigartiges Erlebnis! Dann der Weihnachtsabend. Das "Praga" lockt mit verführerischer, nicht aufhören wollender Menüabfolge. Alles, was russische Küche und russischer Keller zu bieten haben, wurde aufgetafelt im weihnachtlich geschmückten Saal. Dankbar, dass unsere Neunjährige nach einem so ereignisreichen und daher anstrengenden Tag doch recht müde war, zogen wir uns relativ zeitig zurück. Ihr Weihnachtsgeschenk des Hauses, eine fünffache Matrjoschka-Puppe, wird auch heute noch allweihnachtlich für ihre eigenen Kinder unter dem Weihnachtsbaum platziert.
Statt des Ehrenfriedhofs wählten wir am nächsten Tag die Tretjakow-Galerie, das Museum der russischen Kunst. Gemälde, Ikonen, Grafiken und Skulpturen aus vielen Jahrhunderten, gesammelt von Pawel Tretjakow, einem russischen Kaufmann. Er schenkte seine Sammlung im Jahre 1892 der Stadt Moskau. Diesmal hatten wir unserer Tochter tatsächlich zu viel zugemutet, das hätten wir wissen müssen, was fängt eine Neunjährige an mit Kramskoi oder Repin? Wenigstens „Die Wolgatreidler“ fanden ihr Interesse, Repins Blick in die gequälten, meist nach unten gekehrten Gesichter, ließen ihr lange keine Ruhe. Auch einige der Ikonen erinnerten sie an einst in Kirchen gesehene Heiligenbilder.
Nach erforderlicher Mittagsruhe entschädigte die Wärme des nahegelegenen Warenhauses GUM. Zuvor aber rennen wir von Hauseingang zu Hauseingang, dort jeweils kurzes Aufwärmen, weiter geht’s. Da endlich, das GUM. Palastartig, dieses international bekannte Moskauer Einkaufszentrum, ein Riesenarsenal! Seine tatsächliche Schönheit erkennen wir jedoch erst auf einer Ansichtskarte: Der Rundbogeneingang, die beiden hochaufragenden Türme, dazwischen der Kaufhausname in riesigen Lettern. Zuerst aber genießen wir die angenehme Kaufhaus-Temperatur, Vatis tiefgefrorener und daher weißer Bart, bekommt nach und nach seine braune Originalfarbe zurück.
Wir stiefeln von Abteilung zu Abteilung, suchen vor allem typisch russische Andenken und Geschenke, natürlich auch Matrjoschkas und einen Mini-Samowar, den großen hatten wir längst zu Hause. Dort, die hölzernen Schälchen und Löffel, sogar Eierbecher mit Hochloma-Motiven. Diese Art Holzgeschirr war in Russland einst im täglichen Gebrauch, haltbar farbig lackiert, oft in Gold und Rot. Jetzt im Geschirrspüler-Zeitalter taugt es nur noch als beliebtes Souvenir. Und plötzlich sieht unser Kind eine Puppe. Nein, nicht das übliche Mädchenspielzeug. Es ist ein Fußballer in typischer Dynamo-Moskau-Kleidung. Seine großen blauen Kulleraugen bewegen sich hin und her. Auf seinem braunen Lockenkopf eine schwarz-weiß-karierte Schildmütze.
Völlig fasziniert, ist sie dort nicht wegzubewegen. "Futbolist", sagt die freundliche Verkäuferin, "chotschesch futbolista?" (Willst du den Fußballer?) "Da, chotschu, tak ochotno chotschu“, (ja, gern) antwortete unsere Kleine. Schon wurde der Kaufbeleg ausgefertigt, mit dem und den weiteren Souvenir-Belegen ging es zur Kasse. Hier fröhliches Staunen: Rechenmaschinen, die ich noch aus meiner Schulzeit kannte, also zehn Drahtzeilen mit je zehn farbigen Kugeln, so wurde die Endsumme errechnet oder besser zusammengezählt. Und das in den siebziger Jahren, heute im Computer-Zeitalter unvorstellbar! Wir zahlten. Mit dem Zahlbeleg erhielten wir am Packtisch alle unsere Einkäufe. Unsere Kleine aber knuddelte überglücklich ihren Futbolisten. Und der sitzt noch heute, 40 Jahre später, im Gästezimmer auf ihrem Bett, freudig begrüßt, wenn sie mit ihren Kindern zu uns zu Besuch kommt.
Unser Abschied von Moskau war gekoppelt mit der Vorfreude auf Leningrad. Vom Bus Richtung Flughafen sahen wir noch den gerade erst fertiggestellten Fernsehturm Ostankino, über 500m hoch, damals zumindest das höchste Bauwerk Europas. Dieses Moskau ist schon eine Stadt der Superlative. Was wird uns nun in ihrer Konkurrenz-Stadt erwarten? Von einem kleineren Flughafen aus starteten wir in einer ziemlich alten, wenig Vertrauen erweckenden Maschine tapfer Richtung Nordwesten. Dafür empfängt uns Leningrad mit einer für uns frühlingshaft anmutenden Temperatur von minus 17 Grad, das erinnert doch an heimische Wintertemperaturen. Wir sind es zufrieden.
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Unser Hotel am Ufer der Newa. Der Blick aus dem Fenster, wir können’s kaum glauben, wir blicken direkt auf den ewigen Ankerplatz des Panzerkreuzers Aurora vor dem Winterpalais. Sofort ein Foto, das glaubt uns ja keiner,- zu unwahrscheinlich ist dieser symbolträchtige Ausblick. Begann doch die Oktoberrevolution im Jahre 1917 mit dem ersten Kanonenschu...

Inhaltsverzeichnis

  1. „Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.“
  2. Im Gefängnis
  3. DDR - ein Reiseland?
  4. Tschechoslowakei - Jugendreise nach Prag und in die Hohe Tatra (1960)
  5. Polen 1967/ 68
  6. Ungarn 1970 - Budapest und Balaton - eine Jugendreise
  7. Russland 1977 - Moskau und Leningrad (Petersburg)
  8. „Bis nunder nach Bulgarchen...“ 1983
  9. Urlaubsreisen von 1985 bis 1990, dem Ende der DDR
  10. August 1990: Wien wird Wirklichkeit. Steffel, wir kommen.