Was ist der Mensch? Teil 3
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Was ist der Mensch? Teil 3

Emotionen und Vernunft

  1. 13 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Was ist der Mensch? Teil 3

Emotionen und Vernunft

Über dieses Buch

Neben anderen Wissenschaften bemüht sich auch die Philosophie darum, den Menschen zu verstehen. Sie fragt, wie wir trotz aller Krisen zufrieden mit unserem Leben sein können. Nicht Gesundheit, Reichtum oder Erfolg sind dabei tatsächlich wichtig. Auf zwei Dinge komm es an. Erstens, ob wir tiefe persönliche Beziehungen haben, Menschen lieben und geliebt werden. Und zweitens, ob wir etwas tun, das nicht nur für uns selbst sinnvoll, sondern auch für die Gemeinschaft und Schöpfung wertvoll ist. EMOTIONEN UND VERNUNFT Vernünftig über Gefühle nachzudenken - ist das nicht ein Widerspruch? Sind Emotionen nicht gerade das im Menschen, was sich der Vernunft und einer philosophischen Reflexion entzieht? Anhand der Theorie der Emotionen der Stoiker, Aristoteles und Thomas von Aquin wird dargelegt, dass viele unserer Emotionen einen großen Vernunft-Anteil haben. Das Werturteil bestimmt, welche Emotionen wir haben. Ist es grundsätzlich schlecht, emotional zu reagieren?

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Meine Damen und Herren,
herzlich willkommen zu unsrer dritten Folge in der Reihe ‚Einführung in die philosophische Anthropologie’. In dieser Vorlesung stehen zwei Themen auf dem Programm. Zum einen wollen wir uns Gedanken machen über objektive Kriterien eines gelungen Lebens. Zum Zweiten werden wir uns dem Thema Emotionen zuwenden.
Wir haben ja in der vergangenen Folge einen Begriff des gelungenen Lebens erarbeitet. Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, dass wir viele Dinge um anderer Dinge willen tun und haben so etwas wie einen letzten Begriff, ein oberstes Gut, ein letztes Ziel des Menschen erarbeitet. Dann haben wir uns verschiedene Begriffe, verschiedene Ausdrücke angeschaut, die dieses oberste Gut, das letzte Ziel bezeichnen, und haben dann überlegt, dass der Begriff des gelungenen Lebens der geeignete Begriff ist, um unsere Intuitionen über das gelungene Leben, das letzte Ziel des Menschen, zum Ausdruck zu bringen.
Aber die entscheidende Frage, der wir uns jetzt zuwenden, ist natürlich diejenige, was denn nun der Sache nach, inhaltlich, wie wir Philosophen sagen, das gelungene Leben, das letzte Ziel des Menschen konstituiert. Kann es überhaupt objektive Kriterien dafür geben, wann ein Leben gelingt und wann es nicht gelingt? Und was wären das für Kriterien?
Sie sehen schon, diese Frage ist natürlich schwierig zu beantworten, und zwar schon allein aus dem Grund, weil die Gefahr, dass hier persönliche Lebenserfahrungen, eigene, lieb gewonnene Überzeugungen, aber auch Überzeugungen, die in unserer Kultur verwurzelt sind, besonders leicht Eingang in unsere Überlegungen finden können, sodass man dann eigentlich ganz private Dinge als objektiv richtig ausgibt.
Aber ich denke, drei Kriterien, denen ein Begriff des gelungenen Lebens entsprechen muss, können wir dennoch festmachen. Zum Ersten ein formales Kriterium, nämlich dass das gelungene Leben tatsächlich das oberste Gut, das letzte Ziel unseres Strebens sein muss. Zum Zweiten unsere menschliche Verfassung, die conditio humana, zu der ich später etwas sagen möchte und schließlich, zum Dritten, ein sehr weiches Kriterium, und zwar so etwas wie eine gewisse Unabhängigkeit, die ich, wenn mein Leben gelingen soll, den Dingen gegenüber einnehmen muss, die auf der Ebene des gelebten Lebens in meinem Leben passieren, die mir widerfahren.

Das oberste Gut

Ich komme damit zum ersten Kriterium: das oberste Gut. Das erste Kriterium ist, dass es sich bei dem Gut tatsächlich um ein oberstes Gut handeln muss, d. h., ein Gut, bei dem sich die Frage danach, warum wir es anstreben oder was mit diesem Gut, mit diesem Ziel noch erreicht werden soll, nicht mehr stellt. Ein ganz klarer Fall in Bezug auf einen Irrtum hinsichtlich der Bestimmung eines obersten Gutes ist z. B. der Gelderwerb, ist Reichtum. Natürlich ist es so, dass viele Menschen der Auffassung sind, dass reich zu sein, zum gelungenen Leben dazugehört. Aber, um es etwas pointiert zu sagen, wenn wir nicht gerade Leute wie Dagobert Duck sind, die es das Schönste im Leben finden, einfach am Morgen einen Kopfsprung in ihr Geldbad hinein zu machen, sondern, wenn wir, Geld wichtig finden, weil uns durch Geld andere Dinge ermöglicht werden, dann ist schon deutlich, dass der Gelderwerb selbst, das Geld zu haben, reich zu sein, immer nur ein Mittel zu einem anderen Ziel sein kann. Reich zu sein, Geld zu haben selbst, ist nicht ein oberstes Gut, weil mit Geld anderes ermöglicht werden soll, z. B. einen flotten Wagen zu fahren, den dann alle anderen Leute ganz toll finden und uns beneiden. Oder ein gutes Werk tun zu können, Dinge finanziell unterstützen zu können, die einem selber am Herzen liegen und die man nicht selber durchführen kann. Wie immer Sie auch über Geld und über Reichtum denken, klar ist, das letzte Ziel kann es nicht sein, weil Geld immer nur ein Ermöglichungsgrund für etwas anderes ist.
Natürlich gibt es viele Menschen, die der Überzeugung sind, dass es das Wichtigste sei, reich zu sein. Aber diese Menschen leben in einem Irrtum. Sie sind unaufgeklärt über das, was tatsächlich ihr letztes Ziel ist. Sie müssten darüber nachdenken, was sie denn mit diesem Geld alles machen wollten und müssten sich Gedanken darüber machen, ob es denn wirklich, realistischer Weise stimmt, dass sich ihr Leben so sehr zum Besseren, zur Zufriedenheit hinwenden würde, wenn sie das Geld hätten, diese Dinge zu ermöglichen.
Ein ähnlicher, in unserer Gesellschaft wahrscheinlich noch verbreiteterer Irrtum ist die Auffassung, dass die Gesundheit das Wichtigste im Leben sei. Hauptsache gesund! sagen ja viele. Ihnen müsste, denke ich, schon deutlich sein, wie man argumentieren kann, um zu zeigen, dass Gesundheit gar nicht das letzte Ziel, das oberste Gut sein kann. Denn Gesundheit ist immer nur eine Voraussetzung dafür, dass wir andere Dinge im Leben machen können, tun können. Auch hier müsste man sich wieder fragen, warum ist es wichtig, gesund zu sein? Was will ich mit meiner Gesundheit anfangen? Der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno hat die Frage nach der Gesundheit als letztem Lebensziel einmal etwas pointiert, auf den Punkt gebracht, indem er gefragt hat: „Was nützt einem Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist!“
Ähnlich verbunden mit der Frage nach der Gesundheit ist die Vorstellung, ein möglichst langes Leben sei erstrebenswert. Aber auch da kann man sich fragen, für was wir eigentlich möglichst lange leben möchten? Wenn ich mir anschaue, wie unzufrieden viele Menschen mit ihrem Leben sind und wenn sie sich darum bemühen, sich gut zu ernähren, Sport zu machen, um möglichst lange zu leben, dann stellt sich doch die Frage ganz von selbst: Kann ein langes Leben, wenn es unausgefüllt und unzufrieden ist, tatsächlich ein Wert sein? Lieber verglühen als verdorren! möchte man dem wiederum etwas pointiert entgegenhalten.
Vielleicht kommt es drauf an, ein Leben zu leben, in dem man Dinge tut, die wichtig sind, in dem man sich für andere einsetzt, in dem man intensive Beziehungen pflegt, aber kein Leben, was möglichst lang ist, unabhängig davon, was in diesem Leben passiert. Soviel also zum ersten Kriterium, zum obersten Gut.

Conditio Humana

Wenden wir uns nun dem zweiten Kriterium zu, der conditio humana bzw. dem, wer wir selbst als Menschen sind. Dadurch, dass wir Menschen nun mal so sind, wie wir sind, ist dem, was unser oberstes Gut sein kann, eine Grenze gesetzt. Es wäre z. B. völlig widersinnig, zu meinen, unser Leben könne nur dann gelingen, wenn wir unsterblich wären, wenn wir immer weiter leben würden. Zwar können wir uns wünschen, lange zu leben, weil wir noch irgendwelche Projekte in unserem Leben verwirklichen wollen, aber der Wunsch allein, unsterblich zu sein, ist kein Wunsch, den wir sinnvoller-, vernünftiger-, konsistenterweise für unser Leben haben können. Das leuchtet, denke ich, schnell ein.
Aber auch auf einer individuellen Ebene ist dem, was unser gelungenes Leben konstituiert, eine Grenze gesetzt. Stellen Sie sich z. B. vor, ich, der ich mein Leben lang relativ unsportlich gewesen bin, würde mich in meinem Alter jetzt dazu entschließen wollen, ein Fußballer zu werden und in einem Bundesliga-Verein mitspielen zu können. Das hätte keinen Sinn mehr. Ich habe körperliche Grenzen und selbst, wenn ich noch so eifrig trainieren würde, wäre es mir nicht möglich, in eine Fußballmannschaft aufgenommen zu werden.
Sie sehen hieran, dass die Überlegungen darüber, was denn vernünftigerweise das oberste Gut sein kann, nicht nur allgemein und philosophisch sind, sondern auch sehr stark durch Vorlieben, Talente, Fähigkeiten und Abneigungen mitbestimmt ist, die jeder von Ihnen individuell hat. Für uns Philosophen bedeutet das, dass eine plausible Konzeption des gelungenen Lebens offen sein muss, Raum haben muss, für solche individuellen Talente, Vorlieben und Abneigungen.

Unabhängigkeit

Ich komme damit zum dritten Kriterium eines gelungenen Lebens, dem Kriterium der Unabhängigkeit. Dieses Kriterium ist tatsächlich schwierig auf konkrete Fälle anzuwenden. Aber ich möchte doch etwas allgemein darüber sagen, worum es mir bei diesem Kriterium geht.
Es geht darum, dass eine Vorstellung vom gelungenen Leben dann inkonsistent zu werden droht, wenn wir von dem Leben selbst, von der Ebene des gelebten Lebens her, Dinge erwarten, die in unserem Leben passieren müssen. Stellen Sie sich beispielsweise vor, jemand würde die Frage, ob sein Leben gelingt, daran festmachen, dass er einen festen Arbeitsplatz bis zu seiner Rente oder Pensionierung hat, dass er also seinen Arbeitsplatz nicht wechseln muss. Nun, so wünschenswert es wäre, dass wir einen solchen Arbeitsplatz hätten, so widersinnig wird doch das gelungene Leben, wenn wir die Frage, ob uns das Leben auf der Ebene des gelebten Lebens gelingt, an diesem Arbeitsplatz festmachen. Und zwar nicht nur deswegen, weil die Gefahr gegeben ist, dass wir nur so lange glücklich sind, bis wir den Arbeitsplatz wechseln müssen – die Sache ist komplizierter.
Die Angst davor, den lieb gewonnenen Arbeitsplatz einmal zu verlieren, beeinträchtigt unser Leben ja nicht erst dann, wenn wir den Arbeitsplatz wirklich verloren haben, sondern die Angst davor, was in unserem Leben passieren könnte, beeinträchtigt schon unser Leben im Jetzt. Das heißt, wir werden hier und jetzt keine Menschen sein, die innerlich frei und zufrieden auf ihr Leben schauen können und ihr Leben leben, sondern die Angst davor, dass in der Zukunft etwas passieren könnte, was unser Leben schwierig macht oder was unser gelungenes Leben verunmöglicht, diese Angst beeinflusst schon unseren jetzigen Zustand. Das heißt, wenn wir Menschen sind, die die Frage, ob ihr Leben gelingt oder nicht gelingt, von Dingen abhängig machen, die in der Zukunft liegen, die passieren müssen oder die nicht passieren dürfen, dann verunmöglichen wir uns unser gelungenes Leben, unsere Existenz hier und jetzt. Und damit kann unser Leben von vornherein nicht mehr gelingen.

Emotionen

Nach diesen drei Kriterien – das Kriterium des obersten Gutes, das Kriterium der conditio humana und das Kriterium der gewissen Unabhängigkeit von Dingen, die in unserem Leben passieren – möchte ich jetzt etwas über Emotionen sagen. Denn es ist klar, ob wir unser Leben als gelungen betrachten oder nicht, hängt ganz wesentlich damit zusammen, dass wir eine, wie auch immer noch näher zu bestimmende, positive, emotionale, affektive Einstellung gegenüber unserem ganzen Leben haben. Jemand, der unzufrieden mit seinem Leben ist, der mit seinem Leben hadert, der negative Emotionen seinem eigenen Leben gegenüber hat, dem werden wir schwerlich abnehmen, dass, wenn er von sich selbst sagt, dass er ein gelungenes Leben lebt. Anders gesagt werden wir auch Menschen, die ein sehr hartes Leben haben, die durch viele schwierige Krisen hindurchgehen müssen, privat und beruflich, aber in der Lage sind, diese irgendwie zu meistern, die sich auch für eine Aufgabe aufopfern können und dabei einen letztlich doch wohlwollenden und frohen Blick auf ihr eigenes Leben haben, ohne Weiteres glauben, wenn sie sagen, dass sie mit ihrem Leben zufrieden sind und dass sie den Eindruck haben, dass sie ein gelungenes Leben leben.
Nun, das Thema Emotionen zu einem Thema der Philosophie zu machen, mag Ihnen widersinnig erscheinen. Denn, was immer die Philosophie ist, sie ist auch eine Wissenschaft, die ausschließlich mit der Vernunft, mit Argumenten der Vernunft an das zu behandelnde Materialobjekt, an ihr Thema herangeht. Und haben wir nicht oft den Eindruck, dass Vernunft und Gefühl, dass Vernunft und Affekte, Emotionen, Stimmungen geradezu Gegner sind, dass die Emotionen in uns geradezu das sind, was sich der Vernunft widersetzt? Und dass viele Konflikte, die wir durchleben, Konflikte sind, die sich zwischen unseren Emotionen und unserer Vernunft abspielen?
Ein Ziel der folgenden Überlegungen ist es, Ihnen deutlich zu machen, dass Emotionen sehr wohl vernünftige Anteile haben und dass es ganz wesentlich ist, die vernünftigen Anteile an unseren Emotionen zu erkennen, um auf eine gute Art und Weise mit unseren Emotionen umzugehen und unsere Affekte zu integrieren in unser gelungenes Leben.
Lassen Sie mich zunächst etwas über begriffliche Abgrenzung sagen. Denn wir sprechen ja nicht einfach nur, wie ich das bisher gemacht habe, von Emotionen und Affekten, wir haben sehr viele verschiedene Wörter in unserer Sprache, um eine ganze Bandbreite von emotionalen Zuständen zum Ausdruck zu bringen. Wir sprechen von Gefühlen, wir sprechen von Stimmungen, wir sprechen von Atmosphären, die uns gefangen nehmen oder die uns beeinflussen, wir sprechen von Emotionen und eben auch von Affekten. Wie diese einzelnen Begriffe genau abzugrenzen sind, ist im Detail kompliziert und auch umstritten. Wissenschaften wie die Emotionspsychologie beispielsweise, in der man empirische Forschungen vorantreiben möchte, um zu Ergebnissen darüber zu kommen, wie Menschen mit ihren Emotionen umgehen, sind manchmal begriffliche Abgrenzungen notwendig, die wir üblicherweise der Sache nach gar nicht so vornehmen. Zum Beispiel die Abgrenzung zwischen Emotion und Affekt. Ich werde den Begriff der Emotion und des Affekts, in dem was ich Ihnen jetzt vortragen möchte, mehr oder weniger deckungsgleich verwenden. Es sind zwei verschiedene Perspektiven auf ein und dasselbe Phänomen.
Das Wort Emotion kommt von dem lateinischen Wort exmovere. Ex heißt eigentlich raus, heraus und movere heißt bewegen. Emotion heißt demnach eigentlich, dass etwas herausbewegt wird oder herausbewegt werden soll. Durch den Begriff der Emotion wird ein bestimmter Aspekt von dem, was wir Gefühle, Emotionen, Affekte oder so weiter nennen, gut zum Ausdruck gebracht, nämlich dass Emotionen zu Handlungen hinführen, dass sie nach einem Ausdruck verlangen; sei es in einer Handlung, in einem Gesichtsausdruck oder in einer Körperreaktion.
Umgekehrt wird das Wort Affekt benutzt, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir etwas eher passiv erleiden. Das Wort Affekt kommt aus dem lateinischen afficere und heißt so etwas wie passiv auf einen einwirken, etwas, was passiv auf einen einwirkt, was man erleidet. Der Begriff Affekt betont also die Tatsache, dass Dinge auf uns einwirken, die wir passiv erleiden. Der Begriff der Emotion betont die Tatsache, dass wir diesen Dingen, die auf uns einwirken einen Ausdruck nach außen verleihen wollen. Insofern benutze ich den Begriff des Affekts und den Begriff der Emotion in den kommenden Ausführungen bedeutungsgleich.
Wenn man Unterscheidungen machen will in diesem ganzen Bereich von Gefühl, Affekt, Emotion, Stimmung, Atmosphäre, dann würde ich denken, dass wir eine fließende Skala vor uns haben. Auf dem einen Ende dieser Skala haben wir Dinge, die wir eher fühlen, die eher körperlicher Natur sind. Das sind Stimmungen, die uns beeinflussen und die unser Erleben prägen, wie die Stimmung eines trüben Herbsttages. Die Wolken hängen tief, es nieselt. Und wenn wir uns in solchen Wetterverhältnissen tage- oder sogar wochenlang bewegen, dann passiert es, dass auch unser übriges Erleben von diesen Stimmungen, Atmosphären getrübt wird. Doch gilt dies natürlich auch umgekehrt. Denken Sie daran, wenn Sie vielleicht frisch verliebt sind, oder denken Sie an Zeiten, zu denen Sie selbst frisch verliebt waren. Alles erscheint in schönem Licht. Und auch Dinge, die wir sonst eher problematisch gefunden hätten oder finden, auch mit diesen Dingen können wir leicht umgehen. Auf der anderen Seite der Skala stehen relativ spezifische Emotionen und Affekte, wie Zorn, Eifersucht, Neid, Hass oder Liebe.
Es kommt mir im Folgenden vor allen Dingen darauf an, diese Phänomene zu verstehen. Ich sage also etwas über relativ spezifizierte Emotionen und Affekte und in welcher Art und Weise diese Emotionen und Affekte spezifiziert sind, das möchte ich jetzt darstellen, und zwar anhand von drei Philosophen oder philosophischen Schulen. Zum einen natürlich die Stoiker. Sie wissen, dass die Stoiker viel über Emotionen und Affekte nachgedacht haben. Zum Zweiten möchte ich ein bisschen etwas über Aristoteles sagen und zum Dritten die Theorie von den Stoikern und Aristoteles noch durch einen Gedanken von Thomas von Aquin ergänzen.
Mir kommt es nicht darauf an, Ihnen eine Einführung in die Philosophie der Stoiker, des Aristoteles oder gar des Thomas von Aquin zu geben, sondern mir scheint, dass diese Autoren oder Autorengruppen auf Dinge aufmerksam geworden sind, die unsere Emotionen und Affekte betreffen und die wertvoll sind, auch heute festgehalten zu werden und die uns, wenn wir sie in ihrer Gesamtheit sehen, ein komplettes Bild, ein Modell geben können, anhand dessen wir verstehen können, was wir uns unter Emotionen und Affekten vorzustellen haben.

Stoiker

Viele von Ihnen werden schon einmal gehört haben, dass die Stoiker behaupten, das gelungene Leben bestünde darin, keine Emotionen zu haben. Nun, wir werden sehen, dass diese These so nicht ganz richtig ist, weil die Stoiker der Auffassung sind, dass selbst der Weise, d. h. das sehr, sehr seltene Ideal eines Menschen, der es wirklich schafft oder geschafft hat, ein gelungenes Leben zu leben, auch Emotionen hat. Aber was an dieser These erst einmal richtig ist, ist, dass das, was wir normalerweise unter Emotionen verstehen, tatsächlich etwas ist, was mit dem gelungenen Leben nichts zu tun hat. Unsere kleinen Freuden, unsere Dinge, die uns Spaß machen, unsere Zufriedenheit ist fern von dem, was den Stoikern zufolge, ein gelungenes Leben ausmacht. Das griechische Wort dafür ist apatheia, das Wort leitet sich her vom griechischen Wort pathos. Pathos ist das, was man Affekt und Emotion nennen könnte. Und das a, das kleine Alpha vor diesem Pathos, ist im griechischen das sogenannte alpha privativum und bedeutet, dass das, vor dem es steht, verneint wird. Ein gelungenes Leben ist also ein Leben der apatheia, ist ein Leben der Nicht-Emotionen, der Emotionslosigkeit.
Der Stoiker drückt die These, dass wir keine Emotionen haben sollen oder dass Emotionen, wie wir sie normalerweise verstehen, nicht zum gelungenen Leben gehören, dadurch auch aus, dass er kritisch sagt, Emotionen seien Meinungen. Und der Weise, also der, der das gelungene Leben lebt, habe keine Meinungen.
Das müssen wir zunächst verstehen. Wir müssen verstehen, warum ein weiser Mensch keine Meinungen hat und warum dann – das ist der zweite Schritt, den wir verstehen müssen – Emotionen Meinungen sind und was daran falsch ist.
Nun, dass der Weise keine Meinungen hat, bedeutet für den Stoiker, dass er nur Dinge in seinem Bewusstsein hat, die er weiß. Es ist den Stoikern zufolge nicht so, dass es reicht, wahre Meinungen zu haben und die richtigen Meinungen über die Dinge der Welt und über die Dinge, die unsere Handlung betreffen, zu haben, sondern man muss tatsächlich wissen. Ich denke, in Bezug auf Dinge, die Handlung betreffen, lässt sich diese Unterscheidung zwischen wahren Meinungen und Wissen ganz plausibel machen. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie wollen morgen verreisen und finden in Ihrem Bewusstsein die Erinnerung vor, dass Sie gelesen haben, der Zug fährt um 10:00 Uhr am Bahnhof ab. Diesen Zug, das ist Ihnen klar, wollen Sie nehmen. Nun nützt es Ihnen nichts, auf der Ebene der Meinung dieser Erinnerung zuzustimmen, das heißt, es nützt Ihnen nichts, dass Sie meinen, der Zug fährt um 10:00 Uhr ab. Denn solange Sie sich nur auf der Ebene der Meinung befinden, haben Sie kein Kriterium, ob die Meinung tatsächlich wahr oder falsch ist. Das heißt, Sie müssen wissen, dass der Zug um 10:00 Uhr abfährt, um entsprechend planen zu können und um dann tatsächlich rechtzeitig und nicht zu spät am Bahnsteig zu sein. Meinungen haben also das Problem an sich, dass Sie aus d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Das oberste Gut