Sonnwendtod
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Sonnwendtod

Schwarzwald Krimi

  1. 272 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Sonnwendtod

Schwarzwald Krimi

Über dieses Buch

Ein stimmungsvoller Krimi aus dem Nordschwarzwald, der unter die Haut geht.Was symbolisieren die steinernen Köpfe, umrankt von grünen Blättern, die sich seit Jahrhunderten in manchen Kirchen finden? Die Suche nach der Antwort führt Autorin Silvia Salomon in den Nordschwarzwald – und mitten hinein in einen geheimnisvollen Mordfall um Wiccakult und heidnische Bräuche. Weil sie die Tote gefunden hat, gerät Silvia unter Verdacht. Mit Hilfe eines einheimischen Journalisten, der eine Titelstory wittert, macht sie sich auf die Suche nach dem wahren Täter – und setzt damit ihr Leben aufs Spiel.

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Information

1

Freitag, 22. Juni
»Mailbox Viola Syring. Für Freunde: Ich rufe zurück. Für alle anderen: Was kann so wichtig sein? Die Zeit läuft. Dreißig Sekunden ab jetzt.«
Was für eine Ansage, dachte Silvia. Typisch für ihre Tochter, immer ungeduldig, immer frech. Fast bewundernswert. Also los …
»Hallo, Viola, die Mudda. Ups, was sag ich denn auf die Schnelle? Hast du Lust, mit mir essen zu gehen? Ich bin mal wieder bei Anne und Michael in Wildberg, diesmal zum Schreiben, also kein Urlaub. Kann es sein, dass wir beide uns schon fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen haben? In den nächsten Tagen komme ich nach Tübingen, ist ja von hier nicht weit. Ich möchte die Blattgesichter in der Elisabethkirche für mein Manuskript fotografieren und hab Hunger auf das ›Magischterle‹ in der Wurstküche. Du auch? Meld dich, ja?«
Silvia trennte die Verbindung. Violas Stimme weckte Sehnsucht in ihr. Sie seufzte, wandte sich wieder der Datei auf ihrem Laptop zu und brütete weiter darüber nach, wie sie zukünftige Leser dafür interessieren könnte, sich nach den archaischen Grünen Männern, die in Deutschland so wenig wahrgenommen wurden, auf die Suche zu machen. Sie scrollte zum Anfang zurück.
»Triff den Grünen Mann« von Silvia Salomon, Einleitung
… Die englische Bezeichnung »Green Man« steht für die Abbildung eines Gesichts, dem Blätter aus Teilen des Kopfes wachsen oder das zwischen Blättern hindurchschaut. Ich werde mich auf die Darstellung eines Blattgesichts aus Stein, Holz oder Gips konzentrieren. Alle Grünen Männer sind auf das gleiche archetypische Symbol für Werden und Vergehen im Rhythmus des Jahreslaufs zurückzuführen.
Kaum atmen konnte man hier drin. Dieser Nachmittag war einfach zu drückend für spritzige Einfälle, und sobald sie das Fenster aufmachte, kam noch mehr Hitze herein. Silvia knetete sich den Nacken. Sie saß schon zu lange am Schreibtisch, ohne mit ihrem Text weiterzukommen. Grüne Männer hatten doch etwas Wildes, Freies, sie konnte sie förmlich rufen hören: »Komm!« Also Schluss mit dem fruchtlosen Herumhocken, Schreiben und Wieder-Löschen. Ihr Rücken protestierte auch.
Jetzt war Bewegung angesagt. Warum nicht erst einmal neue Fotos in der Kirche machen? Vielleicht kam dann später noch ein fetter Musenkuss.
Sie fuhr den Rechner herunter, steckte Handy und Schlüssel in die Hosentasche und griff nach der Kamera. Nichts wie raus aus dem Gästezimmerchen. In Vorfreude auf die Zeit außer Haus spurtete sie die Treppe hinunter. War denn niemand da? Sie hatte doch Annes Auto vor ein paar Minuten gehört.
Auf der Terrasse fand sie die Freundin im orangefarbenen Licht unter der Markise. »Hallo, Anne, ganz alleine, ist Michael noch nicht zurück?«
»Kommt gleich, freitags nach der Arbeit erledigt er den Wocheneinkauf. Sein Videokurs fällt heute Abend aus, dann seht ihr euch nachher.«
»Ich geh mich auslüften, läuft grad unrund mit dem Schreiben.« Silvia atmete genüsslich den sommerlichen Lavendelgeruch ein, der von rechts aus dem Nachbargarten herüberwehte. Jedes Mal, wenn sie zu Besuch war, sog sie das Idyll des schwäbischen Städtchens wie samtige Waldluft tief in sich hinein. Sie brauchte ausgedehnte Spaziergänge zum Ausgleich für die anstrengende Kopfarbeit, und in Wildberg begann die Natur vor der Haustür – anders als in Herne, ihrer Heimatstadt. Sie war ganz bewusst ohne Auto angereist und empfand den Aufenthalt hier als willkommene Abwechslung zum Schmelztiegel Ruhrgebiet.
»Nimm einen Schirm mit, es soll regnen, sieht sogar nach Gewitter aus.« Annes skeptischer Blick ging zum Himmel. Sie wirkte in letzter Zeit angestrengt, fand Silvia. Ob sie der Ärger in ihrer alten Firma und ihre Entscheidung, dort zu kündigen, noch beschäftigte? Oder machte ihr die neue Stelle in einem Bestattungsinstitut zu schaffen? Anne hatte zwar gesagt: »Das ist nur für den Übergang«, suchte aber bisher nicht aktiv nach einer anderen Arbeit, davon hatte Silvia sich überzeugt.
»Guck mal, da kommen ganz dunkle Wolken aus Richtung Frankreich rüber, hoffentlich kühlt es ab. Es muss auch dringend mal regnen.« Anne fächelte sich mit der Zeitung Luft zu.
»Bis es losgeht, bin ich zurück«, sagte Silvia, holte aber trotzdem ihre Regenjacke.
Sie wanderte die hitzeflirrende Straße hinunter bis zu den gut hundertfünfzig ausgetretenen Stufen, die steil ins Tal zur Klosteranlage »Maria Reuthin« hinabführten. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Flüsschen hatte sich einst ein Nonnenorden eine eigene kleine Welt aus Kirche, Wohngebäuden, Scheunen, Brunnen, Fischteich und Kräutergarten erschaffen. Das moderne Leben hatte das Ensemble verändert, früher landwirtschaftlich genutzte Flächen hatte man in einen Park verwandelt, und manches andere war malerischem Verfall preisgegeben. Hohe alte Mauern aus Buntsandsteinblöcken umgaben die Anlage. Der Efeu in den Fugen hatte den letzten intensiven Rückschnitt überstanden und schickte unverdrossen seine frischen Triebe ans Licht.
Am Schäferlaufplatz ging Silvia durch den Haupteingang und auf die Klosterkirche zu. Sie brauchte bessere Fotos des Grünen Mannes auf dem Taufbecken. Mit den gleich nach ihrer Ankunft am letzten Wochenende aufgenommenen Bildern war sie unzufrieden, weil sie im Dämmerlicht verwackelt waren oder durch den eingebauten Elektronenblitz der Kamera flach und farblich verfälscht wirkten. Erst am Abend, als sie die Bilder am Laptop betrachten konnte, hatte sie gemerkt, dass die Freude, wieder einmal in Wildberg zu sein, sie beim Fotografieren unkonzentriert gemacht hatte.
Im Park waren Fußgänger unterwegs, ein Pärchen am Teich, Eltern mit Kindern auf dem Spielplatz und in der Nähe des gegenüberliegenden Eingangs ein Grüppchen Radler, die auf den Bänken am Brunnen belegte Brote vesperten. Ein Mädchen im Badeanzug, kreischend, nass und sandig, rannte ihr vor die Füße.
Gleich würde die Sonne weg sein, und die Leute würden versuchen, sich vor dem Gewitter in Sicherheit zu bringen. In diesem Jahr kamen Blitz und Donner viel früher und häufiger als in den Jahren zuvor, dachte Silvia. Solch ein Wetter erwartete man üblicherweise im August und nicht im Juni. Sie beschleunigte ihren Schritt.
Die Kirche, der Fruchtkasten mit dem Heimatmuseum und das Fachwerkgebäude, in dem die hiesige Polizei residierte, lagen links vor ihr. Einmal mehr fiel ihr auf, dass der Polizeiposten in seinem Knusperhäuschen weder Autorität noch Kompetenz ausstrahlte. Die Bearbeitung eines Kapitalverbrechens konnte sie sich beim Anblick des moosbewachsenen steilen Daches und der kleinen Fenster überhaupt nicht vorstellen.
Auf dem Weg kam ihr Dirk Faist entgegen, der Nachbar ihrer Freunde und Besitzer des nach Lavendel duftenden Gartens. Im Gegenlicht schien er zu schwanken, seine Bewegungen wirkten eine Spur unkoordiniert. Wahrscheinlich hatte er um diese Uhrzeit schon ein, zwei Bier in dem Biergarten auf dem Campingplatz oder an einem der rustikal kariert gedeckten Tische der Minigolfanlage getrunken.
Hoffentlich suchte er niemanden zum Schwätzen, überlegte Silvia, sonst wurde ihr auf dem Rückweg möglicherweise die Kamera nass. Sie hätte die Kameratasche mitnehmen sollen. Aber nein, er schien mit seinen Gedanken woanders zu sein.
Aus der Nähe fielen ihr Schweißperlen auf seiner Stirn und der Oberlippe auf. Kein Wunder, er trug trotz der tropischen Temperaturen eine ausgebeulte Jacke und eine Outdoorhose mit Blasebalgtaschen. Darin hatte er offenbar einiges verstaut. Auch ihr trieb die Feuchtigkeit in der Luft den Schweiß auf die Haut.
»Hallo, Dirk, heiß heute, was?«
»Hallo, Silvia, ja, arg heiß.« Sein Blick schweifte zur Seite. »Ich war spazieren und ein Bier trinken. Am Pool auf dem Campingplatz ist es auszuhalten. Eigentlich wollte ich noch in den Kräutergarten, aber ich geh wohl besser gleich nach Hause. Schönen Abend.«
Sie nahm an, dass er den Regen vermeiden wollte, grüßte zum Abschied und nahm den Objektivdeckel von der Kamera. Die schlichte Kirche mit ihren dicken Mauern, den winzigen Fenstern und dem gedrungenen Türmchen konnten Besucher schon lange nicht mehr durch das Hauptportal betreten, sondern nur durch eine Pforte auf der dem Park abgewandten Seite, dicht bei der schattenspendenden Klostermauer. Drinnen umfing Silvia Halbdunkel, es war still und kellerkühl. Der Geruch von erloschenen Kerzen stieg ihr in die Nase, vermischt mit einem darunterliegenden undefinierbaren Aroma. Ein herbes Parfüm oder ein Rasierwasser?
Sie wusste, wo Grüne Männer darauf warteten, dass sie sie voller Begeisterung entdeckte wie früher als Kind ein gut verstecktes Osterei. Manchmal begegnete sie ihnen unverhofft, manchmal erst nach gezielter Suche. Hier gab es einen auf dem steinernen Taufbecken. Ihn hatte sie vor Jahren schon einmal gesehen, aber damals noch nicht verstanden, was er bedeutete.
Die Kamera meldete, dass das Blitzlicht zugeschaltet werden sollte. Silvia ignorierte die Technik, ging in die Hocke und stabilisierte ihre Position. Zur Ruhe kommen, einatmen, Luft anhalten, auslösen, ausatmen. Auf dem Display wirkte das Bild brauchbar, ob das stimmte, musste sich später wieder auf dem großen Monitor des Laptops beweisen. Mittlerweile hatten sich ihre Pupillen geweitet, sie konnte Kontraste und Details erkennen. Eine weitere Aufnahme von der Seite, die das Relief des Blattgesichts im Profil zeigte, die Poren im Stein und die angeschlagenen Blattspitzen absichtlich betont, die Vergänglichkeit des Unvergänglichen. Es war eines jener Exemplare, denen Blätter aus Stirn, Wangen und Kinn wuchsen. Silvia besaß in ihrer umfangreichen Bildersammlung auch Aufnahmen von Gesichtern, die von Blättern eingerahmt wurden oder zwischen ihnen hindurchschauten. Anderen wiederum entsprang das Grün sogar aus den Augen- und Mundwinkeln oder den Nasenlöchern. Ein paar der Grünen Männer aus dieser Kategorie wirkten eindeutig tot. Dagegen befanden sich bei vielen anderen Früchte oder Insekten im Grün und betonten so eine muntere Lebendigkeit. Wie einfallsreich die Schöpfer der Blattspeier selbst im Detail gearbeitet hatten, dachte sie.
Auf dem Profilfoto warf eines der Kirchenfenster unvorteilhaftes Licht, und das altertümliche Gestühl mit den hochgeklappten Sitzen im Hintergrund würde sie wegretuschieren müssen. Silvia änderte ihre Position. Der technische Fortschritt der Digitalfotografie begeisterte sie. Sie öffnete die Blende und wählte die Serienbildfunktion. Aus diesem Winkel gefiel ihr zwar das Gesicht aus Stein, aber sie erkannte auf allen Fotos der Serie einen Haufen Kleidung, der zwischen den beiden Reihen des Gestühls in den Gang ragte.
Sie spürte, wie sich ihr die Härchen im Nacken und auf den Armen aufstellten, während sie den Blick auf das störende Element richtete. Von dort drüben roch es nach dem Parfüm, sie war nicht allein.
Ihre Ahnung vertiefte sich. Bei genauerem Hinschauen sah sie zwei Beine von den Knien abwärts, in Stiefeln steckend und bedeckt von einem rüschigen schwarzen Kleidersaum.
Raus hier, raunte ihr Bauchgefühl, in einer Kirche hat so etwas normalerweise nichts zu suchen. Sie unterdrückte es.
Guck nach, befahl ihr Kopf, da ist jemand in Ohnmacht gefallen, und du musst helfen.
Sie lauschte angestrengt und kam langsam aus der Hocke hoch. Totenstille statt Atemgeräuschen.
Beklommen stakste sie hinüber und beugte sich über die erste Stuhlreihe. Mit dem Rücken an die Sitzflächen der zweiten Reihe gelehnt, lag eine Frau bewegungslos halb auf der Seite, die von Kajal umrahmten Augen nur fast geschlossen, den Blick gesenkt. Lange, schwarz gefärbte Haare verdeckten ihren Hals und einen Teil des Gesichts. Die dunkel nachgezogenen Augenbrauen ließen ihre Haut ganz blass aussehen.
Viola, war Silvias erster Gedanke. Was für eine Ähnlichkeit! Das Gesicht ihrer Tochter tauchte vor ihrem inneren Auge auf, verschwand wieder. Nein, das war sie natürlich nicht. Durchatmen.
»Hallo?«, sagte sie leise. »Brauchen Sie Hilfe?« Sie hoffte auf eine Antwort, erhielt keine. Sollte sie den Körper berühren? Ja, sie musste … Sie streckte die Hand aus und fühlte eine magere Schulter. Keine Reaktion. Vorsichtig schob sie die Haare der Frau zur Seite, um das Gesicht anzufassen. Dem armen Kind war etwas zugestoßen.
Was sah sie da am Hals? Das konnte doch nicht sein. Sie betrachtete die Stelle genauer, hatte sich tatsächlich nicht getäuscht. Ausgerechnet ein Blattgesicht, ein Tattoo. Im Schatten der Bankreihen sah es seltsam verwischt aus. Wieso …
Sobald ihre Hände weniger flatterten, legte sie die Finger an die schmale, viel zu bleiche Wange. Wann war die Frau zusammengebrochen? Lebte sie noch? Silvia konnte die Antwort nicht geben, jemand mit mehr Kompetenz musste ihr zu Hilfe kommen. Hastig wühlte sie in ihren Hosentaschen, suchte das Handy, wollte den Notarzt rufen. Halt – die Polizei war doch nebenan. Sie stürzte fassungslos aus der Kirche, blinzelte in die mittlerweile dunkelwolkige Helligkeit, rannte zu dem Fachwerkgebäude, die Stufen zur Eingangstür hoch, rüttelte am Türknauf – geschlossen.
Silvia holte tief Atem, um ihren Puls zu beruhigen. An der Tür hing ein schön poliertes Messingschild mit Öffnungszeiten und Telefonnummern für Notfälle. Als sie es endlich geschafft hatte, eine davon einzutippen, spielte der Himmel einen ersten Trommelwirbel.

2

Die Kamera war weg, womöglich hatte Silvia sie in der Kirche liegen gelassen. Einer der herbeitelefonierten Polizisten, der aus Nagold gekommen war, hatte ihre Frage danach jedenfalls mit der Floskel beantwortet, der Apparat sei sichergestellt. Das klang beunruhigend, zumal er auch ihr Handy beschlagnahmt und sie selbst freundlich, aber bestimmt einer Durchsuchung unterzogen hatte.
Nun saß sie im Hinterzimmer der Polizeidienststelle an einem Tisch mit vier Stühlen. Der Himmel draußen weinte nicht, er heulte. Vor dem Fenster in ihrem Rücken war der Rollladen heruntergelassen, und durch die offen stehende Tür des zum Vorplatz gelegenen Hauptraums sah sie, dass der Hof immer wieder von Blitzen erhellt wurde. Das Gewitter tobte direkt über ihr, das Licht flackerte, sie zuckte zusammen. Pulsierendes Blaulicht mischte sich unter die Blitze, Notarztsirenen unter das Donnergrollen. Keiner sprach mit ihr, auch wenn hin und wieder jemand den vorderen Raum mit der Empfangstheke betrat. Sie versuchte, die Telefongespräche mitzuhören, aber wenn es wichtig wurde, zogen sie die Tür zu. Ihr wurde kühl vom Herumsitzen mit dem Rücken zur Wand, die im Dauerschatten der Klostermauer liegen musste.
Einer der Uniformierten kam mit einem Kaffeebecher in der Hand herein. »Für Sie. Milch und Zucker?«
»Milch, bitte.« Sie freute sich auf einen heißen, die Sinne belebenden Schluck und wurde skeptisch, als er ein Zehnerpack einzelner Plastikdöschen mit Kondensmilch brachte. Eindeutig nicht das Café Sacher.
»Der Hauptkommissar weiß Bescheid und ist auf dem Weg. Wenn er sich mit Ihnen unterhalten hat, können Sie nach Hause gehen.«
»Kommissar? Was ist los? Ist die Frau wirklich tot?« Sie hatte es geahnt, kein lebendiger Mensch hätte so ausgesehen. Dieser Wachtmeister sagte bestimmt nur aus Mitleid, dass sie bald gehen durfte. Das würde wohl noch dauern. Ihr wurde mulmig, und das lag nicht nur am Kaffee.
»Darüber wird er gleich mit Ihnen sprechen.«
Die Tür wurde geschlossen, sie blieb allein zurück. Das Deckenlicht mit seiner brummenden Uralt-Neonröhre verbreitete eine klaustrophobische Atmosphäre. Als ob der Raum kein Fenster hätte. Sie fröstelte wieder. Wie lange musste sie wohl hier ausharren? Das teefarbene Getränk schmeckte furchtbar und war kaum lauwarm.
Als die Tür mit einem Ruck aufsprang, wurde sie aus der Endlosschleife ihrer Gedanken gerissen. Ein athletischer Schrank im regenbetropften Anzug trat ein und brachte einen Kollegen und einen Schwall kühle Luft mit. Silvia spürte den Hauch auf den nackten Armen. Der tiefe Halsausschnitt ihres T-Shirts entblößte reichlich schutzbedürftige Haut.
»Guten Abend«, sagte er, drückte ihre Finger mit seiner feuchten Hand zusammen und versuchte offenbar, mit seinem Blick in ihre Augen bis in ihr Hirn vorzudringen. »Mein Name ist Ralf Reutter von der Kripo Calw. Der Herr neben mir wird unserer Unterhaltung beisitzen.« Beide Männer hatten nasse Haare.
»Bin ich froh, dass Sie endlich gekommen sind, vielen Dank.«
»Ich habe eigentlich dienstfrei, wohne aber in Wildberg, daher war ich dran.« Kurzes Hochziehen der Mundwinkel. »Und wie heißen Sie?«
»Silvia Salomon. Gehen Sie immer so mit Leuten um, die nur Hilfe holen wollen? Durchsuchen und dann ignorieren? Ich hätte gerne meine Kamera und mein Handy zurück.«
»Später. Zuerst Ihren Ausweis, bitte.«
»Vorhin habe ich jemandem gesagt, dass meine Papiere zu Hause liegen. Ich habe meine Brieftasche nicht mitgenommen.«
»Dann werde ich diesen Jemand schicken, um den Ausweis zu holen. Wo wohnen Sie?«
»Ich bin zu Besuch bei Freunden, ich komme nicht von hier.« Sie nannte die Adresse von Anne und Michael, ausdruckslos notierte er die Angaben.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«
Schwacher Versuch. »Bloß nicht. Kann ich meine Freundin anrufen? Sie macht sich bestimmt Sorgen, wo ich bleibe, und kriegt einen Schreck, wenn die Polizei klingelt.«
»Das Ri...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. 2018-06-20-22:38
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. 2007-11-04-18:22
  11. Kapitel 7
  12. Kapitel 8
  13. 2008-03-16-19:14
  14. Kapitel 9
  15. 2008-12-26-23:47
  16. Kapitel 10
  17. Kapitel 11
  18. Kapitel 12
  19. Kapitel 13
  20. 2009-08-18-22:29
  21. Kapitel 14
  22. 2010-06-09-17:12
  23. Kapitel 15
  24. Kapitel 16
  25. Kapitel 17
  26. 2012-10-24-11:05
  27. Kapitel 18
  28. 2013-09-07-20:56
  29. Kapitel 19
  30. 2014-01-18-18:41
  31. Kapitel 20
  32. Kapitel 21
  33. 2014-08-23-20:59
  34. Kapitel 22
  35. Kapitel 23
  36. Kapitel 24
  37. 2015-05-06-21:02
  38. Kapitel 25
  39. Kapitel 26
  40. Kapitel 27
  41. Kapitel 28
  42. Kapitel 29
  43. Kapitel 30
  44. 2015-05-10-06:14
  45. Kapitel 31
  46. Kapitel 32
  47. 2016-10-03-01:34
  48. Kapitel 33
  49. Kapitel 34
  50. Kapitel 35
  51. Kapitel 36
  52. 2017-04-09-20:49
  53. Kapitel 37
  54. Kapitel 38
  55. Kapitel 39
  56. 2017-06-14-19:28
  57. Kapitel 40
  58. Kapitel 41
  59. 2017-11-13-23:02
  60. Kapitel 42
  61. Kapitel 43
  62. 2007-11-04-18:22
  63. 2018-03-21-22:16
  64. Kapitel 44
  65. 2018-06-18-22:30
  66. Kapitel 45
  67. Kapitel 46
  68. 2018-06-22-00:54
  69. Kapitel 47
  70. Anmerkung der Autorin
  71. Literaturhinweise
  72. Danksagung
  73. Leseprobe