1 Vorwort und Dank
Liebe Leserinnen und Leser,1 das Zitat, das diesem Buch den Titel gibt, stammt von einem bayerischen Finanzbeamten, der einer Umsatzsteuertrickserei in Höhe von etwa 1 Million Euro auf die Spur kam und die Abteilungsleitung bat, dies verfolgen und ahnden zu dürfen. Dies wurde abgelehnt mit dem Hinweis auf die knappen Ressourcen der Abteilung: Eine Prüfung hätte zur Folge, dass man mit der regulären Bearbeitung von Steuerfällen in Verzug käme, was angesichts von Arbeitsanfall und Erledigungsquoten-Erwartung nicht hinnehmbar sei. Diesen Vorfall kommentierte der Beamte mit dem Ausruf: „Das Geld liegt auf der Straße und wir dürfen es nicht aufheben. Wir verschenken Milliarden!“
Dies ist kein Einzelfall. Laut dem Bayerischen Obersten Rechnungshof entgehen allein Bayern pro Jahr „mindestens eine Milliarde Euro“ durch Umsatzsteuerbetrug (2011, S. 87). Aber natürlich liegt das Problem nicht nur bei unterbesetzten Finanzbehörden. Es liegt auch am Steuerwettbewerb, an rechtlichen ‚Gestaltungsoptionen‘ und den Möglichkeiten, die die finanzielle Globalisierung politisch gewollt für Illicit Financial Flows geschaffen hat, wie Ökonomen die illegalen oder in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität angesiedelten Geldflüsse bezeichnen.
Die Jesuitenmission Nürnberg finanzierte das Dreiländer-Projekt zu Steuergerechtigkeit und Armut zunächst aus einem Bauchgefühl heraus. Wir waren der Ansicht, dass sowohl das Wohlstandsgefälle als auch das Staatsdefizit in Deutschland, Kenia und Sambia keine Naturgewalten sind, sondern von Menschen ermöglicht wurden und entsprechend auch wieder behoben werden können. Konkret: Afrikanische Länder bräuchten eigentlich keine Entwicklungshilfe bzw. die Staatsverschuldung unserer Länder könnte behoben werden, wenn, ja wenn man das Geld dort abschöpfen könnte, wo es vorhanden ist.
Dieses Bauchgefühl wandelte sich zunehmend in eine konsolidierende Gewissheit: Das Geld für viele drängende Gemeinschaftsaufgaben ist da, aber man kommt nicht ran.
Dabei verkennen wir als Spenden sammelnde Organisation durchaus nicht, dass viele Vermögende auf ihre Weise in der Welt viel Gutes tun. In diesem Buch geht es aber auch um Bestimmungsversuche zu Verhältnismäßigkeit und Proportionen zwischen den Profiten weniger und dem, was der Gemeinschaft zurückgegeben wird. Dabei steht immer wieder der global-katholische Blickwinkel mit den (auch) legitimen Interessen von Investoren oder örtlichen Gemeinschaften und Politikern in Spannung.
Was Sie in der Hand halten, ist die deutschsprachige Kurzzusammenfassung längerer Ausführungen zu unseren Forschungsergebnissen. Diese aufgrund des internationalen Charakters des Projekts auf Englisch verfassten Publikationen (sowie Hinweise zu daraus erwachsenden Publikationen) sind auf der Projektwebsite www.taxjustice-and-poverty.org veröffentlicht.
Dieses Buch wäre ohne die großzügige Hilfe der vielen Gesprächspartner nie zustande gekommen. Diesen sei abschließend besonders gedankt, ebenso allen, die Texte gegengelesen haben, etwa Peter Wahl, Verlagslektor Heribert Handwerk sowie jenen acht anderen, die namentlich nicht genannt werden wollen.
Wir hoffen, dass dieses Buch Grundlage für weitere gute Gespräche sein kann, ebenso wird gebeten, Fehler und Verbesserungsvorschläge rückzumelden.
Nürnberg, 17. Oktober 2016
Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut
Klaus Väthröder SJ
Leiter der Jesuitenmission Nürnberg
1 Der Lesbarkeit halber wird auf eine „gegenderte“ Ausdrucksweise verzichtet, selbstverständlich sind Männer und Frauen jeweils gleichberechtigt mit-gemeint.
2 Einführung zum Projekt2
Anfang des Jahres 2013 beschlossen die Jesuitenmission Deutschland, das Jesuit Hakimani Center in Nairobi/Kenia und das Jesuit Centre for Theological Reflection in Lusaka/Sambia ein dreijähriges Forschungsprojekt mit dem Titel „Steuergerechtigkeit und Armut: Verringerung des Wohlstandsgefälles und der Staatsverschuldung“.
Der Schwerpunkt dabei lag auf „Armut“, d. h. darauf, inwieweit aktuell gültige oder denkbare Steuersysteme sich auf Armut und Arme auswirken bzw. wie Reformen die Situation verbessern können. „Armut“ wird dabei nicht nur materiell verstanden, etwa im Hinblick auf ein finanzielles Mindesteinkommen (aktuell laut Weltbankfestsetzung 1,90 US-Dollar) oder die Entwicklung von nationalen Durchschnittseinkommen. Entscheidend bei der Beurteilung ist die De-facto-Entwicklung der Lebensbedingungen von Personen und Haushalten am untersten Ende der Gesellschaft: Verbessert sich diese Situation bzw. nimmt die Größe dieser Gruppe zu oder ab? Rein an finanziellen Größen gemessen scheint sich die Situation vielerorts während der vergangenen Jahrzehnte tatsächlich verbessert zu haben. Die Frage ist allerdings, ob man sich von dem verfügbaren Geld heute genauso viel leisten kann wie noch vor einigen Jahren und wo man lebt. Darüber hinaus hat das Projekt einen erweiterten Armutsbegriff, etwa im Sinne von Amartya Sens Befähigungsansatz oder von Oswald von Nell-Breunings Auslegung der Katholischen Soziallehre, nach der zusätzlich zu Fragen der materiellen Lebenserhaltung auch jene Faktoren berücksichtigt werden müssen, die eine selbstbestimmte Lebensgestaltung und damit Möglichkeiten zu sozialem Aufstieg beeinflussen.
Dabei muss zunächst geklärt werden, welche Zusammenhänge zwischen „Armut“ und „Ungleichheit“ bestehen, d. h. zwischen Schlüsselkonzepten des Titels und Untertitels, denn nach Annahmen der neoliberalen „Trickle-down“-Theorie kann Ungleichheit wachsen und Armut gleichzeitig abnehmen. Hier stellen sich die Forscher auf die Seite jener, die ein Funktionieren dieser Annahme hinterfragen und im Hinblick auf ihre Länder als nicht (mehr) gültig ansehen.
Sodann müssen die Zusammenhänge geklärt werden, die zwischen „Steuersystemen“3 einerseits und Armut andrerseits bestehen. Diese Zusammenhänge sind vierfach:
– Zunächst können existierende Steuersysteme Arme mehr belasten als Reiche.
– Wenn dem so ist, können Veränderungen (zweitens) bewirken, dass Reiche wieder ihrem Leistungsvermögen entsprechend stärker besteuert würden und dadurch Armut durch Umverteilung besser bekämpft bzw. Armen besser geholfen werden könnte.
– Drittens muss bedacht werden, ob nicht Alternativen, etwa Privatinvestitionen oder private Stiftungen, Armut besser und wirkungsvoller verringern können als Steuern bzw. ob Steuern solche besseren Alternativen schwächen würden.
– Letztlich gehört die Frage dazu, inwieweit hier vorkommende kriminelle Praktiken Marktmechanismen verzerren (etwa über Korruption oder durch Abgabenbetrug erlangte Vorteile gegenüber Mitbewerbern in Ausschreibungen) bzw. hier vorkommende Straftaten (Steuerhinterziehung, Karussellbetrug, Schwarzarbeit …) sich in den großen Bereich der weltweiten Illicit Financial Flows einordnen lassen.
Vorstehendes deutet bereits an, dass im Laufe der regelmäßigen Auswertungstreffen der Forscher vier Bereiche als so bedeutsam für die Situation in allen drei Ländern erkannt wurden, dass ihnen verstärkte Beachtung gewidmet wurde: die Frage ethischer Begründungen, die Problematik großer privater Vermögen, Illicit Financial Flows sowie Besteuerungsprobleme im Kontext der informal economy in afrikanischen Ländern bzw. der Schattenwirtschaft für Deutschland.
Die Arbeit zu vorstehenden Themen fand in den drei Ländern des Projekts unter sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen statt (Tendet-Ki- protich, Alt & al., 2013). Für alle Forscher galt jedoch, was ein deutscher Experte aus der Steuerverwaltung so formulierte: „Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber als Außenstehender werden Sie das System nie verstehen. Eigentlich kann man das System und seine Schwachstellen nur verstehen, wenn man drinsteckt und damit klarkommen muss.“
Das ist für Sozialwissenschaftler zugegebenermaßen schwierig, dennoch halten wir die Veröffentlichung der in dreijähriger Arbeit gewonnenen Erkenntnisse für gerechtfertigt. Die publizierten Unterlagen wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengetragen. Wir halten die Zusammenstellung unterschiedlicher Perspektiven und Reflexionsebenen für einen nützlichen Beitrag, um die gemeinsame Suche nach einer national und international gerechteren Besteuerung weiter zu befruchten – „gemeinsame Suche“ auch deshalb, weil wir selbst nach drei Jahren Beschäftigung zu vielen Themen lediglich begründete Präferenzen, aber keine eindeutigen Vorschläge bieten können.
2 Siehe ausführlicher: Tax Justice & Poverty, 2013a, Alt & al., 2016a, Alt & al., 2016b.
3 Unter „Steuersystem“ wird das Gesamt aus Steuergesetzen, deren nationalem und internationalem Vollzug sowie die dazugehörige Rechtsprechung verstanden.
3 Forschungsdaten, -methoden, -schwerpunkte4
Die Forschungsergebnisse beruhen auf folgenden Quellen: Literaturrecherche, Erkenntnisse durch Methoden der Qualitativen Sozialforschung sowie Umfragen.
Die Literaturrecherche war nur von begrenztem Nutzen: Die Kompliziertheit der Materie bringt es mit sich, dass man eigentlich alles beweisen kann, was man beweisen will. Hier ist stets wichtig zu schauen, wer was warum sagt und womit vergleicht. Hier wurde das Prinzip des ‚unüblichen Verdächtigen‘ angewendet: Wenn zu einem Sachverhalt Zitate der OECD oder eines Rechnungshofs vorlagen, wurde jenen Aussagen der Vorzug vor gleich lautenden gegeben, die (z. B.) von Wohlfahrtsverbänden oder Gewerkschaften stammen. Sodann existieren in der öffentlich zugänglichen Literatur für wichtige Bereiche kaum Informationen, was etwa an der überragenden Bedeutung des Steuergeheimnisses liegt. Entweder waren die Informationen so allgemein, dass sie nutzlos waren, oder sie waren unter Verschluss. Von Dritten (z. B. Universitäten) durchgeführte und veröffentlichte Forschung, wie sie in anderen Ländern existiert, ist in Deutschland extrem selten. Das Gleiche gilt für öffentlich zugängliche Erkenntnisse zu den Schwerpunktthemen dieses Projekts, nämlich Illicit Financial Flows, private Großvermögen sowie Schwarzarbeit. Diese Milieus sind extrem abgeschottet und schwer zugänglich, hinzu kommt, dass das Segment der Vermögenden derart klein ist, dass es sich gängigen, repräsentativen Bevölkerungsbefragungen (Mikrozensus, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, Sozio-oekonomisches Panel [SOEP]) zunächst einmal entzieht, während viele der verfügbaren Informationen, etwa in „Reichtumsrankings“, auf Eigenangaben beruhen, die ...