Ein ernsthafter Prozess
Noch ist nicht klar, wie die Bischofssynode 2015 enden wird: ob sie konkrete Ergebnisse haben wird und welche dies sein könnten. Eine nicht zu unterschätzende Frucht aber ist schon jetzt, dass ein ernsthafter Prozess begonnen hat. Eva-Maria Faber
Kritik an der Arbeitsweise der Bischofssynode war nach jeder der letzten Vollversammlungen zu hören, hat aber bisher nichts gefruchtet“, so schrieb Ulrich Ruh im Rückblick auf die Bischofssynode 2001 (Ruh, 621). In der Tat war die bisherige Geschichte der 13 ordentlichen und 2 ausserordentlichen Bischofssynoden seit Gründung dieser Institution 1965 weithin eine Geschichte von Enttäuschungen. Was begründet im Sommer 2015, zwischen der 3. ausserordentlichen und der 14. ordentlichen Bischofssynode, die Hoffnung, dass es diesmal anders sei? Manches ist jetzt schon anders.
PROZESS
Zum ersten Mal finden zwei Bischofssynoden zum selben Thema statt, so dass es möglich ist, die in der ersten Phase identifizierten Fragen zu vertiefen. Als ein solches Vorgehen bereits 1990 vorgeschlagen wurde, dachte man daran, dass ähnlich wie am Konzil in einer mehrjährig gedachten Zwischenzeit Sachkommissionen weiterarbeiten könnten (vgl. Kaufmann 1990, 207). Dies ist zwar nicht geschehen, dennoch ist unübersehbar ein Prozess intendiert. Ergebnisse sind also nicht insgeheim schon vorgegeben oder im Rahmen des Üblichen erwartet. Dieser Rahmen ermöglicht in Sachen Ehe und Familie eine ernsthafte Lernbereitschaft.
TRANSPARENZ
Die Absicht, die Realitäten von Ehe und Familie sachgemäss in den Blick zu nehmen, führte zu erfreulicher Transparenz. Zum Vergleich: nach Anlaufschwierigkeiten 1967 gab es zwar auch bisher Vorbereitungsdokumente. Das Instrumentum laboris wurde aber erstmals 1983 überhaupt publiziert. Als 1985 die Bischöfe von England und Wales ihre Stellungnahme zu einem Fragebogen veröffentlichten, schritt das Staatssekretariat ein (vgl. Kaufmann 1985, 225). Manche Strategien von Geheimhaltung durchbrach erst Papst Benedikt, indem er 2005 die abschließenden Propositiones veröffentlichen ließ. Neu war 2014, dass auch die Ergebnisse der Abstimmung über das Abschlussdokument publiziert wurden, und zwar samt jener Texte, die keine Zweidrittelmehrheit erreicht hatten. Damit werden kontroverse Themen nicht versteckt, sondern kenntlich gemacht.
GLAUBENSSINN DES VOLKES GOTTES
Der Prozess der Beratung bezog sich von vornherein auf die ganze Breite der Kirche. Die entstandene Dynamik ist viel tiefgründiger, als manche zugeben möchten. Unerwartet viele Menschen haben die Einladung zur Beteiligung angenommen. Zahlreiche Gespräche wurden geführt, viele und lange Briefe geschrieben, viele Zeugnisse gegeben. Darin wird deutlich, mit wie viel Lebenskompetenz Menschen ihre eigenen Beziehungen und die Lebensform von Ehe und Familie reflektieren und mit ihrem Glauben verbinden.
So kommt in den Blick, wie komplex die individuellen Lebenssituationen von Menschen in Partnerschaft, Ehe und Familie sind. Das von Papst Franziskus formulierte Prinzip wird Ernstfall: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ (Evangelii Gaudium Nr. 231).
Es ist zu hoffen, dass der aktivierte Glaubenssinn des Gottesvolkes sich künftig nicht mehr stummschalten lässt. Während der Generalsekretär der Bischofssynode, Kardinal Lorenzo Baldisseri, in seiner Präsentation des Instrumentum laboris 2015 eigens erinnert, dass das ganze Volk Gottes in den Prozess des Nachdenkens einbezogen wurde, wurden Befragungen der Gläubigen von einigen Seiten karikiert und als Plebiszit diskreditiert. Eine solch despektierliche Haltung gegenüber einer für die Kirche unverzichtbaren Bezeugungsinstanz stellt einen Verstoß gegen die Würde der Beteiligten und gegen die Communio der Kirche dar und darf nicht unwidersprochen bleiben.
FREIMUT
Anders als bei Vorgängersynoden wurden diesmal die Redebeiträge nicht veröffentlicht. Dafür gab es ausführliche Pressebriefings. Die Diskretion über die Voten dürfte der freien Debatte zuträglich gewesen sein. Dass eine solche gewünscht wurde, hatte Papst Franziskus bei seiner Eröffnungsrede überdeutlich gemacht: Man solle mit Freimut „alles sagen …, wozu man sich im Herrn zu sprechen gedrängt fühlt: ohne menschliche Rücksichten, ohne Furcht! Und zugleich soll man in Demut zuhören und offenen Herzens annehmen, was die Brüder sagen“. Die humorvolle Zusage, niemand müsse befürchten, dass der Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Müller ihn nach einer unliebsamen Rede angehe, ist nicht ohne Hintergrund. 1983 verlangte der damalige Präfekt der Glaubenskongregation von einem freimütig sprechenden Bischof eine Erklärung. Dieser gab zu verstehen, „er habe von der Freiheit der Rede in dieser Phase der Diskussion Gebrauch gemacht“ (Kaufmann 1983, 236).
Eine Kultur des Freimutes muss wachsen. Das offene Sprechen und das Zuhören gelingen noch nicht immer und überall. Die Bischofssynode 2014 war aber ein guter Nährboden.
DISKUSSION TABUISIERTER THEMEN
Die von Papst Franziskus nicht nur gewährte, sondern verlangte freie Meinungsäußerung betrifft Themen, die in der römisch-katholischen Kirche über einen langen Zeitraum tabuisiert waren. Offenkundig müssen die von manchen als geklärt angesehenen Fragen Gegenstand des Nachdenkens sein – auch wenn es um die Lebenswirklichkeit von nach Scheidung Wiederverheirateten und Homosexuellen geht. Es zeigt sich nun, wie problematisch ein Reflexionsstau ist: Verunsicherung, emotionale Kontroversen, unausgegorene und verletzende Positionierungen sind an der Tagesordnung. Rückgängig gemacht werden kann der Bruch der Staumauer kaum mehr. Es ist zu hoffen, dass die Kirche bald zu reiferen Perspektiven findet.
Eva-Maria Faber
seit 2000 Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur.
LITERATUR
Kaufmann, Ludwig, Bischofssynode: Etliches erstickte in den Dornen…, in: Orientierung 47 (1983) 233-237.
Ders., Was neu beleben, wo anknüpfen?, in: Orientierung 49 (1985) 225-228.
Ders., „Bischofssynode“?, in: Orientierung 54 (1990) 205-207.
Papst Franziskus, Grussadresse von Papst Franziskus zur Eröffnung der Bischofssynode, 6.10.2014: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2014/october/documents/papa-francesco_20141006_padrisinodali.html (18.8.2015).
Ruh, Ulrich, Ideal und Wirklichkeit. Die Vollversammlung der Bischofssynode über das Bischofsamt, in: HerKorr 55 (2001) 617-621.
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Elternschaft heute
Ob die Herausbildung neuer Lebensformen, die vom klassischen Begriff der Familie (bestehend aus Vater und Mutter, miteinander verheiratet, und ihren biologischen Kindern) abweichen, als Verfall oder als Erweiterung gedeutet werden soll, ist höchst umstritten. Viel weniger umstritten hingegen ist Elternschaft als der normative Kern jedes „familialen“ Zusammenlebens. Dabei steht „Elternschaft“ sowohl für den Sachverhalt, ein Kind zu bekommen, als auch für die besondere Qualität des Ensembles, das das Zusammenleben eines Kindes mit seinen Eltern bildet. Konrad Hilpert
Diese besondere Qualität lässt sich durch drei Eigenheiten beschreiben: Elternschaft ist erstens ein Beziehungs-Verhältnis unter mehreren Personen und unterscheidet sich dadurch grundsätzlich vom Alleinleben und erst recht von Formen des Umgangs mit Dingen. Zweitens geht es dabei um persönliche Beziehungen, also um solche, bei denen es darauf ankommt, dass die Personen, die in der Beziehung miteinander verbunden sind, gerade diese sind und nicht, wie bei einer Dienstleistung, durch andere ausgetauscht werden können. Wichtigkeit und Unersetzbarkeit äußern sich in Gefühlen, emotionaler Bindung, Vertrautheit und Möglichkeiten der Einflussnahme, die über die Befriedigung von Bedürfnissen weit hinausreichen. Die Verbundenheit ist m.a.W. nicht eine allgemein menschliche, sondern eine, die sich dadurch auszeichnet, dass man Eltern von jemandem Bestimmtem bzw. Sohn oder Tochter ganz bestimmter Personen und von niemand Anderem ist. Drittens besteht zwischen Eltern und ihren Kindern eine temporale Differenz und in der Regel auch ein abstammungsmäßiges Verhältnis. Es sind also Angehörige zweier verschiedener Generationen, die miteinander in Beziehung stehen und füreinander sorgen, vornehmlich am Beginn des Menschwerdens und an seinem Zuende-gehen.
SINNZUSCHREIBUNGEN
Elternschaft stellt eine einschneidende Erfahrung und eine Zäsur im Lebensverlauf dar, mit der etwas Neues beginnt. Das verhält sich so biologisch, sozial und psychisch, aber auch rechtlich und kulturell. Deshalb wird ihrer Herbeiführung und ihrem Bestehen von den beteiligten Akteuren wie auch von der sozialen Umgebung Sinn zugeschrieben. Elternschaft erschöpft sich nicht in „Fortpflanzung“ und „Nachwuchshaben“, in „Nachkommenschaft“, in der Transformation der Ehe zur Familie oder in der „Erfüllung“ der Ehe oder gar darin, eine unvermeidliche Folge sexueller Praxis zu sein, sondern es geht auch um eine konkrete Familie, um die Fortsetzung einer bestimmten Generationenlinie, um dieses bestimmte Paar und „seine“ Kinder, oder um Mutterschaft und Vaterschaft als Verwirklichung oder Steigerung des eigenen Frau- und Mannseins. Gerade im Maß, wie Elternschaft nicht einfach von selbst – unvermeidbar, schicksalhaft, hingenommen – eintritt, sondern gewünscht, zugelassen oder herbeigeführt wird, wächst der Spielraum, das, was sie ausmacht und einfordert, zu begründen und sie als konkrete Realisation einer moralischen Grundkonstellation zu verstehen, etwa als:
eine Form von Selbstverwirklichung, als Ausdruck der Dankbarkeit für die selbst (von den eigenen Eltern) erfahrene Bejahung und Fürsorge, als Bereitschaft und Verpflichtung, den für die Identität des Kindes immer bedeutsam bleibenden Anteilen der leiblichen Abstammung, der entstandenen sozialen Bindung und der familiären Zugehörigkeit durch Zusammenleben und Verantwortung füreinander Raum und Ausdruck zu geben, als die evidente Verpflichtung zur Fürsorge und umfassenden Begleitung eines neuen Menschenkindes, das in seiner Angewiesenheit und sozialen Verletzlichkeit seinen erwachsenen Erzeugern anvertraut ist, als praktisches Bekenntnis dazu, dass die Welt trotz aller Skandale und fatalen Entwicklungen nicht zum Untergang verurteilt ist, sondern mit jedem Kind neue Kraft erhält (also als Widerspruch zu einer „Kinderlosigkeit aus Verantwortung“), theologisch auch als Mitwirkung „mit der Liebe Gottes des Schöpfers“ und „gleichsam als Interpretation dieser Liebe“ (GS 50). VERANTWORTUNG IN UND FÜR ELTERNSCHAFT
Ungeachtet solcher Zuschreibungen haben Menschen, Sozialverbände und Rechtsordnungen schon immer mit Elternschaft ein besonderes Maß an Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für die hervorgebrachten Kinder verknüpft. Diese umfasst die Pflicht zur Erhaltung und Versorgung, Ernährung, Pflege und zum Schutz vor Bedrohung durch Natur und Menschen.
Allerdings kann sich elterliche Verantwortung nicht auf Ernährung, Pflege, Obdach und Schutz beschränken. Kinder sind Lebewesen, die, wenn sie „zur Welt kommen“, völlig abhängig und gleichwohl von vornherein dazu bestimmt sind, sich allmählich zu einem eigenständigen Individuum zu entwickeln, das in der Lage sein wird, seinen eigenen Weg durch das Leben zu gehen. Dazu brauchen sie anhaltende Liebe und emotionale Zuneigung der Eltern. Die müssen sich aber auch umfassend um das Kind kümmern, also es mit der Kultur, in der es aufwächst, vertraut und es sozial- und gesellschaftsfähig machen, sein körperliches und seelisches Wachsen unterstützen, es in seinen Anlagen und Begabungen fördern, es in seiner Entwicklung immer wieder neu kennenlernen, mit ihm denken, seine sich entwickelnde Eigenständigkeit fördern und aushalten, manchmal auch korrigieren. Für Eltern in den heutigen hochkomplexen Gesellschaften wichtig ist auch die Sorge um eine gute Bildung, einschließlich der Möglichkeit, Fremdsprachen zu erlernen und geistige, manuelle, sportliche, künstlerische und musische Potentiale zu entdecken und auszubilden.
Elterliche Verantwortung muss sich, je größer und selbstständiger die Kinder werden, desto mehr zurücknehmen. Sie hört aber gefühlsmäßig wie auch faktisch nie auf, auch wenn das Recht ein solches Zuende-gehen definiert. Mit der gesellschaftlichen Entwicklung und der Verlängerung der Ausbildungszeiten und auch der Unsicherheiten beim Übergang von der Ausbildung in den Berufseinstieg weitet sich die elterliche Verantwortung sogar noch aus. Dieser Prozess der Ausweitung der elterlichen Verantwortung findet aber auch nach der entgegengesetzten Richtung hin statt, nämlich im Zeitraum vor der Geburt. Elterliche Verantwortung auch schon während der Schwangerschaft hat es zwar schon immer gegeben, insbesondere in der Form der Akzeptanz und Fortsetzung der Schwangerschaft und in der Form der rücksichtsvollen Lebensweise vor allem der Mutter (z.B. Verzicht auf Alkohol, Nikotin, auf bestimmte Arten von Sport), aber auch des Vaters. Die Entwicklung des modernen medizinischen Wissens und ihrer Techniken – besonders der diagnostischen Möglichkei...