II. Teil: Fallstudie
3. John Hick
3.1 Kapitelübersicht
In diesem zweiten Teil der Arbeit stehen zwei religionstheologische Fallstudien im Zentrum der Betrachtung. In dieser ersten Fallstudie steht mit John Hick sozusagen der „Stammvater“1 der pluralistischen Religionstheorie im Fokus. Hick ist ein Vertreter der pluralistischen Religionstheorie, der gewissermaßen repräsentativ für diese Denkrichtung stehen kann.2 Obwohl schon sehr viel über Hick gearbeitet wurde, erscheint es sinnvoll, seinen Entwurf einer detaillierten systematischen Analyse zu unterziehen. Dies hauptsächlich aus folgenden Gründen: (1) Hick hat die Ausformulierung der pluralistischen Religionstheorie maßgeblich geprägt. Seine Bedeutung für die pluralistische Religionstheorie ist deshalb nicht zu unterschätzen.3 (2) Hick kann als „Vater“ der pluralistischen Religionstheorie stellvertretend für weitere Denker dieser religionstheologischen Position stehen. Seine Grundgedanken finden sich auch bei seinen Schülern. Viele pluralistische Denker wurden direkt oder zumindest indirekt durch Hick beeinflusst. (3) Hicks Gesamtwerk wurde – soweit es diese Untersuchung überblicken kann – noch nicht unter der Leitperspektive der negativen Theologie ausgewertet. Eine Betrachtung unter der Fragestellung der negativen Theologie erscheint sinnvoll, weil sie neue Erkenntnisse liefern kann.4
Diese erste Fallstudie gliedert sich wie folgt: In einem ersten Schritt werden einige einleitende Bemerkungen gegeben zu Hicks Bedeutung für die pluralistische Religionstheorie, zu dessen Werkentstehung und wissenschaftlichen Entwicklung. In einem zweiten Schritt wird Hicks Religionstheologie unter der Leitperspektive des religiösen Pluralismus der Gegenwart dargestellt, d.h. der Intention Hicks entsprechend nachgezeichnet, womit der sachlogische Zusammenhang zwischen der negativen Theologie und der pluralistischen Religionstheorie aufgezeigt wird. In einem dritten Schritt steht die negative Theologie in Hicks Entwurf im Zentrum der Betrachtung. Dabei werden zwei Fragen besonders beleuchtet: einerseits die Frage nach der Funktion der negativen Theologie und andererseits die Frage nach dem Modell der negativen Theologie im Entwurf Hicks. In einem abschließenden vierten Schritt wird die Argumentation einer Kritik unterzogen. Zwar kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht annähernd ein umfassender Forschungsüberblick gegeben werden, dennoch soll nicht darauf verzichtet werden, die einzelnen Prämissen und Argumentationsschritte der pluralistischen Hypothese einer Kritik zu unterziehen.
Die Darstellung der pluralistischen Religionstheorie erfolgt in diesem Kapitel der Intention Hicks, d.h. zunächst soweit als möglich wertfrei. Das meint, alle Themen werden dem Selbstverständnis Hicks entsprechend rekonstruiert und dargestellt. Es ist das Recht eines jeden Autors, zunächst einmal seinem Grundverständnis nach und ohne interpretatorische Verzerrung zur Sprache zu kommen. Eine kritische Diskussion der Gedanken Hicks findet sich erst im letzten Kapitel dieser Fallstudie.
3.2 Werk und Entwicklung
Den Ausgangspunkt des religionstheologischen Werkes Hicks bilden in philosophischer Hinsicht offene Sachfragen im Rahmen der Religionsphilosophie5 (in erster Linie Fragen der Epistemologie) und in theologischer Hinsicht die ganz praktische interreligiöse Arbeit sowie die Begegnung mit Anhängern nichtchristlicher Religionen.6 Besonders stark geprägt wurde Hick nach eigenen Angaben vom Religionswissenschafter Wilfred Cantwell Smith.7 Hick sieht seinen pluralistischen Entwurf als Überwindung des Inklusivismus, welcher zwar selbst wiederum den Exklusivismus überwunden hat, letztlich aber doch nur als vorübergehende Erklärung im Sinn eines Epizyklus dient und durch das pluralistische Paradigma abgelöst werden muss.8 Folgende Werke können repräsentativ für Hicks wissenschaftliche Entwicklung stehen:9
In seiner Dissertation Faith and Knowledge10 (1. Aufl. 1957) setzt sich Hick u.a. mit der Rationalität des religiösen Glaubens und der Religionskritik des logischen Positivismus auseinander. Im Zentrum der Untersuchung steht dabei die Bestimmung des Glaubens als das interpretative Element der religiösen Erfahrung sowie die Kognitivität der religiösen Sprache.11 In Evil and the God of Love12 (1. Aufl. 1966) steht das Theodizee-Problem im Fokus der Betrachtung. Nicht nur die Religionskritik des logischen Positivismus, sondern auch die Frage nach dem Leiden in der Welt zieht die Rationalität des religiösen Glaubens in Zweifel. Hick kommt zum Ergebnis, dass die Erfahrung des Übels in der Welt angesichts eines allmächtigen und allgütigen Gottes zwar ein nicht lösbares Problem darstellt, jedoch nicht von vornherein gegen die Rationalität des religiösen Glaubens stehen muss. In Arguments for the Existence of God13 (1. Aufl. 1970) geht Hick die Frage nach der Rationalität des religiösen Glaubens von den Gottesbeweisen her an. Die Untersuchung liefert den Befund, dass trotz fehlender Beweisbarkeit die Existenz Gottes und damit verbunden die religiöse Erfahrung des Menschen als rational berechtigte Hypothese gelten kann. Die pluralistische Hypothese entwickelt Hick ab 1970 in mehreren Aufsätzen, welche mehrheitlich in den folgenden vier Sammelbänden enthalten sind:14 God and the Universe of Faiths15, God Has Many Names16, The Second Christianity17, Problems of Religios Pluralism18. Mit der pluralistischen Hypothese versucht Hick eine Antwort zu geben auf den religionskritischen Einwand des religiösen Pluralismus im Rahmen einer religiös-globalen Interpretation von Religion. Zweifellos das religionstheologische Hauptwerk John Hicks bildet An Interpretation of Religion19. Hick vertieft darin seine Überlegungen zur Rationalität des religiösen Glaubens, zur Epistemologie sowie zur kognitivistischen Interpretation der religiösen Rede. Das Werk hat weltweites Echo ausgelöst und zählt mit Sicherheit zu den herausragenden Wer...