RReflexion
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Sabine Pemsel-Maier | Freiburg i.Br.
geb. 1962, verheiratet, Professorin für Dogmatik und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg
Gender und Spiritualität
Überlegungen zu einem nicht selbstverständlichen Verhältnis
Innerhalb der katholischen Kirche werden in jüngster Zeit Stimmen lauter, die vor der so genannten Gender-Ideologie warnen. Sie beziehen sich auf Gendertheorien, die das Prinzip Gender in ihren Mittelpunkt stellen, auf die wissenschaftliche Reflexion des Genderbegriffs in den Gender Studies, sowie auf Gender Mainstreaming als konkreten Prozess der Umsetzung von Gender in einer Institution.
Kritik kommt nicht nur von einzelnen Bischöfen, etwa von Vitus Huonder aus Chur, sondern von der polnischen, slowakischen, ungarischen und kroatischen Bischofskonferenz sowie von den norditalienischen Bischöfen.1 Auch Benedikt XVI. hatte sich in einer Ansprache beim Weihnachtsempfang 2012 dezidiert von der „Gender-Ideologie“ abgegrenzt.2 Gleichermaßen tut dies das Arbeitsdokument der römischen Bischofssynode, die im Herbst 2014 zu Fragen der Familie tagte.3 Seit dem gleichen Jahr vertreibt Kirche in Not, katholisches Hilfswerk päpstlichen Rechts, die Broschüre Gender Ideologie. Ein Leitfaden4, um damit über die Gefahren von Gender und der politischen Agenda des Gender Mainstreaming zu warnen. Im Juli 2014 forderten die Teilnehmer(innen) des Kongresses Freude am Glauben, veranstaltet vom Forum deutscher Katholiken, die katholischen Bischöfe in Deutschland auf, gegen die „für die deutsche Gesellschaft verheerende Gender-Ideologie“ zu protestieren und wandten sich in einer eigenen Resolution gegen „Gender-Vorgaben“ in Bildungsplänen, die „die Kinder in eine enge, vorgegebene Richtung formen“.5 Zu den prominentesten und von der Öffentlichkeit wirksam wahrgenommenen Stimmen des Forums zählt die katholische Publizistin Gabriele Kuby mit ihren Büchern6 sowie einem in vielen Kirchen ausliegenden Traktat.7 Dass die Vorbehalte gegen Gender keine rein katholische Angelegenheit sind, bestätigen auf evangelischer Seite die Vorwürfe der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, die Gender Mainstreaming als „ungeheuer gefährlich“ und als „Verstoß gegen die göttliche Schöpfungsordnung“8 deklarieren.
Gender-Theorie oder Gender-Ideologie?
Auf der anderen Seite haben Gendertheorien ihren festen Ort in der theologischen Forschung und Lehre. Ihre Erkenntnisse und Analysen bleiben nicht auf ein schmales Spezialforschungsgebiet beschränkt, sondern sind in die verschiedenen Disziplinen und in den allgemeinen theologischen Wissensbestand eingegangen.9 Gender Studies und theologische Geschlechterforschung sind Gegenstand universitärer Curricula und Prüfungsordnungen. Eigene Arbeitsstellen für Theologische Genderforschung wurden an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn10 sowie für Feministische Theologie und Genderforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster11 eingerichtet; im April 2014 eröffnete die Evangelische Kirche in Deutschland in Hannover das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie.12 Gender Mainstreaming wird im Zuge von Gleichstellungsmaßnahmen in kirchlichen Verbänden13 und Ordinariaten etabliert,14 mit Wissen, Zustimmung, Aufforderung oder zumindest Duldung der jeweiligen Bischöfe. Der vormalige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, mahnte 2013 im Rahmen einer Frühjahrsvollversammlung die Notwendigkeit einer „geschlechtersensiblen Pastoral“15 an, die die Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern berücksichtigt.
Ein Widerspruch? Ausdruck eines tiefen Grabens zwischen konservativen und progressiven Strömungen innerhalb der Kirche? Ein Zeichen dafür, dass die „Genderitis“ auch die Kirchenleitungen erfasst hat? Oder ein Signal dafür, dass kirchliche Vertreter und Institutionen sensibel geworden sind für die Bedeutung von Geschlecht und die damit verbundenen Differenzierungen? Nicht zuletzt ein Anlass zu fragen: Ist die Beachtung von Gender notwendigerweise Ideologie? Oder kann Gender, wie jede Weltanschauung, potentiell zwar zur Ideologie werden, ist dies aber keineswegs per se und immer? Ist umgekehrt womöglich die harsche Kritik an der Gendertheorien selbst Ausdruck von Ideologie? Und welche sind die wesentlichen theologischen Gründe für ihre Ablehnung?
Notwendige Klärungen
Gender-Kritik: Gründe und Argumente
Es ist ein ganzes Bündel von Argumenten, die die Gender-Kritik ins Feld führt. Ihr Kern aber ist die angeblich falsche anthropologische Grundentscheidung, die sich mit Gender verbinde und geradezu zu einer Revolution führe: „Die tiefe Unwahrheit dieser Theorie und der in ihr liegenden anthropologischen Revolution ist offenkundig. Der Mensch bestreitet, dass er eine von seiner Leibhaftigkeit vorgegebene Natur hat, die für das Wesen Mensch kennzeichnend ist. Er leugnet seine Natur und entscheidet, dass sie ihm nicht vorgegeben ist, sondern dass er selber sie macht.“16 Mit der postulierten Leugnung der durch die eigene Leiblichkeit „vorgegebenen Natur“ gerät die Kategorie Gender unter das Verdikt des „Widernatürlichen“. Wasser auf die Mühlen war beim Grand Prix d`Eurovision 2014 der Auftritt des homosexuellen Transvestiten Thomas Neuwirth als Conchita Wurst mit Frauenkleidern und Vollbart. Wo das Geschlecht beliebig wählbar und letztlich „wurst“ erscheint, entsteht der Eindruck, dass der christlichen Anthropologie der Abschied erteilt werde. Die Folge sei die Leugnung des Schöpfungsglaubens, des Schöpfergottes und der Gottesebenbildlichkeit des Menschen: „Wo die Freiheit des Machens zur Freiheit des Sichselbst-Machens wird, wird notwendigerweise der Schöpfer selbst geleugnet und damit am Ende auch der Mensch als göttliche Schöpfung, als Ebenbild Gottes im Eigentlichen seines Seins entwürdigt (…) Und es wird sichtbar, dass dort, wo Gott geleugnet wird, auch die Würde des Menschen sich auflöst.“17 Im zwischenmenschlichen Bereich – auf der Ebene der Horizontale – führe die Gender-Ideologie zur Leugnung der Unterschiede zwischen Mann und Frau sowie zur Verunglimpfung und Zerrüttung von Ehe und Familie, zu der konstitutiv Vater, Mutter und Kind(er) gehörten, damit der Begriff der Familie erfüllt sei. Bereits 2004 hatte die Kongregation für die Glaubenslehre die in der Schöpfungsordnung verankerte Verschiedenheit von Mann und Frau geltend gemacht, jede Nivellierung der „natürlichen“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern verurteilt und dem „Genius der Frau“ Fürsorge und Mütterlichkeit zugeschrieben.18 Besonders Bischöfe und Bischofskonferenzen aus Ländern, die einen langen Kampf gegen Sozialismus und Kommunismus geführt haben, sehen die Gender-Ideologie als deren festen Bestandteil und unterstellen ihr einen Angriff auf die gesamte Gesellschaftsordnung bis hin zum Eintritt für Euthanasie und Eugenik.19
Gender Studies: Intention und Zielsetzung
Gender – die Quelle allen Übels? Trifft die skizzierte Kritik den Ansatz und die Intention der Gender Studies? Die Verwendung des Plurals weist darauf hin, dass nicht eine einheitliche Geschlechterforschung oder Geschlechtertheorie existiert, sondern eine Vielzahl von Ansätzen. Gemeinsam ist ihnen Gender als Analysekategorie, derer sich die Kultur- und Sozialwissenschaften und auch die Theologie bedienen, um auf die Differenzierung zwischen biologischem Geschlecht (engl. sex) und Geschlecht als einer sozial und kulturell vermittelten Kategorie (engl. gender) aufmerksam zu machen.20 Mit Hilfe dieses differenzierenden Analyseinstrumentariums beobachten und untersuchen die Gender Studies zum einen kulturelle und gesellschaftliche und kirchliche Wirklichkeiten; zum anderen untersuchen sie, wie eine Gesellschaft oder Institution oder die Kirche Geschlechter unterscheidet. Gendertheorien vermeiden Festlegungen, was „typisch männlich und typisch weiblich“ ist und machen geltend, dass die Unterschiede in Bezug auf vermeintlich „weibliche“ und „männliche“ Eigenschaften innerhalb der Geschlechter größer sein können als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Weiter stellen sie heraus, dass biologische Beschaffenheiten nicht notwendig zu bestimmten Formen von Frau- und Mann-Sein führen, sondern dass diese Kategorien kulturell geprägt sind. Damit tragen sie der Veränderung des Frauen- wie des Männerbildes sowie der dem Wandel gesellschaftlich bedingter Rollen(erwartungen) und Aufgaben Rechnung und wollen Rollenzuschreibungen aufbrechen, wo diese als einengend oder leidvoll erfahren werden. Dabei erklären sie keineswegs, wie manche feministische Ansätze der Vergangenheit, Männer immer zu Tätern und Frauen immer zu Opfern, sondern rücken die Vielfalt der Geschlechterverhältnisse in den Blick. Auf diese Weise führen sie vor Augen, dass eine geschlechterkritische Perspektive nicht ausschließlich eine Perspektive von Frauen ist, sondern dass sie sich als relevant für alle erweist.
Gender Studies machen darauf aufmerksam, dass weitgehend ungeklärt ist, was am Selbstverständnis der Geschlechter und an den verschiedenen Geschlechtsidentitäten von der Biologie vorgegeben und was gesellschaftlich und kulturell konstruiert bzw. zugeschrieben ist. Sie lehnen es ab, Geschlechtsidentität nur an körperlichen, hormonellen oder gehirnstrukturellen Merkmalen festzumachen. Speziell die theologische Geschlechterforschung macht auf diesem Hintergrund geltend, dass die Rede von der männli...