Verblendung, Volksglaube und Ethos
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Verblendung, Volksglaube und Ethos

Eine Studie zu Adalbert Stifters ErzÀhlung "Der beschriebene TÀnnling

  1. 152 Seiten
  2. German
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Verblendung, Volksglaube und Ethos

Eine Studie zu Adalbert Stifters ErzÀhlung "Der beschriebene TÀnnling

Über dieses Buch

Will man die Handlung von Adalbert Stifters ErzĂ€hlung "Der beschriebene TĂ€nnling" zusammenfassen, so mag einem die Schlichtheit die Sprache verschlagen: ein dörfliches Eifersuchtsdrama, das durch das Eingreifen der schmerzhaften Mutter Maria glimpflich ausgeht. So ist es verstĂ€ndlich, dass viele Kritiker die TrivialitĂ€t dieser Novelle beklagt haben.DemgegenĂŒber hebt Bernhard Dieckmann in seinen AusfĂŒhrungen hervor, dass diese Einfachheit als kĂŒnstlerische Absicht zu verstehen ist. So einfĂ€ltig die Handlung zu sein scheint, so differenziert wird sie erzĂ€hlt und damit auch kĂŒnstlerisch legitimiert. Stifter wĂŒrdigt die Volksfrömmigkeit, hebt ihr Ethos von Gewaltverzicht und einfachem Leben hervor und betont - durchaus der AufklĂ€rung verbunden - die Einheit von Religion, Ethos und Natur.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2014
ISBN drucken
9783429037253
eBook-ISBN:
9783429061814

1. Der Rahmen: Hanna und Hanns – Ehrgeiz und Dienen

Zusammen mit Guido sind Hanna und Hanns die einzigen Personen, die im Text namentlich genannt werden.10 Dazu werden je einmal Namen von Hannas GefĂ€hrtinnen (393,33–394,8) und von Jagdgenossen Guidos bzw. ihrer Diener (422,8–22) angefĂŒhrt und die beiden so in soziale ZusammenhĂ€nge gestellt. Hanns hat zwar auch GefĂ€hrten, seine Arbeitskameraden, aber ihre Namen werden nicht genannt. Die Namensgleichheit Hanna/Hanns11 ist Hinweis, dass sie die Hauptfiguren der ErzĂ€hlung sind. Um zu verstehen, wie sich im Scheitern ihrer Beziehung die Problematik ihrer Lebenseinstellung zeigt und entscheidet, ist es geraten, sich zuerst des Rahmens der ErzĂ€hlung zu vergewissern, ihres Ausgangspunktes wie ihres Ergebnisses.
FĂŒr das Ergebnis hat Stifter am Ende der ErzĂ€hlung ein einfaches Bild gefunden: Das Zusammentreffen Hannas mit Hanns, als sie „wieder einmal“ (431,33) ihre Heimat besucht. Sie wird in einer Kutsche gefahren und trifft unterwegs auf Hanns mit seinen (Pflege-)Kindern. In der Journalfassung wird bei diesem Zusammentreffen Hannas Reichtum und UnglĂŒck der Armut und dem krĂ€ftigen Leben – wenn nicht dem GlĂŒck – von Hanns gegenĂŒbergestellt: Hanna sitzt bleich und blass, „ein erloschenes Lichtlein“ in ihrer Kutsche (J 279,28). Hanns steht mit den sechs Kindern, fĂŒr die allein er sorgt, am Weg; zwei Kinder zog er in einem „WĂ€gelchen mit einem DĂ€chlein darĂŒber“ (J 279,31). Die Gesichter der Kinder sind „wie blĂŒhende Rosen“ (J 280,3). Die Buchfassung formuliert zurĂŒckhaltender. Es heißt nur noch, dass Hanna „bleich“ in ihrem Wagen sitzt (432,4–5).12 Hanns sorgt nur noch fĂŒr drei Kinder – die seiner Schwester.13 „Er hatte sich an ein mit Leinwand ĂŒberspanntes WĂ€gelchen gespannt, in dem er die drei Kinder eben in seinen Holzschlag fĂŒhrte.“ (432,7–9) Dass er sie durch eine Leinwand vor Sonne und Regen schĂŒtzt, macht augenfĂ€llig, wie liebevoll sich Hanns um sie sorgt. Hanna erkennt ihn nicht – wohl nicht allein aus Desinteresse: Sein Angesicht hat Furchen (432,7). Hanna schafft es nur, aus ihrem Reichtum ein belangloses, erniedrigendes Almosen abzugeben;14 sie will „dem armen Manne eine Wohlthat erweisen“ (432,11–12) und schenkt ihm einen Taler. Da der Weg in die WĂ€lder, wo Hanns arbeitet, von Pichlern ĂŒber Pernek ging (397,14–16), Hanna „auf dem Wege zwischen Pichlern und Pernek“ fuhr (432,1–2) und Hanns mit dem Wagen „auf dem Wege“ stand (432,7), kann man davon ausgehen, dass Hannas Kutsche Hanns mit seinem WĂ€gelchen ĂŒberholen wollte und er zur Seite treten musste. Das wĂŒrde das Almosen Hannas weiter motivieren: Sie dankt dem armen Mann, dass er ihr Platz gemacht hat.
Aber Hanna wirft ihm das GeldstĂŒck nicht zu, sondern „aus ihrem Wagen auf die Erde“ (432,11). Hanns dagegen erkennt sie, er geht schon gebĂŒckt, weil er den Wagen mit den Kindern zieht; nun muss er sich noch tiefer bĂŒcken, um das Geld aufzuheben15 – ein Bild dafĂŒr, wie demĂŒtig und gelassen er inzwischen seine soziale Rolle akzeptiert. Es wird noch erzĂ€hlt, dass er das GeldstĂŒck fassen ließ und als Votivgabe in der Wallfahrtskirche aufhing – vermutlich aus Dankbarkeit, dass ihn die schmerzhafte Jungfrau vor einem Mord bewahrt hat. Die GegenĂŒberstellung der beiden Wagen ist zu beachten: hier die Kutsche Hannas, dort das Ă€rmliche „WĂ€gelchen“ von Hanns. Hanna wird herrschaftlich gefahren; Hanns hat sich wie ein Zugpferd eingespannt, um seine Kinder zu ziehen. Hanna wird als Herrin bedient, Hanns dagegen dient, lebt in der FĂŒrsorge fĂŒr andere.16
Wenden wir uns dem Ausgangspunkt der ErzĂ€hlung zu, so zeigt er zwei junge Leute, die beide ehrgeizig sind. Das erste Ereignis, das von Hanna erzĂ€hlt wird, ist ihr Erstbeichttag. Ihre GefĂ€hrtinnen waren in feinen Kleidern erschienen, und ihre Haare waren gepudert, „damit sie schön wĂ€ren, und in der festlich weißen Farbe da stĂŒnden. Nur Hanna’s Haare waren dunkel geblieben, weil ihre Mutter keinen Puder zu kaufen vermochte“ (392,25–27). Die anderen MĂ€dchen trugen Kleider mit Reifröcken, Hannas Kleid dagegen war „grob“ (392,22), und die Mutter hatte „Puffchen“ (392,29) an das Unterkleid genĂ€ht, „daß das darĂŒber angelegte Rökchen doch ein wenig wegstehe, und einen Reifrok mache“ (392,29–30).
Unter dieser Diskrepanz hat Hanna offensichtlich gelitten. Denn als ihre GefĂ€hrtinnen sie nach dem gerade erwĂ€hnten Gebet vor dem Gnadenbild fragen, worum sie gebetet hat, beschreibt sie das vornehme Kleid des Gnadenbildes und erzĂ€hlt, dieses hĂ€tte ihr ebenso „sehr Schönes und sehr Ausgezeichnetes“ verheißen (394,11). Es besteht eine direkte Verbindung zwischen Hannas Ă€rmlicher Kleidung an diesem Festtag und ihrer Behauptung, das Gnadenbild hĂ€tte ihr prachtvolle Kleider zugesagt. Nur wenn man diesen Zusammenhang ĂŒbersieht, kann man von „Hannas rĂ€tselhaftem Wunsch in der Kapelle“ sprechen.17 Hanna stellt der demĂŒtigenden Erfahrung des Tages die Verheißung kĂŒnftiger GrĂ¶ĂŸe entgegen.
Hannas Wunsch entspricht der Erziehung, die sie erfahren hat. Sie lebt in enger Gemeinschaft mit ihrer Mutter, die sie am Ende auch in das Schloss Guidos begleitet (390, 431–32). Über ihre Herkunft oder ihren Vater wird kein Wort verloren. Armut, Fleiß und Frömmigkeit der Mutter werden hervorgehoben, aber auch, dass sie – und Hanna mit ihr – in vielerlei Hinsicht auf die Hilfe der Nachbarn angewiesen ist. Schon das HĂ€uschen wurde ihnen aus „MildthĂ€tigkeit [...] eingerĂ€umt“ (390,10). Hanna ist schon als Kind auffallend schön. Sie war „immer“ im Haus (390,30); denn die Mutter hielt sie von den Menschen fern. Wenn sie einmal fortging, sperrte sie das Kind sogar ein. Als es Ă€lter geworden war, erschien es beim Spiel der Kinder im benachbarten Pichlern, „allein es stand nur immer da, und sah zu, entweder weil es nicht mitspielen durfte, oder weil es nicht mitspielen wollte“ (391,4–6). Die wenigen Bemerkungen ĂŒber Hannas Jugend kann man als Geschichte einer falschen Erziehung lesen.18 Es sieht so aus, als hĂ€tte schon die Mutter Hanna wegen ihrer Schönheit bewundert und verwöhnt, als hĂ€tte sie Hanna angehalten, sich fĂŒr etwas Besonderes zu halten und Anspruch auf die Bewunderung oder gar Bedienung durch die anderen zu haben. So ist denn Hanna auch aufgetreten; immer war sie sonntĂ€glich gekleidet, hat nicht gearbeitet und auf Distanz zu den anderen geachtet, die sie auch mit ihrer großen Reinlichkeit betont.19 „Söhne reicher Bauern“ (395,30) warben um sie und hĂ€tten sie gerne geheiratet, aber sie war an ihnen nicht interessiert.20
Auch dass Hanna die Farbe Weiß zugeordnet wird, zeigt, dass sie etwas Besonderes ist oder sein will: „Sie hatte immer ein weißes leinenes TĂŒchlein um den Busen, auf welches ihre dunklen Augen hinab schauten, und ihre noch dunkleren Wimpern hinab zielten.“ (395,6–8) Zudem lebt sie in einem weißen HĂ€uschen zwischen dem Kreuzberg und Pichlern (389). Aber „schneeweiß“ (384,29) sind auch die beiden „BrunnenhĂ€uschen“ (385,19–20) sowie das „Gnadenkirchlein“ am Kreuzberg (385,12).21 Überhaupt ist Weiß die Farbe der Feste: Die Kinder tragen bei festlichen AnlĂ€ssen weiße Kleider,22 die PerĂŒcken der Herren beim Jagdfest sind weiß bestĂ€ubt.23 Mit ihrer Liebe zur Farbe Weiß signalisiert Hanna, dass ihr Leben ein einziger Sonntag sein soll.
Hanns dagegen lebt und arbeitet im Kreis der anderen HolzfĂ€ller. Seine Eltern sind „lĂ€ngstens gestorben“ (403,6–7). Als lebende Verwandte werden nur seine Schwester in Pichlern (403,5; 423,5) und spĂ€ter ihre drei Kinder (431–432) erwĂ€hnt; er ist ein „vorzĂŒglicher Arbeiter“ (400,31–32), weiß sich aber auch gegen seine GefĂ€hrten durchzusetzen und ist unter ihnen „wie ein König“ (400,28); er bewĂ€hrt sich also als HolzfĂ€ller und bleibt dabei „ordentlich“ im Rahmen seines Berufes und Standes. Doch indem er um Hanna wirbt, ist Hanns auch ehrgeizig. Diese wird von jungen MĂ€nnern aus allen sozialen Schichten der Gegend umworben. Wenn Hanns mit Hanna auf einem Tanzfest war, „wo sie Viele sehen konnten, und wenn nun der eine oder andere junge Mann mit seinen Augen schier nicht von ihr lassen konnte, und stundenlang sie mit denselben gleichsam verschlang, so hatte Hanns seine außerordentliche Freude darĂŒber und triumphirte“ (403,10–14). Seine Freundschaft mit Hanna bedeutet fĂŒr Hanns einen Sieg ĂŒber seine Rivalen und verschafft ihm Anerkennung und Geltung. Er sucht einen Ausgleich dafĂŒr, dass er eher unansehnlich ist: „Er war nicht der Schönste unter Allen, ja er war vielleicht weniger schön, als alle Andern ...“ (396,5–6)
Den ganzen Ertrag seiner Arbeit bekommt Hanna, „daß sie nichts entbehre und ihren Leib schmĂŒken könne“ (396,17–18). Wie ihre Mutter lebt Hanna von der Hilfe anderer – eben des Hanns. Er versucht dabei mit ganzem Einsatz, auf Hannas Ehrgeiz einzugehen. Am Schluss von Teil 2 hĂ€ufen sich die Superlative. Hanns „that Alles, was ihm sein Herz einflĂ¶ĂŸte“ (404,19–29), um ihre WĂŒnsche zu erfĂŒllen: Der „schönste Maibaum“ (404,30), das „schönste Tuch“ (404,31), „die schönste SchĂŒrze“ (404,31–32), der „grĂ¶ĂŸte Palmbaum“ (404,32), der „schönste Strauß“ (405,1) werden genannt. Dabei ist Hanns kaum klar, wie begrenzt seine Möglichkeiten sind. Denn Hannas Traum von schönen und kostbaren Kleidern sprengt den Rahmen ihrer lĂ€ndlichen Umgebung. Wohl deshalb verweigert sie sich den Bewerbungen der reichen Bauernsöhne und deshalb kann auch ihre Beziehung zu Hanns nur vorlĂ€ufig sein.24 Vom Volk als außenstehendem Beobachter wird das durchschaut: „ ‚Die wird Gott strafen, daß sie so stolz ist‘, sagten oft die Leute, ‚und ihn, daß er so verblendet ist, und ihr Alles anhĂ€ngt.‘ “ (402,30–32) Ist das nur Kritik an den beiden oder verbirgt sich dahinter auch Missgunst des Volkes gegen Hanns?
Auf ihre ehrgeizigen Hoffnungen spricht Hanna ihren Freund auch einmal an – gewissermaßen durch die Blume –, als sie ihn in Teil 2 fragt, „um was er denn am ersten Beichttage [...] gebeten habe“ (403,25–26). Hanns antwortet: „Ich habe um nichts gebeten ...“ (403,27) Hanna tadelt ihn dafĂŒr, denn das Gnadenbild sei „sehr wunderthĂ€tig und stark, und was man am ersten Beichttage mit Inbrunst und Andacht verlangt, das muß in ErfĂŒllung gehen, es geschehe auch, was da wolle“ (404,2–4). Mit dieser Frage hat Hanna auf subtile Weise den Vorbehalt in ihrem VerhĂ€ltnis zu Hanns angesprochen. Eigentlich fragt sie ihn: Bist du auch so ehrgeizig wie ich? Kann ich von dir die ErfĂŒllung meiner WĂŒnsche erwarten? Die Bedeutung dieses GesprĂ€chs25 wird zudem durch formale Besonderheiten hervorgehoben: Hanna spricht in direkter Rede, die sich im „TĂ€nnling“ nur selten findet, zugleich sind es die letzten Worte, die von ihr berichtet werden. Weiter ist zu beachten: Jedes Mal, wenn Hanna in direkter Rede spricht, beruft sie sich auf die Macht des Gnadenbildes (393–394, 403–404), jedes Mal verteidigt sie gegen kritische Anfragen ihr Vertrauen auf das Gnadenbild. Das zeigt, wie unbeugsam sie an ihrer Erwartung, ihrem Lebensentwurf festhĂ€lt, und welches Gewicht das Gnadenbild fĂŒr sie und damit fĂŒr die ErzĂ€hlung hat.
FĂŒr die Ökonomie der ErzĂ€hlung hat dieses GesprĂ€ch zwischen Hanna und Hanns zentrale Bedeutung. Es verweist schon – wenn auch fĂŒr Hanns nicht durchschaubar – auf Hannas spĂ€tere Untreue. ErzĂ€hltechnisch ist dieses GesprĂ€ch ein geschickter Kunstgriff; es sorgt fĂŒr die Geschlossenheit der ErzĂ€hlung. Denn fĂŒr Hanns wird Hannas Insistieren auf der Macht des Gnadenbildes in der Krise, in die er durch ihre Untreue gerĂ€t, zum entscheidenden Anstoß, um diese Krise zu bewĂ€ltigen. Wenn er vor dem Gnadenbild um das Gelingen seines Mordplans betet, folgt er Hannas Rat. Das GesprĂ€ch am Anfang bezieht sich also auf den Schluss der ErzĂ€hlung, wenngleich in verdeckter Form.
Auch die Gemeinsamkeiten von Hanna und Hanns sind zu beachten. Beide gehören zum „Dorf Pichlern“.26 Das „weiße HĂ€uschen“ (389,28–29), in dem Hanna mit ihrer Mutter lebt, liegt „einsam am Rande der Weide“ (390,3) zwischen dem Kreuzberg und Pichlern, und so zĂ€hlt sie zu den Bewohnern dieses Dorfes (391,4; 395,14). Hanns arbeitet zwar im Wald, aber in Pichlern lebt seine Schwester (423,4–5, vgl. 403,5). WĂ€hrend der Arbeit im Wald unter der Woche wohnt Hanns mit den anderen Holzknechten in einer HĂŒtte,27 die genau beschrieben wird.28 Eine Randbemerkung zeigt, dass auch andere Waldbewohner in HĂŒtten leben (429,7). „HĂŒtte“ ist das Wort fĂŒr die WohnstĂ€tte der Waldarbeiter und -bewohner. Zum Sonntag kehren die HolzfĂ€ller in ihre „Heimath“ zurĂŒck (401,29; 402,10–11), offenbar zu ihren Familien. So macht es auch Hanns, wenn er zu Hanna in ihrem „weißen HĂ€uschen“ kommt. Dieses HĂ€uschen wird hĂ€ufig erwĂ€hnt – 27 Mal.29 Es ist der Ort des gemeinsamen Lebens von Hanna und Hanns. Hervorgehoben wird, dass Hanns sonntags bei Hanna ist; fast nebenbei wird erzĂ€hlt, dass die beiden auch zum Tanzen gingen, „wo sie Viele sehen konnten“ (403,10). Nur seine Schlafstelle hat Hanns in Pichlern bei „den Leuten, wo seine Schwester war“ (403,5). Hanna und Hanns teilen also schon die Lebensformen der HolzfĂ€ller zwischen Arbeit im Wald unter der Woche und Sonntagsruhe bei den Angehörigen im Dorf.30
Von den Dörfern Pernek und Pichlern ist der „Marktfleken Oberplan“ zu unterscheiden (382,33).31 Oberplan ist der Hauptort der Gegend in der Mitte eines Tales. Der Kreuzberg mit seinen verschiedenen StĂ€tten liegt als einzelne Erhebung im Tal, aber nicht in Oberplan selbst; vielmehr „gleich hinter“ ihm (383,5). Die Wege, die von ihm nach Oberplan fĂŒhren, werden ausfĂŒhrlich beschrieben (385,387–388). Oberplan ist Sitz des Pfarrers (391,26; 408,21) und der Schule (408,25); es hat ein Rathaus (408,27–28) sowie ein Gericht.32 Terminologisch wird hervorgehoben: Die Oberplaner leben in „HĂ€usern“.33 Es ist davon auszugehen, dass auch viele Dienstleute des Grundherren hier leben: „... die Forstmeister, RevierjĂ€ger, Heger und Holzmeister“ (408,18–19). Oberplan ist Zentrum des Jagdfestes in den umliegenden WĂ€ldern34 und es ist – solange der Grundherr sich in der Gegend aufhĂ€lt – seine provisorische Residenz (408,27–30; 420,13–14).
Öfters wird Vorderstift erwĂ€hnt, eine Örtlichkeit im Weichbild von Oberplan, ein Grenzort zum Wald hin. Der herrschaftliche Förster, „in dessen Reviere der erste Jagdplaz lag“ (408,23–24), lebt dort, und auch die Herrschaften ĂŒbernachten vor der Netzjagd im dortigen „JĂ€gerhause“ (409,17–18), um „dem Jagdschauplaze nĂ€her zu sein“ (409,18). Das festliche „Mittagsmahl“ (415,9) nach der Jagd findet vor diesem Hause statt. Ebenso lebt in Vorderstift der alte Schmied,35 der erst von der Netzjagd in seiner Jugend zu erzĂ€hlen weiß (406,19–21) und am Schluss das letzte Wort hat, um die Geschichte von Hanna und Hanns autoritativ zu deuten (432,23–25).
Es w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Bernhard Dieckmann zum 75. Geburtstag – Grußwort eines langjĂ€hrigen Kollegen
  5. Vorwort
  6. Danksagung
  7. Einleitung
  8. 1. Der Rahmen: Hanna und Hanns – Ehrgeiz und Dienen
  9. 2. „Außerordentliche Schönheit“
  10. 3. Das Jagdfest und das Ansehen
  11. 4. Gewalt als Konsequenz
  12. 5. Die Verblendung von Herren und Volk
  13. 6. Hanns’ Entscheidung
  14. 7. „WunderthĂ€tiges Bild“ und Volksfrömmigkeit
  15. 8. Tradition und ErzÀhlen
  16. 9. Zum VerhÀltnis von Handlung und Naturbeschreibung
  17. 10. Der Baum
  18. 11. Zeitgeschichtliche BezĂŒge
  19. 12. Schluss: Den „TĂ€nnling“ lesen
  20. Anmerkungen
  21. Literaturverzeichnis
  22. Abbildungsverzeichnis
  23. Impressum