Die Gesichter des Bösen
eBook - ePub

Die Gesichter des Bösen

  1. 120 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Die Gesichter des Bösen

Über dieses Buch

Das Böse im Menschen fesselt und stößt ab. Aber - was ist "Das Böse"? Gibt es "Das Böse" als Person? Liegt es in individueller Verantwortung und Schuld, ist es Schicksal, übersinnliche Macht oder ein Konstruktionsfehler Gottes?Dieses Buch gibt einen Überblick über die Vorstellungen vom Bösen im christlichen Glauben und in Konzeptionen der Gegenwart. Es trägt zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen aus christlicher Sicht bei. Denn - um das Böse zu überwinden, muss es zuerst verstanden werden.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Die Gesichter des Bösen von Dorothee Boss im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theology & Religion & Christian Church. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Das Böse im christlichen Glauben

Das Böse im Alten Testament

Zum Stichwort des Bösen fällt wahrscheinlich zuerst spontan das bekannte Bild von Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis aus dem Alten Testament bzw. der hebräischen Bibel ein. Eine sich geheimnisvoll um diesen Baum windende Schlange flüstert verschwörerisch den beiden ersten Menschen ins Ohr, dass sie sich durchaus eine Frucht von diesem Baum nehmen dürfen, obwohl Gott dies strengstens verboten hat!
In dieser Erzählung aus dem Alten Testament scheint ein bekanntes Bild des Bösen auf: Der Mensch zwischen Gebot Gottes und eigener Lust auf einen leckeren Apfel hin- und hergerissen, greift von der Schlange verführt selbstverständlich zum Apfel. Abgesehen davon, dass in der Bibel an dieser Stelle nie von einem Apfelbaum die Rede ist, sind seine leckeren Früchte zum Sinnbild der menschlichen Verführbarkeit zum Bösen avanciert. Denn der Mensch, lüstern, wie er ist, hält sich nicht an Regeln und Verbote, selbst wenn sie von Gott kommen. So erklärt die Frau der Schlange:
„Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.“ (Gen / 1 Mose 3,2b-3)
Was hier locker nacherzählt wird, ist im Kern eine verhältnismäßig systematische Antwort auf die Frage nach der Herkunft und den Folgen des Bösen aus dem Blickwinkel des israelitischen Glaubens, den Christen im Alten Testament zum ersten Teil ihrer Heiligen Schrift zählen. In der Zeit, in der dieser Text abgefasst wurde, waren seine Autoren darum bemüht zu erklären, woher das Böse kommt und was seine zerstörerischen Folgen sind. Ihnen war klar: Von Gott kommt es nicht. Allein der Mensch mit seiner Bereitschaft zur Regelübertretung ist der Ursprung des Bösen. Er will unbedingt den Unterschied zwischen Gut und Böse erkennen und isst von der verbotenen Frucht. Wenn Gott aber den verführbaren Menschen und die listige Schlange ins Leben rief, hat er dann die Welt wirklich von Anfang an vollständig gut erschaffen? Diese tiefgründige Frage scheint ebenfalls in dieser bekannten Erzählung auf und hat bereits das Judentum vor der Zeitenwende beschäftigt (vgl. Krochmalnik, in: Laube, 2003).
Der Ursprung des Bösen ist für das Alte Testament bzw. die hebräische Bibel trotz dieser Spannungen letztlich nur im Menschen zu suchen. Denn der Mensch übertritt wissentlich das Gebot Gottes, verlässt somit seinen Gott und gibt die enge Bindung an ihn auf. Inmitten seiner paradiesischen Möglichkeiten wendet er sich von Gott ab, ignoriert ihn und seine allumfassende Zuwendung. Das ist das Böse in dieser Erzählung: Sie wird zum Sinnbild der immer wiederkehrenden menschlichen Fehltritte, der ständigen Bereitschaft zur Sünde. Zwar weiß der Mensch nach seiner Tat jetzt zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, hat an Erkenntnissen merklich dazugewonnen und teilt mit Gott dieses Wissen. Die Folge ist aber ein Leben fern des herrlichen Garten Eden, mit Arbeit, Leiden, Krankheit, Schmerzen und Tod, die fortan den Menschen begleiten werden (vgl. Gen / 1 Mose 3,14 ff.). Seitdem ist das Böse von Beginn an Teil menschlicher Existenz; deshalb haben bereits die Redakteure der hebräischen Bibel die ‚Sündenfallerzählung‘ an ihren Anfang gestellt.
Die Begierde nach der so harmlosen Frucht als Sinnbild von Erkenntniswillen und danach, Gott gleich zu sein, zerstört die lebenswichtige Beziehung zu Gott und zum Volk Israel. Der Mensch verlässt nach dieser klassischen Erzählung Gott selbst. Er wendet sich ab. Und Gott wendet sich nun auch ab. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist am Ende. Soll es nun auf immer so bleiben? Das Alte Testament ist voller Konflikte zwischen Israel und seinem Gott, das sich immer wieder von ihm autonomisieren will. Manche alttestamentlichen Zeilen schreien den Zorn des Allmächtigen über den ständigen Beziehungsabbruch der Menschen buchstäblich heraus:
Verfluchtsein, Verwirrtsein, Verwünschtsein lässt der Herr auf dich los, auf alles, was deine Hände schaffen und was du tust, bis du bald vernichtet und bis du ausgetilgt bist wegen deines Tuns, durch das du mich böswillig verlassen hast“ (Dtn / 5 Mose 28,20).
Das Alte Testament beschreibt (aus dem Blickwinkel von unterschiedlichen Autoren) in vielen Ereignissen das Kernproblem des Volkes Israel, das mit seinem einzigen Gott eine ausschließliche Bindung eingeht und gleichzeitig immer wieder diese einzigartige Beziehung zerstört. Verfehlungen im religiösen Bereich und in der zwischenmenschlichen Sphäre sind eins. Das Böse ist die Sünde und die Sünde ist jede Form des Beziehungsabbruchs mit Gott. Wer zum einzigen Gott Israels gehören will, muss in erster Linie den Glauben an Gott bewahren. Und dieser drückt sich in der umfassenden und genauen Einhaltung seiner Gesetze aus. Und alle Taten, die nicht in Übereinstimmung mit diesen Regeln stehen, gelten als sündig bzw. böse. Wer sich nicht daran hält, wird von Gott bzw. der Glaubensgemeinschaft massiv bestraft, z. B. durch Krankheit, Züchtigung, Armut, Kinderlosigkeit, Verbannung, Tod. Hier ein Beispiel zum Vergehen der Sklaverei:
Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er einen seiner Brüder, einen Israeliten, entführt, ihn als Sklaven kennzeichnet und verkauft, dann soll dieser Entführer sterben. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen“ (Dtn / 5 Mose 24,7).
Die umfassenden Gebote und Gesetze des israelitischen Glaubens sind ein Indiz dafür, dass die Bindung an den einzigen Gott allein jedenfalls nicht immer ausreicht, um ein zufriedenstellendes gottgefälliges Leben zu führen. Offensichtlich werden sie immer wieder übertreten. So lassen sich sowohl die oben erwähnte Stelle zur Sklaverei wie die bekannten Zehn Gebote (Dekalog) rückblickend auch als eine religiössoziale Eindämmung von schädlichen Einstellungen und Handlungsweisen verstehen, die in Israel vorhanden waren und die das Gefüge dieser kleinen Glaubensgemeinschaft zutiefst zerstören konnten (vgl. Ex / 2 Mose 21,1–23,33 bzw. Dtn / 5 Mose 12,1–26,15): Wer neben Jahwe, dem einzigen Gott, andere Götter verehrt, sich am Vieh des Nachbarn bedient, lügt und mit der Frau des Nachbarn eine Beziehung eingeht, löst die engen Verbindlichkeiten zwischen Gott und Israel auf, unterläuft den Glauben an ihn, zerstört Vertrauen, schürt Hass und Aggression in Israel. Je kleiner eine religiöse Gruppe, umso wichtiger die unbedingte Einhaltung aller Gebote. Das Böse muss dabei nicht eigens thematisiert werden, es ergibt sich aus jeder gesetzeswidrigen Tat. So entwickelt das Alte Testament keine eigene Theologie des Bösen, sondern begreift das Böse sehr deutlich als sozialen wie religiösen Sprengstoff, der in Israel rigoros bestraft und am besten ausgelöscht werden soll.
Ein plastisches Beispiel des zwischenmenschlichen Bösen zeigt die Erzählung von Kain und Abel, den Söhnen von Adam und Eva (siehe Umschlagbild dieses Buches). Abel ist Schafhirt und Kain Ackerbauer. Beide bringen Gott jeweils ein Opfer ihrer Arbeit dar, Erstlinge ihrer Herde oder Feldfrüchte. Gott aber nimmt (vielleicht aus Sicht Kains) nur Abels Opfer wohlgefällig an:
„Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn! Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder Abel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn.
Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders? Der Herr sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. So bist du verflucht, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. Wenn du den Ackerboden bestellst, wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein. Kain antwortete dem Herrn: Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte. Du hast mich heute vom Ackerland verjagt und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein und wer mich findet, wird mich erschlagen. Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. Dann ging Kain vom Herrn weg und ließ sich im Land Nod nieder, östlich von Eden“ (Gen / 1 Mose 4,3–16).
Der Neid Kains ist unübersehbar. Die Sünde wird hier als Dämon verstanden, der Kain schließlich so besetzt, dass er seinen Bruder einfach erschlägt, um seinen Nebenbuhler um Gottes Gunst aus dem Weg zu räumen. Missgunst und Konkurrenz um die Zuwendung Gottes sind die Triebfedern, die zur schrecklichen Tat des Brudermords führen. Gott schreitet selbst drastisch ein, um das Böse wegzuschaffen, und bestraft Kain (zuerst) vehement durch Todesandrohung. Allerdings, und das ist erstaunlich, wird die vorgesehene potenzierte Strafe, den Täter siebenfach für seine schreckliche Tat zu erschlagen, von Gott zuletzt in einen Schutzritus umgewandelt. Denn Kain gesteht seine Schuld ein und bestätigt seine Strafwürdigkeit. Er geht freiwillig in die Verbannung und kann nun nicht mehr erschlagen werden. Hier zeigt sich somit die weitestgehend entschärfte Form der Blutrache, die auch unter der Formel ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘ bekannt ist (vgl. Ex / 2 Mose 21,23 ff.). Dieses ‚Talionsprinzip‘ sollte ausufernde Blutfehden zwischen den Nomaden der Frühzeit Israels eindämmen. Das Negative in sozialen Beziehungen lässt sich – so zeigen die Verfasser unserer Stelle – nicht durch gleichartige oder noch schlimmere Gewalt ausrotten. Entscheidend ist das Eingeständnis des eigenen Bösen und seiner Schuld durch den eifersüchtigen Kain selbst. Dies führt zur Wende. Gott selbst nimmt sein Geständnis an und das Todesurteil zurück.
An diesen ausgewählten Beispielen kann man den spezifisch israelitischen Umgang mit dem Bösen erkennen: Israel vertritt eine Vorstellung vom Bösen, die stark an die Überzeugung, mit Gott in enger Beziehung zu stehen, geknüpft ist. Allgemein ist das Alltagsverständnis vom Bösen als Schlechtem und Schädlichem, das allein vom Menschen ausgeht und Gottes- und Menschenbeziehungen zerstören kann. Insofern ist die konkrete Gesetzesübertretung das Sinnbild des Bösen, bei dem sich der gläubige Israelit von Gott abkehrt und die Verbindung zu ihm abbricht. Die verwerfliche Tat hat die direkte Schädigung der Glaubensgemeinschaft zur Folge. ‚Sünde‘ meint hier kein imaginäres Schuldgefühl, sondern das Faktum, Gottes Gebot definitiv übertreten zu haben. Jeder Israelit kennt die Gebote; in jedem Gottesdienst, bei jedem Gebet werden sie erinnert. Wer aber Kenntnis von den Weisungen Gottes hat und diese vorsätzlich übertritt, hat also Verantwortung für seine zerstörerische Tat und weiß, was er tut. Wer die Liebe zu Gott und den Nächsten verweigert oder in bestimmten Handlungen verletzt, macht sich Gott und Israel gegenüber schuldig. Das Böse ist somit eine Folge der menschlichen Erkenntnis und seiner Freiheit.
Gott bestraft diese bewusste Abkehr, ist aber unter allen Umständen zur Vergebung bereit. Voraussetzung ist das Schuldeingeständnis des Menschen. Auf das schlechte Tun, wenn es nicht reflektiert wird, erfolgt allerdings umgehend die Strafe. In späteren Büchern des Alten Testaments steigert sich diese Vorstellung sogar noch: Wem es schlecht ergeht, der gilt als von Gott bestraft (vgl. Vorgrimler, 2000).
Ebenfalls existieren in den Prophetenbüchern des Alten Testaments spezifisch politische Vorstellungen des Bösen im Machtmissbrauch von Israels Führungsfiguren. So wird König David für seinen Ehebruch mit Batseba, der Frau seines Obersten Urija, ausdrücklich mit dem Tod des Kindes aus dieser Verbindung bestraft. Diese Strafe gilt nicht in erster Linie seinen erotischen Eskapaden (ein König konnte damals mit mehreren Frauen verheiratet sein), sondern David wird zur Rechenschaft gezogen, weil er definitiv seine von Gott verliehene Macht und Hoheit benutzt hat, um den Ehemann der Geliebten auf das Schlachtfeld zu schicken und ihn somit für seine Zwecke aus dem Weg zu räumen (vgl. 2 Sam 11,1–27). Daraufhin wird der König prompt durch den Propheten Natan in aller Schärfe mit seinem massiven Vergehen konfrontiert (vgl. 2 Sam 12,1–15a): Die Sünde des Machtmissbrauchs ist in Israel sehr wohl bekannt und wird nicht bagatellisiert; selbst die Könige Israels müssen sich vor Gott verantworten.
Auch kennt das Alte Testament die schweren Vergehen gegen die Regeln der sozialen Gerechtigkeit: Im 8. Jhdt. v. Chr. konfrontiert der Prophet und Vieh- und Maulbeerfeigenbaumzüchter Amos im Nordreich Israel König Jerobeam II. sowie Richter und Tempelpriester und die reiche Oberschicht mit dem harten Vorwurf, es sich auf Kosten der ausgebeuteten armen Landbevölkerung gutgehen zu lassen: In scharfer Bildersprache bringt er das Böse auf den Punkt, das Gott nicht verzeihen kann.
„So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die Israel beging, wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie den Unschuldigen für Geld verkaufen und den Armen für ein Paar Sandalen, weil sie die Kleinen in den Staub treten und das Recht der Schwachen beugen. Sohn und Vater gehen zum selben Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entweihen. Sie strecken sich auf gepfändeten Kleidern aus neben jedem Altar, von Bußgeldern kaufen sie Wein und trinken ihn im Haus ihres Gottes. Dabei bin ich es gewesen, der vor ihren Augen die Amoriter vernichtete, die groß waren wie die Zedern und stark wie die Eichen; ich habe oben ihre Frucht vernichtet und unten ihre Wurzeln. Ich bin es gewesen, der euch aus Ägypten heraufgeführt und euch vierzig Jahre lang durch die Wüste geleitet hat, damit ihr das Land der Amoriter in Besitz nehmen konntet. Ich habe einige eurer Söhne zu Propheten gemacht und einige von euren jungen Männern zu Nasiräern. Ist es nicht so, ihr Söhne Israels? – Spruch des Herrn.“ (Am 2,6–11)
Gott hat Israel alles geschenkt und ihm Stärke und Kraft verliehen; dies verpflichtet zu sozialer Gerechtigkeit und fairem Ausgleich zwischen allen Mitgliedern des Volkes. Ausbeutung der Armen ist das Böse par excellence für Amos. Wie für seine Prophetenkollegen ist es nicht nur ein Problem des Individuums, sondern das Böse entwickelt eigene korrupte Strukturen. Die Strafe folgt in der Deutung des Alten Testaments durch die Zerstörung des Nordreichs Israels, die Deportation der Oberschicht nach Assyrien und den Verlust der politischen Autonomie und der religiösen Identität. Die Erfahrung des Zerstörerischen und Bösen ist im Glauben Israels immer an Ereignisse und Handlungen geknüpft, die sich tief ins Gedächtnis eingeprägt haben und bis heute bei zahlreichen jüdischen Festen erinnert werden.
Anders als man gemeinhin glauben mag, kennen die Autoren des Alten Testaments zwar die Figur des Teufels / Satans, aber er spielt nur an einigen wenigen Stellen eine bloß untergeordn...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einführung
  6. Die Begriffsvielfalt des Bösen
  7. Das Böse im christlichen Glauben
  8. Das Böse heute
  9. Resümee
  10. Literaturverzeichnis