PRAXIS Catholic Women
Die Stunde der Frauen?
Dynamiken der Ermächtigung und Entmächtigung von Frauen im Kontext der Amazoniensynode und der nachsynodalen Phase
Die pastorale Bedeutung der Amazoniensynode, insbesondere hinsichtlich der Rolle der Frauen, erschließt sich erst, wenn man die Situation der Frauen in der Gesellschaft und Kirche Lateinamerikas in den Blick nimmt. In der Synode, zu der ich als Expertin geladen war, kam das Bewusstsein vieler Synodenteilnehmer und -teilnehmerinnen zum Ausdruck, dass ‚jetzt‘ die ‚Stunde der Frauen‘ sei und es in der Kirche darauf ankomme, was aus diesem besonderen Moment gemacht würde. Birgit Weiler MMS
Während meiner mehr als 30-jährigen Tätigkeit in Peru habe ich beobachten können, wie die Anerkennung der Frau als gesellschaftliches Subjekt zunehmend gewachsen ist. Auffallend ist, dass dieser Prozess in der Kirche Lateinamerikas im Vergleich zur Gesellschaft erst Jahre später einsetzte. Auf der 4. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik (1992) wurden zum ersten Mal deutlich die Rolle der Frau und ihre stärkere Einbeziehung in Entscheidungen zur Gestaltung von Pastoral und Kirche sowie eine größere Achtsamkeit im Gebrauch von Sprache und Symbolen in Bezug auf die Frauen thematisiert (vgl. Nr. 194-106).
In jener Zeit waren die lateinamerikanischen Gesellschaften im Allgemeinen, von graduellen Unterschieden abgesehen, noch stark patriarchalisch strukturiert und es herrschte eine Kultur des Machismo vor. Im Verlauf der 1990er Jahre begannen Frauen, die im Bewusstsein ihrer Würde auf eine Veränderung dieser gesellschaftlichen Verhältnisse hinarbeiten wollten, sich auch im kirchlichen Kontext zusammenzuschließen und Netzwerke aufzubauen.
Im Schlussdokument von Aparecida (2007) werden die Frauen neben Indigenen, Afroamerikaner*innen und Jugendlichen „neue Subjekte“ (nuevos sujetos) genannt (Nr. 51), die in der Gesellschaft hervortreten. Mit dem Subjektbegriff wird zum Ausdruck gebracht, dass sich die Frauen mit eigenem Denken, eigener Stimme und aus eigener Initiative in Gesellschaft und Kirche einbringen und sie mitzugestalten suchen.
Birgit Weiler MMS
Mitglied der Ordensgemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern, seit 1988 in Peru. Professorin für Praktische Theologie an der Päpstlichen Katholischen Universität in Lima. Seit fast zehn Jahren arbeitet sie außerdem zusammen mit dem Apostolischen Vikariat von Jaén (Peru) in der interkulturellen Weiterentwicklung der Pastoral mit den ursprünglichen Völkern Awajún und Wampis im Amazonasgebiet Perus.
VORSYNODALE DIALOGFOREN IN AMAZONIEN: IM LICHT DER OPTION FÜR DIE ARMEN, UNTER GROSSER BETEILIGUNG VON FRAUEN
An den vorsynodalen Dialogforen nahmen rund 87.000 Menschen teil. Es wurde über das Vorbereitungsdokument zur Amazoniensynode intensiv reflektiert und diskutiert sowie Vorschläge in Bezug auf neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie formuliert. Von Anfang an war es dem Panamazonischen Kirchlichen Netzwerk (REPAM) ein zentrales Anliegen, vor allem Mitglieder der Bevölkerungsgruppen, die aufgrund von Ethnie, Gender und sozialer Herkunft in den Gesellschaften der Länder Amazoniens unter Diskriminierung und Ausgrenzung leiden, aktiv in den Konsultationsprozess einzubeziehen. Interkulturelle Kommunikationsstile und Arbeitsweisen haben es vielen Frauen aus indigenen Gemeinschaften erheblich erleichtert, sich aktiv in den Dialogforen einzubringen. Die Genderperspektive war von Beginn des Prozesses an präsent und es wurden die verschiedenen Erscheinungsformen von Genderungleichheit sowie Genderungerechtigkeit in den Gesellschaften und Ortskirchen Amazoniens benannt. Zugleich zeigten die Beiträge, dass sich in vielen christlichen Gemeinden bereits positive Transformationsprozesse vollziehen hin zu mehr Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit. In vielen Regionalforen im Amazonasgebiet Brasiliens brachten Frauen und Männern aus den Gemeinden engagiert das Anliegen vor, dass den Frauen in der Kirche der Zugang zum Diakoninnenamt ermöglicht werden möge. Dies wurde auch von mehreren Bischöfen aktiv unterstützt.
In den verschiedenen vorsynodalen Konsultationen thematisierten die indigenen Menschen häufig ihre Erfahrungen von Machtasymmetrien in den gesellschaftlichen und innerkirchlichen Beziehungen sowie die Verwundungen, die sie durch eine koloniale, dominante Haltung und abwertende Praxis ihnen, ihren Kulturen, Sprachen und Spiritualitäten gegenüber bis in die Gegenwart erlitten haben. In ihren Erzählungen wurde auch deutlich, dass soziale, politische und auf Geschlechterunterschieden basierende Machtasymmetrien kirchlicherseits durch Klerikalismus noch verstärkt werden. Es wuchs die Erkenntnis: Um miteinander im Geiste Jesu Gemeinschaft zu leben (vgl. Gal 3,26-28), bedarf es in den Ortskirchen immer wieder der Umkehr zu Beziehungen auf Augenhöhe als Schwestern und Brüder mit derselben Würde, gerufen zur Teilhabe an der gemeinsamen Gestaltung von Kirche, Pastoral und Glaubensleben in den verschiedenen Kontexten.
Die lebendige Beteiligung der zahlreichen Repräsentantinnen und Repräsentanten verschiedener Bevölkerungsgruppen Amazoniens, insbesondere der ursprünglichen Völker, in den Dialogforen in Vorbereitung auf die Synode als auch auf der Synode in Rom war ein historisches Moment in der katholischen Kirche. Frauen haben entscheidend daran mitgewirkt, dass es zu diesem Moment kam.
„STARKE“ PRÄSENZ VON FRAUEN AUF DER SYNODE
Das Adjektiv „stark“ bezieht sich nicht nur auf die Tatsache, dass im Vergleich zu anderen Synoden bei der Amazoniensynode die bislang höchste Zahl von Frauen teilnahm, sondern auch auf die Weise, wie die Frauen präsent waren und sich in die synodalen Reflexionsund Entscheidungsprozesse einbrachten. Im Schlussdokument der Amazoniensynode wird wertschätzend gesagt: „[Die Synode] war eine neue Erfahrung des Hinhörens, um die Stimme des Heiligen Geistes zu erkennen, der der Kirche neue Wege der Präsenz, der Evangelisierung und des interkulturellen Dialogs in Amazonien eröffnet“ (Nr. 4). Dazu haben die teilnehmenden Frauen viel beigetragen, wie mehrere Bischöfe und Kardinäle in Gesprächen dankbar anerkannten.
Viele Reden von Frauen in der Synodenaula und in den Sprachgruppen („circoli minori“) charakterisierten sich durch großen Freimut (Parrhesia). Dies hat meines Erachtens dazu beigetragen, dass im Schlussdokument die Selbstverpflichtung der Ortskirchen Amazoniens im Verbund mit der Weltkirche formuliert wurde, mit „evangeliumsgemäßem Wagemut neue Wege für das Leben der Kirche und für ihren Dienst an einer ganzheitliche Ökologie in Amazonien“ (Nr. 91) zu beschreiten. Die Kritik an klerikalen und autoritären Leitungsstilen auf verschiedenen Ebenen in den Ortskirchen wurde anerkannt. Dies spiegelt sich in den Textpassagen wider, die von der notwendigen Umkehr zu einem synodalen Lebensstil „von Gemeinschaft und Teilhabe“ in den Ortskirchen Amazoniens sprechen, „der erkennbar wird am Respekt vor der Würde und Gleichheit aller getauften Männer und Frauen, am wechselseitigen Zusammenspiel von Charismen und Ämtern, an der Freude, […] gemeinsam die Stimme des Heiligen Geistes von anderen Stimmen zu unterscheiden“ (Nr. 91) und somit viel stärker als bisher Laien, Männer und insbesondere Frauen, in „Beratungs- und Entscheidungsprozesse“ (Nr. 94) einzubeziehen.
Dies erfordert unbedingt, „Klerikalismus und willkürliche Anweisungen zu beenden“ (Nr. 88) und Organisationsstrukturen zu schaffen, die Synodalität auf den verschiedenen Ebenen von Kirche ermöglichen und sichern, damit die synodale Umkehr nicht nur auf dem Papier, sondern real im kirchlichen Alltag vollzogen wird (vgl. Nr. 91).
SYNODALITÄT IN UNSERER KIRCHE: GRUNDLEGENDE PROBLEME UND HERAUSFORDERUNGEN
Ist es überhaupt möglich, eine synodale Struktur, mit allem, was diese impliziert, in einer zutiefst hierarchisch geprägten Kirche zu schaffen, und von ihr her die kirchliche Praxis zu bestimmen und zu entfalten? Denn bei allem lebendigen Interesse an mehr Synodalität ist zu bedenken, dass es sich bislang bei den Synoden auf weltkirchlicher Ebene um Bischofssynoden handelt. Stimmrecht haben Bischöfe, der Papst und die jeweiligen Kurienkardinäle sowie einige wenige männliche Generalobere von Ordensgemeinschaften (auch wenn sie keine Priester sind), nicht hingegen die Generaloberinnen, die an der Synode teilnehmen. Obwohl die Bitte, dass auch ihnen das Stimmrecht erteilt würde, bereits seit der Jugendsynode (2018) den zuständigen Stellen in der Kurie vorlag, konnte es selbst im Kontext der Amazoniensynode nicht erreicht werden. Der einzige Grund, warum die Generaloberinnen kein Stimmrecht haben, ist, dass sie Frauen sind. Dies ist im 21. Jahrhundert für viele Frauen und Männer schwer nachvollziehbar und völlig inakzeptabel. Es zeigt zugleich, wie mühsam die Prozesse sind, in den verkrusteten Denk- und Handlungsstrukturen des Vatikan etwas in Bewegung zu bringen. Und dies nur in Bezug auf eine sehr kleine Zahl von Frauen, denn das Stimmrecht der vielen anderen Frauen, die aktiv an der Synode teilnahmen, stand noch nicht einmal zur Debatte. Anhand dieses Beispiels wird die Problematik der Machtfrage im Hinblick auf die Praxis von Synodalität deutlich. Denn bislang liegt die Entscheidungsmacht auf Synoden der Weltkirche zum allergrößten Teil bei Männern, die aufgrund der nur Männern zugänglichen sakramentalen Weihen ein höheres Leitungsamt in der Kirche innehaben. Synodalversammlungen wie z. B. der Synodale Weg in Deutschland bergen die Möglichkeit zu zeigen, dass ein notwendiges Gegengewicht zu der stark hierarchischen Struktur geschaffen sowie Wege für einen anderen Umgang mit Macht in unserer Kirche gebahnt werden könnten. Von dem Gelingen wird zukünftig zu einem großen Teil die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht nur in Westeuropa abhängen.
FRAU UND KIRCHE IM NACHSYNODALEN SCHREIBEN QUERIDA AMAZONÍA: KRITISCHE BETRACHTUNGEN
Der Papst erkennt in seinem Nachsynodalen Schreiben Querida Amazonía an, dass die Kirche in Amazonien an vielen Orten nur dank des Glaubenszeugnisses und starken Engagements von Frauen präsent ist. Zahlreiche Gemeinden Amazoniens werden von Frauen geleitet. Daher war es eine ausdrückliche Bitte der Synode, dass Frauen formal vom jeweiligen Ortsbischof mit der Leitung von Gemeinden beauftragt werden sollten. Eine solche formale Beauftragung sowie der Aufruf des Papstes, Frauen in die wichtigsten Entscheidungen effektiv mit einzubeziehen (Nr. 103), ist für viele Frauen Westeuropas, die in Theologie und Pastoral tätig sind, bereits seit geraumer Zeit eine Selbstverständlichkeit. Dies ist jedoch nicht so in Lateinamerika, sondern muss hier vielerorts erst noch zu einer gängigen Praxis werden.
Trotz dieser Anerkennung ist deutliche Kritik zu formulieren. Im Hinblick auf die Rolle von Frauen in der Kirche haben mehrere Textpassagen bei vielen Frauen Empörung und Schmerz hervorgerufen (insbesondere Nr. 100–102). In Lateinamerika wird ebenso wie in Westeuropa das Frauenbild und das Verständnis von Geschlechterrollen kritisiert, das auf essentialistischen Zuschreibungen basiert und, wie die Grazer Dogmatikprofessorin Gunda Werner darlegt, einer Theologie des 19. Jahrhunderts entstammt (vgl. Kommentare zum Nachsynodalen Schreiben Querida Amazonía). Ein solches Verständnis gilt aufgrund der gegenwärtigen Erkenntnisse in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen als überholt. In Nr. 100 des Nachsynodalen Schreibens spricht der Papst davon, das sakramentale Priestertum wie bisher nur den zölibatär lebenden Männern vorzubehalten, um dadurch die Frauen vor Funktionalisierung und Klerikalismus zu schützen. In dieser Argumentation kommt ein starker Patriarchalismus zum Ausdruck. Zudem widersprechen meines Erachtens die getroffenen Aussagen dem synodalen Geist, denn dieser erfordert, Frauen als Subjekte mit eigener Stimme zu respektieren und nicht für sie zu sprechen oder zu entscheiden. Leider hat der Papst in seiner Argumentation auch nicht die Erkenntnisse von vielen Jahren fundierter theologischer Reflexion berücksichtigt. Denn Theologinnen haben wiederholt dargelegt, dass das Diakonen- und Priesteramt inhaltlich gerade nicht klerikal und funktionalistisch, sondern auf die Gemeinde als Schwestern und Brüder im Glauben und die verschiedenen Charismen bezogen verstanden und begründet werden sollte.
Bei aller Betroffenheit und Enttäuschung erachte ich es aber gemeinsam mit vielen Frauen, die im Amazonasgebiet theologisch und pastoral engagiert sind, für wichtig, neben berechtigter Kritik die Kapitel über den sozialen, kulturellen und ökologischen Traum zu würdigen. Diese Abschnitte enthalten viele inspirierende Gedanken und mutige Stellungnahmen des Papstes wie z. B. die Kritik an den kolonialen Interessen und ihren zerstörerischen Auswirkungen auf Mensch und Natur in Amazonien sowie die Bekräftigung, dass die Sorge für die Menschen und die Sorge für die Ökosysteme untrennbar zusammengehören (vgl. Nr. 42). Es sind Aussagen, die uns in unserer Arbeit in Amazonien sozusagen den Rücken stärken. Zugleich ist meines Erachtens weiter zu denken, was in Nr. 94 kurz angesprochen wird, nämlich die Ausstattung von Laien, Frauen und Männern, „mit entsprechenden Vollmachten“. Im Netzwerk von Frauen innerhalb des REPAM zur Reflexion der Rolle von Frauen in der Kirche Amazoniens ist dies ein Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen. In verschiedenen Ortskirchen Amazoniens, z. B. in Peru, wurde auf den Tagungen zur Umsetzung der Synodenbeschlüsse nicht nur auf Initiative der Frauen, sondern ebenso der Männer, Bischöfe, Priester und Laien, beschlossen, dass die Schaffung von mehr Gendergerechtigkeit und eine größere effektive Beteiligung von Frauen an Entscheidungen und Leitung auf verschiedenen Ebenen der Ortskirchen in den kommenden Jahren ein pastoraler Schwerpunkt sein wird. Verschiedene gesellschaftliche Erfahrungen in Lateinamerika bestärken uns in der Hoffnung, dass Veränderungen durch eine entsprechende Praxis von der Basis her bewirkt werden können.
LITERATUR
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