Auf der Suche nach Autofiktion in der antiken Literatur
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Auf der Suche nach Autofiktion in der antiken Literatur

  1. 256 Seiten
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Auf der Suche nach Autofiktion in der antiken Literatur

Über dieses Buch

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war der traditionelle Auslegemodus der Klassischen Philologie biographisch orientiert. Jedoch sahen sich die Interpreten antiker Texte durch den proklamierten "Tod des Autors" (Roland Barthes) zu diametral entgegengesetzten Reaktionen provoziert: dem bewussten Festhalten an der biographischen Deutung bzw. der völligen Aufgabe der Interpretationskategorie des Autors. Problematisch bleibt bei beiden Ansätzen aber, dass das 'Ich' antiker Texte in der Regel sowohl Bezugspunkte zum historischen Autor und seiner Umwelt wie auch fiktionale Elemente aufweist.
Der Begriff der Autofiktion, der seit Serge Doubrovskys Neuschöpfung in den 1970er Jahren vielgestaltig weiterentwickelt wurde, erscheint in diesem Zusammenhang als adäquates Interpretationsinstrument, um dem beschriebenen Phänomen des Ichs in antiken Texten differenzierter Rechnung tragen zu können. Denn 'Autofiktion' hinterfragt, zugespitzt formuliert, die Trennung von historischer Realität und fiktionaler Textwelt in ihrer Undurchlässigkeit. Daher wird in diesem Band in exemplarischen Fallstudien eine Anwendung des vielgestaltigen Begriffs der Autofiktion auf antike Texte kritisch reflektierend erprobt.

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Zum Autofiktionsbegriff aus klassisch-philologischer Perspektive anhand von Ovids poetischer Autobiographie (trist. 4,10) – oder Autofiktion?

Stefan Feddern

Abstract

The term autofiction from a classical philological perspective based on Ovid’s poetic autobiography (trist. 4.10) – or autofiction?
In this article, the term „autofiction“ will first be examined from a classical-philological perspective by considering the modern autofiction concepts with regard to their connection with fiction and by making considerations about their application to ancient texts. In a second part, this theoretical discussion is supplemented by a practical analysis of Ovid’s poetic autobiography (trist. 4.10). The conclusion that the approach to interpret trist. 4.10 as an autofictional text must be viewed with skepticism also advises caution when dealing with the concepts of fiction and autofiction with a view to Ovid’s exile poetry in general.

1 Zu den modernen Konzepten der Autofiktion und zur Fiktion

Ganz allgemein gesprochen bedeutet „Autofiktion“, wie ein intuitives Verständnis dieses Begriffes suggeriert, die Verbindung von Autobiographie (zumindest ein Reden über das eigene Ich) und Fiktion. Der Begriff der Autofiktion wird aber in der gegenwärtigen Erzähltheorie in verschiedenen Bedeutungen verwendet. Teilweise ist diese Polysemie darauf zurückzuführen, dass der Terminus der Fiktion in der Wissenschaft – gerade auch in der Klassischen Philologie – und im Alltag in einer Fülle von Bedeutungen verwendet wird, so dass sich diese Mehrdeutigkeit auch auf den Begriff der Autofiktion auswirkt. Daher ist es unumgänglich, kurz den Begriff der Fiktion zu definieren, bevor die modernen Konzepte der Autofiktion und insbesondere dasjenige Verständnis erklärt werden kann, das diesem Beitrag zugrunde gelegt wird.
In diesem Beitrag wird die Fiktion in dem traditionellen und eben schon antiken Sinn verstanden, dass die dargestellten Ereignisse, Handlungsträger und/oder Orte erfunden sind (oder zumindest sein können),1 ihre Erfindung zwar absichtlich, aber ohne die Intention, zu täuschen,2 geschieht und folglich keinen Vorwurf der Lüge o. ä. nach sich zieht, sondern durch eine soziale Praxis legitimiert ist, die in der Moderne häufig „Fiktionsvertrag“ genannt wird.3
Man könnte meinen, dass der Begriff der Autofiktion die Verbindung von Autobiographie und Fiktion in dem Sinn bezeichnet, dass es sich um eine fiktionale Autobiographie handelt, bei der das dargestellte Ich nicht mit dem historischen Autor identisch ist, wie vielleicht schon aus dem Namen (z. B. im Fall von Thomas Manns Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull) oder dem Paratext hervorgeht und ohne dass das Verhältnis Herausgeber – Autor vorliegt.4 Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr werden unter dem Schlagwort der Autofiktion i. W. drei verschiedene Konzepte verstanden, die nur teilweise auf Fiktion in der genannten Bedeutung beruhen:5
  1. Wenn der französische Literaturwissenschaftler, Autor und Erfinder dieses Begriffes Serge Doubrovsky von der Autofiktion i. S. v. „Fiktion strikt realer Ereignisse und Fakten“ spricht, bezieht er sich weder auf eine mögliche Fiktivität der dargestellten Ereignisse noch auf eine fiktionsspezifische Darstellung, sondern auf die irreführende paratextuelle Gattungsbezeichnung „Roman“ und das durch die Psychoanalyse inspirierte Arrangement der erzählten Ereignisse.6 Beide Umstände sind – zumindest in diesem Fall – keine Fiktionssignale, da sein eigener Erzähltext Fils (1977), auf den Doubrovsky sich bezieht, kein Roman im Sinn einer erfundenen Erzählung ist und da die Vernachlässigung der chronologischen Reihenfolge der erzählten Ereignisse auch in faktualen Erzähltexten vorkommt.7 Eine derartige Komposition der Erzählung bedeutet keine Fiktionalisierung von Ereignissen, sofern das traditionelle Verständnis von Fiktion zugrunde gelegt wird.8 Statt von Autofiktion in diesem Sinn sollte man eher von einer Autobiographie sprechen.9
  2. In der französischen Literaturwissenschaft wird der Begriff der Autofiktion häufig in dem Sinn verwendet, dass eine Namensidentität zwischen dem Autor und einer Figur der Erzählung besteht und eine Gattungsbezeichnung vorliegt, die Fiktionalität für sich in Anspruch nimmt. Diese Konstellation wird mit den folgenden Gleichungen ausgedrückt, die zumindest paradox anmuten: A (Autor) ≠ E (Erzähler) = F (Figur) und A = F. Denn normalerweise gilt, dass, wenn der Autor mit der Hauptfigur identisch ist, dann auch der Autor mit dem Erzähler zusammenfällt bzw. zwischen diesen Instanzen nicht unterschieden werden kann (A = E = F): es liegt eine Autobiographie vor.10 Die Autofiktion wird aber der Fiktion zugerechnet; folglich wird zwischen dem Autor und dem Erzähler unterschieden, und die Gleichung A = F bezieht sich nur auf die Identität der Namen von Autor und Hauptfigur.11
    Insofern ist die Gleichung A = F irreführend. Stattdessen müsste man ein Symbol setzen für „entspricht nur teilweise“ (A ≈ F), da die Hauptfigur signifikant von der historischen Person des Autors abweicht. In dieser Bedeutung stellt die Autofiktion ein einleuchtendes Konzept im Sinn einer Präzisierung bzw. Skalierung dar, da sich die Autofiktion einerseits dadurch von besonders deutlichen Fällen von fiktionalen homodiegetischen Erzählungen (wie Manns Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull oder Defoes Robinson Crusoe) unterscheidet, dass die Hauptfigur denselben Namen wie der Autor trägt und/oder ein paar Persönlichkeitsmerkmale mit ihm teilt, und sich andererseits dadurch von der Autobiographie unterscheidet, dass auch Abweichungen von der Wahrheit bzw. Diskrepanzen zwischen der Hauptfigur und dem Autor vorliegen.12
    Wichtig ist aber die Voraussetzung, dass der Begriff der Fiktion auch wirklich die Fiktion (in der eingangs genannten Bedeutung) bezeichnet: Es reicht nicht aus, dass der Autor über sich selbst spricht, sondern es muss anhand von Fiktionssignalen erkennbar sein, dass die erzählende und die erzählte Figur durch erfundene Merkmale und/oder Handlungen vom historischen Autor abweichen und der Text von der Verpflichtung entbun...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Autofiktion(en) in der antiken Literatur
  5. Autofiktionen und Maskenspiele bei Kallimachos: eine Poetik der Irritation?
  6. Die römische Liebeselegie als autofiktionale Gattung? Überlegungen zu Chancen und Grenzen am Beispiel von Ovids Amores
  7. Ovidfiktionen: Zwischen Rom und Rumänien
  8. Apologien erotischer Dichtung und Autofiktion: Drei Fallstudien
  9. Zum Autofiktionsbegriff aus klassisch-philologischer Perspektive anhand von Ovids poetischer Autobiographie (trist. 4,10) – oder Autofiktion?
  10. Zur biographischen Modellierung des historiographischen Ichs bei Sallust, Livius und Tacitus
  11. Fortuna non mutat genus (Hor. epod. 4,6)
  12. Emicem liber: Text und (horazisches) Ich in Prudentius’ Praefatio
  13. In the Temple of Daphnean Apollo: “Philostratus” in His Works
  14. „Eines der ärgerlichsten Musterstücke verlogener Rhetorik“: Hieronymus’ Traum und die Begründung seiner Autorschaft
  15. Zu den Autorinnen und Autoren
  16. Index