Vanitas und Gesellschaft
  1. 314 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
eBook - ePub

Über dieses Buch

GegenwÀrtig lÀsst sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskursfeldern eine Bezugnahme auf das Motiv der 'Vanitas' (VergÀnglichkeit) feststellen.
Die BeitrĂ€ge dieses Band widmen sich der ĂŒberraschenden Virulenz eines ursprĂŒnglich christlichen und in der FrĂŒhen Neuzeit wirkmĂ€chtigen Konzeptes in Popkultur, Literatur, Musik und bildender Kunst und verdeutlichen ferner seine Relevanz fĂŒr Soziologie, Theologie, Philosophie, Psychologie und Medizin. Bedeutung erlangt Vanitas sowohl mit traditionell dem Motiv verwandten Themen wie Trauer und MortalitĂ€t als auch in Verbindung mit hochaktuellen Diskursen ĂŒber Beschleunigungs- und Kontingenzerfahrungen, dystopischen Szenarien der Klimakatastrophe oder utopischen Visionen des Transhumanismus. Neben soziologischen und kulturwissenschaftlichen Perspektiven auf VergĂ€nglichkeit, FlĂŒchtigkeit, letale Krankheiten, Alter und Tod widmen sich die BeitrĂ€ge der popkulturellen und kĂŒnstlerischen Aneignung des Vanitas-Topos zwischen spielerischer Ironie und tiefsinniger Melancholie.
Der interdisziplinÀre Band ist ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen und kulturellen Reflexion von Gegenwart unter Bezugnahme auf einen tradierten kulturtheoretischen Topos.

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Information

Jahr
2021
ISBN drucken
9783110715958
eBook-ISBN:
9783110716054

KĂŒnstlerische Zeitreflexionen im Zeichen der Vanitas

Leben als Frist

VergÀnglichkeit, Zeit und Tod in ErzÀhltexten der Gegenwart
Claudia Benthien

Abstract

Narrationen ĂŒber VergĂ€nglichkeit, Zeit und Tod erfolgen in der Gegenwartsliteratur oft unter RĂŒckgriff auf frĂŒhneuzeitliche Zeitkonzepte und die Denkfigur des ‚Lebens als Frist‘. Einerseits wird derart eine Klage ĂŒber die KĂŒrze des Lebens oder das Hereinbrechen des Todes artikuliert. Andererseits werden Topoi der Vanitas auch in der Darstellung von lebensweltlichen ZusammenhĂ€ngen eingesetzt, um ein als flĂŒchtig oder kontingent erfahrenes Dasein zu beschreiben. Der Beitrag untersucht drei autofiktionale ErzĂ€hltexte – Hans Pleschinskis „Bildnis eines Unsichtbaren“, Aris Fioretos’ „Die halbe Sonne“ und Friederike Mayröckers „Requiem fĂŒr Ernst Jandl“ –, die jeweils eine Auseinandersetzung mit dem Tod eines nahen Angehörigen sind, im Sinne des memento mori aber auch die Sterblichkeit der ErzĂ€hler*innen tangieren und Abwesenheit literarisch reflektieren.
Meinem Vater gewidmet.

FinalitĂ€t und Frist – in Barock und Gegenwart

In der Zeitanthropologie der spĂ€ten Moderne, so der Philosoph Odo Marquard, wird Zeit „wie nie zuvor radikal zur Frist: als endliche Lebenszeit des einzelnen Menschen“1. Dieser Fristgedanke lĂ€sst sich unmittelbar mit dem frĂŒhneuzeitlichen Konzept der Vanitas in Verbindung bringen, denn auch dieses beruht auf einem solchen Zeitkonzept.2 Sein zentrales literarisches Merkmal ist die Antizipation des Todes in der Jetztzeit, wie es besonders die Lyrik des Barock performativ gestaltet.3 Die TemporalitĂ€t der Vanitas ist paradox, weil LinearitĂ€t und Dauer durch eine Überblendung von gegenwĂ€rtigem Leben und zukĂŒnftigem Tod in Frage gestellt werden. Denn der Denkfigur der Vanitas zufolge ist das irdische Leben eine bloße ‚Frist‘: eine Ă€ußerst kurze Zeitspanne, die wie der Sand in einem Stundenglas unaufhaltsam verrinnt und zu einem unbestimmten, immer als nah gedachten Zeitpunkt unvermittelt endet. Im Barock war diese Unvorhersehbarkeit und Plötzlichkeit des Todes aufgrund von Krankheiten, Seuchen, mangelnder Gesundheitsversorgung, Kindersterblichkeit, Krieg und Gewalt sehr real. Sie war zugleich Teil einer christlichen Rhetorik, wonach sich die GlĂ€ubigen einerseits stoisch gegen Verlusterfahrungen und TodesĂ€ngste wappnen sollten – unter anderem durch den Gestus der Weltverachtung (contemptus mundi) –, die andererseits aber das Jenseits als utopische Gegenwelt zur KĂŒrze und FlĂŒchtigkeit des menschlichen Lebens idealisiert hat. Die himmlische ‚Ewigkeit‘ wurde als „Zeit=befreyte Zeit“4 imaginiert, wie es die Barockmystikerin Catharina Regina von Greiffenberg formuliert hat. In AnknĂŒpfung an das alttestamentliche Buch Kohelet, dem der Vanitas-Gedanke ursprĂŒnglich entstammt,5 wurde der flĂŒchtigen Lebenszeit des Menschen im Barock die zeitenthobene ‚Ewigkeit‘ kontrastiert, wie es zum Beispiel Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau in seinem Gedicht „VergĂ€nglichkeit“ gestaltet hat.6 Vanitas wird hier mit Attributen der Scheinhaftigkeit, Schnelligkeit und FlĂŒchtigkeit (von Affekten) besetzt; demgegenĂŒber werden der Ewigkeit Attribute der BestĂ€ndigkeit und Festigkeit zugeschrieben. In manchen literarischen Texten wird die im Gegensatz zur kurzen Lebenszeit als unendlich gedachte Dauer sogar sprachlich erfahrbar gemacht, etwa in den Versen „Ach ich meyn die Ewig=Ewig=Ewig=Ewig=Ewigkeit/ | in die der belebend Tod wird entleibend einverleiben“7, wie es Greiffenberg recht paradox in ihrem Sonett „Verlangen/ nach der herrlichen Ewigkeit“ gefasst hat. Ein weit bekannteres Beispiel ist der Prolog der ‚Ewigkeit‘ aus Andreas Gryphius’ Trauerspiel Catharina von Georgien, in dem eine Personifikation der aeternitas auf den Schauplatz tritt und alle menschlichen Anstrengungen, sich dem Vergehen von Zeit entgegenzustellen, als vergeblich entlarvt.8
Vor dieser frĂŒhneuzeitlichen Folie eines dualen Zeitkonzepts aus flĂŒchtiger irdischer Lebenszeit und ewiger himmlischer Zeit lĂ€sst sich die ‚Trostlosigkeit‘ heutiger sĂ€kularer Vorstellungen ermessen. Nach Marquard, der sich zwar nicht auf das Barock, aber mittelbar auf christliche Zeitvorstellungen bezieht, existieren heute zwei grundlegend verschiedene Formen des Denkens ĂŒber das Lebensende, das entweder als ‚Ziel‘ oder als ‚Tod‘ verstanden wird – anders gesagt: „[E]s gibt das Ende als Vollendung und das Ende als Endlichkeit, es gibt die FinalitĂ€t und die MortalitĂ€t.“9 Das erste Konzept – das Ende als Ziel, Vollendung, FinalitĂ€t – ist religiös konnotiert und lĂ€sst sich mit den skizzierten christlichen Vorstellungen des Barock verbinden, das zweite Konzept – das Ende als Tod, Endlichkeit, MortalitĂ€t – ist demgegenĂŒber sĂ€kular. VergĂ€nglichkeit und Tod werden heute zumeist, anders als im religiösen VerstĂ€ndnis vergangener Epochen, nicht mehr als teleologische Vollendung oder als erfĂŒllte FinalitĂ€t, sondern als bloße Endlichkeit, als erlittene MortalitĂ€t begriffen, als ein bestĂ€ndig ĂŒber dem Leben schwebendes „dunkles und fremdes VerhĂ€ngnis“10.
Marquard bezieht sich bei seinen AusfĂŒhrungen auch auf die Unterscheidung des Philosophen Hans Blumenberg zwischen der unfasslich langen, objektiven „Weltzeit“ und der subjektiven „Lebenszeit“ als „ultrakurze[r] ‚Episode‘ [
] limitiert durch den Tod, der unerbittlichen Grenze“.11 Blumenberg habe „die Endlichkeit der menschlichen Lebenszeit [
] zum zentralen Zeitproblem“12 erhoben. Marquard verweist ferner auf den Fundamentaltheologen Johann Baptist Metz, der die „Entfristung“ der Weltzeit theologisch reflektiert hat, und bemerkt:
Erst wo sie ihre eschatologische FinalitĂ€t als Heilszeit – als befristeter Weg zum erlösenden Ende, zur ‚ErfĂŒllung der Zeit‘, als Frist zum Heil – verliert, kann die Weltzeit zu jener (wie Metz sagt) ziellos ‚offenen‘ und ‚evolutionĂ€r entfristeten Zeit‘ werden, die die moderne – physikalisch orientierte – Kosmologie geltend macht [
].13
Metz selbst stellt dar, dass christlich gesehen „zwei Zeitbotschaften einander gegenĂŒber“ stehen: „zum einen die aus den biblischen Traditionen herkĂŒnftige, in die Moderne hineinwirkende und auch die Moderne hintergrĂŒndig strukturierende Botschaft von der befristeten Zeit und zum anderen die Botschaft von der fristlosen Zeit, kurzum von der Ewigkeit der Zeit“.14 Dies lĂ€sst sich anhand der Barockgedichte gut nachvollziehen. Marquard bezieht sich jedoch nicht auf das hier zitierte, 2006 erschienene Buch von Metz, sondern auf einen Vortrag von 1987.15 Außerdem ist hervorzuheben, dass Metz die Begriffe ‚FinalitĂ€t‘ und ‚Frist‘ in seiner spĂ€teren Publikation anders als bei Marquard zitiert versteht. Somit ergibt sich folgender Unterschied: Bei Marquard gilt (erfĂŒllte) FinalitĂ€t fĂŒr Menschen als unerreichbar, bei Metz bleibt sie in heilsgeschichtlicher Hinsicht möglich, allerdings bezeichnet er diese „Zeit mit Finale“ zugleich als „Zeit mit Frist, als befristete Zeit“,16 wĂ€hrend Marquard den Fristgedanken eher negativ deutet – im Sinne eines ĂŒber dem Leben schwebenden Damoklesschwerts. Genau genommen werden also von den Philosophen Marquard und Blumenberg sowie dem Theologen Metz drei Zeitbegriffe verhandelt: der traditionell christlich-theologische (FinalitĂ€t, Vollendung), der naturwissenschaftlich-moderne (entfristete/fristlose Zeit; bei Metz verwirrenderweise auch ‚Ewigkeit‘ genannt) sowie der anthropologisch-philosophische (Frist, Endlichkeit, MortalitĂ€t). Diese Differenzierung ist, wie schon angedeutet, neuzeitlich, denn in der FrĂŒhen Neuzeit galt die christliche Vorstellung von FinalitĂ€t als Eingehen in die (göttliche) Ewigkeit. Sowohl in der FrĂŒhen Neuzeit als auch in der Gegenwart gab und gibt es mithin zwei dominante Denkweisen von Zeit, eine der unendlichen Dauer und kontrĂ€r dazu eine der radikalen KĂŒrze.
Marquard geht im Anschluss an Blumenberg davon aus, dass die „moderne Entdeckung der ‚entfristeten‘, der ‚offenen‘ Weltzeit den Fristcharakter der Zeit nicht etwa zum Verschwinden [bringt]“, sondern ihn im Gegenteil radikalisiert, „indem sie ihn nun ganz und gar in jene Zeit verlagert und konzentriert, die fĂŒr uns Menschen am unvermeidlichsten Frist ist: in die endliche Lebenszeit unseres eigenen Lebens, in das also, was Hans Blumenberg als jene ‚Episode‘ charakterisiert, die jeder von uns ist“.17 Recht Ă€hnlich hat auch der Philosoph Jean-François Lyotard dies formuliert: „Das Leiden am Fehlen der FinalitĂ€t ist der postmoderne Zustand des Denkens, also das, was man heute gemeinhin seine Krise, sein Unbehagen oder seine Melancholie nennt.“18 Die philosophisc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vanitas und Gesellschaft. Zur EinfĂŒhrung
  5. Vanitas aus kulturphilosophischer, theologischer und gesellschaftlicher Perspektive
  6. Ästhetik und Kritik der Vanitas in Popkultur und KĂŒnsten
  7. KĂŒnstlerische Zeitreflexionen im Zeichen der Vanitas