Romantik zwischen zwei Welten
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Romantik zwischen zwei Welten

Potsdamer Vorlesungen zu den Hauptwerken der Romanischen Literaturen des 19. Jahrhunderts

  1. 1,157 Seiten
  2. German
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Romantik zwischen zwei Welten

Potsdamer Vorlesungen zu den Hauptwerken der Romanischen Literaturen des 19. Jahrhunderts

Über dieses Buch

Die transareal ausgelegte Vorlesung unternimmt den Versuch, nach der (vielleicht schon verlorenen) Einheit der Romantik hinter der Vielgestaltigkeit romantischer Diskurse zwischen zwei Welten, Europa und Amerika, zu fragen. Gab es eine Romantik oder gab es deren viele? Was zeichnet die Literaturen der Romantik in Frankreich und Deutschland, in Spanien und Italien, im Norden und vor allem im Süden des amerikanischen Doppelkontinents aus? Welche Schreibformen entwickelt eine Dichterin wie Gertrudis Gómez de Avellaneda, die zwischen Spanien und Kuba pendelt; welche Vermittlungsmöglichkeiten sieht Germaine de Staël im deutsch-französischen Dialog; in welcher Beziehung steht die Dichtung Baudelaires zu den Schriften Poes; und was bestimmte die Rezeption deutscher Romantik in Mexiko? Die Vorlesung gibt den Blick darauf frei, in welchem Maße im Jahrhundert der Nationalismen inter- und transkulturelle Beziehungen zwischen Ländern und Kontinenten bestanden, und hinterfragt die Monologe nationalliterarischer Ausrichtung.

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Information

Teil 1: Drei Annäherungen an die Romantik und das 19. Jahrhundert

In unserer komparatistisch ausgelegten Vorlesung, deren Titel Sie vielleicht ein wenig an die Revue des deux Mondes erinnert, wollen wir versuchen, nach der möglicherweise schon verlorenen Einheit der Romantik hinter der Vielgestaltigkeit romantischer Diskurse in zwei Welten, in Europa und Amerika, zu fragen. Gab es eine Romantik oder gab es deren viele? Was zeichnet die Literaturen der Romantik in Frankreich und Deutschland, Spanien und Neuspanien, in Italien, England und den Vereinigten Staaten, in Argentinien und auf Kuba aus? Welche Funktionen besitzen romantische Diskurse innerhalb der jeweiligen nationalen Gesellschaften und entstehenden Nationalliteraturen? Was bestimmte die Rezeption der deutschen Romantik in Mexiko? Was hat die hispanoamerikanische „Independencia“ mit der Romantik zu tun und in welcher Beziehung steht die Dichtung Baudelaires zu den Schriften Poes? Welche Vermittlungsmöglichkeiten sah Germaine de Staël im deutsch-französischen Dialog? Welche Schreibformen entwickelte eine Dichterin wie Gertrudis Gómez de Avellaneda, die zwischen Spanien und Amerika pendelte, und wie entstand die Zweiteilung zwischen Nationalliteratur und Weltliteratur, welche uns auch heute noch immer beschäftigt?
Mit einem deutlichen Schwerpunkt auf die Romanischen Literaturen der Welt will diese Vorlesung ein Verständnis dafür ermöglichen, auf welche Weise im „Jahrhundert der Nationalismen“ inter- und transkulturelle Kontakte und Beziehungen im Bereich der Literaturen und der Kulturen funktionierten; sowie welche Bedeutung einer Stadt wie Paris - im Sinne von Walter Benjamin - als „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ zukam. Sie frag danach, wie die literarischen Räume der Romantik in Bewegung gehalten wurden und die Reiseliteratur - der wir eine eigene Vorlesung gewidmet haben1 - als eines ihrer Transportmedien aufgefasst werden könnte. Ziel der Vorlesung ist es, aus vergleichender Sicht monokulturelle und nationalphilologische Bilder der Romantik wie der einen Moderne zu hinterfragen. Unsere Vorlesung besitzt somit einen unverkennbar rekonstruierenden Charakter, mit Hilfe dessen den unterschiedlichen Entwicklungen historisch wie literarhistorisch nachgegangen werden soll. Zugleich zeichnet sie ein deutlich konstruierender, konstruktiver und innovativer Grundzug aus, indem eine grundlegende Einheit der Romantik (was Sie bitte nicht mit Homogenität verwechseln!) entfaltet werden soll, die sich keineswegs nur auf bestimmte europäische Nationalliteraturen stützt, sondern in einem transatlantischen Sinne - mit Ausflügen in den pazifischen Raum - entwickelt wird.
Ich möchte Sie gerne anhand dreier Annäherungen an die Romantik in eine literarhistorische Bewegung versetzen, welche die erstaunliche Präsenz der Romantik - die wir schon in unserer Vorlesung über LiebeLesen konstatieren konnten2 - konstruktiv zur Kenntnis nimmt und dabei immer wieder fragen wird, in welcher Beziehung wir hier und heute zu romantischen Diskursen und Weltbildern stehen. Der erste Versuch einer solchen Annäherung könnte mit den nachfolgenden Ausführungen beginnen, mit denen ich Sie mit auf eine Reise durch die Vielgestaltigkeit der Romantik nehmen will, in welcher es auch um deren prospektive, auf die Zukunft gerichtete Dimensionen gehen wird. Denn die Literaturen der Welt erschöpfen sich nicht in ihrer Memoria-funktion, sondern besitzen stets etwas Prospektives, Zukunftsweisendes.

Erste Annäherung

Unsere Vorlesung zur Romantik zwischen zwei Welten wendet sich folglich einem Themenbereich zu, der auf den ersten Blick relativ klar umrissen scheint. In einschlägigen Literaturgeschichten hat die Romantik ihren festen Platz: Autorinnen und Autoren, die zur Romantik gerechnet werden, kommt gerade auf der Ebene nationaler Literaturgeschichtsschreibung ein großes, bisweilen übermächtiges Prestige zu. Literarische Werke, die der Romantik zugeschlagen werden, sind vor allem in nationalphilologischen Darstellungen von größter Relevanz; zudem sind die entsprechenden Texte und Schriften nicht selten noch heute von ungeheurer Popularität. Womit hat dieser hohe Bekanntheitsgrad, dieses unbestreitbare Prestige der Literatur - oder eigentlich müsste ich sagen: der Literaturen - der Romantik zu tun?
Zweifellos liegt dies, wie wir noch sehen werden, unter anderem an den literarästhetisch herausragenden Texten und ihren Autorinnen und Autoren selbst, an spezifischen Epochenmentalitäten und vielen anderen Faktoren wie etwa der Tatsache, dass diese Literaturen zeitgleich entstanden zu Gründung und Aufbau der jeweiligen Nationalphilologien. Daher ist ein besonderer Grund zumindest in der Frage bereits implizit mitenthalten: Es liegt sicherlich auch an der jeweils stark forcierten nationalen Dimension dieser jeweiligen Literaturen. Gerade weil das Nationale - in Deutschland und Italien, aber zweifellos auch in vielen anderen Ländern, die sich wie Frankreich oder England, Argentinien oder Mexiko bereits als Nationalstaaten konstituiert hatten - einen nicht unwesentlichen Aspekt der romantischen Kunst- und Literaturproduktion ausmachte, war selbstverständlich eine spezifische Beziehung zwischen nationaler Literatur und nationaler Literaturgeschichtsschreibung gegeben. Vor allem aber auch ein Zusammenhang mit kollektiven, nationalen oder nationalistischen Identitätsbildungsprozessen.
All dies schlug sich auch in einer starken Kanonisierung von Kunst und Literatur der Romantik nieder. Dass die nur auf den ersten Blick erstaunliche Präsenz des Nationalismus in den europäischen Gesellschaften - und nicht allein in diesen: Die europäischen Kolonialismen waren auch ausgezeichnete Exporteure - ein anhaltendes Erbe der romantischen Periode ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Denn auch die Nationalismen des 19. Jahrhunderts geben uns deutliche Hinweise auf die Aktualität der Romantik unter den verschiedenartigsten gesellschaftlichen Bedingungen. Wir werden uns mit diesem fortbestehenden Erbe beschäftigen müssen und wollen es nicht verdrängen: Denn nicht nur Sigmund Freuds Theorien entnehmen wir, dass das einmal Verdrängte mit ungeheurer Wucht zurückzukehren sucht.
Aus all den genannten Aspekten zu schließen, dass Kunst und Literatur der Romantik eine jeweils nationale und auf die eigene Nation bezogene Kunst ist, wäre jedoch ein Kurzschluss, eine unsinnige Verkürzung. Denn gerade in diese Zeit fällt eine Vielzahl weltumspannender Entwicklungen, die mit der massiven Expansion Europas zusammenhängen. Denn das 19. Jahrhundert umfasst an seinem Beginn die Ausläufer der zweiten Phase beschleunigter Globalisierung, während es in seinem letzten Drittel bereits die dritte Phase dieser globalisierten Beschleunigung beinhaltet.1 Es ist also von grundlegenden Globalisierungsphasen gleichsam ‚gerahmt‘ und es wäre grundfalsch, in ihm nur das Jahrhundert der Nationalismen oder nationalen Abschottungen zu sehen. Doch wir werden dies im weiteren Verlauf unserer Vorlesung noch mit aller Deutlichkeit anhand der groben geschichtlichen Züge ebenso wie an zahlreichen künstlerischen Details erkennen.
Wir stehen damit grundsätzlich vor einer bipolaren Struktur, die sich auf die gesamte Romantik - und dies wurde nur allzu oft nicht gesehen - wie auf die romantische Kunst und Literatur durchpaust: Es handelt sich um die Spannung zwischen Nation und Welt, Nationalstaat und Menschheit, Besinnung auf das Regionale sowie Lokale einerseits und Reflexion der weltumspannenden Entwicklungen andererseits. Diese Spannung zeigt sich auch in der noch zu besprechenden Herausbildung des Gegensatzes zwischen Nationalliteratur und Weltliteratur, der für unsere Sichtweise wie auch noch für gänzlich anders geartete Theoriebildungen des 21. Jahrhunderts wichtig ist.
Unsere Vorlesung wird versuchen - und ich denke, dass sie an diesem Punkt neue Wege beschreitet -, diese bipolare Struktur adäquat und auf den unterschiedlichsten Ebenen zu erfassen. Sie will daher Romantik in zwei Welten, Romantik in Europa und Amerika untersuchen sowie herausarbeiten, dass es jenseits nationalliterarischer Entwicklungen Prozesse anderer Art gab, die gerade von einer nationalliterarischen Literaturgeschichtsschreibung nicht erfasst werden konnten und vielleicht nicht erfasst werden sollten. Es geht also um die Romantik in zwei Welten und damit um die Romantik zwischen den Polen von Nationalem und Internationalem, Volk und Menschheit, Nationalliteratur und Weltliteratur, zwischen Nationalphilologie und - um mit Erich Auerbach2 zu sprechen - Philologie der Weltliteratur.
Bevor wir in der Folge zu anderen bipolaren Strukturen und offenen bipolaren Strukturierungen gelangen, die ebenfalls die Romantik in ihrem Spannungsgeflecht grundlegend prägen - also vor allem die Bipolarität von Individuum und Kollektivität oder Gemeinschaft einerseits sowie die Zweipoligkeit von Historisierung und Verräumlichung andererseits -, sollten wir uns um diese erstgenannte Zweipoligkeit bei unserer ersten Annäherung etwas genauer bemühen. Wie also wäre das Verhältnis zwischen dem Raum des Nationalen und dem Kosmos, dem Welten-Raum zu denken? Wie kann in diese Beziehung von Europa aus das Individuum hineingestellt werden, und mehr noch: Welche spezifischen Wissensbestände werden benötigt und entwickelt, um das neue Verhältnis von Nationalem und Internationalem, ja Transnationalem zu denken?
Wir können vor diesem Hintergrund die Romantik nicht begreifen, wenn wir nicht einen kurzen Blick werfen auf jene philosophische, literarische und mentalitätsgeschichtliche Epoche, die wir als Aufklärung, als „Enlightenment“, als „Siècle des Lumières“ zu bezeichnen pflegen. Dynamik und Wucht der Romantik sind nicht zu erfassen und zu begreifen, lässt man außer Acht, wogegen sie sich absetzt, womit sie ganz bewusst kontrastiert und wessen denkerische und philosophische Entwicklungen sie gleichwohl eine volle Drehung in der Spirale der Geschichte weiterdreht.
In einer seiner Anmerkungen zum Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes äußerte sich Jean-Jacques Rousseau 1755 zum damaligen Stand anthropologischer Kenntnisse bei den Europäern. Er stellte dabei das Problem der asymmetrischen Beziehungen zwischen jenen Informationen, die von Reisenden aus unterschiedlichen europäischen Ländern stammten, und den Überlegungen und Theorien der Philosophen heraus, welche auf diesen Nachrichten und Kenntnissen basierten. Es ist, wie mir scheint, eine der grundlegenden Fragen zum Universalitätsanspruch europäischer Philosophie und dem verschwindend kleinen Kenntnisstand, auf dem diese Ansprüche beruhen, eine universalgültige Philosophie des Menschengeschlechts zu entwickeln. Lassen Sie mich sogleich hinzufügen, dass ich mich sehr wohl frage, ob sich an diesem Missverhältnis in unserer Zeit wirklich etwas Grundlegendes geändert hat. Es scheint vielmehr, als ob wir heute jenseits einer unbedingt notwendigen, aber vernachlässigten interkulturellen Philosophie in der deutschen, französischen, englischen oder italienischen Philosophie nach wie vor Konzepte entfalten, die universalistisch gedacht zu sein vorgeben, aber letztlich nur Beispiele eines Denkens in den Traditionslinien Englands, Italiens, Frankreichs oder Deutschlands sind.
Abb. 1: Jean-Jacques Rousseau (Genf, 1712 - Ermenonville, 1778).
Jean-Jacques Rousseau betonte dabei die Wichtigkeit, mit einer derartigen Asymmetrie Schluss zu machen, die auf der seiner Ansicht nach fehlenden Vorbereitung der überwiegenden Mehrzahl der Reisenden beruhte. Zugleich aber hielt er einen gewissen Mangel hinsichtlich der Orientierung mancher „hommes éclairés“ fest, die sich vielfältigen Gefahren ausgesetzt und lange Reisen unternommen hätten:
Die Mitglieder der Akademie, welche Bereiche im Norden Europas und im Süden Amerikas bereisten, verfolgten mehr das Ziel, sie als Geometer denn als Philosophen zu besuchen. Da sie jedoch das eine wie das andere zugleich waren, darf man jene Regionen, die von den La Condamine und Maupertuis gesehen und beschrieben wurden, nicht als gänzlich unbekannt ansehen.3
Rousseau bezieht sich in dieser Passage auf jene beiden Expeditionen, die von der französischen Akademie ausgerüstet und ausgesandt wurden, um zu erkunden, ob die Erde rund wie eine Kugel - wie wir sie uns oft vorstellen und wie es der beleuchtete Globus in unserem Kinderzimmer suggerierte - oder am Äquator ausgebeult sowie an den Polen abgeplattet sei. Nun, bereits die Expedition von Maupertuis, des späteren Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, erzielte das Ergebnis, dass sich die Erdkugel entgegen der Annahmen unseres Kinderzimmers zu den Polen hin abplattet und daher vermutlich am Äquator ausgebuchtet ist. Die französischen Wissenschaftler, welche die zweite Expedition ins spanische Kolonialreich und ins heutige Ecuador führte, konnten nachträglich diese Ausbuchtung belegen, welche zuvor bereits durch die Untersuchungen der Lappland-Expedition nahegelegt worden war. Kommen Sie heute nach Ecuador, so können Sie unweit von Quito das der französischen Expedition gewidmete Monument bestaunen, welches den Verlauf der Äquatoriallinie touristenwirksam nachzeichnet. Fein säuberlich trennt es die Nordhälfte unseres Planeten von seiner Südhälfte ab.
Doch nicht von den Geometern, sondern von den beteiligten französischen Philosophen wie Maupertuis oder La Condamine schien sich Rousseau bedeutsame Verbesserungen des Kenntnisstandes über die außereuropäische Welt zu erhoffen. Räumte der Bürger von Genf auch gerne Gehalt und Qualität mancher Reiseberichte ein, die im 18. Jahrhundert veröffentlicht worden waren, so verbarg er doch seine fundamentale Kritik am allgemeinen Niveau anthropologischer beziehungsweise ethnologischer Kenntnisse nicht. Dabei nahm er bei aller Bewunderung für das Werk Buffons auch den Bereich der Naturgeschichte und insbesondere der von ihren Vertretern genutzten Quellen nicht von dieser Kritik aus. Wir müssen heute einräumen, dass Rousseau mit seiner Kritik auf ganzer Linie Recht hatte.
Nach der Erwähnung einiger weniger glaubwürdiger Berichte stellte er mit aller wünschenswerten Deutlichkeit klar:
Sieht man von diesen Berichten einmal ab, so wissen wir nichts über die Völker Ostindiens, die von Europäern besucht wurden, die mehr das Füllen ihrer Börsen als ihrer Köpfe im Sinn hatten. […] Die ganze Erde ist von Nationen bedeckt, von denen wir nur die Namen kennen, und wir machen uns anheischig, das ganze Menschengeschlecht zu beurteilen! Nehmen wir einmal an, ein Montesquieu, ein Buffon, ein Diderot, ein Duclos, ein d’Alembert, ein Condillac oder andere Männer diesen Zuschnitts würden Reisen unternehmen, um ihre Landsleute zu unterrichten, würden die Türkei, Ägypten, die Berberei, das Reich von Marokko, Guinea, die Kaffernländer, das Innere Afrikas und seine Ostküsten […] und dann, in der anderen Hemisphäre, Mexico, Peru, Chile, die Magellanischen Gebiete, ohne die wahren oder falschen Patagonier zu vergessen, […] beobachten und beschreiben, w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Teil 1: Drei Annäherungen an die Romantik und das 19. Jahrhundert
  6. Teil 2: Anfänge der Romantik
  7. Teil 3: Romantik zwischen zwei Welten
  8. Teil 4: Romantik als Phänomen einer Weltliteratur
  9. Teil 5: Wege aus der Romantik zum Jahrhundertende
  10. Personenregister