1. Einleitung
Das Civilian Internment Camp No 6
Nach Kriegsende richteten die Amerikaner im Juni 1945 in Moosburg das Civilian Internment Camp No 61 ein. Sie nutzten dafür die Gebäude und das Gelände des von 1939 bis 1945 von der Wehrmacht betriebenen Kriegsgefangenenlagers Stalag VII A, um Funktionsträger des nationalsozialistischen Deutschlands zu internieren. Das Civilian Internment Camp in Moosburg bestand bis 1948.
Bei den Internierungslagern handelt es sich um ein wenig bekanntes Element der zahlreichen Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten. Sie stehen im Ruf besonders schlechter Lebensbedingungen bis hin zum Vorwurf, dass hier die Amerikaner der Willkür und der Rache der Sieger freien Lauf gelassen hätten.
Das Internment Camp No 6 nimmt im System der Internierungslager eine wichtige Stellung ein. Es war eines der größten und am längsten bestehenden Lager in der amerikanischen Zone, sodass hier die Entwicklung der Lager und der Internierungspraxis in ihren verschiedenen Stadien besonders gut nachvollzogen werden kann, ebenso die Zusammensetzung der Internierten. Gleichzeitig war es das erste Lager, das im Herbst 1946 in deutsche Verantwortung übergeben wurde. Das Zusammenspiel der deutschen Verwaltung und der amerikanischen Dienststellen, insbesondere die daraus resultierenden Probleme, zeigten sich daher im Lager Moosburg geradezu exemplarisch. Die Einrichtung einer Schule für Wachmannschaften im Internierungslager Nummer 6 für ganz Bayern ist wohl darauf zurückzuführen.
Aber wer befand sich nun im Lager? Aus welchen Gründen wurden die Lagerinsassen verhaftet? Wie wurden die Internierten behandelt? Wie waren ihre Lebensbedingungen? Zu wie vielen Todesfällen kam es und was waren die Gründe dafür? Wie verliefen die Entnazifizierung und gegebenenfalls die Vermittlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit? Wie standen die Lagerinsassen zu Internierung und Entnazifizierung und wie bewerteten sie den Nationalsozialismus?
Die Faktenlage ist dabei oft unübersichtlich. Bei allen Aspekten der Organisation und des Lebens im Lager ist zwischen den Phasen der amerikanischen und der deutschen Verwaltung zu unterscheiden. Aber auch innerhalb dieser beiden Phasen gab es permanent Veränderungen. Die Amerikaner mussten angesichts des Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit improvisieren, bei den Deutschen spielten immer wieder unterschiedliche politische Erwägungen zum weiteren Vorgehen in der Interniertenfrage eine Rolle. Beiden Seiten fehlte jedoch ein Konzept, wie mit den Internierten umgegangen werden sollte. Statt eine längerfristige Strategie zu verfolgen, wurde häufig nur kurzfristig und ad hoc entschieden.
Hinzu kommt, dass die Geschichte der Civilian Internment Camps, vor allem die Lebensbedingungen in den Lagern, vergleichsweise wenig erforscht ist, ebenso, welche Personen in den Lagern interniert waren.
Abb. 1: Plan des Internierungslagers (Archiv Karl A. Bauer), basierend auf einem Plan des Stalag aus dem Jahr 1943. Die römischen Ziffern bezeichnen die mit Stacheldraht voneinander abgegrenzten Bereiche, die „Blocks“.
In seinem Standardwerk „Entnazifizierung in Bayern“ (1972), neu aufgelegt als „Die Mitläuferfabrik“ (1982), hat Lutz Niethammer die Internierungslager allgemein beschrieben und ihre Einbindung in die Entnazifizierungspolitik der Amerikaner dargestellt. Einen Überblick über die Internierung und die Internierungspraxis der Amerikaner bieten Christa Horn, „Die Internierungs- und Arbeitslager in Bayern 1945-1952“ (1992), Christa Schick in ihrem Beitrag „Die Internierungslager“ im Sammelband „Von Stalingrad zur Währungsreform“ (1988)2 und Peter Zeitler in seinem Aufsatz „Lageralltag in amerikanischen Internierungscamps“ (1986).3 Ein Tagungsband aus dem Jahr 1993 untersucht die unterschiedliche Internierungspraxis der verschiedenen Besatzungsmächte.4 Mit dieser Fragestellung hat sich zuletzt der australische Historiker Andrew Beattie 2019/2020 beschäftigt.5 Als Untersuchung zu einem einzelnen Lager und zugleich aktueller Beitrag speziell zu den Lagern in Bayern liegt der Aufsatz von Albrecht Klose „Das Internierungs- und Arbeitslager Regensburg 1945-1948“ (2004) vor.6
Abb. 2: Stadtplan Moosburg mit Kaserne der Wachen (1) und Kriegsgefangenenlager (2) (Archiv Karl A. Bauer).
Das Internierungslager in Moosburg wird immer wieder in den oben aufgeführten Monographien und Aufsätzen kurz behandelt. Speziell zu diesem Lager gibt es auch einen kurzen Aufsatz von Walter Beer aus dem Jahr 1998.7 2014 (4. Auflage) erschien mit dem Buch „Das Internierungslager Moosburg 1945-1948“ von Heinrich Pflanz eine Sammlung von Quellen, Bildern und Fotografien.
Die folgenden Kapitel befassen sich mit den verschiedenen Facetten des Lagers. Da die einzelnen Kapitel in sich geschlossen und aus sich heraus verständlich sein sollen, werden manche Aspekte in zwei oder drei Kapiteln wiederholt behandelt.
Quellenlage
Die Quellenlage für das Lager Moosburg ist vergleichsweise gut. Insbesondere existieren Materialien verschiedener Urheber, deren Zusammenschau ein relativ umfassendes Bild der Zustände im Lager ergeben. Es bestehen jedoch unterschiedliche Quellenlagen für die einzelnen Phasen der Existenz des Lagers. Während für die Zeit nach der Übernahme in deutsche Verwaltung ab Oktober 1946 zahlreiche verschiedene Quellen ein detailliertes Bild liefern, liegen für die Zeit der amerikanischen Lagerverwaltung, vor allem für die Anfangszeit, neben Augenzeugenberichten nur wenige Materialien vor.8 Moosburg ist insoweit kein Einzelfall. Allgemein gibt es aus der frühen Phase der Internierung in der US-Zone nur wenige Dokumente.9
Seit der Frühzeit des Lagers existieren Berichte verschiedener Urheber im Nationalarchiv in Washington, die teilweise in Kopie auch im Institut für Zeitgeschichte in München vorliegen. Für die Zeit der deutschen Verwaltung kommen Unterlagen des für die Entnazifizierung zuständigen Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben („Befreiungsministerium“, „Sonderministerium“) hinzu, die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv lagern. Außerdem gibt es Bestände im Staatsarchiv München, im Stadtarchiv Moosburg, im katholischen Pfarrarchiv Moosburg und im Stadtarchiv Kulmbach.
Von den vorhandenen Materialien ergeben hauptsächlich vier Quellengruppen, insbesondere in der Zusammenschau, ein sehr umfassendes Bild über das Internierungslager.
Zunächst ermöglichen die Erlebnisberichte ehemaliger Insassen einen Blick von innen auf das Alltagsleben im Lager. Diese sind zwar kritisch zu hinterfragen und mit anderen Quellen abzugleichen. Es fällt auf, dass manche Internierte die Situation sehr nüchtern, differenziert und sachlich beschreiben, sodass ihre Schilderungen zumindest teilweise belastbar sind.
Weitere wichtige Quellen stellen die Berichte der US-Armeegeheimdienste MID/CIC10 zur Situation im Lager dar. Es handelt sich hierbei um regelmäßig oder anlässlich besonderer Ereignisse erstattete Berichte. Besonders aussagekräftig sind die wöchentlichen Security Reports von MID/CIC, die für ihre vorgesetzten Dienststellen die Situation offen benennen und auch kritische Punkte darstellen. Die Berichte geben Auskunft zu den Belegungs-, Zugangs- und Entlassungszahlen sowie zur generellen Situation im Lager. In den Berichten finden auch besondere Vorkommnisse, Gerüchte unter den Internierten und sonstige Auffälligkeiten Erwähnung. Insoweit geht es insbesondere um die politische Orientierung der Internierten und die Frage, wie sich Maßnahmen der Militärregierung auf die Einstellung der Internierten und der Bevölkerung zu Nationalsozialismus und Kommunismus auswirkten. Auffallend ist, dass in den Berichten die Maßnahmen der amerikanischen Besatzungsmacht hinsichtlich der Entnazifizierung und der Behandlung der Internierten differenziert und teilweise sehr kritisch bewertet werden. Immer wieder weisen die Verfasser auf Missstände, inkonsequentes Vorgehen und kontraproduktive Folgen des amerikanischen Vorgehens hin und äußern durchaus Verständnis für Enttäuschung und Kritik der Internierten und der deutschen Bevölkerung.
Zahlen zur Belegung, zur Stärke der Wachmannschaft, zu Fluchten und zur Tätigkeit der Spruchkammern sowie zahlreiche weitere statistische Angaben finden sich in den Dekadenberichten, die drei Mal monatlich von der deutschen Lagerleitung gegenüber dem Staatsministerium für Sonderaufgaben zu erstatten waren. Neben einem Statistikbogen umfasst ein solcher Bericht auch aussagekräftige Stellungnahmen weiterer Akteure wie dem Leiter des Wachkommandos, einem Vertreter der Internierten oder der Beschaffungsabteilung des Lagers.
Schließlich existieren mehrere Karteien, die Aufschluss darüber geben, welche Personen aus welchen Gründen und wie lange in Moosburg interniert waren und ob sie entlassen oder in andere Lager verlegt wurden.
Eine dieser Karteien ist in deutscher Sprache verfasst, teilweise nur auf Papier geführt, teilweise auf Karteikarten. Darin sind umfangreiche Angaben zu jedem Internierten vermerkt wie Personalien, Familienstand und Beruf. Es finden sich Angaben über Funktionen, Ränge und Titel während der Zeit des Nationalsozialismus sowie Aussagen darüber, welche Mitgliedschaften bestanden haben und welche Auszeichnungen die Person während dieser Zeit erhalten hat. Schließlich wird der Eintritt/Austritt aus dem Lager vermerkt, ebenso in welcher Baracke der Beschuldigte untergebracht war.
Wer diese Kartei geführt hat, ob die deutsche Lagerverwaltung oder die Interniertenselbstverwaltung, ist unklar. Die Eintragungen erfolgten handschriftlich. Die Internierten erhielten hier vierstellige Nummern, denen eine 6 mit Bindestrich (für Internierungslager 6) vorangestellt war.
Daneben existiert eine weitere Kartei, geführt auf vorgedruckten Karteikarten, in englischer Sprache mit Maschinenschrift. Hier ist neben Teilen der Personalien (z.B. nur Angabe des Geburtsjahres ohne Tag und Monat) auch verm...