1 So klappt der Unterricht draussen
Warum in der Natur unterrichten?
Wer? Wo? Was? Wie?
Fächerübergreifendes Lernen
Die verschiedenen Draussenlernorte
Organisatorisches
Dokumentation und Evaluation
Warum in der Natur unterrichten?
Lust am Lernen
Als Lehrperson sind Sie Fachfrau bzw. Fachmann dafür, dass Kinder lernen zu lernen. Die Kinder sollen sich Lebenskompetenzen aneignen, die es ihnen ermöglichen, ein sinnvolles, erfülltes und verantwortungsvolles Leben zu führen. Zusammen mit den Eltern und anderen Bezugspersonen sind Sie eine zentrale Person im Leben jedes Kindes. Sie können Türen weit aufstossen und die Kinder dabei unterstützen, Lust am Lernen zu entwickeln und auch zu bewahren.
Möglicherweise sind Sie nicht zuletzt aus solchen Gründen überhaupt erst Lehrperson geworden: wegen Ihrer Begeisterung für die Kinder und deren leuchtende Augen, wenn sie wachsen und wenn sie lernen, die Welt, sich selber, ihr soziales Umfeld und die Natur immer besser, tiefer, differenzierter, toleranter und mit Weitblick zu verstehen.
Mit diesem Handbuch möchten wir Ihnen das praktische Rüstzeug liefern, um diese Lernprozesse erfolgreich zu unterstützen – und zwar einfach und praktisch umsetzbar, in jedem Fachbereich des 1. und 2. Zyklus.
Das Spezielle daran: Wir möchten Sie und Ihre Kinder nach draussen entführen, in die Natur, in den Kulturraum. Und zwar nicht als nette Zugabe, sondern damit Sie Ihre Unterrichts- und Lehrplanziele erfüllen können. Sie fragen natürlich zu Recht: Warum draussen?
Wie Sie sicher schon gemerkt haben, benutzen wir in diesem Buch anstelle von «Schülerinnen und Schüler» den Ausdruck «Kinder». Der Grund dafür ist, dass wir diese jungen Menschen nicht in einer Funktion, sondern als ganzheitliche Personen betrachten möchten.
Draussen unterrichten …
… ermöglicht lernen am realen Objekt > «Nur dadurch, dass ich Wasser anfasse, kann ich lernen, was es heisst, dass Wasser nass ist. Zugleich höre ich es glucksen oder tropfen, sehe ich Wellen und Reflexe, rieche vielleicht das Meer oder das Gras am Seeufer und erhalte so einen Gesamteindruck, der in mir – zusammen mit vielen anderen solcher Erfahrungen – zu einer komplexen und differenzierten Repräsentation von Wasser führen wird. Wenn ich diese innere Repräsentation (noch) nicht habe, kann ich auch die buntesten Bilder und die schrillsten Töne aus dem Computer gar nicht verstehen. Die bereits stattgefundene Wechselwirkung mit der wirklichen Realität ist also Voraussetzung dafür, dass ich mit der virtuellen Realität des Computers auch nur im Ansatz umgehen kann» (Spitzer, 2006, S. 225).
… fördert Sozialkompetenzen und Klassenklima > Für Lehrpersonen, die häufig draussen unterrichten, zählen die verbesserten Beziehungen zwischen Kindern und Lehrpersonen sowie zwischen den Kindern untereinander zu den wichtigsten Aspekten des Draussenunterrichtens. Dieser gestärkte soziale Boden spart längerfristig Zeit und hilft bei der Alltagsgestaltung des Unterrichts, drinnen wie draussen.
… ist gesund > Draussen bewegen sich die Kinder mehr, was zum Abbau von Aggressionen und zu besserer Konzentration, körperlicher Fitness und einem besseren Selbstbewusstsein führt. Naturaufenthalte verbessern das Wohlbefinden und dämpfen Stress. Draussen zu unterrichten, ermöglicht Ihnen, die Ziele des fächerübergreifenden Themas «Gesundheit» zu erreichen und die personalen Kompetenzen der Kinder zu fördern.
… entlastet Sie langfristig > Am Anfang bedeutet draussen unterrichten für Sie Aufwand und Wagnis. Aber Lehrpersonen, die regelmässig draussen unterrichten, berichten über genau dieselben positiven Effekte wie die Kinder auch: Sie haben mehr Freiheit, fühlen sich gesünder und zufriedener, kommen abends entspannter nach Hause, ihre Unterrichtspraxis wird bereichert. Mit der Zeit und Regelmässigkeit werden die Kinder draussen selbstständiger, kreativer, motivierter und aufmerksamer.
Es gibt eine ganze Reihe weiterer Gründe, warum draussen unterrichten sinnvoll sein kann – aus wissenschaftlicher Sicht und aus der Sicht erfahrener Lehrpersonen. Wir haben diese Gründe für Sie in Teil 3 (↗ hier bis hier) zusammengestellt. Vielleicht nützen Ihnen diese Grundlagen in der Diskussion mit Eltern, Schulleitung und Kolleginnen und Kollegen.
Draussen und drinnen
Draussen unterrichten kann Ihnen mehrere zusätzliche Pfeile im Köcher Ihrer Lehr-Lern-Arrangements bieten. Es ermöglicht und ergänzt Dinge, die im Klassenzimmer nur eingeschränkt möglich sind. Draussen lernen ist eine gut erprobte und wirksame Erweiterung Ihrer Handlungsmöglichkeiten als Lehrperson – variabel und flexibel einsetzbar nach Gutdünken auf Basis Ihrer professionellen Kompetenz als Lernspezialistin bzw. Lernspezialist. Sie haben die ganze Bandbreite an Möglichkeiten: von einem einstündigen Aufenthalt auf dem Schulhof bis zum ganztägigen und regelmässigen Unterricht im Wald.
Draussen lernen ist nicht besser als drinnen lernen, und der Unterricht draussen kann auch nicht das Klassenzimmer ersetzen – und umgekehrt. Warum also nicht alle Vorteile vereinen und drinnen mit draussen kombinieren? Den Kindern sowohl High-tech-Erfahrungen als auch High-touch-Erfahrungen in authentischen Lernumgebungen ermöglichen? Ein solches Lernen ist zukunftsweisend, weil es Schule und Alltag, Theorie und direkte Erfahrung vereint. Es ermöglicht den Kindern, ihre unmittelbare Mitwelt kennen, schätzen und respektieren zu lernen.
Unmittelbare Eindrücke festhalten
Wer? Wo? Was? Wie?
Wer?
Unterrichten Sie selber draussen, anstatt Experten einzuladen. Je mehr Sie draussen unterrichten, desto einfacher und gewinnbringender wird es. Holen Sie sich zu Beginn eine im Draussenunterricht erfahrene Lehrperson als Tandempartnerin bzw. Tandempartner.
Wo?
Unterrichten Sie regelmässig draussen im nahen Schulumfeld, sowohl in der natürlichen als auch in der kulturellen Mitwelt.
Was?
>Unterrichten Sie fächerübergreifend und testen Sie alle Fachbereiche draussen aus.
>Machen Sie den Link zwischen Naturerfahrung und Alltagshandeln, zwischen der Schule draussen und der Schule drinnen. Arbeiten Sie an beiden Lernorten an denselben Zielen und Themen. Überlegen Sie sich, wie Sie die Vor- und Nachbereitung im Schulzimmer gestalten wollen. Was soll drinnen vertieft bzw. evaluiert werden?
>Verfolgen Sie draussen nicht nur Fachbereichsziele; behalten Sie immer auch die überfachlichen Kompetenzen im Auge, etwa diejenigen Kompetenzen, die eine nachhaltige Lebensweise fördern.
>Wenn Sie regelmässig draussen unterrichten: Bauen Sie Aktivitäten ein, die sich jedes Mal wiederholen, zum Beispiel den Besuch eines persönlichen Naturplatzes. Dies erleichtert die Planung, schafft Kontinuität, schult die Beobachtung und vertieft die Naturbeziehung.
>Die Kinder erwerben draussen viele fächerübergreifende Kompetenzen während der selbstgesteuerten Lernphasen. Planen Sie daher genügend Zeit ein für Freispiel, für Pausen, für Aktivitäten mit offenen Fragestellungen und für eine individuelle Wahl der Realisationsart und Sozialform.
>Integrieren Sie jeweils eine Phase der Auswertung, Reflexion, Evaluation – drinnen oder draussen.
>Halten Sie immer ein bis zwei Zusatzaktivitäten in Reserve, falls das Programm schneller abläuft als geplant oder falls die Kinder Bewegung brauchen (etwa weil es kälter ist als gedacht).
Wie?
>Arbeiten Sie nicht nur in, sondern auch mit der Natur. Der respektvolle Umgang mit der Mitwelt wird in jeder Sequenz gelebt und geübt.
>Die Zeit verläuft draussen anders als drinnen. Planen Sie die Zeit pro Aktivität grosszügig. Es geschehen immer unvorhergesehene Dinge, die das Interesse der Kinder wecken und Zeit brauchen.
>Achten Sie darauf, dass die Kinder draussen die meiste Zeit aktiv tätig sind.
>Lassen Sie die Kinder zusammen problemlösungsorientiert arbeiten – an konkreten und sinnvollen Situationen. Verwenden Sie hingegen darbietende und interrogative Methoden nur über kurze Zeitspannen – oder vor- und nachbereitend im Klassenzimmer.
>Wagen Sie es, auch mal ohne Vorbereitung in die Natur zu gehen, um zu schauen, was die Natur und die Kinder für Impulse geben. Mit der Erfahrung neigen viele Lehrpersonen dazu, den Kindern draussen mehr selbstgesteuerte Lernzeit zur Verfügung zu stellen, da viele Lern- und Lebenskompetenzen dabei besser erreicht werden.
>Lehrpersonen mit Erfahrung im...