Haiders Schatten
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Haiders Schatten

An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten

  1. 224 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Haiders Schatten

An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten

Über dieses Buch

Jörg Haiders Leben, seine Politik, seine Geheimnisse und sein Tod: Wie war der erfolgreichste Rechtspopulist Europas wirklich? Stefan Petzner, der fünf Jahre lang sein engster Vertrauter war, zeigt ihn aus nächster Nähe. Er zeichnet das Psychogramm eines Getriebenen, für den die Liebe des Volkes Droge und Heilung zugleich war, lässt hinter die Kulissen der rechtspopulistischen Erfolgsmaschinerie blicken und liefert dabei einen auf jeder Seite spannenden Beitrag zur Geschichtsschreibung.

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Haiders Abschied

Freitag, der 10. Oktober, ist der offizielle Kärntner Landesfeiertag. An diesem Tag gedenkt Kärnten seines erfolgreichen Abwehrkampfes gegen Truppen des kommunistischen Jugoslawiens, die Teile Südkärntens besetzten, sowie einer anschließenden Volksabstimmung im Jahr 1920, bei der sich eine Mehrheit der Kärntner für einen Verbleib bei Österreich entschied.
Jörg Haider hatte bei den Gedenkveranstaltungen als Landeshauptmann alljährlich repräsentative Aufgaben zu erfüllen. Die begannen auch an diesem 10. Oktober kurz nach der für ihn so erfolgreichen Nationalratswahl morgens um neun mit einer Kranzniederlegung am Soldatenfriedhof in Annabichl und einer Rede vor Bürgern sowie militärischen und kirchlichen Würdenträgern. Etwa die gleiche Prozedur mit der gleichen Rede vor fast dem gleichen Publikum wiederholte sich zwei Stunden später im Hof des Landhauses, wo zu diesem Zweck eine Bühne unter freiem Himmel stand.
Anschließend fuhr Haider zur Geburtstagsfeier eines Freundes, des Direktors des Klagenfurter Konzerthauses. Für den Rest des Tages standen keine Termine mehr in seinem Kalender, was selten vorkam. Ich fand, dass ihm die Pause nach den Strapazen des Wahlkampfes gut tun würde. Denn Haider wirkte nun wirklich müde. Die Kleine Zeitung wollte noch ein Interview, dann würde er Zeit für sich haben.
Am Weg zu dem Interview rief mich der Kärntner Vermögensverwalter Wolfgang Auer-Welsbach an. Er bezog sich darauf, dass ich seinen Sohn kannte, und wollte dringend den Landeshauptmann sprechen. Ich merkte an seiner sich überschlagenden Stimme, dass es ernst war. Also bestellte ich ihn nach dem Interview ins »Moser Verdino«. Sein Unternehmen breche gerade zusammen, erzählte er uns dort, während seine Frau schluchzend neben ihm saß. Er sah seine letzte Chance in einer Landeshilfe. Haider sah das Problem. Viele Kärntner Kleinanleger würden mit einem Schlag ihr gesamtes Erspartes verlieren. Deshalb sagte er Auer-Welsbach zu, dass er sich um Hilfe bemühen werde. Während des bevorstehenden verlängerten Wochenendes sollte ich der Kontaktmann zwischen ihnen sein, falls die Ereignisse sich überschlagen sollten.
Danach hatte Haider wirklich frei. Er wollte einkaufen gehen, also begleitete ich ihn in eine Herrenboutique in der Innenstadt. Er probierte ein blaues Sakko an und kaufte sich schwarzgraue Jeans. Das Sakko war ihm zu groß, also ließ er es dort, um es ändern zu lassen, und nahm nur die Jeans. Anschließend gingen wir zurück zum »Moser Verdino«, wo sein Chauffeur wartete. Wir verabschiedeten uns mit Handschlag. Ich erzählte ihm noch, dass ich am Abend nach Velden fahren würde. Dort feierte das Hochglanzmagazin Blitzlicht-Revue in der direkt neben dem Casino Velden gelegenen Diskothek »Le Cabaret« ein Jubiläum. Haider hatte den Termin nicht eingeplant. »Gut, dass jemand von uns dort ist«, sagte er.
Er selbst wollte bald heim. Seine Mutter war da. Sie feierte im Kreis der Familie ihren neunzigsten Geburtstag. »Wenn etwas ist, bin ich erreichbar«, sagte ich. »Ansonsten ein schönes Wochenende. Erhol dich gut, und herzliche Glückwünsche von mir an deine Mutter.« Ich sah dem schwarzen Phaeton nach, als Haider weg fuhr.
Gegen 21 Uhr kam ich bei der Feier des Magazins an. Wie bei den meisten Medienveranstaltungen kannte ich so gut wie alle Anwesenden. Als mich Egon Rutter, der Herausgeber des Magazins, entdeckte, kam er auf mich zu. »Kommt der Jörg auch?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Seine Mutter feiert am Wochenende ihren Neunziger. Der Landeshauptmann lässt sich entschuldigen.«
Ich nahm einen Drink und plauderte ein bisschen mit den Gästen. Ich freute mich darauf, heimzukommen. Vor mir lag ein unverplantes Wochenende, das ich nützen wollte, um mich zu sammeln. Ein Wahlkampf hat seine eigene Dynamik, aber das Leben geht danach weiter. Ich wollte darüber nachdenken, was als nächstes kam. Ich war schon fast so weit, mich zu verabschieden, als Rutter wieder auf mich zukam. »Was redest du?«, sagte er. »Er ist ja da.«
Im nächsten Moment stand Haider lächelnd vor mir. »Ich war noch unterwegs und dachte mir, ich schaue kurz vorbei«, sagte er.
Er war noch bei einem Szenewirt gewesen, mit dem er befreundet war, und der an diesem Tag Geburtstag gefeiert und ein neues Lokal aufgesperrt hatte. Ich fand das nicht in Ordnung. Haiders Familie wartete im Bärental seit dem Nachmittag auf ihn. Deshalb nahm ich ihn beiseite. »Schau lieber, dass du heimkommst«, sagte ich. Ich klang ziemlich unwirsch, weshalb uns einige Blicke trafen. Ich senkte die Stimme. »Du brauchst eine Pause«, sagte ich.
»Ich bleibe nicht lange«, sagte Haider.
Eben war ich noch privat auf der Feier gewesen, aber durch Haiders Rückkehr war ich wieder im Job. Wenn kein Referent da war, hatte ich in diese Rolle zu schlüpfen und Haiders Kontakte zu dokumentieren. Doch er blieb tatsächlich nicht lange. Kurz nach zehn Uhr brach er wieder auf. Ich begleitete ihn zu seinem Wagen, der keine 200 Meter entfernt stand. Ich stieg mit ihm ins Auto und er brachte mich das kleine Stück zurück zur Diskothek. Was nicht nötig gewesen wäre, aber er bestand darauf. »Fährst du jetzt heim?«, fragte ich ihn.
Er nickte in der Dunkelheit des Wageninneren.
Ich ging zurück zur Party. Haider rief mich noch einmal an. Ich hörte das Rauschen des Autos im Telefonhörer, während er mit mir telefonierte. Er wollte noch kurz über Auer-Welsbach sprechen. Er hatte das Gefühl, dass hinter dessen wirtschaftlichen Problemen illegale Transaktionen stehen könnten, und dass wir deshalb vorsichtig sein müssten. »Durch die Finanzkrise wird überhaupt einiges ans Tageslicht kommen«, sagte er.
Ich beruhigte ihn. »Ich melde mich wie besprochen bei dir, falls sich bei Auer-Welsbach die Ereignisse überschlagen sollten. Mach dir also keine Sorgen, sondern genieße das Wochenende.«
Eine Weile blieb ich noch, doch kurz nach Mitternacht wurde ich müde. Ich fuhr in meine Klagenfurter Wohnung und ging schlafen. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, nachzudenken, was als Nächstes kommen würde, denn kaum hatte ich mich hingelegt, fiel ich in einen traumlosen Schlaf.
Kurz nach zwei Uhr Morgens läutete mein Handy. Es war wie immer an und hing neben meinem Bett am Ladekabel. »Joschi Schütz ruft an«, stand auf dem Display.
Als ich den Namen las, war ich verwundert und ahnte, dass etwas nicht stimmen konnte. Haider selbst und alle möglichen Funktionäre aus der Partei, gelegentlich auch Journalisten, taten sich keinen Zwang an, mich notfalls mitten in der Nacht zu wecken. Aber Haiders Chauffeur hatte das noch nie getan. Noch im Halbschlaf hob ich ab. »Hallo?«
»Es ist etwas passiert. Der Landeshauptmann hatte einen Unfall«, sagte er.
Ich war mit einem Schlag hellwach. Ich brüllte ins Telefon. »Was sagst du? Wo ist er?«
»Der Landeshauptmann ist tot«, antwortete Schütz. »Angeblich.«
Ich stand jetzt aufrecht im Bett. »Was? Was heißt angeblich?«
»Ich habe diese Information von der Polizei. Mehr weiß ich auch nicht. Die Polizei hat mir einen Namen und eine Nummer genannt. Ruf dort an.«
Als Schütz aufgelegt hatte, schlug ich mir mit der Hand mehrmals ins Gesicht. Wach auf, dachte ich, es ist nur wieder dieser Traum. Doch ich konnte meine Schläge spüren. Diesmal gab es kein Erwachen.
Ich streifte über, was gerade in Reichweite war, und wählte die Nummer. Ein Polizeibeamter hob ab. Ich wusste, dass der Mann Polizeibeamter war, weil ich ihn kannte. Haider und ich hatten schon einige Male mit ihm zu tun gehabt. Er war einer der Männer in der Sicherheitsdirektion, die Haider bei Großveranstaltungen betreuten. »Stefan Petzner hier«, sagte ich. »Was ist passiert?«
Der Beamte wusste auch nicht viel mehr, als mir schon Schütz gesagt hatte. »Ein Unfall«, sagte er. »Sie haben ihn ins Landeskrankenhaus gebracht. Treffen wir uns dort.«
Ich lief hinunter zur Straße. Meine Wohnung lag in unmittelbarer Nähe der Landesregierung, also bestellte ich dorthin ein Taxi. In der dunklen Oktobernacht rannte ich vor dem verlassenen Gebäude auf und ab.
Der Taxifahrer erkannte mich und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. »Was ist denn passiert, Herr Petzner?«, fragte er.
»So schnell wie möglich ins LKH«, sagte ich. »Der Landeshauptmann hatte einen Unfall.«
»Oh mein Gott.« Er trat aufs Gaspedal.
Die Polizei war noch nicht da, doch eine Schwester, die offenbar Bescheid wusste, erkannte mich. »Sie sind durch den falschen Eingang hereingekommen«, sagte sie.
Jemand brachte mich in einem Kleinbus durch die weitläufige Krankenhausanlage zum richtigen. Klamm und unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, saß ich auf dem Rücksitz. Ich konnte und wollte mir einfach nicht vorstellen, dass Haider wirklich nicht mehr lebte. Wir passierten eine Einfahrt. Schließlich hielt der Wagen. Die Schiebetür ging auf und ich sprang wieder hinaus in die Nacht.
Ich betrat das Foyer des Krankenhauses. Hellbrauner Plastikboden, totale Krankenhausatmosphäre. Eine Glastür ging auf. Links lag ein Schwesternzimmer. Ich ging daran vorbei geradeaus weiter. Ein Arzt bog um die Ecke und steuerte auf mich zu. In der Mitte des Raumes trafen wir aufeinander. Ich schwieg. Ich wusste in diesem Moment, dass es nichts mehr zu sagen gab.
Seine Stimme klang sanft. »Es tut mir schrecklich leid«, sagte er, »aber wir konnten nichts mehr tun.«
Mir wurde schwarz vor Augen und ich sank zusammen. Als ich auf dem hellbraunen Plastikboden kauerte, war mir, als müsse ich mich festhalten, um nicht noch tiefer zu sinken.
So verharrte ich ohne Wahrnehmung der Zeit. Sekunden und Minuten schwammen ineinander, während ich aus der Ferne die Stimme des Arztes hörte. Anscheinend redete er auf mich ein, doch ich wusste auf einmal gar nichts mehr. Nur, dass ich es erst glauben würde, wenn ich ihn mit eigenen Augen sah. Als ich zu sprechen anfing, schien meine Stimme in meinem Kopf gefangen zu sein. Sie hallte darin. Ich versuchte lauter zu reden, aber es entstand nur ein Krächzen. »Wo ist er? Wo ist er?«
Der Arzt nahm mich an der Schulter und richtete mich auf. Wortlos schob er mich vor sich her. Nach ein paar Abzweigungen öffnete er eine Tür. Ich verstand nicht ganz, was das werden sollte, denn ich befand mich jetzt in einer Art Abstellraum. Die Wände und der Boden waren gefliest, die Wände hellblau und der Boden weiß. Alte Bettgestelle und andere Gerätschaften standen herum. Es war kühl.
Ich wandte mich zu dem Arzt um, doch er schwieg. Links von der Tür entdeckte ich ein Metallbett mit einem Gitter. Darin lag ein makelloses weißes Tuch über einem leblosen Körper. Weiterhin schweigend ging der Arzt zum Kopfende des Bettes und hob das Tuch sorgsam mit Daumen und Zeigefinger an.
Da lag er vor mir. Sein Gesicht war völlig unversehrt, bis auf eine kleine Wunde unter dem Kinn, die aussah, als hätte er sich beim Rasieren geschnitten. Er trug noch das gleiche lachsfarbene Hemd wie bei unserem Abschied in Velden. Es wirkte, als würde er schlafen.
Ich umfasste mit beiden Händen sein Gesicht. Es war kalt und starr. In diesem Moment traf mich der Schock so richtig. Mein Körper und mein ganzes Wesen verkrampften sich. Ich wusste nicht, was jetzt noch kommen konnte, weder in diesem Raum, noch in dieser Nacht, noch irgendwo oder irgendwann sonst.
Erst als der Arzt wieder sprach, schien die Zeit weiterzulaufen. »Es ist wohl besser, wenn wir jetzt gehen«, sagte er.
Eine Krankenhausmitarbeiterin machte mir im Schwesternzimmer Kaffee, während ich mit zittrigen Händen rauchte. Es lag wohl an einem menschlichen Schutzmechanismus, dass ich wieder scheinbar normal zu funktionieren begann und nur noch alles wie gedämpft wahrnahm. Es fühlte sich an, als wäre ich in Watte gepackt. Ich wurde wieder zum Pressesprecher.
Gedanken schossen mir durch den Kopf. Der Landeshauptmann war tot. Die Bundespartei war führungslos. Die Landespartei war führungslos. Kärnten war führungslos. Es kam mir vor, als bräuchte ich eine PR-Strategie für den Weltuntergang.
Haiders letzter Anruf fiel mir ein, bei dem er mir gesagt hatte, dass er am Heimweg sei. Ich sah am Handy nach. Wir hatten das Gespräch um 22.24 Uhr beendet. Ich fragte die Schwester, wann der Unfall passiert war. »Zwischen 1.14 und 1.18 Uhr«, sagte sie.
Ich begriff, dass es Probleme geben würde. Da klaffte eine Lücke von mehr als zwei Stunden. Irgendwo musste er noch gewesen sein. Irgendetwas musste er noch getan haben. Er war definitiv nicht am Heimweg gewesen, als wir um 22.24 Uhr aufgelegt hatten.
Ich ahnte, was am nächsten Tag passieren würde. Denn wie ich Haider kannte, war er wahrscheinlich noch in der Stadt unterwegs gewesen. Er hatte schon die Jubiläumsfeier ungern verlassen. Die Geburtstagsfeier und Lokaleröffnung, von der er mir im »Le Cabaret« erzählt hatte, fiel mir wieder ein. Gut möglich, dass er dorthin zurückgefahren war.
Der Wirt betrieb zwei Lokale. Das neu eröffnete »Benvindo« und den »Stadtkrämer«, ein bekanntes Szene- und Schwulenlokal. Wenn Haider zu der Eröffnungsfeier zurückgekehrt und dann mit den Feiernden weiter in den Stadtkrämer gezogen war, wäre das ein Skandal. Mir war klar, was geschrieben werden würde. Wenn alles schief ging, hatte er auch noch zu viel getrunken und war zu schnell gefahren. Das alles ging mir durch den Kopf.
Waren die Dinge wirklich so abgelaufen, wie ich es mir zusammen reimte, wollte ich alles tun, um die Wahrheit zu verschleiern. Ich wollte verhindern, dass wilde Spekulationen sein Erbe beschädigten. Ich würde lügen, auch wenn diese Lügen kaum halten würden. Ich fand, dass ich Haider das schuldig war, selbst wenn ich mich dabei selbst beschädigte. Der König ist tot, dachte ich, es lebe der König. Aber der König war nicht ich. Für mich bedeutete Haiders Tod nach allem, was ich über Politik wusste, wahrscheinlich ohnedies den Anfang vom politischen Ende.
Als Nächstes fiel mir seine Familie ein. Sie war im Bärental versammelt und wartete womöglich noch immer auf ihn. Sie hatte dort keinen Handyempfang. Jemand musste zu ihnen fahren. Ich bat die Ärzte und die Polizei um Stillschweigen, bis die Familie Bescheid wusste. Christine Kogler, Haiders langjährige Sekretärin, kam in Frage, die Nachricht zu überbringen. Haiders Familie kannte sie.
Wie alle Mitarbeiter des Landeshauptmannes war es auch Christine Kogler gewöhnt, zu Unzeiten durch Anrufe geweckt zu werden und schlief offenbar mit dem Handy in Reichweite. Wahrscheinlich kapierte sie so wenig wie ich, dass das Ganze kein böser Traum war, doch sie war bereit, sofort aufzubrechen. »Ich fahre«, sagte sie.
Während sie auf dem Weg ins Bärental war, rief ich die obersten Landesbeamten an. Außerdem informierte ich Gerhard Dörfler als Landeshauptmann-Stellvertreter, Harald Dobernig als Haiders Büroleiter und Kurt und Uwe Scheuch, obwohl Haider über ihre politische Funktion innerhalb der Partei hinaus nie eine Beziehung zu ihnen aufgebaut hatte.
Die Telefonate, auch die mit den Scheuchs, verliefen alle gleich. Immer die gleiche schockierte und ungläubige Reaktion. »Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn gesehen.« Damit beseitigte ich jedes Mal alle Zweifel. Du kannst ihnen nicht sagen, dass der Landeshauptmann tot ist und sie dann einfach weiter schlafen lassen, dachte ich. Deshalb forderte ich sie auf, in die Landesregierung zu kommen. Ich wusste selbst nicht, was wir dort sollten. Es war wie die Stunde vor der Stunde Null.
Relativ bald kam der Anruf Christine Koglers. »Sie sind alle schwer betroffen, aber sie tragen es mit Fassung«, sagte sie. Sie hatte zwei Mitarbeiter eines Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes ins Bärental mitgenommen. »Es geht ihnen den Umständen entsprechend«, sagte sie.
»Bleib du dort und kümmere dich um die Familie«, sagte ich. »Ich mache den Rest.«
Ich nahm ein Taxi zurück zur Landesregierung. Es war vier Uhr morgens. Die Stadt schlief. Die Fenster waren dunkel. Mitten aus dieser Dunkelheit ragte das Regierungsgebäude hervor. Alle seine Fenster waren hell erleuchtet. Ein gespenstisches Bild.
Ich ging die Treppen hinauf in den ersten Stock und öffnete die Glastüren zum Landeshauptmann-Trakt. Dort standen sie alle. Alle Parteimitglieder und Mitarbeiter, die ich angerufen hatte. Alle weinten.
Als ich eintrat, wandten sich alle Blicke mir zu. Es fühlte sich an, als würden sie mir einen Rucksack voller Steine umhängen. Sie schienen mit ihren Blicken alle das Gleiche zu sagen. »Stefan, bitte sag uns, wie es jetzt weitergehen soll.«
Ich wusste auch keine Antwort. Ich war der zweite Mann hinter Haider gewesen und sein engster Vertrauter. Doch ich war nicht der Mann für die Führungsrolle, das wusste ich. Wir standen beieinander, in dumpfem ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Haupttitel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Darum
  6. Im Herz der Karawanken
  7. Mein Traumberuf
  8. Mein politischer Hintergrund
  9. Haider und ich: Der Anfang
  10. Ein politischer Lehrling
  11. Auf Tour mit Jörg Haider
  12. Haiders letzte Geheimnisse
  13. Die Entzauberung der Populisten
  14. Haiders letzter Auftritt
  15. Haiders Abschied
  16. Weitere Bücher