Waffen für Teheran
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Waffen für Teheran

Die Geschichte des Noricum-Skandals

  1. 224 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Waffen für Teheran

Die Geschichte des Noricum-Skandals

Über dieses Buch

Es ist einer der großen Skandale der jüngeren österreichischen Geschichte: Anfang der 1980er-Jahre lieferte das VOEST-Tochterunternehmen Noricum illegal Kanonen an den Iran als Kriegspartei des ersten Golfkriegs. Im Mittelpunkt stand der spätere Hauptangeklagte Gaan Eisenburger. Jetzt erzählt er die wahre Geschichte des Deals und zeichnet dabei ein spannendes Bild von Österreich am Ende der Ära Kreisky und am Beginn einer neuen Zeit. Ein Buch über Schattenmänner, Scheinerschießungen und politische Machenschaften.

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Information

EIN JAHR SPÄTER

DIE GEISELHAFT

»Der islamische Staat ist ein Staat des Gesetzes. Das Gesetz ist nichts anderes als der Befehl Gottes.«
– Ajatollah Chomeini

WELS UMGEBUNG, SOMMER 1986

Ich saß auf der Terrasse meines Hofes und betrachtete den Garten mit seinen alten Bäumen und wild verwachsenen Büschen, die sich vor mir erstreckten.
Alles war genauso eingetreten, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nach meiner Rückkehr aus dem Iran hatte ich meine Sachen geordnet und meine Kündigung eingereicht.
Bevor ich das Linzer Büro verließ, saßen Ellmer und ich noch ein letztes Mal in meinem Büro zusammen, um ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen.
»Wird schwierig werden, den Laden zusammenzuhalten, wenn du weg bist«, sagte Ellmer, halb ironisch, halb wehmütig.
»Ihr schafft das schon«, ermutigte ich ihn. »Passt nur auf, was der Dunkelberger fabriziert.«
Dunkelberger war Generaldirektor der Noricum, ein stattlicher Mann mit Hang zu protzigem Auftreten. Er überschritt immer wieder seine Kompetenzen und griff in den Verkauf ein. Etwa, indem er vermeintlich vielversprechenden Kontaktmännern Provisionen oder Geschäfte in Aussicht stellte, obwohl wir besagtes Geschäft bereits an jemand anderen vergeben hatten.
»Ich habe mitbekommen, dass er während der Waffenmesse in Athen einen anderen iranischen Waffenhändler, Hadji Dai, mit einer Vollmacht für den Iran ausgestattet hat«, fuhr ich fort. »Das ist mehr als fahrlässig. Wir haben eine sichere Verbindung in den Iran und das Geschäft ist schon abgeschlossen. Ich habe Hadji Dai selbst zweimal getroffen und er ist mir suspekt.«
Zum ersten Mal war mir Hadji Dai 1983 in Wien im Hotel Bristol begegnet. Ich erinnerte mich noch gut: Damals war es ein regnerischer und kalter Abend, als ich die Ringstraße überquerte, den Kragen meines Lodenmantels aufgeschlagen. Hadji Dai hatte mich erst wenige Stunden zuvor angerufen und wollte mir »privat« von wichtigen Kontakten erzählen. Als ich in das Zimmer des Persers trat, war ich wenig überzeugt: Er wohnte im kleinsten Zimmer des Bristols, ein winziges Stübchen, eng, schmal und noch dazu mit einer grässlichen dunkelroten Tapete ausgestattet.
Hadji Dai hatte dunkles, lockiges Haar und einen großen Schnurrbart. Seine Augen erweckten den Eindruck von Fröhlichkeit. Lachfalten umspielten seinen Mund. Alles in allem war er ein sympathischer Mann, wie ich fand.
»Entschuldigen Sie das Zimmer«, begrüßte er mich, als ich eintrat und einen zweifelnden Blick durch den Raum gleiten ließ. »Normalerweise wohne ich in einer Suite, aber diesmal bin ich kurzfristig angereist und alles andere war ausgebucht.«
Ich winkte ab. »Was kann ich für Sie tun?«
»Seit der Revolution im Iran lebe und arbeite ich in Athen. Ich bin seit Jahren im Wehrgeschäft tätig. Durch meine guten Kontakte habe ich gehört, dass Sie Produkte in den Iran liefern wollen… natürlich nicht mit dem Iran als Besteller.« Er lächelte listig. »Ich habe an Thailand gedacht…«
»Wir haben bereits eine Vertretung in Bangkok«, sagte ich. »Das würde Probleme geben.«
»Dafür kann man doch bestimmt eine Abstandsprovision zahlen.«
»Wie haben Sie sich das vorgestellt?«, sagte ich, meine Hoffnung schwand jedoch. »Haben Sie ein Büro in Teheran?«
»Nein, ich sagte doch, seit der Revolution bin ich in Athen. Aber ich habe Erfahrung, ich habe Ersatzteile für die Luftwaffe geliefert und Munition. Da ging es um Transaktionen in der Höhe von Millionen Mark.«
»Das sind sicher interessante Geschäfte gewesen«, meinte ich diplomatisch. »Aber in unserem Fall geht es um hunderte Millionen und komplizierte Systeme. Wir brauchen ein Büro in Teheran, denn wir müssen den Iranern auch Ausbildung und Training verkaufen. Ich glaube, Sie stellen sich das zu einfach vor.«
Die Augen von Hadji Dai zuckten kurz vor Verärgerung, doch er fing sich schnell.
»Ihr Land gilt doch als vernünftig was Waffenexporte angeht«, sagte er. »Sie haben doch bestimmt die Unterstützung Ihrer Regierung. Anders lässt sich sowas ja gar nicht machen. Jeder amerikanische Satellit sieht Ihre Maschinen dort unten und gibt Ihrer Regierung Bescheid. Die muss Sie also schützen. Im Irak stehen Ihre Kanonen schon.«
Ich lachte. »Nicht schlecht, mein werter Herr. Das mit unserer Regierung ist komplizierter, als Sie sich vorstellen können. Und was den Irak angeht, damit haben wir nichts zu tun. Wir haben die Kanonen an Jordanien verkauft. Es wird spät«, sagte ich. »Danke für Ihre Zeit. Ich muss noch einen weiten Weg nach Hause zurücklegen.«
»Wie wäre es, wenn wir uns nächste Woche in München treffen?«, fragte mich Hadji Dai. »Da kann ich Ihnen mehr zeigen.«
Und tatsächlich hatten wir uns eine Woche darauf in München getroffen, im Bayerischen Hof. Dort bewohnte Hadji Dai eine Suite im rustikalen bayrischen Stil. Einige iranische Militärs waren bei ihm.
Doch er verhielt sich höchst unprofessionell. Zunächst wollte er uns mit Namen vorstellen, was bei solchen Treffen eine Unart war. Außerdem fuchtelte er vor meiner Nase mit Aufträgen in Millionenhöhe herum, um mir zu beweisen, dass er sehr wohl in der Lage war, ein großes Geschäft abzuschließen.
Dabei verstand er nicht, dass es mit der Vermittlung nicht getan war. Wir brauchten eine ganze Infrastruktur im Iran, Büros und Leute. Etwas, das mein Kontakt Massoudi liefern konnte, Hadji Dai jedoch nicht. Ich lehnte also erneut höflich ab.
Ein paar Jahre später lief ihm Dunkelberger in Athen über den Weg und ließ sich von ihm irgendetwas aufschwatzen. Dabei hätte Dunkelberger ihn sofort an mich verweisen müssen, immerhin war der Verkauf mein Bereich. Dann hätte ich diesen halbseidenen Geschäftsmann abgewimmelt.
An diese Episode musste ich denken, als ich Ellmer vor Hadji Dai warnte. »Er hat mir bereits vor einigen Jahren angeboten, bei Geschäften mitzuschneiden, die wir gemeinsam verhandeln. Alles sehr unprofessionell«, erzählte ich. »Ich weiß nicht, was man ihm versprochen hat, aber der wird sein Geld haben wollen.«
In dieser Art gegeneinander zu arbeiten, war wie eine tickende Zeitbombe. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen, noch dazu bei so einem heiklen Deal wie jenem mit dem Iran. Das waren meine Befürchtungen und einer der Gründe, warum ich mich entschloss, der Noricum den Rücken zu kehren. Wie sich später herausstellte, sollten sich meine Befürchtungen bewahrheiten.
Seit diesem Gespräch mit Ellmer und meinem Abschied von der Noricum war viel passiert. Ich verfolgte das Geschehen nur aus den Zeitungen und hörte es von den Leuten bei der VÖEST, mit denen ich noch privat Kontakt hielt. Offenbar hatte Dunkelberger Hadji Dai mit einer Vollmacht für Verhandlungen mit dem Iran ausgestattet und ein Honorar versprochen. Als klar wurde, dass wir die Geschäfte bereits abgeschlossen hatten und zwar über einen anderen Mittelsmann, namentlich meinen Freund Massoudi, war Hadji Dai alles andere als erfreut gewesen.
Von seinem Büro in Athen aus war er zum österreichischen Handelsdelegierten gegangen, um rund hundert Millionen Schilling einzufordern, die ihm angeblich zustanden. Der Handelsdelegierte informierte umgehend den österreichischen Botschafter in Athen, Herbert Amry, über vermeintliche Waffengeschäfte aus Österreich mit dem Iran. Amry recherchierte und fand heraus, dass die Kanonen der Noricum, die offiziell nach Libyen gingen, für den Iran bestimmt sein mussten.
Zwischen dem 5. und dem 11. Juli 1985 informierte Amry zunächst telefonisch Hans Pusch, damals Kabinettschef von Kanzler Sinowatz, sowie das österreichische Außenministerium durch vier Fernschreiben. Besonders das vierte Fernschreiben enthielt brisante Details, was sich aber erst Jahre später herausstellte, als man den Fall wieder aufrollte. Damals jedenfalls gingen diese Schreiben auf wundersame Weise irgendwo zwischen den Büroräumlichkeiten österreichischer Minister verloren.
Am 9. Juli warnte Amry seinen damaligen Presseattaché Ferdinand Hennerbichler, dass die Waffenhändler gefährlich wären und ihnen möglicherweise nach dem Leben trachteten. Für den 12. Juli hatte er ein weiteres Gespräch mit Hadji Dai vereinbart. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: Am 11. Juli erlag Herbert Amry einem Herzinfarkt. Ob er tatsächlich eines natürlichen Todes starb oder ob mehr dahinter steckte, konnte nie abschließend geklärt werden, da seine Leiche relativ schnell eingeäschert wurde.
Auswirkungen auf die Geschäfte hatte diese ganze Eskapade kaum. Amry hatte noch darauf hingewiesen, dass das Endnutzerzertifikat genau überprüft werden sollte, das zwischen Libyen und der Noricum bestand – ein solches gab es zum Schein natürlich. Diese Überprüfung wurde nicht durchgeführt.
Am 8. Juli wurde, nach Amrys Berichten, ein kurzzeitiger Lieferstopp der Kanonen nach Libyen verhängt, doch dieser wurde bereits am 15. Juli, also eine Woche später, aufgehoben. Wie gesagt, die Beweise und Anschuldigungen gingen in den langen Gängen der Ministerien verloren.
Gegen Ende des Jahres 1985 erhielt Hadji Dai die erste Rate seiner zwei Millionen Dollar Provision von der Noricum. Danach konnte er sich nicht mehr an Geschäfte mit dem Iran erinnern.
Doch auch von einer anderen Seite drohte Gefahr. Im Sommer 1985 erhielt Wolfgang Fellner, damals Herausgeber des Boulevardmagazins Basta, einen anonymen Tipp zu Geschäften zwischen der Noricum und dem Iran. Der Tipp kam vermutlich aus dem Umfeld der SPÖ, denn es regte sich innerhalb der Parteigenossen immer stärkerer Widerstand gegen die Noricum-Geschäfte. Während die Regierung alles tat, um die Geschäfte am Laufen zu halten, tat die Basis alles, um sie zu verhindern.
Der Basta-Journalist Burkhard List war daraufhin mit dem Auto ins jugoslawische Kardeljevo (heute Ploče) gefahren, einer Hafenstadt an der Adria. Dort hatte er sich als österreichischer Vertreter ausgegeben. Sein Führerschein als Ausweis genügte den jugoslawischen Behörden. Er konnte sich die Noricum-Kisten ansehen und Fotos von den Kanonenteilen machen.
Noch dazu war die Noricum so hilfsbereit, auch noch Gebrauchsanleitungen beizulegen. Das war natürlich ein Fehler der Lieferantenseite, denn illegalen Kanonen braucht man wohl kaum eine Bedienungsanleitung beilegen.
Zurück in Wien ging List mit den Aufnahmen der Bedienungsanleitung zu einem arabischen Übersetzer. Dieser erklärte ihm, dass die Sprache auf den Anleitungen nicht Arabisch sei, die Landessprache von Libyen, sondern Farsi. Und Farsi sprach man im Iran.
Damit war die Story perfekt. Fellner erstattete Anzeige gegen die Noricum und sein Magazin brachte eine reißerische Geschichte nach der anderen. Über die Iran-Geschäfte gab es sicherlich viel Interessantes zu berichten. Nur machte sich Fellner nicht die Mühe, zu kontrollieren, was davon stimmen könnte und was nicht.
Die Anzeige gelangte an den Staatsanwalt Siegfried Sittenthaler. Doch aus den Ministerien kam Entwarnung: Deals der Noricum mit dem Iran seien ausgeschlossen. Dunkelberger zweifelte die Echtheit der Fotos an, noch dazu hatte sich List unerlaubt und unter Vorspielen falscher Tatsachen Eintritt in die Lagerhallen verschafft. Als im Zuge der Ermittlungen die Lagerhallen in Kardeljevo durchsucht wurden, waren die Kisten natürlich längst verschifft worden.
Der Staatsanwalt Sittenthaler stellte die Ermittlungen ein und somit verlief auch diese Spur im Sand. Zumindest vorerst…
Während sich diese Ereignisse abspielten, war ich nicht für die Noricum tätig, sondern widmete mich auf meinem Gutshof verschiedenen technischen Spielereien. Ich entwickelte eine Heizleiste, ein Entkalkungsgerät für Wasser und stieg in den Umweltschutz ein. Ich versuchte mit der Zeit zu gehen, denn in der Mitte der 80er-Jahre traten einige neue Bewegungen auf den Plan.
Bereits 1978 war es zu den ersten ideologischen Grabenkämpfen gekommen: Auf der einen Seite eine alte Sozialdemokratie, für die nichts wichtiger war als den Leuten Arbeit zu beschaffen. Auf der anderen Seite junge Menschen, noch beeinflusst von den Überbleibsel der 68er-Bewegung, die sich gegen den Kapitalismus und die Zerstörung der Umwelt stellten.
Die Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf und die Besetzung der Hainburger Au, in das ein Kraftwerk gebaut werden sollte, waren die ersten öffentlichen Proteste gegen die sozialistische Beschäftigungspolitik. Umwelt war wichtiger als Arbeitsplätze. Mit diesem neuen Bewusstsein zog 1986, das Jahr des Tschernobyl-GAUs, die neue Partei die Grünen erstmals ins Parlament ein.
Damals noch ein recht bunt zusammengewürfelter Haufen, die mit Aktionismus und Unverfrorenheit die etablierten Politiker herausforderten, sind sie heute, knapp 35 Jahre später, Regierungspartei.
Unverfroren war auch eine andere Gestalt, die damals einen rasanten Aufstieg erlebte: Jörg Haider. 1979 war der damals 29-jährige Haider als jüngster Abgeordneter für die FPÖ in den Nationalrat eingezogen. Zu jener Zeit regierte die SPÖ mit den Blauen. Der damalige Obmann der Freiheitlichen, Norbert Steger, versuchte, seine Partei regierungsfähig zu machen und in eine liberalere Richtung zu führen.
Dabei schlug ihm vom jungen Haider, der betont provokant und deutschnational auftrat, kräftiger Wind entgegen. 1986 trat ein, was schon länger abzusehen gewesen war: Haider löste Steger als Obmann ab. Die Koalition zwischen der SPÖ unter Bundeskanzler Franz Vranitzky und der FPÖ zerbrach, doch die politische Karriere von Jörg Haider sollte erst beginnen.
Dass es überhaupt zu einem Bundeskanzler Vranitzky gekommen war, lässt sich auf ein anderes bedeutendes Stück österreichischer Geschichte zurückführen. Denn als Franz Vranitzky das Amt des Bundeskanzlers übernahm, gelobte ihn Bundespräsident Kurt Waldheim an. Eben jener Waldheim, der erst einige Monate davor ein ganzes Land gespalten hatte.
Anfang der 80er-Jahre war die NS-Vergangenheit Österreichs ein blinder Fleck. Selig jene, die vergessen können. Das Land galt als Opfer der Nazi-Diktatur und gefiel sich in dieser Rolle. Doch mit der Ruhe war es spätestens während des Präsidentschaftswahlkampfes 1986 vorbei.
Kurt Waldheims Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg sah nach einem perfekten, mustergültigen Lebenslauf aus. 1971 wurde er von den Vereinten Nationen als Generalsekretär gewählt – eine bedeutende Position, die später Politiker wie Kofi Annan oder Ban Ki-Moon innehaben sollten.
Zehn Jahre war Waldheim UN-Generalsekretär. Als 1977 die beiden Raumsonden Voyager 1 und 2 ins Weltall starteten, befand sich an Bord eine Datenplatte mit einer Grußbotschaft von ihm. Diese beiden Raumsonden treiben auch heute noch an den Rändern der uns bekannten Galaxie herum. Sollten tatsächlich eines Tages außerirdische Lebensformen auf die Sonden stoßen, dann würden sie als erstes die Stimme eines Österreichers hören.
Waldheims Landsleute waren allerdings gespalten in ihrer Meinung über diese Stimme. 1985 wurde Waldheim von der ÖVP als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Zunächst richtete sich die ganze Waldheim-Kampagne auf sein internationales Renommee: »Ein Österreicher, dem die Welt vertraut«, war auf den Plakaten zu lesen.
Doch dann begannen einige Journalisten sich mit Waldheims Vergangenheit zu beschäftigen. Ihnen fiel auf, dass die Biographien Waldheims seinen Kriegsjahren verdächtig wenig Beachtung schenkten.
So mustergültig seine Karriere nach 1945 auch verlaufen war, davor gab es einige blinde Flecken. Waldheim selbst hatte nach dem Zweiten Weltkrieg angegeben, er habe sich nur rein sportlich bei der SA-Reiterstandarte beteiligt. Bald sah er sich von unterschiedlichsten Seiten mit ganz anderen Vorwürfen konfrontiert. Waldheim wäre an Deportationen und Massakern in Griechenland und Jugoslawien beteiligt gewesen.
Zwar konnten verschiedene, unabhängige Historiker nicht nachweisen, dass Waldheim direkt in Kriegsverbrechen verwickelt gewesen war, doch zumindest ein Mitwissen wurde ihm unterstellt. Waldheim stritt alles ab, was Sinowatz zu der legendären Aussage bewegte: »Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war – nur sein Pferd.«
Die ÖVP, für die Waldheim ins Rennen ging, setzte auf eine breit angelegte Gegenkampagne. Schilder wie »Wir Österreicher wählen, wen wir wollen« und »Jetzt erst recht« trugen zu weiteren Kontroversen bei. Letztlich gewann Waldheim, der von den meisten Österreichern als Soldat gesehen wurde, der bloß seine Pflicht erfüllt hatte, die Präsidentschaftswahl. Nach seinem Sieg trat Sinowatz als Kanzler zurück, Vranitzky folgte ihm nach.
Auch die westliche Welt ging auf Distanz zum neuen Präsidenten. Bei seinem Amtsantritt blieben Vertreter der USA, Sowjetunion und Israel demonstrativ fern. Die USA setzten ihn auf die Watchlist und verunmöglichten so eine Einreise. Österreichs Ansehen wurde da...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Zitat
  5. Iran, Teheran, Gefängnis Evin, November 1986
  6. Fünf Jahre zuvor – Das Geschäft
  7. Ein Jahr später – Die Geiselhaft
  8. Acht Monate später – Der Prozess
  9. Leseempfehlung