
- 160 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Über dieses Buch
»Die Zeit ist reif für eine neue Generation umweltpolitischer Macher.«
Stehen wir angesichts von Kohleausstieg und Fridays for Future an der Schwelle zu echter Veränderung? Oder führen uns Populisten und geldgierige Konzerne in eine dunkle Zukunft?
Der renommierte Umwelthistoriker Frank Uekötter wirft einen Blick auf die globale Umweltpolitik der letzten Jahre – und klärt über wenig bekannte Zusammenhänge auf. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Idee, Plastiktüten zu verbieten, aus dem Globalen Süden stammt und Malaria eindämmen sollte? Oder dass Waldbrände in Portugal deshalb so heftig wüten, weil dort in den 1930er-Jahren ein autoritäres Regime auf hochentzündliche Eukalyptusbäume setzte?
Fundiert wie unterhaltsam beleuchtet Uekötter Hintergründe und bewertet vergangene Entscheidungen. Das Buch stellt sich der Komplexität der Umweltkrisen und hilft, zwischen wirkungsvoller und ineffektiver Umweltpolitik zu unterscheiden.
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Einfach war gestern von Frank Uekötter im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politik & Internationale Beziehungen & Politik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
Kapitel 1
Chronik eines angekündigten Desasters
Der Kohleausstieg war der größte umweltpolitische Kraftakt der vergangenen Jahre. Er war auch das Ende des kostspieligsten Industrieprojekts der bundesdeutschen Geschichte. Seit den späten fünfziger Jahren war die Kohleförderung ein Sorgenkind, das durch Subventionen und politischen Flankenschutz jahrzehntelang am Leben gehalten wurde. Die Kohle war der entscheidende Energieträger der Industriellen Revolution, die ersten industriellen Ballungsräume entstanden in Deutschland rund um die Zechen im Ruhrgebiet, im Saarland und in Oberschlesien. Der Kumpel wurde zum Inbegriff des Malochers, der durch harte Arbeit und Solidarität sein Auskommen fand. Der Kohlebergbau blieb auch im 21. Jahrhundert Teil der politischen Folklore, obwohl er faktisch nur noch ein Milliardengrab war. Als sich Armin Laschet im Januar 2021 um den CDU-Vorsitz bewarb, baute er seine Rede um die Erkennungsmarke, die sein Vater als Steiger auf der Steinkohlenzeche Anna I im Aachener Revier mit sich geführt hatte.
Man konnte die Dinge natürlich auch etwas nüchterner sehen. Im Ruhrgebiet war 2018 nach einem erinnerungspolitischen Feuerwerk sondergleichen die letzte Steinkohlenzeche Deutschlands geschlossen worden. Seither ging es nur noch um die Braunkohle, die mit Großgerät im Tagebau gefördert wurde und deshalb beschäftigungspolitisch nie ins Gewicht fiel. In den vier deutschen Braunkohlerevieren arbeiteten etwa 20.000 Menschen, und etwa die Hälfte war älter als 50 Jahre. Auch im internationalen Rahmen deutete alles auf ein Auslaufmodell hin. 2017 hatten Großbritannien und Kanada die Powering Past Coal Alliance gegründet, um den Abschied von der Kohleverstromung zu beschleunigen. Braunkohle ist der klimaschädlichste fossile Brennstoff überhaupt, die Verstromung belastet die Umwelt zudem mit Feinstaub und Quecksilber-Emissionen. Allen Beteiligten war klar, dass über kurz oder lang kein Weg am Ausstieg vorbeiführte. Offen war nur, wie der Weg aussehen würde.
Die Kohlekommission wurde zu einem Lehrstück über politische Entscheidungen in der Ära Merkel. Monatelang wurde verhandelt, und am Ende gab es eine Einigung, die in jeder Hinsicht ein Desaster ist. Der Kohlekonsens ist extrem teuer, er sorgt dafür, dass Kohle noch mindestens anderthalb Jahrzehnte verstromt werden darf, und bei den folgenden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg wurde die AfD zur zweitstärksten Partei. Im Ruhrgebiet hatten die Steinkohlesubventionen immerhin die Loyalität für demokratische Parteien gesichert, aber selbst dieses Minimalziel wurde verfehlt. Auf absehbare Zeit kann die Bundesrepublik jede Hoffnung aufgeben, in der internationalen Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu spielen. Trotzdem ist der Kohlekonsens wohl unwiderruflich. Aus der Nummer kommt Deutschland nicht mehr heraus.
Am Anfang stand der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, der die Einsetzung einer Kommission mit allen Beteiligten vorsah. Danach gab es verschiedene Gelegenheiten, einen anderen Kurs einzuschlagen oder das ganze Projekt abzublasen, aber dazu war augenscheinlich niemand bereit. Wie per Autopilot steuerte die Kohlekommission auf ein Ergebnis zu, das dann für alternativlos erklärt wurde – wie so vieles in der Ära Merkel. Man musste nicht am Verhandlungstisch sitzen oder zu den Berliner Insidern gehören, um zu ahnen, dass da etwas schieflief. Der vierte der folgenden Beiträge erschien am 6. Dezember 2018 unter dem Titel »Warum die Kohlekommission gescheitert ist«, und anders als die übrigen Texte wurde er für dieses Buch nicht überarbeitet; selbst das Tempus blieb ausnahmsweise unverändert. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Debakel noch zu verhindern gewesen, und als Politiker hätte man dabei Tugenden bewiesen, die in der bundesdeutschen Politik unterentwickelt sind: Mut und Verantwortungsgefühl.
Als Bundeskanzlerin trägt Angela Merkel die politische Letztverantwortung, aber es griffe zu kurz, die Kohlekommission lediglich als Produkt der Endphase einer langen Kanzlerschaft zu verbuchen. Die bundesdeutsche Politik ist ein System ewiger Verhandlungen, und deshalb sagt der Kohleausstieg auch etwas über die Vor- und Nachteile des Lebens in einer Verhandlungsdemokratie. Der Vorteil ist, dass politische Entscheidungen in der Bundesrepublik seit 1945 von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden, und das war den Vätern des Grundgesetzes nach der Katastrophe des Nationalsozialismus wichtig. Der Nachteil ist, dass sich der Blick auf die Welt verändert, wenn man zu lange am Verhandlungstisch sitzt. Dann geht es immer weniger darum, ob eine Entscheidung von der Sache her sinnvoll ist, und immer mehr darum, aus dem sich anbahnenden Kompromisspaket das Beste herauszuschlagen. So geht es in diesem Kapitel nicht nur um die Chronik eines angekündigten Desasters, sondern auch um ein Lehrstück über einen politischen Stil, mit dem die Bundesrepublik in der Zeit des Wirtschaftswunders ganz gut gefahren ist. Es ist die Frage, ob dieser Stil im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß ist.
Diesem Anfang wohnte kein Zauber inne
Es gehört zum guten Ton, neuen Ministern etwas Zeit zu geben, um sich einzuarbeiten und der eigenen Politik eine Richtung zu geben. Der US-Präsident Franklin D. Roosevelt hatte dafür 1933 eine Frist von 100 Tagen erbeten, die seither zur Mythologie des Journalismus gehört. Bei der neuen Bundesumweltministerin Svenja Schulze stand jedoch schon nach zwei Wochen im Amt eine Entscheidung ins Haus, die Züge einer Richtungsentscheidung trug. Es ging vordergründig um den Vorsitz der Kohlekommission, aber eigentlich ging es um viel mehr. Schulze musste sich entscheiden, welche Ministerin sie sein wollte.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sah für den Kohleausstieg eine neue Kommission vor, die bis Ende des Jahres ein »Aktionsprogramm« vorlegen sollte. Die Idee war, dass diese Runde »unter Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffenen Ländern und Regionen« tagen sollte. Das Wirtschaftsministerium sollte die Kommission federführend leiten, und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ließ verlauten, dass er einen »breiten Konsens« wollte. Das wirkte freilich im Frühjahr 2018 eher wie ein frommer Wunsch, denn die Umweltverbände zeigten sich reserviert.
BUND, Nabu, WWF, Deutscher Naturschutzring, Umwelthilfe und Germanwatch erklärten, dass sie nur dann mitarbeiten wollten, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt würden. Das war ihr gutes Recht. Über die Mitarbeit in Kommissionen entscheidet jeder Verband ganz für sich allein, die Regierung kann nur Einladungen aussprechen. Aber ohne Umweltverbände wäre die Kommission von Anfang an eine Farce gewesen.
Der Austausch mit Verbänden ist in allen Ministerien tägliche Routine. Aber Konsensrunden haben eine besondere Qualität. Da geht es um einen Kompromiss, den am Ende alle Beteiligten mittragen müssen. Das macht ein Umweltverband nur, wenn es sich lohnt, und die historischen Erfahrungen sind in dieser Hinsicht durchaus gemischt. Manchmal gelingt die Suche nach dem Konsens. Der Atomausstieg der rot-grünen Bundesregierung war so ein Fall: Nach monatelangem Ringen stimmten die Energiekonzerne einem schmerzhaften Kompromiss zu. Dieselbe Regierung scheiterte hingegen, als sie das Kunststück beim Dosenpfand zu wiederholen versuchte. Da gab es nach endlosen Verhandlungen keine Lösung und stattdessen einen Erlass des Bundesumweltministeriums, den niemand wirklich wollte.
Svenja Schulze stand im Frühjahr 2018 vor der Entscheidung, wie sie sich zu den Forderungen der Verbände verhalten sollte. Sie kamen ihr in gewisser Weise entgegen, denn zu den Bedingungen gehörte auch, dass Umwelt- und Wirtschaftsministerium die Kommission gemeinsam leiten sollten. Da lockte ein Schulterschluss mit den Verbänden. Aber sollte sie diese Option suchen?
Für die neue Umweltministerin bot sich eine Chance zur öffentlichkeitswirksamen Profilierung. Sie konnte auf die Mobilisierung der umweltbewussten Öffentlichkeit setzen und die Verhandlungspartner mit geschickt kalkulierten Initiativen vor sich hertreiben. Eine Kommission für den Kohleausstieg wäre dafür die ideale Bühne, gerade weil der Streit vorprogrammiert war. Gegen die Kohlelobby konnte man nicht viel erreichen, wenn man nicht bereit war, auch mal die Ellbogen auszufahren. Sofern man es nicht übertrieb, hätte man den Schlachtenlärm getrost als Beleg des eigenen Engagements verbuchen können. Zur Heiligen Johanna des Klimaschutzes wird man nicht einfach so.
Man kann sich im Umweltressort aber auch darauf beschränken, das Bestehende zu verwalten. Auch so konnte man die Kommissionsverhandlungen angehen: lange verhandeln, intensiv miteinander reden, aber immer schön gemäßigt bleiben. Als Umweltministerin konnte man auch Karriere machen, indem man einfach unauffällig bleibt. So machte es zum Beispiel Angela Merkel, als sie von 1994 bis 1998 Bundesumweltministerin war. Für die Umwelt kam dabei allerdings nicht viel heraus.
Am Ende einigte man sich auf vier Vorsitzende für eine Kommission mit 31 Mitgliedern. Das klingt nach einer anstrengenden gruppendynamischen Übung. Wenn die Beteiligten aussagekräftige Notizen gemacht haben, könnte daraus in ein paar Jahren eine spannende zeithistorische Studie entstehen. Damals wirkte es wie ein fauler Kompromiss, damit man überhaupt erst einmal in die Gänge kam. Es sollte nicht der letzte Kompromiss dieser Art bleiben.
Der Hambacher Forst fordert die Kohlekommission heraus
Die Kohlekommission nahm im Juni 2018 ihre Arbeit auf. In der idealen Welt der Verhandlungsdemokratie steht in solchen Situationen das gegenseitige Kennenlernen im Mittelpunkt. Wenn man monatelang arbeiten soll, dann gilt es zunächst, Vertrauen aufzubauen und einen Konsens über den gemeinsamen Weg zu entwickeln. Das galt erst recht für eine bunt zusammengewürfelte Kommission, in der Umweltverbände und Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler und auch fünf Vertreter der betroffenen Regionen miteinander reden sollten. Es zeigte sich jedoch rasch, dass es eine Welt jenseits des Verhandlungstisches gab.
Es ging um den Hambacher Forst im rheinischen Braunkohlerevier. Dort lebten seit Jahren Menschen in den Bäumen, um gegen die geplante Rodung des Waldes zu demonstrieren, und das hatte diverse Rangeleien mit der Polizei nach sich gezogen. Im Januar waren zum Beispiel neun Aktivisten verhaftet worden, für die am 3. Februar 2018 ein »Soli-Aktionstag« veranstaltet worden war. Man hätte erwarten können, dass sich Demonstranten und Polizei da ein wenig kennengelernt haben. Aber als die Ordnungshüter im September 2018 im Hambacher Forst Baumhäuser räumten, zeigte sich eine frappierende Ahnungslosigkeit. Offenkundig war niemand richtig sicher, worum es da eigentlich ging.
Bei der Räumungsaktion entdeckte die Polizei ein Tunnelsystem. Ein Beamter zog einen Vergleich zu »unterirdischen Anlagen während des Vietnamkriegs«. Da hätten die Soldaten des Vietcongs wohl nur müde gelächelt. In deren Tunneln wurden Maschinengewehre und ähnliche Waffen geschmuggelt, und das amerikanische Militär bekämpfte sie mit flächendeckenden Bombardements. Davon war man im Rheinland gottlob noch ein Stück entfernt.
Andere Beobachter verwiesen auf die Proteste der siebziger und achtziger Jahre, als Wälder für umstrittene Großprojekte abgeholzt werden sollten: für ein Atomkraftwerk in Wyhl, eine Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, die Startbahn West in Frankfurt. Das passte schon ein wenig besser. In beiden Fällen ging es um Menschen, die für ihre Überzeugungen monatelang in improvisierten Behausungen lebten, und Respekt vor solchen Menschen steht jeder Demokratie gut zu Gesicht. Allerdings gab es in Wyhl und anderswo eine starke Verwurzelung in der Region, die im Hambacher Forst eher schwach ausgeprägt war. Das war nicht verwunderlich. Wer das Rheinland vor der Braunkohle retten wollte, kam ein paar Jahrzehnte zu spät. Der harte Kern der Aktivisten wurde augenscheinlich international rekrutiert. Meine Frau fand ein Plakat, als sie im Flughafen von Birmingham auf die Toilette ging.
Vorläufiger Höhepunkt der Absurdität war die Entscheidung der Landesregierung, zur Räumung der Baumhäuser ausgerechnet das Baurecht zu bemühen. Entweder handelte es sich dabei um einen plumpen Vorwand. Oder es gab in einem Ministerium von Nordrhein-Westfalen einen Beamten, der mal dringend an die frische Luft musste. Auf die Idee, ein Protestcamp streng nach DIN-Norm zu bauen, konnte man wirklich nur in einem muffigen Beamtenkabuff kommen.
Immerhin herrschte vor Ort noch eine gewisse Besonnenheit. Polizei und Demonstranten redeten noch miteinander, wenn auch nicht immer in Zimmerlautstärke. Die Waffen der Wahl waren Pfefferspray und Fäkalien, was immerhin erkennen ließ, dass keiner bis zum Äußersten gehen wollte. Offenbar wollten beide Seiten ohne körperliche Blessuren aus der Sache herauskommen, so wie es in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten die demokratische Kultur gebietet. Dutzendfach haben Sicherheitskräfte Atommüll ins Zwischenlager Gorleben gebracht, ohne dass es am Ende Schlimmeres gab als ein paar zerstochene Traktorreifen. Im Hambacher Forst gab es jedoch ein tragisches Ereignis. Am 19. September 2018 stürzte ein Aktivist von einer Hängebrücke in den Tod.
Natürlich war der Protest rechtswidrig. Aber zum Rechtsstaat gehört auch die Verhältnismäßigkeit. Die litt bei der Räumungsaktion vor allem, weil zeitgleich zu den Protesten die Kohlekommission über den Ausstieg aus der Braunkohle verhandelte. Das passte einfach nicht zusammen: ergebnisoffen verhandeln und zugleich mit massiver Polizeipräsenz Fakten schaffen.
Man hätte sich einen Kompromiss vorstellen können. Die Polizei hätte die Räumungsaktion für zwei Wochen stoppen können, während die Kohlekommission in Klausur tagt. Das wäre sogar eine Chance für die Verhandlungen gewesen. In der Kohlekommission saßen konträre Interessen, und da konnte man mit guten Gründen bezweifeln, ob sie ohne äußeren Zwang nennenswerte Beschlüsse treffen würden. Und welch besseren Anlass hätte es da geben können als einen Polizeieinsatz, mit dem augenscheinlich niemand glücklich war?
So lief es jedoch nicht. Die Kommission tagte ungerührt weiter, und im Hambacher Forst lief alles auf eine Rodungsaktion hinaus. Dann gab es plötzlich neben dem Wald und dem Verhandlungstisch einen dritten Ort, an dem Entscheidungen getroffen wurden. Dieser Ort war das Oberverwaltungsgericht Münster.
Enter Justitia
Es war ein Gerichtsurteil, das alles über den Haufen warf. Bis zum 5. Oktober 2018 war das Ende des Hambacher Forsts absehbar. Die Baumhäuser der Demonstranten waren geräumt, die Rodung des Waldes beschlossene Sache. Dann kam ein Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster.
Das Urteil war keine Entscheidung in der Sache. Im Kern besagte das Urteil lediglich, dass die Justiz mehr Zeit brauchte. Die anhängigen Klagen warfen komplizierte Fragen auf, die sorgfältig beantwortet werden mussten, und deshalb sollten nicht per Rodung Tatsachen geschaffen werden. Da hätte man sich zurücklehnen und auf die Entscheidung im Hauptverfahren warten können. Die erzwungene Pause war aber auch eine Chance, einmal über eine Grundsatzfrage nachzudenken. Wollen wir wirklich eine Umweltpolitik, in der die Gerichte der entscheidende Taktgeber sind?
Gerichte urteilen über die Fragen, die an sie herangetragen werden. Sie entscheiden nicht darüber, ob diese Fragen die richtigen sind. Da kommt es leicht zur Umkehrung der Prioritäten, und das Urteil vom 5. Oktober 2018 war ein Musterbeispiel für eine Justiz, die ohne Rücksicht auf politische Zusammenhänge ihre eigenen Fragen abarbeitet. Eigentlich ging es im Herbst 2018 um die Zukunft der Kohle. Das Gericht urteilte jedoch nur über den Hambacher Forst, und auch da war die Entscheidung erst einmal aufgeschoben.
Dabei war der Hambacher Forst zum größten Teil längst verschwunden. Die verbliebenen 200 Hektar entsprachen etwa fünf Prozent des ursprünglichen Waldes, und der kümmerliche Rest stand am Rande eines Tagebaus, für den im großen Stil Grundwasser abgepumpt werden musste. 200 Hektar sind etwa zwei Tausendstel von einem Prozent der deutschen Waldfläche. Das wichtige Thema war nicht der Hambacher Forst. Wichtig war die Braunkohle, die sich darunter verbarg.
Als Helmut Kohl in den achtziger Jahren das Aussitzen zu einer Kunstform erhob, prägte der Kanzler den Satz: »Die Karawane zieht weiter.« Später stand der Satz als Kapitelüberschrift in seinen Erinnerungen. Ähnlich verhielt sich die Kohlekommission. Sie spulte ungerührt weiter ihr Programm ab, ohne sich um die Ränkespiele zu kümmern, die Aktivisten, Polizisten und Gerichte da in Nordrhein-Westfalen so veranstalteten.
Dabei hing es von den Ergebnissen der Verhandlungen ab, ob es tatsächlich einen guten Grund gibt, den Hambacher Forst zu roden. Es war wohl diese Ungewissheit, die den Streit um den Hambacher Forst derart eskalieren ließ. Da gab es einerseits eine hochkarätige Kommission, in der Industrievertreter und Umweltverbände über eine gemeinsame Lösung verhandelten. Andererseits gab es eine Landesregierung, die im Schulterschluss mit RWE Fakten schaffen wollte. Das passte einfach nicht zusammen. Man konnte entweder abholzen oder miteinander reden, aber nicht beides zugleich.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster ließ einen anderen Weg erkennen, den Abschied von der Kohle zu regeln. Man hätte die Entscheidungen auch den Gerichten überlassen können. Ein solcher Kontrollverlust der Politik war im Streit um Feinstaub und Stickoxide längst Realität. Im Dickicht von Gerichtsurteilen und laufenden Verfahren verflüchtigten sich Visionen einer stringenten Politik, und bald hangelte man sich nur noch von Urteil zu Urteil.
Als Politiker sieht man nicht gut aus, wenn man der Justiz das Feld überlässt. Noch schlechter sehen Politiker aus, wenn sie Gerichtsentscheidungen kritisch kommentieren. Dann beginnt der Rechtsstaat, in seinen Fugen zu knirschen. Auch sonst waren die Mitglieder der Bundesregierung zur Passivität verdammt, solange die Kohlekommission tagte. Zum Jahresende wurde jedoch deutlich, dass die Kommission ihre Verhandlungen nicht in der vorgesehenen Zeit würde abschließen können. Das wäre die Chance gewesen, das sich anbahnende Debakel noch abzuwenden.
Stattdessen wurstelte die Kommission weiter und präsentierte Ende Januar ihre Ergebnisse. Darin kam auch der umstrittene Wald im Rheinland vor. »Die Kommission hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt«, hieß es im Abschlussbericht. Zu der Formulierung gab es ein Sondervotum des Kommissionsmitglieds Antje Grothus: Der Erhalt des Waldes sei nicht »wünschenswert«, sondern »erforderlich«. So kann man natürlich auch Politik machen: präzise im Detail, aber aufs Ganze gesehen Murks.
Das Scheitern kündigt sich an
Der folgende Text erschien am 6. Dezember 2018 unter der Überschrift »Warum die Kohlekommission gescheitert ist«. Er wird hier als einzige Kolumne unverändert abgedruckt. Das Debakel war tatsächlich absehbar – selbst wenn man 1.000 Kilometer vom Verhandlungstisch entfernt im englischen Birmingham saß.
Die Kohlekommission der Bundesregierung geht in die Verlängerung. Man kennt das als Universitätsdozent. Kurz vor dem Abgabetermin kommen die Studenten und wollen mehr Zeit für ihre Hausarbeiten. Meist sind es die schwächeren Arbeiten, die dann mit Verspätung abgeliefert werden. Alles deutet darauf hin, dass es bei der Kohlekommission genauso sein wird.
Die Kohlekommission wurde Anfang Juni von der Bundesregierung eingesetzt und soll nun zum 1. Februar 2019 ihre Arbeit beenden. Die Mitglieder sind erfahren in der Gremienarbeit, aber diese acht Monate werden ihnen vermutlich in besonderer Erinnerung bleiben. Offiziell hat die Kommission weiterhin das Ziel, einen Konsens über den Kohleausstieg zu finden. Es wirkt aber eher so, als...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Impressum
- INHALT
- Einleitung
- Kapitel 1: Chronik eines angekündigten Desasters
- Kapitel 2: Auslaufmodelle
- Kapitel 3: Im Räderwerk der Umweltpolitik
- Kapitel 4: Das Ende der Erdpolitik
- Kapitel 5: Ein Experiment namens Trump
- Kapitel 6: Von der Vielfalt der Welt
- Kapitel 7: Was macht eigentlich die Landwirtschaft?
- Kapitel 8: Jenseits der Kritik
- Kapitel 9: Das Ministerium für menschliche Lebensgrundlagen
- Nachwort
- Anmerkungen
- Dank
- Über den Autor