Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel
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Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel

Versuche jugendlicher Selbstbestimmung

  1. 304 Seiten
  2. German
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Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel

Versuche jugendlicher Selbstbestimmung

Über dieses Buch

Herbert (Berry) Westenburger, 05.01.1920 in Frankfurt am Main geboren, seit März 1932 bis zum Verbot 1934 im Nerother -Wandervogel, danach in illegaler Jungenschafts-Horte. Mit jüdischen Vorfahren entfällt ein Studium. Wechsel vom Gymnasium zur Handelsschule. Danach Konditorenlehre und Hotelfachschule. Die Familie ist mütterlicherseits seit Generationen Konditorei- und Caféhausbetreiber. Er soll diese Tradition fortführen. 1938 Haft wegen "bündischer Umtriebe", Amnestie und ab September 1939 Flaksoldat. Westfront, Berlin, 1942/43 bis zur Niederlage Afrika-Korps.Verwundet, britische und amerikanische Gefangenschaft, zwei vergebliche Fluchtversuche. Rückkehr Januar 1946. Mutter als "Halbjüdin" in Auschwitz ermordet.Wiederaufbau der Nachkriegs-Jugendbewegung. Ehrung durch Verleihung der "Johanna Kirchner"-Medaille für sein standhaftes Festhalten an bündischen Idealen während der NS-Zeit. Hielt in Schulen und Fachhochschulen Frankfurts Aufklärungsvorträge über die jugendliche Verweigerungstaktik. Beruflich tätig in internationalen Büromaschinenfirmen.Verkaufsdirektion Nato-Truppen, Europa.

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Information

eBook-ISBN:
9783887784454

… SIE GLAUBTEN DIE GRUPPE SEI TOT. WIE, WENN SIE NUR SCHLIEFE?“

„Hasch“ Müller, Libyen 1942

Teil II | 1939-1945

FLATTERNDES HUHN UND FLÜCHTENDE GANS

1. September 1939 – Hitler hatte den Einmarsch deutscher Truppen in das Nachbarland Polen befohlen. Der 2. Weltkrieg hatte begonnen, ohne Kriegserklärung. Das Volk jubelte.
2. September 1939 – Fast ein Jahr nach unserer Verhaftung rückte ich als Kanonier der 2. Batterie der I. Flak-Ersatzabteilung 29 in die Flak-Kaserne Frankfurt-Hausen ein.
3. September 1939 – Britisch-französische Kriegserklärung an Deutschland. Diese wurde automatisch wirksam wegen der Garantieerklärung vom 31. März 1939 nach der Besetzung der Tschechoslowakei am 15./16. März 1939 und der Errichtung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“.
9. September 1939
Auf Grund eines Gnadenerlasses gleichen Datums stellte der Generalstaatsanwalt Berlin das Strafverfahren gegen die Mitglieder des „Bündischen Selbstschutzes“ am 9. Oktober 1939 endgültig ein.
Gestapo und Staatsanwalt Dr. Kettner hatten das Nachsehen, wenn man von der Verurteilung „Spoys“ absieht. Die militärischen Einberufungen gaben den Ausschlag und ließen die Gruppe zu einem Rumpf schrumpfen, ohne Glieder. Alle Verbindungen waren abgebrochen. Die Staatsmacht hatte gesiegt. Einstweilen jedenfalls.
„Bert“, „Ferdi“ und „Chrischan“ waren die letzten Zivilisten. Vorläufig zurückgestellt, ihre Arbeitgeber hatten sie als dringend benötigte Fachkräfte angefordert. Der eine oder andere kam, wenn er Wochenendurlaub erhielt, zu den spärlichen Treffen in die wiedererstandene „Garnison“ oder in unsere spanische Pinte „Alegria“.
Dieses Glück war mir während der achtwöchigen Grundausbildung nicht beschieden. Geländeübungen, Strafexerzieren und andere, einem Neuling bisher unbekannte Maßnahmen sollten Körper und Geist stählen. Wir sollten todesmutige Kämpfer werden. Die Ausbilder beschimpften uns als Drückeberger, Arschgeigen und Hungerhaken. Ob damit Helden erzeugt wurden, wage ich zu bezweifeln.
Der Ersatzhaufen wurde auf verschiedene andere, bereits im Einsatz befindliche Flakabteilungen aufgeteilt. Als ausgebildeter Kanonier an der gefürchteten 8,8-Kanone landete ich bei der Flakabteilung 49 in Ludwigshafen-Mundenheim. Doch nicht in einer Batterie, sondern im Abteilungsstab als Flugauswerter auf einem alten Wasserturm, der zu dem dortigen Eiswerk gehörte. Es stank mörderisch nach Ammoniak, das man zur Herstellung von Eisbarren benötigte. Diese wurden vor allem in Brauereien, Gaststätten und Lebensmittelbetrieben zur Kühlung benötigt. Der heute bekannte Kühlschrank war noch nicht erfunden.
Das Ganze war eine überaus langweilige Beschäftigung. Wacheschieben, Kartoffelschälen, vier Stunden mindestens täglich auf der Plattform des Turms den Himmel mit einem Fernglas absuchen. Jede Flugbewegung in den darunter liegenden Auswertungsraum melden. Auch die deutschen Maschinen, die in der Nähe starteten und landeten. Zweimaliges wöchentliches Exerzieren. Einmal ein Geländemarsch, davon einer während einer Nachtübung. Und immer noch war man ein Nichts. „Bitte Herrn Unteroffizier vorbeigehen zu dürfen“, eine Frage, die viele Male am Tag gestellt werden mußte. Und nie hat einer der Gefragten „nein“ gesagt.
Sechs Mann auf einer Stube. Achtzehn Rekruten insgesamt. Ein Gefreiter oder gar Obergefreiter war da schon ein höher einzuschätzender Dienstgrad. (Im Laufe der Jahre sollte sich das ändern!) Ein Oberwachtmeister, der „Spieß“, ohne den nichts lief, war ein gemütlicher Artillerist, der schon zu Zeiten der ehemaligen Reichswehr gedient hatte. Er hatte für alle ein Ohr, nicht umsonst die „Mutter der Kompanie“ genannt.
Doch dann half ein Zufall, meine Lage enorm zu verbessern. Man fand heraus, daß ich aus dem Hotelfach kam (das hatte ich bei meiner Musterung angegeben), und so wurde ich kurz vor Weihnachten zur Kasino-Ordonanz bestimmt.
Genau besehen, war ich nichts weiter als ein uniformierter Oberkellner, der die Wünsche erfüllen und den Anordnungen der zu bedienenden Herren Folge leisten mußte. Geht nicht – gab’s nicht. Einige Annehmlichkeiten, kaum erwähnenswert, waren die Freistellung vom Frühsport, da die Herren Vorgesetzten pünktlich ihren Kaffee erwarteten, und vom Wachdienst am großen Eingangstor des Fabrikgeländes. Von einer unausgeschlafenen Bedienung konnte man kaum eine zufriedenstellende Arbeit verlangen. Frischer Kaffee, frische Brötchen und all die privaten Tafelfreuden, die man von zu Hause geschickt bekam, mußten – appetitlich hergerichtet – aufgetragen werden. Ein nörgelnder Zahlmeister, im Truppenjargon „Schmalspur“-Offizier tituliert, achtete peinlich darauf, daß nichts, aber auch keine Brotkruste, irgendwo verschwand. Er forschte jedem Wurstzipfel nach, stets der Meinung, ein Untergebener hätte sich daran vergriffen. Weine und Schnäpse wurden eingeschlossen. Er allein hatte den Schlüssel. Ich erwartete sehnlichst den Tag, an dem er ihn verlor. In meiner Phantasie hörte ich dann, wie Major Höhne, der Kommandeur, wutentbrannt ein Donnerwetter losließ und nach einem Schlosser rief. Er pflegte nach jeder Mahlzeit einen Cognac einzunehmen, niemand sollte ihn davon abhalten.
Leider erlebte ich diese Szene nie. Sie blieb ein Traum. Aber ich revanchierte mich auf meine Weise für die Spitzfindigkeiten und Mißtrauensbekundungen.
Und dieser Tag kam schneller als erwartet. Zum Mittagessen gab es Kartoffelsalat mit irgendeiner Fleischbeilage. Reichlich, so daß noch eine halbe Schüssel übrigblieb, die ich einem anderen Zweck zuführte. Im Hühnerstall des Hausmeisters stand eine verbeulte Emailleschüssel, in der Essensreste aus der Werkskantine der Eisfabrik zur Verfütterung an die Haustiere gesammelt wurden. Dort landete auch der restliche Kartoffelsalat. Zum Abendessen verlangte der Zahlmeister den Rest des Kartoffelsalats zu sehen. Es sei noch reichlich übriggeblieben. Dabei ging er vor mir auf und ab, in beiden Händen zwei Eier balancierend. Die wolle er dazu gebacken haben, aber bitte mit seiner eigenen Butter, die im Kühlschrank der Fabrikkantine aufbewahrt wurde. Ich beeilte mich, das Gewünschte herbeizuschaffen. Nicht nur die Butter, auch den Kartoffelsalat, wenn er noch nicht an das Federvieh oder die beiden Ferkel verfüttert war. Mit einer Porzellanschüssel ausgerüstet, rannte ich in das Stallgebäude, einem kleinen Ausbau mit einem umzäunten Freigehege für Huhn und Schwein. Von beiden war noch nichts zu sehen, der Zugang wurde erst später mittels eines verstellbaren Bretts geöffnet, so daß die Tiere den Stall betreten konnten.
Die weiße Schüssel leuchtete mir im Dämmerlicht des Raumes entgegen. Doch irgendwie hatte ich plötzlich eine gackernde Henne am Hals, die aufgeregt herumflatterte, dabei Federn, Sand und Spreu aufwirbelnd. Das Huhn zu beruhigen gelang mir nicht, und ich stürmte augenreibend zurück ins Treppenhaus. In der Küche die Butter ergreifend, weiter in die oberen Räume. Der Zahlmeister hatte schon Platz genommen und wartete auf die noch zuzubereitenden Spiegeleier: „Wo bleiben Sie denn?“ rief er in den Nebenraum, in dem das Essen hergerichtet wurde. Die Eier bereits auf dem Teller, entdeckte ich drei kleine weiße Federn, einige Haferkörner und sonstigen Schmutz, der auf gerade diesem Salat nichts zu suchen hatte. Aber er wollte es ja nicht anders. Mit spitzen Fingern pickte ich hühnergleich die zu beanstandenden Unreinheiten heraus und servierte, „einen guten Appetit“ wünschend, dem hocherfreuten Nimmersatt Eier und Salat.
Die anderen Herren hatten inzwischen auch Platz genommen. Leutnant Hasemann, der spindeldürre Adjutant, meinte spitzbübisch lächelnd: „Wo haben Sie denn den noch aufgetrieben?“ – Wenn der Fragesteller und der Esser das wüßten, dann wäre meine Rache eigentlich erst richtig gelungen. Aber so blieb es mein Geheimnis. Er wäre zwar lächerlich gemacht, ich aber hingegen säße im Bau und wäre diese schöne Beschäftigung los.
Aber ein anderes Mal hätte es mich fast doch erwischt. Am 1. Weihnachtsfeiertag gab es Gänsebraten. Der Batteriechef der I. Batterie, Hauptmann Koch, ein Pfälzer aus Bad Dürkheim, dortiger Apotheker, hatte eine Gans gestiftet. Offiziere und Mannschaften waren auf den notwendigsten Bestand reduziert, der Rest auf Heimaturlaub. Auch der Abteilungsstab und damit ein Teil der Kasinobenutzer. Man rechnete nicht mit Angriffen der französischen oder gar britischen Luftstreitkräfte.
Major Höhne, der Chef, hatte den Spender und zwei weitere Herren zum Festessen eingeladen. Ich hatte alles vorbereitet, der Wein war gekühlt, die Tischdekoration durch brennende Kerzen illuminiert, und im Vorzimmer lag das Tranchierbesteck bereit.
Eine einfache Küche war am Ende des großen Frachthofs aufgebaut. Speisen und Getränke mußten, um eine Abkühlung zu vermeiden, in Windeseile über eine Distanz von etwa 200 Meter herangeschafft werden. Bei mehreren Gängen erfolgte das Ganze dementsprechend oft.
So auch an diesem 1. Weihnachtsfeiertag. Die Vorsuppe, eine Geflügelconsommé mit Reiseinlage, war bereits verzehrt, und man wartete auf den Hauptgang, die Gans.
Ein weiterer Mann war mir zugeteilt worden, um Gans, Kartoffeln, Rotkohl und Sauce zeitgleich servieren zu können.
Der mich unterstützende Kamerad machte sich mit den Kartoffeln und dem Gemüse auf den Weg. Ich selbst balancierte rechts auf einer angewärmten Platte das knusprige Federvieh und links eine Terrine Sauce, da eine Sauciere häufiges Nachfüllen erfordert hätte und mehrere Laufereien. Das gute Stück war erst kürzlich angeschafft und mir mit eindringlichen Ermahnungen übergeben worden.
Der Hof, gepflastert mit vielen Unebenheiten, dazu an diesem Abend feucht und glitschig, barg manchen Stolperstein. Und einer hätte mich beinahe zu Fall gebracht. Die teure Terrine links hochhaltend, vergaß ich die Gans in meiner Rechten. Sie flutschte davon, irgendwo ins Dunkel. Auf meinen Schreckensschrei hin eilte der Torposten mit aufgeblendeter Stabtaschenlampe auf mich zu. Wir suchten da und dort und fanden das gute Stück stark ramponiert unter dem Kübelwagen des Chefs. Mit dem Karabinerkolben des Wachpostens angelten wir gemeinsam den wenig ansehnlichen Corpus hervor. Das Ganze hatte nur wenige Minuten gedauert. Die abgestellte Sauce wieder aufnehmend, packte ich die geflüchtete Abendmahlzeit auf das noch warme Tablett und schlich schuldbewußt in den Nebenraum, wo bereits die Beilagen, auf einem Rechaud warmgehalten, auf weitere Verwendung warteten.
Die Gans war fast schon tranchiert, wie ich bei näherer Überprüfung feststellen konnte. Schenkel und Flügel waren abgerissen und hingen lose herum. Den Rest erledigte dann die Geflügelschere. Jetzt noch die kleinen Unebenheiten der Haut in Form bringen und da und dort ein Steinchen entfernen, das eigentlich zum Belag des Hofs gehörte, und aufgetragen.
Mit „Ah“ und „Oh“ wurde das gute Stück bewundert. Und schon so kunstvoll tranchiert, stellte der Zahlmeister fest. Dabei noch darauf achtend, ob die Knochen nach dem Abnagen für ihn noch interessant sein könnten. Es müsse doch auch Gänseschmalz geben, war das letzte Wort die Gans betreffend, das er mir nachrief.
In der Woche nach den Festtagen hatte ich drei Tage Urlaub. „Janek“ hatte sich angesagt, der irgendwo im Schwarzwald im Quartier lag. Wir trafen uns in Mannheim und fuhren gemeinsam nach Frankfurt. Fünf Freunde waren anwesend, Zivilisten auf Abruf und zwei Urlauber. Meine Mutter, Freundin „Maus“, Meister Henke und natürlich Onkel Frank, alle wollten wissen, wie mir das Soldatenleben gefiel. Die meiste Zeit, vor allem die Nächte über, tagten wir in der Gleimstraße.
Seit Oktober war nun Polen besetzt. „Janek“, „Knö“ und die anderen rechneten mit einem baldigen Angriff auf Frankreich. Vielleicht mußten sie aber auch in den Osten, was schlimmer wäre. Von dort hörte man schreckliche Dinge. In den Feldpostbriefen wurde manches umschrieben. Doch wer zwischen den Zeilen lesen konnte, war halbwegs informiert. Nach der Besetzung Dänemarks und dem Überfall auf Norwegen im April begann am 10. Mai 1940 die Offensive auf die Niederlande, Belgien und Frankreich. Auch hier hatte Hitlers Blitzkriegstaktik Erfolg.
22. Juni 1940 – Waffenstillstand mit Frankreich. General Pétain wurde Staatspräsident von Deutschlands Gnaden, Regierungssitz Vichy.

FRONTBERICHTE, BÜNDISCH GESEHEN

Anmerkung:
Die folgenden Berichte basieren auf dem Studium von etwa 150 Feldpostbriefen der Freunde (von ca. 800 in 5 1/2 Jahren) und zwei Kriegstagebüchern „Berts“. Die daraus zitierten Stellen sollen den Zusammenhalt, aber auch die schmerzlichen Verluste aufzeigen. Viele Lücken konnten jedoch nicht geschlossen werden. Sowohl in den Kriegsjahren als auch in den nun bereits verflossenen 60 Jahren sind wichtige Erinnerungsstücke unwiederbringlich verlorengegangen. Als einzigem Überlebenden steht mir kein weiterer Zeitzeuge zur Verfügung, mit dessen Hilfe ich diese oder jene Gedächtnislücke schließen könnte.
30. Juli 1940
„Janek“ meldet sich aus Hanau. Teilt mit, etwa um den 15. August herum Urlaub zu erhalten. Anfrage, wer noch da sei und ob ich ihn treffen könnte. Und weiter:
„Lag bis zum Schluß vor der Maginotlinie, trage jetzt EK II. Mit einigen Kameraden zur Parade abkommandiert. Parade fiel ins Wasser und statt Entlassung fand man die Kompanie wieder.“
Wir waren sprachlos. Noch vor kurzem der staatsfeindlichen Betätigung angeklagt, und jetzt einen Orden. Aber „Janek“ war immer bestrebt, Begonnenes auch zu Ende zu führen. Das hatte seine Fahnenaktion 1933 gezeigt. Die Motorradattacke im Sommer 1938, bei der die HJ-Aufpasser im Straßengraben landeten, war ein weiterer Beweis. Er liebte das Abenteuer, und der Krieg erschien ihm vermutlich als ein solches. Aber sein ganzes Verhalten bewies, wie sehr er an dem Weiterbestehen dieser bündischen Freundesrunde interessiert war. Ohne auf die Ordensverleihung einzugehen, bestätigte ich sein Schreiben, benachrichtigte die restlichen Frankfurter und überließ es ihnen, Datum und Treffpunkt auszumachen. Mein Kommen war noch ungewiß.
Und so endete die Verabredung außerplanmäßig in einer Enttäuschung für alle Beteiligten. An einem der letzten Augusttage fanden sie eine Mitteilung folgenden Inhalts im „El Dorado“, dem ehemaligen Silberbergwerk bei Heftrich:
„Achtung, wer...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Copyright
  3. Title
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort von Prof. Dr. Reulecke
  6. Teil I
  7. Teil II
  8. Teil III
  9. Anhang