1. Wissen und Wertschöpfung
1.1. Vorwort von Prof. Dr. Rudi Keller
Dieses Buch beleuchtet das Innenleben eines Unternehmens und beschreibt Phänomene, die wir in der Regel selbst nicht bemerken. Weil sie hinter der alltäglichen Betriebsamkeit versteckt sind. Wir arbeiten immer mehr, immer schneller, und manchmal wundern wir uns, dass die Projekte nicht so recht vorankommen. Alle geben ihr Bestes, und dennoch ist das Zusammenarbeiten oft schwierig. Was ist das, das wir so oft nicht bemerken?
Jede Kooperation basiert auf Kommunikation. Gelingt diese nicht oder nicht reibungslos, laufen die Dinge nicht so, wie sie sollten. Genau das bemerken wir oft nicht, weil die Zeit drängt, der Kunde wartet, der Chef ungeduldig wird. Oder weil wir einfach auf diesem Auge blind sind.
Der Autor dieses Buches hat in seiner Beratungstätigkeit viele verschiedene Unternehmen von innen gesehen. Dabei stellte er fest, dass der Faktor Kommunikation meist als völlig selbstverständlich betrachtet wird, obwohl es in der internen Verständigung häufig klemmt. Es wird zwar viel in Organisation, Umstrukturierungen und Optimierungsmaßnahmen investiert. Die operative Kommunikation jedoch steht hierbei nicht im Fokus.
In der Unternehmenskommunikation haben Unternehmen in den letzten Jahren viel dazugelernt. So sind etwa Geschäftsberichte, die lange Zeit als lästige Pflichtübung galten, wesentlich ansprechender und vor allem lesbarer geworden. Auch rhetorische Fähigkeiten von Unternehmenslenkern bei Vorträgen oder Bilanzpressekonferenzen haben sich verbessert. Der Außendarstellung wird mehr Bedeutung beigemessen.
Die interne Kommunikation, insbesondere im operativen Geschäftsbetrieb, wird jedoch als weniger wichtig angesehen. Offenbar besteht genau da, wo es für gut laufende Geschäfte auf möglichst reibungslose Verständigung ankommt, wenig Gespür für Chancen und Risiken des Kommunizierens.
Hierauf richtet der Autor seinen Blick. Sein Ziel ist es, die Wirkung der operativen Kommunikation auf das Wirtschaftsgeschehen bewusst zu machen. Dabei wird u. a. zu fragen sein, was eigentlich kommunizieren bedeutet, was tatsächlich geschieht, wenn wir uns verstehen und wenn wir uns missverstehen.
Hierzu hat die Sprach- und Kommunikationswissenschaft, insbesondere die linguistische Pragmatik, erhellende Erkenntnisse zu bieten, die jedoch außerhalb der Universitäten nur wenig bekannt sind. Wirtschaft und Wissenschaft haben immer noch gewisse Berührungsängste. Der Autor kennt beide Seiten; und darin liegt der Wert dieses Buches.
Er ist in einer mittelständischen Unternehmerfamilie aufgewachsen, hat Sprachwissenschaft und Informationswissenschaft studiert und war viele Jahre als selbstständiger Unternehmer tätig. Sein Ansatz kann deshalb nur interdisziplinär sein.
Betriebswirtschaftliches Denken verbunden mit linguistischen Überlegungen und praktischen Erfahrungen in Sachen Kommunikation im Unternehmen eröffnen eine neue Perspektive: Wissen über die Mechanismen des Kommunizierens zu mehr Wert transformieren.
Wie können wir besser arbeiten? Wie können wir mehr Wissen entwickeln und nutzen? Wie erwerben wir mehr Kompetenzen?
Lassen Sie sich auf diese Fragen ein. Sie können nur gewinnen.
Rudi Keller
1.2. Einleitung
Worum geht es in diesem Buch? Der Titel mag Sie überraschen. Was hat Wissen mit Wertschöpfung zu tun? Und welche Rolle soll in diesem Zusammenhang die Kommunikation im Unternehmen spielen?
Einfach gesagt: Ohne Wissen gibt es keine Wertschöpfung. Bei allem, was wir tun, müssen wir wissen, wie es geht. Know-how heißt deshalb das Zauberwort in jedem Unternehmen, ob groß oder klein. Wir gehen davon aus, dass ein bestimmtes Know-how nötig ist, um Güter entwickeln, herstellen und vermarkten zu können. Deshalb glauben wir auch gerne, dass ein Mehr an Wissen zu mehr Wertschöpfung führt. Das scheint aber, wenn überhaupt, nur in Einzelfällen zutreffend zu sein. Know-how führt nicht automatisch zu wirtschaftlichem Erfolg. Sonst würden keine Projekte scheitern, obwohl sie mit ausgewiesenen Fachleuten besetzt sind. Woran liegt das?
Wenn unser Wissen-wie-es-geht einen Wert bekommen soll, reicht es nicht, Wissen im Kopf zu haben. Wir müssen es in die Praxis umsetzen, also im wahrsten Sinne etwas daraus machen. Das können wir in der Regel nur, wenn wir mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Kooperieren bedeutet, sich zu verständigen. Und hier kommt die Kommunikation ins Spiel. Ohne Verständigung gibt es keine Kooperation. Nur wenn es uns gelingt, uns über Ziele und Wege, Ansichten und Einsichten, Gefühle, Wünsche und Werte zu verständigen, können wir gut zusammenarbeiten. Deshalb ist Wertschöpfung von der Qualität der Kommunikation abhängig. Daraus ergibt sich ein Problem – und eine Chance.
Das Problem: Unzureichende oder misslingende Kommunikation bremst die Abläufe. Mit allem Aufwand, den wir zur Wertschöpfung betreiben, produzieren wir gleichzeitig Verluste.
Die Chance besteht darin, dass wir diese Verluste reduzieren können, wenn es gelingt, die Kommunikation zu verbessern. Eine bessere Verständigung beflügelt die Arbeit in jedem Projekt und wirkt positiv auf das gesamte Unternehmen.
Das klingt einleuchtend. Aber wie sieht die Realität aus?
Die unangenehme Wahrheit ist: In den meisten Unternehmen wird viel aneinander vorbei geredet. Das hört niemand gerne, besonders wenn es um das eigene Unternehmen geht. Spricht man dieses Thema etwa in der Führungsetage an, so ist die gängige Antwort: „Kommunikationsprobleme mag es geben, aber nicht bei uns.“ Fragt man weiter unten nach, so spürt man ein Unbehagen über schlechte interne Abstimmung, über den schleppenden Verlauf von Projekten oder deren Scheitern. Es geht nicht um Einzelfälle. Man klagt allenthalben über die tägliche Flut von Informationen, noch mehr E-Mails, endlose Meetings, die von der Arbeit abhalten. Das führt zwangsläufig zu weniger Produktivität.
Um hier gegenzusteuern, bietet eine breit aufgestellte Coaching-, Trainer- und Beraterbranche eine Vielzahl eher therapeutischer Maßnahmen, oder man versucht es technisch-organisatorisch mit Prozessoptimierung, mehr Informationstechnik, mehr Vernetzung. Dabei fällt auf, dass das Kernproblem der internen Kommunikation, nämlich die Qualität der Verständigung durch sprachliche (nicht technische) Mittel, kaum angegangen wird. Das bedeutet: Wenn die Art zu kommunizieren nicht verbessert wird, nehmen wir bei allen Optimierungsmaßnahmen die Verluste mit, die eben durch mangelnde Kommunikation verursacht werden. Soviel wir auch optimieren, das Ergebnis bleibt suboptimal. Fatal ist, dass Reibungsverluste exponentiell zunehmen, wenn das Unternehmen wächst bzw. wenn mehr Akteure mit mehr Wechselwirkungen beteiligt sind.
Wie reduzieren wir nun diese Verluste? Indem wir die Qualität der Kommunikation verbessern. Das ist die Chance. Der Schlüssel hierzu heißt: Wechsel der Perspektive.
Wir sind gewohnt, ein Unternehmen durch Zahlen und Messwerte zu steuern. Dabei wird übersehen, dass betriebliche Ergebnisse immer auch Ergebnisse der kommunikativen Vorgänge sind. Letztere haben wir nicht im Blick, weil wir Kommunikation für selbstverständlich halten (wir können ja alle Deutsch), obwohl wir wissen, dass Missverständnisse an der Tagesordnung sind.
Richten wir den Fokus auf das, was wir Kommunikation nennen, dann sehen wir, dass wir kommunizieren gewöhnlich mit informieren gleichsetzen. Deshalb informieren wir uns gegenseitig über alles und zu jeder Zeit – dank Informationstechnik in Echtzeit. So fördern wir die Informationsflut, unter der wir alle leiden. Wir müssen nicht schneller und nicht noch mehr informieren, sondern besser kommunizieren – nicht uns gegenseitig in Kenntnis setzen, sondern uns verständigen. Verständigung geschieht nicht durch informieren, sondern durch verstehen. Wenn wir ein Verständnis erreichen wollen, brauchen wir Diskurs. Dann können wir Resonanz erwarten, also mehr als Kenntnisnahme. Allerdings setzt dies voraus, dass unser Reden resonanzfähig ist. Auch wenn uns das nicht immer gelingt, wird allein das Bemühen weniger Rückfragen, weniger Missverständnisse, weniger Zeitverlust hervorbringen.
Der Aufwand für einen Perspektivenwechsel zur besseren Kommunikation ist relativ gering. Jedenfalls wesentlich geringer als viele herkömmliche Optimierungsmaßnahmen. Die Wirkung zeigt sich mehrfach, zunächst durch weniger Reibungsverluste im operativen Geschäft.
Ein weiterer Bereich bietet die Chance, Potenziale freizusetzen: der Wissensbestand des Unternehmens. Das gesamte Know-how, von dem wir schließlich leben, steckt überall in den Köpfen. Dieses Expertenwissen gilt es zu verbreiten. Möglichst viele Mitarbeiter sollen darüber informiert sein und sich damit auseinandersetzen. Und es verstehen, sonst haben wir keinen Know-how-Transfer, sondern nur Informationsaustausch. Wissenserwerb heißt letztlich, Informationen in Zusammenhängen zu verstehen. Hierbei helfen Gespräche, Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Gelingende Kommunikation wirkt dann als Katalysator.
Viele Unternehmen ahnen nicht, wie viel Wissen in ihnen steckt. Sie werden es erfahren, wenn sie miteinander darüber reden. Und vielleicht ist manche Innovation schon im Verborgenen vorhanden, wir haben nur keine Ahnung davon.
Know-how-Entwicklung und Wissenserwerb sind unser Kernthema als Folge des digitalen Wandels. Der Ersatz menschlicher Arbeit durch Maschinen – mit negativen und positiven Auswirkungen – ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen neue Möglichkeiten einer Mensch-Maschine-Interaktion und völlig neue Geschäftsmodelle. Je mehr wir hierüber wissen, neu dazulernen und daraus verwertbares Know-how entwickeln, desto größer sind die Chancen, Wandel sinnvoll zu beeinflussen. Eben weil unser Nachhol- und Lernbedarf groß und die Zeit knapp ist, brauchen wir eine bessere Kommunikation. Lernen geschieht durch kommunizieren.
Wie können wir die Chancen einer besseren Kommunikation realisieren?
Kommunikation im Unternehmen ist eine Führungsaufgabe. Wir haben viele fachlich kompetente Führungskräfte. Allerdings wenige, die ein dezidiertes Verständnis von Wirkungen, Schwachstellen und Risiken von Kommunikation haben – weil es nicht Teil ihrer Ausbildung war. Folglich können wir hier keine ausgeprägte kommunikative Kompetenz erwarten. Diese zu erwerben ist dringend erforderlich, damit Führung besser verstanden wird. Und damit alle Mitarbeiter motiviert werden, ebensolche Kompetenz zu entwickeln und durch sie die Verständigung im Unternehmen, im operativen wie im Bereich Wissen, effizienter werden kann.
Wenn von Effizienz die Rede ist, denken wir meist an mehr Geschwindigkeit, mehr Technik, mehr Digitalisierung. Auch unsere Kommunikation soll durch mehr Technik effizienter werden, so verspricht man uns. Merkwürdig, dass es trotz (oder wegen?) zunehmender Kommunikationstechnik immer noch und immer wieder zu Missverständnissen kommt. Probleme der Verständigung sind in der Qualität gleichgeblieben, in der Summe nehmen sie zu. Digital können wir uns genauso missverstehen wie zu analogen Zeiten des Bindfaden-Telefons. Das sollte uns zu denken geben.
Lange haben wir geglaubt, mehr Technik helfe automatisch zu mehr Erkenntnis, zu Wachstum und Entwicklung. Wir fangen gerade an zu verstehen, dass eher unsere kommunikative Kraft uns befähigt, aus Wissen mehr Wert zu schöpfen, besser zusammenzuarbeiten, Wissen zu teilen und Kompetenzen zu entwickeln. Zu einer gelingenden Kommunikation in einer digitalisierten Welt haben wir noch viel Gesprächsbedarf. Dieses Buch ist ein Beitrag dazu.
Ich wünsche Ihnen eine wertschöpfende Lektüre und freue mich auf Ihr Feedback.
2. Treibende Kräfte
Wenn wir von Unternehmen sprechen, gehen wir selbstverständlich davon aus, dass ein wirtschaftlicher Betrieb das tut, wozu er da ist: produktiv sein, Wert schöpfen und nachhaltig Gewinne generieren. Wie kommt es eigentlich dazu? Was ist nötig, damit Produkte oder Leistungen entstehen? Einfacher gefragt: Wie funktioniert eigentlich ein Unternehmen?
Diese Frage scheint die Betriebswirtschaftslehre allein nicht zu beantworten. Sonst würden nicht manche Unternehmen trotz ökonomischer Expertise scheitern. Offenbar sind also weitere Faktoren mit am Werk. Dieses Kapitel zeigt, • welche Kräfte beteiligt sind, • wie sie sich dynamisch entwickeln, • sich gegenseitig beeinflussen und schließlich • warum ein Unternehmen erst durch das Zusammenspiel dieser Kräfte lebendig wird (und bleibt).
2.1. Produktionsfaktoren
Die klassische Antwort auf die Frage, wie ein Wirtschaftsgut hergestellt werden kann, lautet: Wir brauchen die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Das Zusammenwirken dieser Faktoren bringt ein Produkt hervor. Am einfachsten können wir uns das in der Landwirtschaft vorstellen. Der Boden wird bearbeitet, und die Ernte bringt Geld. So entsteht Kapital durch die Kombination von Arbeit und Boden.
Dieser Zusammenhang gilt grundsätzlich auch für andere, nichtagrarische Wirtschaftsbereiche, wobei wir natürlich die Produktionsfaktoren differenzierter betrachten müssen. Der Begriff Boden ist nicht mehr lediglich Ackerboden, er umfasst auch Gebäude, Anlagen, Maschinen, Werkzeuge. Der Faktor Arbeit bedeutet jede Tätigkeit, die darauf ausgerichtet ist, Einkommen zu erzielen. Kapital meint jede Art von Finanzmitteln etc. So lassen sich herkömmliche Arten des Wirtschaftens beschreiben, in denen etwas hergestellt wird. Im Zuge der Zeit reichen die genannten drei Faktoren jedoch nicht aus. Also kommen weitere hinzu. Schon um den Acker bestellen zu können, musste der Landwirt wissen, was er wie zu tun hat, damit der Boden Ertrag bringt. Wissen wurde vorausgesetzt, wenn auch nicht explizit genannt. Heute ist Wissen zu einem weiteren Produktionsfaktor geworden, zuweilen unter dem Begriff Humankapital, womit der Kenntnis- und Ausbildungsstand der Mitarbeiter erfasst werden soll.
Dies scheint sinnvoll, denn unser Wirtschaften hat sich vom einfachen Herstellen wegentwickelt. Wir leben inzwischen weniger von der Produktion von Wirtschaftsgütern als vielmehr von Ideen, aus denen Produkte und Leistungen hervorgehen. Wenn wir heute von arbeiten sprechen, denken wir vorwiegend an Arbeit im Kopf. Auch physische Arbeit setzt eine gedankliche Vorarbeit in Form von Planung und Organisation voraus, ohne die ein wirtschaftliches Arbeiten nicht möglich wäre. Technische Entwicklungen, Vernetzung und Digitalisierung legen nahe, dass dem Produktionsfaktor Wissen eine große Bedeutung zukommt, wenn nicht gar eine größere als den übrigen Faktoren Arbeit, Boden, Kapital. Aber damit nicht genug: Die Entwicklung zeigt, dass der Bereich künstliche Intelligenz ebenfalls zu einem weiteren Produktionsfaktor geworden ist.
Können wir nun mit den oben erwähnten Produktionsfaktoren erklären, warum ein Unternehmen Erfolg hat und warum manche Unternehmen keinen Erfolg haben? Wohl kaum.
Das Zusammenbringen verschiedener Faktoren, seien sie noch so differenziert, sagt noch nichts darüber, wie diese kombiniert und gewichtet werden müssen bzw. darüber, wie sich deren Zusammenspiel gestalten muss, damit ein wirtschaftlicher Erfolg entsteht. Die Dynamik eines Unternehmens ergibt sich nicht aus statischen Faktoren.
Die Erklärung, wirtschaftliche Leistung entstehe aus der Kombination der Produktionsfaktoren, ist für ein grundsätzliches Verständnis wirtschaftlicher Logik dennoch gültig. Aber was bewirken diese Faktoren? Wie wirken sie aufeinande...