1
2020
Und es hat
Zoom gemacht
Was für viele Unternehmen lange Zeit undenkbar oder ferne Zukunftsmusik war, wurde im Frühjahr 2020 sowie in den darauffolgenden Monaten plötzlich flächendeckend zur Realität. Die Rede ist von Remote-Arbeit bzw. ganz konkret von Homeoffice-Arbeit. Bedingt durch die Coronapandemie und den damit einhergehenden bundesweiten Lockdown mussten im März 2020 viele Beschäftigte ihren Arbeitsplatz quasi über Nacht in die eigenen vier Wände verlegen, um Kontakte und damit auch das Infektionsgeschehen einzuschränken. Die Folge: ein erzwungenermaßen groß angelegtes Homeoffice-Pilotprojekt. Dieses Pilotprojekt fand zweifelsohne in einer allgemeinen Ausnahmesituation statt, was nicht zu vernachlässigen ist und an dieser Stelle einmal klar vorweggestellt bzw. ausgesprochen sei. Dennoch können sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte aus dieser Zeit viel über die (Zusammen-)Arbeit auf Distanz lernen. Sie alle haben in den letzten Monaten erfahren können, welche Chancen einerseits und welche Herausforderungen andererseits die (Zusammen-)Arbeit aus dem Homeoffice heraus mit sich bringt. Nun gilt es, die positiven Aspekte des Homeoffice für die Zukunft fruchtbar zu machen, ohne die negativen zu übergehen. Und genau das ist die Absicht dieses Buches.
Mit dem Ziel, erfolgreiche (Zusammen-)Arbeit aus dem Homeoffice heraus zu ermöglichen bzw. zu fördern, richtet sich dieses Buch dabei in erster Linie an Führungskräfte, die aktuell bzw. zukünftig Mitarbeitende auf Distanz führen.
Vor dem Hintergrund verschiedener Erkenntnisse aus der Forschung und der Praxis rund um dieses Thema erhalten Sie als Führungskraft in diesem Buch eine Vielzahl an konkreten Handlungstipps sowie auch einige Anstöße, die Sie zur persönlichen Reflexion und zum Weiterdenken anregen sollen. In gewisser Weise ähnelt dieses Buch dabei einem Buffet: Nicht jedem Menschen wird hier alles gleichermaßen „schmecken“, aber ein Buffet bietet eben auch die Möglichkeit, sich diejenigen Dinge herauszusuchen, auf die man gerade besonders hungrig ist. Zudem bietet ein Buffet die Möglichkeit, ohne viel Risiko auch mal etwas Neues oder anderes zu probieren. Und dazu lade ich Sie hier gerne ein. Aber Achtung: Ein Buffet, und das kennen Sie sicherlich, birgt immer auch die Gefahr, sich irgendwann zu „überessen“. Das verursacht Unwohlsein. Um das zu vermeiden, empfehle ich Ihnen, dieses Buch „häppchenweise“ zu lesen und einzelne Punkte immer zunächst zu „verdauen“, ehe Sie weiterlesen.
Bevor Sie sich an dem Buffet bedienen, hier vorab noch folgende Hinweise: Wie eingangs angedeutet, liegt der Fokus dieses Buches auf der (Zusammen-) Arbeit mit und der Führung von Mitarbeitenden im Homeoffice. Ich spreche stellenweise von „Remote-Arbeit bzw. -Führung“ oder „Zusammenarbeit bzw. Führung auf Distanz“, beziehe mich im Rahmen dieses Buches aber auch dann auf die Situation Homeoffice. Sämtliche Begrifflichkeiten umfassen zudem die Gegebenheit, dass einzelne Beschäftigte nicht von zu Hause arbeiten, sondern von einem anderen Unternehmensstandort. Viele der diskutierten Punkte treffen dann zwar ebenso zu, andere hingegen weniger, sie können auch entfallen. Dies gilt es zu berücksichtigen.
Außerdem gehe ich in diesem Buch nicht auf interkulturelle Unterschiede und Gegebenheiten ein. Insbesondere dann, wenn Sie mit Ihren Mitarbeitenden über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten, wird das sowohl weitere Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. Sie werden in diesem Buch allerdings nicht thematisiert.
Darüber hinaus sind viele der hier dargestellten Führungsaufgaben, -tools und -tipps keineswegs auf den Remote-Kontext beschränkt. Vielmehr eignen sie sich ebenso gut für die Zusammenarbeit mit Ihren Mitarbeitenden „vor Ort“. Wahrscheinlich kommen Ihnen einige Aufgaben und Tools hier bereits bekannt vor. Das kann gut sein, denn schlussendlich ist Remote-Führung zunächst einmal Führung.
Allerdings werden Sie schnell merken, dass Sie viele Aspekte „auf Distanz“ viel bewusster, konkreter und expliziter verfolgen müssen.
Viele der Aufgaben und Tools werden deutlich relevanter – weil auf Distanz vieles nicht mehr unmittelbar gegeben ist oder automatisch funktioniert. Sollte Ihnen also ein Gedanke wie „Kenne ich schon“ oder „Was ist daran neu?“ kommen, dann prüfen Sie für sich einmal kritisch, inwiefern Sie dieser Verantwortung auf Distanz nachkommen, und wie Sie gegebenenfalls noch einmal verstärkter hinschauen müssen. Denn die (Zusammen-)Arbeit auf Distanz verlangt Führungskräften durchaus einiges ab.
2
Remote-Arbeit
Fluch
oder
Segen?
Vor der Coronapandemie und dem damit einhergehenden Pilotprojekt Homeoffice stand ein Großteil der deutschen Unternehmen der (Zusammen-)Arbeit aus dem Homeoffice eher skeptisch gegenüber. Im Zuge des ersten Lockdowns konnten viele von ihnen ihre Skepsis überwinden und gaben in unterschiedlichen Befragungen an, dass sie ihre Mitarbeitenden auch zukünftig verstärkt von zu Hause arbeiten lassen wollen.
Laut einer Studie des Münchener ifo Instituts wollte im Juli 2020 „mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland (54 Prozent) Homeoffice dauerhaft stärker etablieren.“ (Alipour et al., 2020)
Insbesondere die Führungskräfte haben ihre Vorurteile gegenüber der Zusammenarbeit auf Distanz in diesem Zeitraum großflächig abgelegt, so zeigen es die Ergebnisse einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e. V. zu den Einflüssen der Coronapandemie auf die Unternehmenspraxis (Hofmann et al.,2020). Unternehmen wie auch Führungskräfte haben erkannt, dass Homeoffice funktioniert und durchaus einige Vorteile mit sich bringt, beispielsweise eine erkennbar höhere Arbeitszufriedenheit sowie eine höhere Produktivität unter den Mitarbeitenden.
Verfolgt man die Studien und Schlagzeilen aus dieser Zeit nun weiter, fällt allerdings auf, dass die Begeisterung für das Homeoffice insbesondere aufseiten der Beschäftigten mit der Zeit zunehmend schwindet. So zeigt beispielsweise eine Langzeitstudie der Universität Konstanz, dass die Begeisterung dafür, künftig in den eigenen vier Wänden produktiv zu sein, umso geringer ist, je länger die Phase der Heimarbeit schon andauert (Kunze et al., 2020). Während sich der Anteil derjenigen Beschäftigten, die auch zukünftig vollständig aus dem Homeoffice arbeiten möchten, zwischen März und Oktober 2020 bereits deutlich verringert hat, stieg der Anteil derjenigen Beschäftigten, die zukünftig keinen, nur einen oder zwei Homeoffice-Tage in der Woche haben möchten, erkennbar an. Insbesondere die sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Beschäftigten kommen im Homeoffice offensichtlich zu kurz. Zudem erzeugt die Heimarbeit häufig mehr Druck. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen vor Überlastungen und negativen gesundheitlichen Folgen.
Ist die (Zusammen-)Arbeit aus dem Homeoffice nun also ein Fluch oder ein Segen? – Die Antwort ist: Es kommt drauf an! Fest steht, dass das Homeoffice sowohl verschiedene Vorteile als auch Nachteile mit sich bringt. Diese Vor- und Nachteile sind zumeist zwei Seiten derselben Medaille. Je nachdem, auf welche Seite die Medaille fällt, kann Homeoffice für die einzelnen Mitarbeitenden, aber auch für die Führungskraft und das gesamte Unternehmen, schnell zum Fluch oder Segen werden. Der Fall der Medaille, um einmal in diesem Bild zu bleiben, erfolgt dabei keineswegs zufällig, sondern wird durch verschiedene Rahmenbedingungen wie unternehmerische und kulturelle Gegebenheiten beeinflusst. Ferner spielt die Führung eine ganz entscheidende Rolle.
Bevor ich in diesem Buch konkret darauf eingehe, welchen Einfluss Sie als Führungskraft auf den Erfolg der (Zusammen-)Arbeit aus dem Homeoffice haben, möchte ich zunächst auf verschiedene Chancen und Herausforderungen dieser Arbeitsform eingehen. Dabei greife ich gezielt solche Aspekte auf, die mir in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen und insbesondere auch den Führungskräften regelmäßig begegnen und die auch von Studien immer wieder hervorgehoben werden. Denn schließlich ist es zuallererst wichtig, dass Sie sich als Führungskraft der Chancen und Herausforderungen, die das Homeoffice für Ihre Mitarbeitenden, Ihr Team und Sie mit sich bringt, bewusst werden, um vor diesem Hintergrund konkrete Erfolgsfaktoren erkennen und Maßnahmen ergreifen zu können.
2.1 Home sweet Home(office) –
Vorteile nutzen
Höhere Arbeitszufriedenheit
Das Arbeiten aus dem Homeoffice heraus kann insgesamt zu einer erhöhten Arbeitszufriedenheit unter den Beschäftigten führen. Das zeigen verschiedene Studien, zum Beispiel die groß angelegte und häufig zitierte Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) von 2019 sowie der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Auftrag gegebene Forschungsbericht zur Verbreitung und Auswirkung von mobiler Arbeit und Homeoffice (Bonin et al., 2020). Diese erhöhte Zufriedenheit kann dabei in verschiedenen Vorteilen, die das Remote-Arbeiten mit sich bringt, begründet liegen. Nachfolgend möchte ich auf diejenigen Vorteile eingehen, von denen uns Führungskräfte und Mitarbeitende in der Zusammenarbeit häufig berichten und die durch umfangreiche Homeoffice-Studien klar herausgestellt werden.
Erhöhte Flexibilität und bessere Work-Life-Balance
Arbeiten aus dem Homeoffice heraus bedeutet für viele Arbeitnehmende in erster Linie eine höhere Autonomie sowie mehr Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung ihres Arbeitstages. Auch wenn Autonomie und Flexibilität natürlich nicht per se nur vorteilhaft sein müssen, so werden sie in vielen Befragungen und Analysen als primäre Gründe für die erhöhte Arbeitszufriedenheit herangezogen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie der DAK-Gesundheit, im Rahmen derer im Frühjahr 2020 knapp 2.200 Arbeitnehmende mit regelmäßiger Homeoffice-Tätigkeit unter anderem zu den Vor- und Nachteilendes Homeoffice befragt wurden. Hier gaben 65 Prozent der Befragten an, dass sie ihre „Arbeitszeit im Homeoffice besser über den Tag verteilen [können] z. B. abends länger arbeiten und am Nachmittag Sport treiben.“ Das Arbeiten im Homeoffice kann viel individueller und bedürfnisorientierter erfolgen.
> vgl. Abschnitt 2.2
Hinzu kommt, dass der Arbeitsweg entfällt, was für viele Befragte einen spürbaren Zeitgewinn mit sich bringt. Und das führt ebenfalls dazu, dass der Arbeitstag flexibler gestaltet werden kann und mehr Zeit für andere Dinge bleibt. Diesen Aspekt sahen 66 Prozent der Befragten als klaren Vorteil des Homeoffice.
Zuletzt stimmten 68 Prozent der Befragten einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Homeoffice zu.
Die DAK-Gesundheit listet diese drei Punkte in ihrem Ergebnisbericht unter den größten Vorteilen, infolge derer die Arbeitszufriedenheit im Homeoffice steigt.
Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen auch andere Studien, wie etwa die des Softwareunternehmens GitLab (2020). Ausgehend von der Annahme, dass Mitarbeitende zufriedener sind, wenn sie von zu Hause arbeiten, gab das Unternehmen eine Studie in Auftrag, im Rahmen derer rund 3.000 Personen aus den USA, Kanada, England und Australien gefragt wurden, was sie vom Homeoffice halten und welche Erfahrungen sie mit dieser Art des Arbeitens gesammelt haben. Dabei kam heraus, dass 52 Prozent der Befragten die flexible Zeiteinteilung, die das Homeoffice mit sich bringt, als größten Vorteil sahen. „Sich jederzeit um die Familie, Haustiere und pflegebedürftige Angehörige kümmern zu können“, wurde ergänzend dazu von 34 Prozent der Befragten erwähnt. Das Homeoffice bietet somit die Chance, bedürfnisorientierter zu arbeiten und die familiäre Infrastruktur wesentlich flexibler betreuen zu können.
Schließlich wurde auch in der GitLab-Studie von 38 Prozent der Befragten das fehlende Pendeln als klarer Pluspunkt des Homeoffice angeführt. Tägliches Pendeln stresst den Großteil der befragten Arbeitnehmenden nachweislich. Es kostet jede Menge Zeit und Nerven. Verschiedene Studien zeigen, dass tägliches Pendeln unglücklich und krankmachen kann (siehe z. B. Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse „Mobilität in der Arbeitswelt“, 2018). Entfällt der tägliche Fahrtweg, bringt das meist also nicht nur einen Zeitgewinn für die Beschäftigten, sondern kann nachweislich auch die allgemeine Lebenszufriedenheit sowie die psychische und physische Gesundheit steigern.
Konzentrierteres und angenehmeres Arbeiten
Im Büroalltag sind Ablenkungen allgegenwärtig. Es gibt Studien, die besagen, dass Arbeitnehmende im Büro etwa alle drei Minuten unterbrochen werden oder sich selbst unterbrechen. Einmal abgelenkt, kann es laut Gloria Mark, Professorin an der University of California in Irvine, bis zu 23 Minuten dauern, bis sie danach wieder mit voller Konzentration bei der eigentlichen Aufgabe sind. Sogenannte „Deep Work“-Phasen, also Zeiten, in denen man mit voller Konzentration an einer Aufgabe arbeitet, sind demzufolge im Büroalltag eher selten. Einige Beschäftigte kommen infolgedessen regelmäßig sehr früh ins Büro oder bleiben bis spät abends, um in diesen Zeiten ungestört an ihren Aufgaben arbeiten zu können. Während der Kernarbeitszeiten scheint das für viele im Büroalltag nicht oder eben nur sehr schwer möglich zu sein – insbesondere dann, wenn sie in einem Großraumbüro sitzen. Neben eingehenden E-Mails sind es die quatschenden Kolleginnen und Kollegen, klingelnde Telefone und eingeschaltete Radios sowie Lärm, der durch das offene Fenster hineinkommt, die für vielschichtige Ablenkung sorgen.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die wahrgenommene Ruhe und Ungestörtheit, die das Arbeiten von zu Hause mit sich bringt, von vielen Beschäftigten als klare Homeoffice-Vorteile angeführt werden. Die allgemeine Geräuschkulisse ist hier im Allgemeinen deutlich geringer. Und auch wenn die eingehenden E-Mails und Anrufe sie natürlich auch zu Hause erreichen, lassen sich viele andere Störquellen hier bewusst kontrollieren bzw. ausschalten. Infolgedessen erleben viele Remote-Arbeitende, dass es sich in den eigenen vier Wänden deutlich konzentrierter arbeiten lässt.
Neben Hintergrundgeräuschen sind hier übrigens auch Aspekte wie die „richtige“ Arbeitstemperatur nicht zu vernachlässigen. In den eigenen vier Wänden können sich die Beschäftigten ihren Platz so einrichten, dass er ein optimales Arbeiten in einem gut temperierten Raum ermöglicht. Dies spiegelt sich im Übrigen auch in den Studienergebnissen der DAK-Gesundheit (2020) wider.
Unter den häufigsten genannten Vorteilen, die das Homeoffice mit sich bringt und infolge derer die Arbeitszufriedenheit steigt, ist hier auch gelistet, dass „die Arbeit im Homeoffice als deutlich angenehmer empfunden wird als die Arbeit am normalen Arbeitsplatz im Betrieb bzw. Büro.“
(DAK-Gesundheit, 2020)
Dieser Aussage haben 54 Prozent der Befragten zugestimmt. In den eigenen vier Wänden kann also auch der Arbeitsplatz individuell und bedürfnisorientiert gestaltet werden. Und das bietet schließlich die Grundlage für Zufriedenheit und konzentriertes Arbeiten.
Weniger Stress und geringere Krankenstände
Bedingt durch die höhere Flexibilität in der Arbeitsgestaltung, die wegfallenden Arbeitswege sowie insbesondere durch die wahrgenommene Ruhe und Ungestörtheit, die das Arbeiten in den eigenen vier Wänden mit sich bringt, berichten einige Remote-Arbeitende von einem geringeren Stresserleben. In der „Sonderanalyse zur Situation in der Arbeitswelt vor und während der Pandemie“ des Gesundheitsreports der DAK-Gesundheit (2020) zeigt sich konkret, dass der Anteil der täglich gestressten Beschäftigten im Homeoffice...