Reicher Pöbel
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Reicher Pöbel

Über die Monster des Kapitalismus

  1. 160 Seiten
  2. German
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Reicher Pöbel

Über die Monster des Kapitalismus

Über dieses Buch

Die Superreichen stehen unter heftigem Beschuss: Sie plündern die Welt und mästen sich an fremder Arbeit, verspielen unsere Zukunft und zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die "Fuck-You-Politik der Oberschicht" (Michael Naumann) hat einen "Krieg der Klassen" (Warren Buffet) provoziert, der größtenteils noch in den Medien, vielleicht aber bald schon in den Parlamenten und auf den Straßen geführt wird. Mit den geschulten Augen des Kulturphilosophen zeigt Björn Vedder: Die Kritik am "reichen Pöbel", wie sie derzeit in Debatten, Filmen, Büchern und Fernsehserien Konjunktur hat, ist halbherzig und heuchlerisch. Sie dämonisiert eine kleine gesellschaftliche Gruppe, ohne das dahinterstehende Wirtschaftssystem und unsere eigene Rolle darin infrage zu stellen. Wie gefährlich diese fehlgeleitete Kritik für die politische Kultur und die unter Druck geratene Mittelschicht werden kann, zeigen die jüngsten Wahlerfolge von Populisten, etwa von Donald Trump oder der AfD. Denn während es sich die vermeintlichen Gesellschaftskritiker beim Reichen-Bashing gemütlich machen, entsteht eine brandgefährliche politische Allianz: Der arme und der reiche Pöbel schicken sich gemeinsam an, der von ihnen umklammerten Mitte der Gesellschaft den Garaus zu machen.

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Information

Kapitel 1: Der Pöbel brandmarkt den Pöbel – eine Einleitung
Mit der Finanzkrise von 2008 ist nicht allein die Hoffnung begraben worden, dass ein stetiges ökonomisches Wachstum auf lange Sicht allen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft immer mehr Wohlstand beschert. Mit dem Rückgang der Flut, von der John F. Kennedy einst sagte, dass sie alle Boote heben würde, sind auch die massiven ökonomischen Unterschiede sichtbarer geworden, die unsere Gesellschaft prägen.1 Während ein Großteil der Menschen in den westlichen Industrienationen in den vergangenen Jahren faktisch ärmer geworden ist, ist eine kleine Gruppe von Superreichen immer reicher geworden. Daran hat auch die Finanzkrise nichts geändert, im Gegenteil: Während das durchschnittliche Haushaltsvermögen der US-Amerikaner zwischen 2007 und 2016 um 42.000 Dollar gesunken ist, ist das Vermögen des reichsten Prozents aller Amerikaner im Mittel um 4,9 Millionen Dollar gestiegen. Man kann also den Eindruck gewinnen, dass die 830 Milliarden Dollar, die die amerikanische Regierung seit der Krise ausgegeben hat, um ihre Folgen abzufedern und die Wirtschaft zu unterstützen, in den Taschen der Reichen gelandet sind.2
In vielen europäischen Ländern sieht es ähnlich aus: Die einen werden immer reicher, die anderen gewinnen zunehmend den Eindruck, sich immer mehr anstrengen zu müssen, um nicht zurückzufallen, wenn das nicht schon längst geschehen ist. Die Löhne sind (inflationsbereinigt) in vielen Bereichen gesunken, die Arbeitsplätze werden unsicherer. Im Zuge einer aggressiven Sparpolitik wurden viele soziale Errungenschaften über Bord geworfen und die Niedrigzinspolitik der Staatsbanken macht die eigene Vorsorge fast unmöglich – es sei denn freilich, man ließe sich auf das Glücksspiel der Spekulation ein. Die Immobilienpreise und Aktienmärkte sind schon wieder auf Rekordniveau. Fast so, wie vor der Krise.
Angesichts dieser Instabilität, Unsicherheit und Ungleichheit kann es nicht verwundern, dass die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen und die Solidarität schwindet. Dabei ist seit der Krise vor allem eine Gruppe in den Fokus der Kritik geraten, für die die Ökonomen Joseph E. Stiglitz und Thomas Piketty uns einen Begriff geschenkt haben, der seither in keiner Gesellschaftskritik fehlen darf: das reichste eine Prozent.3 Wie etabliert diese Kategorie inzwischen ist, zeigt sich auch daran, dass sie bereits persifliert wird. Der Komiker Sacha Baron Cohen spricht in seiner satirischen Dokumentation Who is America (2018) vom »fabelhaften Leben der 0,001 %«.4
Im öffentlichen Diskurs geht es jedoch weniger lustig zu. Die Superreichen gelten als unmoralisch und als Feinde der Gesellschaft, als liederlich und bösartig. Sie plündern die Welt und mästen sich an fremder Arbeit. Sie konsumieren zu viel und leisten zu wenig. Sie verspielen unsere Zukunft und zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es fehlt ihnen an sozialer Empathie, sie sind verantwortungslos, gierig, übermächtig und asozial.
So zumindest das Bild, das viele Journalisten verbreiten und Politiker zur Stimmungsmache nutzen – soziologische, ökonomische oder kulturwissenschaftliche Untersuchungen haben es vielfach nachgezeichnet. Die »Fuck-you-Politik der Oberschicht« (Michael Naumann) hat einen »Krieg der Klassen« (Warren Buffett) provoziert, in dem sich die einen Regierungen kaufen und sich die anderen darüber in den Feuilletons empören, wenn sie nicht angesichts der reichen Monster in Film, Fernsehen und Literatur wohlig erschauern.
Für diese Kritik interessiert sich mein Essay. Was macht die Reichen so verhasst? Worin besteht ihre sittlich-moralische Korruption und warum ruft letztere gerade in jüngster Vergangenheit so eine Entrüstung hervor? Und: Was verrät die Kritik über die Kritiker?
Um diese Fragen zu beantworten, untersuche ich, wie Reiche auftreten, wie sie in den Medien, aber auch in Literatur, Film und Fernsehen dargestellt werden. Diese Analyse der kulturellen Imagination des Reichen verknüpfe ich mit philosophischen, soziologischen und ökonomischen Studien. Ich frage nach den Argumenten hinter der Empörung und rücke sie in eine philosophische und historische Perspektive.
Dabei fällt auf, dass die Darstellung der Reichen dem Versuch entspringt, unsere Erfahrungen mit der Ökonomie, die Hoffnungen und Ängste, die wir mir ihr verbinden, in Geschichten über und Bilder von Menschen zu übersetzen. Das Erzählen und Verbildlichen sollen uns helfen, die Ökonomie zu verstehen und vor allem zu bewerten. Denn auch in den Geschichten der Ökonomie geht es letztlich um Gut und Böse.5 Das Bild, das wir uns von den Reichen machen, gehört in die Galerie der Bilder, die wir uns vom Kapitalismus machen, um ihn zu verstehen. Da seine Kräfte unsichtbar und seine Verfahren abstrakt sind, können wir sie nur daran erkennen, wie er die Körper der Menschen, die ihm ausgesetzt sind, zurichtet und daran, wie diese Menschen handeln.
Eine ganze Reihe dieser Geschichten und Bilder stelle ich in diesem Buch vor. Sie lassen vermuten, dass die Hoffnungen, die in den Anfangstagen des Kapitalismus in ihn gesetzt worden sind, allesamt enttäuscht wurden. Während die Autoren des Frühkapitalismus glaubten, dass es »für einen Mann wenig Möglichkeiten [gäbe], sich unschuldiger zu betätigen als beim Geldverdienen«, wie etwa der englische Dichter Samuel Johnson (1709–1784) schrieb, treten uns die Reichen in aktuellen Darstellungen als tyrannische Monster gegenüber, deren Seelen von der Habgier zerfressen und deren Leiber von ihrem ausschweifenden Luxus verzehrt worden sind.6 Warum, oder unter welchen Umständen, der Kapitalismus seine zivilisierende Kraft verliert und einen tyrannischen Charakter gewinnt, ist eine Frage, die ich mir in diesem Buch stelle (vgl. Kap. 2, 4 und 5).
Eine weitere Frage betrifft den Ursprung der sittlich-moralischen Kritik an den reichen Mitgliedern einer marktwirtschaftlich organisierten, wir können auch sagen: bürgerlichen Gesellschaft. Diese Kritik ist so alt wie das Nachdenken über die bürgerliche Gesellschaft selber. Wir finden sie schon bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der als einer der ersten über die Verbindungen von moderner Wirtschaft und Gesellschaft nachgedacht hat. Er hat den Begriff des »reichen Pöbels« geprägt, um damit jene zu beschreiben, deren Reichtum es ihnen erlaubt, sich aus dem »Band der Not« herauszulösen. Dieses Band der Not, so Hegel, verbindet die meisten Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft miteinander, indem es sie zwingt, zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse auch die Bedürfnisse von anderen und mithin der Allgemeinheit zu befriedigen (vgl. Kap. 3).
Ich greife im Folgenden Hegels Überlegungen auf, um die Kritik an den Reichen zu verstehen. Dieser Rückgriff mag zunächst überraschen. Ist unser schon von der Digitalisierung geprägter Kapitalismus mit dem Band der Not, das die Menschen im frühen 19. Jahrhundert in ihren Bedürfnissen verband, nicht bestenfalls noch lose verbunden? Funktionieren globale Märkte nicht gänzlich anders als die der größtenteils noch agrarischen, sich gerade erst industrialisierenden Gesellschaft, in der Hegel lebte?
Tatsächlich tragen Hegels Überlegungen für das Verständnis aktueller ökonomischer und sozialer Probleme jedoch sehr weit, wie eine kleine Renaissance neuerer Hegel-Lektüren in den vergangenen Jahren gezeigt hat.7 Auch im Hinblick auf meine Fragen führt der Rekurs auf Hegel zu überraschenden Ergebnissen. Er kann nämlich nicht nur zeigen, worin die Asozialität der Reichen genau besteht, sondern auch, dass ihre Unsittlichkeit weniger Ausdruck eines persönlichen Fehlverhaltens ist als ein Effekt der ökonomischen und sozialen Strukturen unserer Gesellschaft. Zusammen mit dem Wohlstand, den sie vielen ihrer Mitglieder schenken, bringen diese Strukturen auch den Pöbel hervor – sei er nun reich oder arm.
Dabei machen natürlich weder Armut noch Reichtum jemanden zum Pöbel, sondern sein Verhalten oder, wie Hegel es nannte, seine »Gesinnung«.8 Zu pöblisieren, also zu jemandem zu werden, der sich pöbelhaft verhält, ist aber etwas, das dem Reichen zuteil wird. Denn unsere kapitalistische, marktwirtschaftliche Gesellschaft bringt unweigerlich Reiche hervor und entlässt sie aus ihren sozialen und sittlichen Banden. Dadurch werden sie asozial. Es sei denn freilich, die Reichen würden ihrerseits eine große sittliche Anstrengung unternehmen, um dieser extremen Form der Wohlstandsverwahrlosung entgegenzuwirken (vgl. Kap. 3).
Gleichzeitig helfen Hegels Überlegungen auch, die Kritik an den Reichen selbst besser zu verstehen und zu erkennen, was diese Kritik eigentlich über diejenigen aussagt, die sie üben. Dieses Buch beschreibt also nicht nur die Kritik an den Reichen, sondern kritisiert sie auch. Es unternimmt eine Art Metakritik, das heißt eine Unterscheidungsarbeit der Kritik selbst. Damit verbunden ist eine Doppelfigur, die im Folgenden immer wieder auftritt: Ja, es ist viel Wahres an der Kritik an den Reichen. Mehr noch: Die Reichen sind Pöbel. Die Kritik an ihnen wird jedoch oft mit einer gewissen Verlogenheit hervorgebracht. Denn wenn wir den Blick von der Mikroebene auf die Makroebene erweitern – und es gibt eine ganze Reihe von globalen Untersuchungen über Ungleichheit und ihre Folgen, die das tun –, sehen wir sehr deutlich, dass sich weite Teile der Bevölkerung der westlichen Industrienationen dem Rest der Welt gegenüber genauso verhalten, wie sie es dem reichen Pöbel ihrer eigenen Gesellschaft vorwerfen: Sie spielen ihre ökonomische Souveränität rücksichtslos aus, befriedigen hemmungslos ihre Wünsche und lassen andere dafür bezahlen. Es gibt also nicht nur den reichen Pöbel der westlichen Industriegesellschaften, sondern auch den reichen Pöbel der Weltgesellschaft.
Deshalb ist die Kritik an den Superreichen heuchlerisch. Sie spaltet negative Aspekte des ökonomischen Systems ab, projiziert sie auf andere und dämonisiert diese dann, damit dieses System weiterhin bejaht werden kann und die Kritiker sich ungeniert ihrer eigenen Profitgier widmen können. In diesem Sinne schließt die Dämonisierung der Reichen an Strategien an, die wir vom Antisemitismus als Antikapitalismus kennen (vgl. Kap. 7).9
Diese Mechanismen der Abspaltung und Projektion sind ein Grundzug der Kritik am reichen Pöbel. Sie zeigen sich auch darin, dass die Ausschweifungen der Reichen als Kennzeichen eines sittlichen Mangels aufgefasst werden, obwohl sich darin nur ein Überschuss jener Freiheit zeigt, die auch die Kritiker für sich selbst beanspruchen. In der kulturellen Imagination der Reichen als Schurken offenbart sich das böse Gewissen des Homo oeconomicus, der nur sittlich ist, wenn er dazu gezwungen wird. Der Bürger ist rechtschaffen nur, weil er gehemmt ist. Deshalb kritisiert er den hemmungslos freien Reichen als pöbelhaft (vgl. Kap. 6).
Mithin handelt es sich bei dieser Form der Kritik also um eine Spielart des »kompensatorischen Humanismus«, wie ihn der Soziologe Kenneth Burke beschrieben hat: die Auslagerung des moralischen Gewissens in die kulturelle Imagination. Dort erfüllt es eine Ersatzfunktion, das heißt es kann zwar zur Geltung kommen, bleibt aber für das eigene Handeln unschädlich.10 Ich meine, dass auch der moralischen oder sittlichen Kritik an den Reichen solch eine Ersatzfunktion zukommt. Denn die Kritiker versuchen in der Verurteilung der Gier der anderen nicht nur von ihrer eigenen Gier abzulenken und das ökonomische System von jedweder Kritik unangetastet zu lassen, sondern sie wollen es auch guten Gewissens genießen können. Und wenn sich dieses gute Gewissen nicht von selbst einstellt, weil die eigene Habgier doch allzu bewusst ist, soll es wenigstens nachträglich wiederhergestellt werden. Ebendas leistet die Abwertung der Reichen als pöbelhaft (vgl. Kap. 3, 5 und 7).
Moralische Kritik dient in der bürgerlichen Gesellschaft aber weniger der Behauptung oder Verteidigung von Moral als der Behauptung des eigenen Standpunkts. Deshalb sind wir in den Geschichten von Gut und Böse, in die wir unsere Erfahrungen mit der Ökonomie übersetzen, immer die Guten – und die Bösen immer die anderen. Die moralische Kritik an den Reichen gehört mithin zu den Strategien, sich selbst Bedeutung zu verleihen und die eigenen Ansprüche zu legitimieren. Sie steht in einem größeren Kontext der Selbstbehauptung durch Moral, die sich neuerdings verstärkt quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen beobachten lässt. Das Moralisieren grassiert – und mithin die Selbstdarstellung als Opfer (vgl. Kap. 8).
Anders gesagt: Die Kritik an den Reichen steht im Kontext der zeitgenössischen Ressentimentkultur. Wohlgemerkt: Nicht nur die Kritik an den Reichen, sondern auch deren Apologien sind vom Ressentiment getragen. Ressentiment wird üblicherweise als die von Neid befeuerte Verachtung des Stärkeren verstanden. Doch ausgerechnet Friedrich Nietzsche, der wichtigste Stichwortgeber der modernen Theorie des Ressentiments (und eloquentester Anwalt aller »Starken«), hat darauf hingewiesen, dass auch die Zurückweisung der Kritik der Schwächeren durch die Stärkeren als bloßes Ressentiment eine Form des Ressentiments ist. Beide Ressentiments zu heilen, sagt Nietzsche, ist Aufgabe des Philosophen als »Armenarzt des Geistes«.11 In diese Tradition einer therapeutischen Philosophie stelle auch ich mich.
Als Heilmittel gegen das Ressentiment hat Nietzsche den Perspektivwechsel vorgeschlagen: die Distanzierung von sich und die Einnahme eines anderen Blickwinkels. »Dem und Jenem«, schreibt er, »dessen Kopf durch Meinungen verstört ist, helfen, ohne dass er recht merkt, wer ihm geholfen hat! Nicht vor ihm Recht haben und einen Sieg feiern wollen, sondern so zu ihm sprechen, dass er das Rechte nach einem kleinen Fingerzeig oder Widerspruch sich selbst sagt und stolz darüber fortgeht«.12 Beides scheint mir sowohl für den reichen Pöbel als auch für seine Kritiker nötig zu sei, denn beide sind augenscheinlich im Ressentiment gefangen und leiden an einem schielenden Blick – sei es von unten oder von oben. Deshalb möchte ich im Folgenden den Versuch unternehmen, solch einen Perspektivwechsel anzuregen. Dazu muss man die Bedingungen der Kritik an den Reichen beleuchten u...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhalt
  2. Vorwort
  3. Kapitel 1: Der Pöbel brandmarkt den Pöbel – eine Einleitung
  4. Kapitel 2: Der Spekulant als Raubtier
  5. Kapitel 3: Das Band der Not und die Verklärung der Arbeit – über Markt und Sittlichkeit
  6. Kapitel 4: Vom spitzen Bleistift zum goldenen Zombie – über den Wandel des Porträts reicher Menschen
  7. Kapitel 5: Zucht und Degeneration – über die Affektpolitik des Geldes
  8. Kapitel 6: Freiheit, Kraft und Kooperation oder Moral für Herren und Sklaven
  9. Kapitel 7: Abspaltung und Projektion: die Dämonisierung des reichen Pöbels
  10. Kapitel 8: Der reiche Pöbel der Weltgesellschaft
  11. Kapitel 9: Die Herrschaft des Pöbels oder wie man der neuen Mitte den Garaus macht
  12. Kapitel 10: Über die Schwierigkeit, das Rad bei seinem Umschwunge auszutauschen
  13. Endnoten