Lernziele
Was man unter dem Begriff Fiskalpolitik versteht und warum die Fiskalpolitik ein wichtiges Instrument zur Bewältigung von wirtschaftlichen Schwankungen ist.
Welche Maßnahmen der expansiven Fiskalpolitik zuzurechnen sind und welche Maßnahmen zur restriktiven Fiskalpolitik zählen.
Warum die Fiskalpolitik einen Multiplikatoreffekt hat und wie dieser Effekt durch automatische Stabilisatoren beeinflusst wird.
Warum der Staat einen strukturellen Haushaltssaldo ermittelt.
Warum hohe Staatsschulden Anlass zur Sorge sein können.
Warum auch indirekte Zahlungsverpflichtungen des Staates Anlass zur Sorge sein können.
Zu klein oder zu groß?
Am 27. Februar 2009 unterzeichnete der damalige US-Präsident Obama den American Recovery and Reinvestment Act, der vorsah, mit einem Gesamtpaket in Höhe von 787 Milliarden Dollar, bestehend aus Investitionsausgaben, Unterstützungsleistungen und Steuererleichterungen, der US-amerikanischen Volkswirtschaft in der seit 2007 andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise unter die Arme zu greifen. Vor der Beschlussfassung im US-Kongress lobte Obama das Maßnahmenpaket und verwies darauf, dass das Vorhaben die erforderliche Größe, den notwendigen Umfang sowie die richtigen Ansatzpunkte habe, um der US-amerikanischen Volkswirtschaft wieder auf die Beine zu helfen.
Andere Politiker waren sich da nicht so sicher. Einige vertraten die Auffassung, dass der Staat in einer solchen Situation seine Ausgaben eher senken und nicht steigern sollte. Wenn die US-amerikanischen Haushalte in der Krise ihren Gürtel enger schnallen müssen, dann solle der Staat mit gutem Beispiel vorangehen, meinte z. B. John Boehner, damals Führer der Republikaner im US-Repräsentantenhaus. Wirtschaftsexperten warnten davor, dass das Konjunkturpaket zu einem Zinsanstieg führen und damit die Lasten der Staatsverschuldung verstärken würde.[1994]
Es gab aber auch kritische Stimmen, die bemängelten, dass das Maßnahmenpaket in Anbetracht der gravierenden wirtschaftlichen Probleme viel zu klein sei. Dazu gehörte auch Joseph Stiglitz, der im Jahr 2011 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde.
Im Rückblick lässt sich kein eindeutiges Urteil über Erfolg oder Misserfolg des Konjunkturpaketes fällen. Auf einen raschen und kräftigen Wachstumskurs, wie von US-Präsident Obama prophezeit, ist die US-amerikanische Volkswirtschaft nicht eingeschwenkt. Auch wenn die Wirtschaftskrise im Sommer 2009 mit Blick auf das BIP für beendet erklärt werden konnte, war die Arbeitslosigkeit in den Jahren 2011 und 2012 – als die Effekte des Konjunkturpaketes größtenteils ausgelaufen waren – noch immer hoch. Ausgeblieben ist allerdings auch der von Kritikern vorhergesagte Zinsanstieg, die Finanzierungskosten blieben im historischen Vergleich auf einem niedrigen Niveau.
Und so blieb das US-Konjunkturpaket umstritten. Während die kritischen Stimmen weiterhin die Auffassung vertraten, dass das Maßnahmenpaket es nicht geschafft hat, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln, verwiesen die Befürworter darauf, dass die Wirtschaftskrise ohne das Konjunkturpaket noch viel stärker ausgefallen wäre.[1995]
Unabhängig davon, wie das abschließende Urteil ausfällt – und darüber werden Ökonomen und Historiker wahrscheinlich noch in den nächsten Jahrzehnten diskutieren –, ist der American Recovery and Reinvestment Act ein klassisches Beispiel für Fiskalpolitik, der Versuch einer Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch Änderungen der Staatsausgaben oder der Steuern. In diesem Kapitel werden wir lernen, wie sich die Fiskalpolitik in den gesamtwirtschaftlichen Modellen der Kapitel 26 und 27 abbilden lässt. Dabei werden wir erfahren, warum Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung problematisch sein können und warum die Fiskalpolitik aus kurzfristiger und langfristiger Sicht unterschiedlich beurteilt wird.
28.1 Die Grundlagen der Fiskalpolitik
Jeder weiß, dass der Staat viel Geld ausgibt und viele Steuern einnimmt. In Abbildung 28-1 sind die Staatsausgaben und die Steuereinnahmen als Anteil am BIP für einige Länder mit einem hohen Einkommensniveau für das Jahr 2014 dargestellt. Wie man erkennen kann, ist der staatliche Sektor in Frankreich vergleichsweise groß und nimmt mehr als 50 Prozent der gesamten Volkswirtschaft ein. In den Vereinigten Staaten spielt der Staat eine wesentlich geringe Rolle als in Japan oder den meisten europäischen Ländern. In vielen modernen Volkswirtschaften ist die Größe des staatlichen Sektors beträchtlich, sodass der Staat eine wichtige Rolle in einer Volkswirtschaft spielt. Änderungen im Staatshaushalt – hervorgerufen durch Änderungen der Staatsausgaben oder der Besteuerung – haben damit eine große Wirkung auf die Volkswirtschaft.[1996]
Um diese Auswirkungen genauer zu analysieren, werden wir zunächst klären, wie Steuern und Staatsausgaben die Einkommensströme in der Volkswirtschaft beeinflussen. Danach wollen wir untersuchen, wie Ausgabenänderungen oder Änderungen im Steuersystem auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirken.
Die Staatsausgaben und die Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben sind als Prozentsatz des BIP dargestellt. Frankreich hat einen besonders großen staatlichen Sektor, was sich in einem Anteil der Staatsausgaben am BIP von fast 60 Prozent widerspiegelt. Der staatliche Sektor in den USA ist dagegen deutlich kleiner als in Japan und in den meisten europäischen Ländern.
Abb. 28-1 Staatsausgaben und Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben für ausgewählte Länder mit hohem Einkommen im Jahr 2014
Steuern, Käufe von Waren und Dienstleistungen, staatliche Transferzahlungen und Kreditaufnahme
In Abbildung 22-1 haben wir das Kreislaufmodell von Einnahmen und Ausgaben in einer Volkswirtschaft dargestellt. Einer der Sektoren in unserem Kreislaufmodell war der Staat. Dem Staat fließen Geldströme in Form von Steuern und Kreditmitteln zu. Kauft der Staat Waren und Dienstleistungen und leistet er Transferzahlungen an die Haushalte, fließen Geldströme ab.[1997]
Welche Steuern haben die Bundesbürger zu zahlen und wohin fließen die Steuerzahlungen? Abbildung 28-2 zeigt die Zusammensetzung der Steuereinnahmen für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2014. Steuern sind verpflichtende Zahlungen an den Staat. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es Gemeinschaftsteuern, Bundessteuern, Landessteuern und Gemeindesteuern. Zu den wichtigsten Gemeinschaftsteuern gehören die Lohn- und Einkommensteuer und die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer), die zu bestimmten Anteilen sowohl dem Bund als auch den Ländern und den Gemeinden zufließen. Einnahmen aus Bundessteuern wie der Energiesteuer, der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer gehen allein an den Bund, Einnahmen aus Landessteuern wie der Kraftfahrzeugsteuer oder der Erbschaftsteuer stehen den Ländern zu. Als Gemeindesteuern stellen die Grundsteuer und die Gewerbesteuer die wichtigste Einnahmequelle für die Gemeinden dar. Insgesamt betrachtet machen die Lohn- und Einkommensteuer, die Umsatzsteuer, die Energiesteuer und die Gewerbesteuer den Großteil der Steuereinnahmen des Staates aus. Bei den restlichen Steuereinnahmen sind vor allem die Körperschaftsteuer, die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer von Bedeutung.
Die Lohn- und Einkommensteuer, die Umsatzsteuer (inklusive der Einfuhrumsatzsteuer), die Energiesteuer und die Gewerbesteuer machen den Großteil der Steuereinnahmen aus. Bei den restlichen Steuereinnahmen sind vor allem die Körperschaftsteuer, die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer von Bedeutung.[1998]
Abb. 28-2 Die Zusammensetzung der Steuereinnahmen in der Bundesrepublik Deutschland 2014
Das System der Sozialen Sicherung umfasst alle Maßnahmen des Staates, die darauf zielen, die Mitglieder der Gesellschaft gegen wirtschaftliche Notlagen abzusichern.
Abbildung 28-3 zeigt die Zusammensetzung der Staatsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2011 (weil die Statistik umgestellt wird, sind keine aktuelleren Daten verfügbar). Die Staatsausgaben setzen sich aus den Ausgaben für den Kauf von Waren und Dienstleistungen, der Leistung von Transferzahlungen und Aufwendungen für Zinszahlungen durch den Staat zusammen. Beim Kauf von Waren und Dienstleistungen sind zunächst die Ausgaben des Staates für Bildung und Forschung sowie für Verteidigung zu nennen. Unter den weiteren Ausgaben sind vor allem die Ausgaben für Verwaltung, öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie für Verkehrs- und Nachrichtenwesen von Bedeutung. In modernen Volkswirtschaften machen jedoch Transferzahlungen den Großteil der Staatsausgaben aus. In der Bundesrepublik Deutschland entstehen Transferzahlungen hauptsächlich durch Ausgaben des Staates für die Soziale Sicherung, also Ausgaben für die Sozial- einschließlich Arbeitslosenversicherung. Das System der Sozialen Sicherung umfasst allgemein alle Maßnahmen des Staates, die darauf zielen, die Mitglieder der Gesellschaft gegen wirtschaftliche Notlagen abzusichern.
Die Ausgaben des Staates teilen sich auf in Ausgaben für den Kauf von Waren und Dienstleistungen, in Transferzahlungen sowie in Aufwendungen für Zinszahlungen. Beim Kauf von Waren und Dienstleistungen sind zunächst die Ausgaben des Staates für Bildung und Forschung sowie für Verteidigung zu nennen. Bei den weiteren Ausgaben sind vor allem die Ausgaben für Verwaltung, öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie für Verkehrs- und Nachrichtenwesen von Bedeutung. Transferzahlungen entstehen durch Ausgaben des Staates für die Soziale Sicherung. Die Aufwendungen für Zinszahlungen finden sich in der Ausgabenkategorie Allgemeine Finanzwirtschaft wieder.[1999]
Abb. 28-3 Die Zusammensetzung der Staatsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland 2011
Mit weit über 50 Prozent haben die Ausgaben für Soziale Sicherung den größten Anteil an den Ausgaben des Staates in der Bundesrepublik Deutschland. Der größte Teil der Ausgaben für die Soziale Sicherung entsteht durch Transferzahlungen im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Zinszahlungen auf die bestehenden Staatsschulden finden sich in den Ausgaben der allgemeinen Finanzwirtschaft wieder.
Auf welche Weise aber beeinflussen nun Staatsausgaben und Steuerpolitik die Volkswirtschaft? Die Antwort ist einfach: Steuern und Staatsausgaben haben einen großen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.
Der Staatshaushalt und die Gesamtausgaben
Rufen wir uns zunächst die grundlegende Gleichung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in Erinnerung:
| (28-1) | BIP = C + I + G + X – IM |
Auf der linken Seite der Gleichung steht das BIP, der Wert aller für den Endverbrauch bestimmten Waren und Dienstleistungen, die in der Volkswirtschaft hergestellt werden. Auf der rechten Seite der Gleichung befinden sich die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben, also die Gesamtausgaben für alle für den Endverbrauch bestimmten Waren und Dienstleistungen in der Volkswirtschaft. Die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben setzten sich aus den Konsumausgaben (C[2000]), den Investit...