Nachdem Sie im vorherigen Kapitel den Empathie-Akku kennengelernt haben, zeigen wir Ihnen nun Wege, wie Sie mit Selbstempathie den Zugang zu Ihren eigenen Bedürfnissen finden und Ihren Empathie-Akku wieder aufladen können. Dadurch können Sie wieder das Steuer in die Hand nehmen. Entscheiden Sie selbst mit klarem Kopf, welchen Kurs Sie jetzt einschlagen wollen.
In diesem Kapitel lesen Sie, wie Sie
Zugang zu Ihrem inneren Akku finden,
vom Ärger wieder zum Handeln kommen,
von Herzen Nein sagen können,
aus Misserfolgen Lernchancen machen und
clever entscheiden können.
Das Ladegerät anschließen
Unser Supervisor, der präfrontale Kortex, verliert im emotionalen Stress manchmal die Oberhand. In diesen Situationen regiert der Autopilot – der Hirnstamm zusammen mit dem limbischen System – mit seinem Überlebensmodus. Da bleibt uns oft nichts anderes übrig, als verbal zu kontern, die Flucht zu ergreifen oder in der Sprachlosigkeit zu erstarren. Man kommt ganz leicht ins Trudeln und eine sanfte Landung in der Situation rückt in die Ferne. Jeder Versuch, jetzt noch sachlich zu handeln, ist zum Scheitern verurteilt. Denn zum klaren Denken brauchen wir unseren Verstand, der jetzt nur eingeschränkt zur Verfügung steht.
Was jetzt hilft, ist Durchatmen. Ziehen Sie die Reißleine Ihres Fallschirms. Nehmen Sie wahr, wie Sie durch tiefe Atemzüge weg vom Kopf und langsam wieder in den Kontakt zu Ihrem Körper kommen. Jetzt öffnet sich der Fallschirm, entschleunigt Ihr Tempo und sorgt für eine weiche Landung.[50]
Lassen Sie sich auffangen und vertrauen Sie darauf, dass neben Ihrem Verstand noch etwas existiert, das für Sie arbeitet: Ihre Körperweisheit. Nur wenn Kopf, Herz und Bauch miteinander verbunden sind, können Sie aus Ihrem vollen Potenzial schöpfen.
Auf die Atmung kommt es an
Sicher kennen Sie die Einsicht, dass es Wunder wirken soll, drei Mal tief durchzuatmen, oder es dabei hilft, einer emotional geladenen Situation zu begegnen, wenn man innerlich von 1 bis 10 zählt. Diese Tipps sind in der Tat sehr kraftvoll. Doch der Atem alleine macht den Unterschied oft noch nicht aus. Da kann es schon einmal vorkommen, dass diese Vorgehensweisen lediglich eine ärgerliche Explosion verzögern. Es ist die Absicht, die mit dem Atem verbunden ist, die den Unterschied ausmacht. Was genau möchten Sie mit Ihrem Atem erreichen? Was soll er bewirken? Möchten Sie innerlich wieder ruhiger werden? Ihre innere Alarmglocke beschwichtigen und Ihrem Supervisor wieder das Zepter übergeben?
Hier ein paar Tipps, wie Sie Ihren Fallschirm rechtzeitig aktivieren und auch in schwierigen Situationen wieder sicheren Boden unter den Füßen bekommen können. Gleichzeitig laden Sie damit auch Ihren Akku auf.
Entschleunigung durch SAAT
Dieses Prinzip soll Ihnen in hektischen Momenten helfen, den ersten Stress zu überwinden und Zeit zu gewinnen.
Leitfaden: SAAT |
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| 1 | Situation erkennen | S |
| 2 | Atmen mit dem Fokus nach innen gerichtet | A |
| 3 | Annehmen, was ist | A |
| 4 | Time-out: wenn nötig, eine Auszeit nehmen | T[51] |
1. Situation erkennen (S)
Wie bereits erwähnt, geraten wir schnell ins bloße Reagieren, wenn der Autopilot erst einmal übernimmt. Erkennen Sie, wann es Zeit ist, die Reißleine zu ziehen. Warten Sie damit nicht bis kurz vor dem Aufprall. Ihr Körper kann Ihnen durch einen erhöhten Puls, eine flache Atmung, Hitze oder Schweißausbrüche schon frühzeitig anzeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist.
2. Atmen mit dem Fokus nach innen (A)
Die Atmung soll Sie dabei unterstützen, wieder ganz zu sich zu kommen. Richten Sie dabei Ihre Aufmerksamkeit von außen nach innen oder vom Kopf in den Körper. Verfolgen Sie dabei die Absicht, wieder ganz zu sich selbst zu kommen und Kontakt zu sich aufzunehmen. Manchmal hilft es, den Atem bewusst zu entschleunigen, durch die Nase ein und durch den Mund auszuatmen. Je besser es Ihnen gelingt, dabei in Ihr Herz und den Bauch zu atmen, desto größer ist die Chance, dass Sie innerlich wieder ruhig werden.
3. Annehmen, was ist (A)
Wehren Sie sich nicht gegen das, was gerade in Ihnen rumort. Sie haben genug mit der Situation zu tun. Sich gegen das eigene Befinden aufzulehnen, ist verschwendete Energie. Gestehen Sie sich stattdessen ein, dass Sie in diesem Moment vielleicht „ein Grummeln im Bauch“ haben oder dass es im Hals ganz eng ist. Das anzunehmen, was ist, ist eine Art der Zuwendung und bringt Entspannung.
4. Braucht es ein Time-out? (T)
Wenn Sie merken, dass Sie innerlich noch auf Hundert sind, dann gönnen Sie sich und Ihrem Gegenüber ein Time-out. Die Auszeit hilft, einen Raum für Selbstempathie zu schaffen und wieder zurück in die Mitte zu kommen. Das fördert einen guten Nährboden für konstruktive nächste Handlungsschritte.[52]
Beispiel:
Robert hat zusammen mit seiner Kollegin Sandra die Co-Leitung auf der Pflegestation in einem Altersheim. Da sich bei den Mitarbeitenden in den letzten Jahren einige Zeitguthaben angesammelt haben, beschließen sie gemeinsam, dass alle Mitarbeitenden dieses Jahr ihren gesamten Jahresurlaub nehmen müssen. Im Gespräch mit einer Mitarbeiterin, die sich nicht daran halten möchte, erfährt er, dass Sandra einer anderen Mitarbeiterin ohne Absprache eine Ausnahmeregelung gewährt hat. Robert spürt, wie Wut in ihm aufsteigt und er sich innerlich sagt: „Was fällt Sandra eigentlich ein?!?“ Er erkennt die Situation und merkt, dass sein innerer Supervisor gerade dabei ist, vor lauter Alarm die Oberhand zu verlieren. Er atmet tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Dies mit der Absicht, wieder mit sich in Kontakt zu kommen. Anstatt sich gegen die Gefühle zu wehren, nimmt er sie an. Denn die Gefühle sind da. Und sie sind stark. Schnell merkt er, dass das Weiterführen des Gesprächs im Moment nichts bringt und vertagt es auf morgen.
Haben Sie sich erst einmal für SAAT entschieden, dann machen Sie sich bewusst: Sie haben soeben zur Entschleunigung einer anspruchsvollen Lebenssituation beigetragen. Das alleine gilt es zu würdigen. Jetzt bekommt Ihre Amygdala Zeit, zur Ruhe zu kommen, und der innere Supervisor kann sich wieder einen Überblick verschaffen. Damit säen Sie einen Samen für zielführende nächste Handlungsschritte.[53]
KLEE – selbstempathische Fähigkeiten erweitern
Als Ergänzung zu SAAT haben wir den Code KLEE entwickelt. Erweitern Sie damit Ihre selbstempathischen Fähigkeiten und laden Sie Ihren Akku auf.
Leitfaden: KLEE |
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| 1 | Körper-Echo aktivieren | K |
| 2 | Liebevoll sich selbst begegnen | L |
| 3 | Emotionen benennen | E |
| 4 | Eintauchen in die Fülle der Bedürfnisse | E |
Auf das Echo des Körpers hören
(K = Körper-Echo)
Verschaffen Sie Ihrem Kopf für einen Moment eine Pause. Die Art, dem eigenen Körper auf annehmende Weise zuzuhören, ist erlernbar. Unter dem Namen Focusing wurde sie von dem Psychologen Eugene Gendlin in den 1960er Jahren entwickelt. Jetzt dürfen Sie sich die Weisheit Ihres Körpers zunutze machen. Denn wenn Sie in ihn hineinfühlen und -hören, sagt Ihnen Ihr Körper-Echo, wie es Ihnen wirklich geht und was Sie brauchen:
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit von außen nach innen. Laden Sie alle Ihre Körperreaktionen als willkommen ein.
Atmen Sie bewusst tief ein und aus. Folgen Sie dabei Ihrem Atem in die unterschiedlichen Körperregionen, beginnend am Kopf, und gehen Sie Schritt für Schritt bis hinunter zu den Füßen: Was braucht gerade Ihre Aufmerksamkeit?
Was immer sich zeigt, nehmen Sie es wahr, ohne zu bewerten oder zu verurteilen. Wenden Sie sich dieser Körperempfindung neugierig und interessiert zu.
Dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Teil Ihres Körpers, der sich am stärksten bemerkbar macht und widmen Sie ihm für einen Moment Ihre fürsorgliche Achtsamkeit.[54]
Fragen Sie diesen Körperteil, wie er sich von seinem Standpunkt aus fühlt. Ist da etwas Trauriges, Bedrücktes oder sonst eine Emotion? Geben Sie dem Raum, was sich jetzt zeigen will, und nehmen Sie an, was ist.
Beispiel:
In der Mittagspause setzt sich Robert auf eine Parkbank und wendet die Körper-Echo-Technik an. Er stellt sich vor, er würde von oben nach unten von einem Computertomographen gescannt, und folgt dabei seinem Atem. Er stellt fest, dass ihm etwas im Magen liegt. Es fühlt sich wie ein faustgroßer Stein an. Am liebsten würde er ihn verschwinden lassen. Da schaltet sich sein Kopfkino postwendend ein und er schiebt Sandra die Schuld für dieses unangenehme Gefühl in die Schuhe: „Hätte sie sich an die Regel gehalten, hätte ich jetzt diesen Ärger nicht!“ Das verstärkt das unangenehme Gefühl im Magen. Er besinnt sich darauf, seine Aufmerksamkeit wieder zurück in die Bauchregion zu lenken und dem Stein für einen Moment seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er gesteht ihm zu, einfach da zu sein. Dabei atmet er bewusst ein und aus und behält die Brille der Neugierde an. „Wie fühlt sich dieser Teil jetzt?“ „Schwer und besorgt“, kommt als innere Antwort. Diese Erkenntnis entspannt ihn ein wenig.
Fällt es Ihnen schwer, Ihre Gefühle zu orten und wahrzunehmen? Dann erinnern Sie sich vielleicht an Redewendungen, die Sie gele...