I. Verschränkungen
1. Einführung in die Thematik
Einer der ersten Physiker, die auf fragwürdige Weise argumentiert haben wie Geist und Materie zusammenhängen, war Capra mit seinem ‘Tao der Physik’, in dem dieser nicht uninteressant die Frage der Raum-Zeit-Problematik mit den Auffassungen der Leere im Zen Buddhismus verglich.1 Auch fragte er sich, ob die Quark-Symmetrie (also die Ordnung kleinster Elementarteilchen) nicht ein neues Koan ist, also aufgebaut wie ein Zen buddhistisches Rätselwort. Viele Esoteriker, sogenannte Quantenpsychologen und andere Autoren sind ihm hinsichtlich dieser Analogien gefolgt, ja haben sie sogar als etwas Identisches sehen wollen. Wenn ich hier neben etlichen anderen Aspekten die Psychoanalyse Lacans2 und die physikalische String Theorie (sowie auch andere moderne Theorien wie die Supersymmetrie und Theorien zur sogenannten ‚Verschränkung)) vergleiche, scheine ich das Gleiche vorzuhaben. Doch die faszinierende Gemeinsamkeit zwischen beiden erwähne ich aus einem ganz anderen Grund.
Die Psychoanalyse ist enorm sprachbezogen, Lacan hat sich durch den Einbezug der Linguistik ganz auf den Begriff der Signifikanten gestützt, um dieses Wort-Wirkende differenzierter auszudrücken. Trotzdem kommt auch bei ihm das Bild-Wirkende zu kurz, so sehr er es auch durch den Bezug zur Topologie, Knotentheorie und seiner ‚Faden-Geometrie‘ berücksichtigt hat. Er weist zwar gelegentlich auch auf den ‚imaginären Signifikanten‘, also exakt auf dieses Bild-Wirkende hin, aber der sprachliche Signifikant überwiegt in seinen Ausführungen erheblich. Die Unterscheidung dieser zwei Schwerpunkte hat mit dem Trieb-Struktur-Konzept der Psychoanalyse zu tun, das laut Freud auf zwei Grundtriebe zurückführbar ist. Es geht um den Eros-Lebens- und den Todes-Trieb, deren Thematisierung unbefriedigend blieb. Lacan setzte diesem Konzept den des Wahrnehmungs-Schautriebs (schon von Freud so beschrieben) und des Entäußerungs-Sprechtriebs (Invokationstrieb) gegenüber. Nun passte ersterer zum Bild-Wirkenden, Imaginären, letzterer zum Wort-Wirkenden, Symbolischen (Sprachlichen).
Die enorme Sprachbezogenheit der Psychoanalyse beherrscht auch die Praxis. So werden selbst Traumbilder ganz nach ihrer sprachlich-symbolischen Aussage bewertet und nicht nach ihrem Bildgehalt. Als ein Patient berichtete, er habe von ‚van Houten‘, einer Kaukau-Marke geträumt, fragte Freud nach: „Wen haut denn die Mutter“? Genial oder zu sehr wortversessen? In Freuds Schrift ‚Zur Psychologie des Alltagslebens‘ finden sich mehrere solcher Deutungen, die, selbst wenn sie wortversessen waren, sich doch therapeutisch von großen Nutzen erwiesen. Dennoch möchte ich die Praxis um eine Bild-Blick-Bezogenheit erweitern, obwohl letztlich der Symbol-Wort-bezogenheit – einem typischen Ausdruck folgend – das letzte Wort gebührt. Mit Topologie und ‚Faden-Geometrie‘ alleine wird sich die Praxis nicht füllen lassen. Selbst Mathematik benötigt für ihre aus dem Arabischen übernommenen Bild-Zeichen (1, 2, 3, etc.) sprachlich formulierte Axiome, wie auch die Strings, die Fäden der String Theoretiker, erklärende Worte brauchen.
Aber als Bild sind sie faszinierend (mathematisch konstruierte Zeichnungen unter String Theorie/Bilder im Internet). Die Stringtheorie ist also eine Errungenschaft der modernen Physik, der es annähernd gelungen ist, die Einstein’sche Relativitätstheorie (vereinfacht: die Theorie des ganz Großen, also der Sterne und der Gravitation) und die von N. Bohr begründete Quantenmechanik (Theorie des ganz Kleinen, also der Elementarteilchen) zu vereinen.3 Fast ein Jahrhundert hat man damit leben müssen, dass von diesen beiden physikalischen Konzepten jedes für sich richtig und schlüssig war, es aber unmöglich schien, sie zu verbinden. Obwohl sie der gleichen Naturwissenschaft und Mathematik angehören und sich mit den letztlich gleichen Substanzen des Universums befassten, ließen sie sich nicht verheiraten bzw. vereinen (wenn ich das einmal so lasziv sagen darf).
Der String Theorie könnte das Problem der sogenannten Dunklen Materie und Dunklen Energie in etwa klären. Dunkle Materie und Energie sind schon seit langem als rätselhafte Monster im Universum bekannt, denn sie nehmen ein Mehrfaches der sichtbaren Materie und der messbaren Energie ein. Die Dunkle Materie lässt sich z. B. dadurch nachweisen, dass sie eindeutige Schwerkraftwirkungen zeigt. Es muss sie also wirklich geben, aber man kann sie nicht sehen, da sie kein Licht und keine Strahlung aussendet. Bei der Dunklen Energie ist es ähnlich, da man sie zur Erklärung der Expansion des Universums benötigt. Was treibt die Sterne auseinander, wo alle ihre Kräfte nur untereinander Effekt haben.
Die diesbezügliche Hilfe der String Theorie besteht darin, dass sie von einem Multiversum ausgeht, das sich aus zwei, drei oder mehr Universen zusammensetzt und eines dieser Teiluniversen (sagen wir z. B. das unsrige) mit einem anderen derartigen Teil-bzw. Paralleluniversum in einer ganz bestimmten minimalen Form wechselwirkt. Die Wechselwirkung wird in erster Linie von den Schwerkraftwellen oder Schwerkraftteilchen (auch Gravitonen genannt) getragen. Doch wie, war bisher ein Geheimnis. Die Strings sind eine Art ultrahauchdünner Fäden, gespannter Saiten, die schwingen und auch ultralang sein können und somit das Wesen der Elementarteilchen ausdrücken. In ihrer geschlossenen Form, in der sie sich also rund schließen, haben sie mit der Gravitation zu tun und stellen zum Paralleluniversum die Hauptverbindung her. Diese Verbindung, dieser Verbindungsgang oder diese Durchtunnelung, die wegen ihrer Kleinheit auch „Wurmloch“ genannt wurde, ist nicht nachweisbar und wird es vielleicht auch nie sein, aber wenn man doch sehr plausibel auf sie schließen kann, hat sie eine große Bedeutung.
Über diese Durchtunnelungs-Verbindung kommt eben Schwerkraft, Wirkung großer Massen und Energien, die dunkel bleiben, in unser Universum. Kurz: unser Dasein, wie es sich hier auf der Erde sich abspielt, wird zu einem größeren Teil von einer Welt her gesteuert, zu der es von uns aus gesehen nur einem äußerst minimalen Zugang gibt. Diese andere Welt, die selbst auch Massen und Energien beherbergt, mutet wie das Jenseits an, das die Religionen schon seit Jahrtausenden als den uns dominierenden ‚Himmel‘ bezeichnet haben. Die Hauptkräfte liegen drüben auf der anderen stets unbekannten Seite, und nur durch den engen Tunnel einer Offenbarung gibt es Kontakt dorthin. Und hier kann ich jetzt auch den Sprung zur Psychoanalyse Lacans machen (nochmals: es wird keine Esoterik sein).
Auch in der Psychoanalyse Lacans gibt es eine dunkle, schwer sichtbar zu machende Verbindung, die äußerst zutreffend den Namen ‚Wurmloch‘ verdienen würde. Es ist die Verbindung vom Ich und seinen bewussten Gefühlen und Gedanken zum bis heute noch rätselhaft gebliebenen Unbewussten durch eben solche sehr ähnliche Durchtunnelungen, die Lacan „défilés signifiantes“ nennt.4 Das Unbewusste ist nicht das Unterbewusste, wie oft berichtet wird. Das Unbewusste ist in einer recht krassen Weise unbewusst, es wirkt wie ein Paralleluniversum in uns selbst und wie das physikalische Paralleluniversum lässt es sich nur indirekt nachweisen. In Träumen, Versprechern, Fehlleistungen und spontanen, unbedachten Assoziationen des Patienten in der psychoanalytischen Sitzung kommt dieses tiefenseelische Paralleluniversum manchmal heraus. Mehr und mehr zeigt es seine unglaublich starke und vielseitige Wirkung auf das Bewusste. Können nicht Bilder manchmal alles besser erklären?
Genauso wie in der Astrophysik die Dunkle Materie mehr Raum und Zeit einnimmt als die sichtbare, so hat das Unbewusste wohl auch weitaus mehr Geltung und Wirkung als unser Ich samt seinen Attributen. Und tatsächlich scheint das Ganze also wie durch ein „Wurmloch“, ein ‚défilé‘, einen Engpass, von statten zugehen, wobei man das Gefühl hat, dass schon dieser Aspekt allein die Andersheit dieses Gegenuniversums darstellt. Lacan spricht hier auch von den „défilés logiques“, den logischen Engführungen, logischen Durchtunnelungen, durch die unbewusste Bedeutungen sich – wohl durch so etwas wie einen ‚linguistischen Kanal‘ – hindurch quälen. Auch hier scheint das Wort ‚Engführung‘, ‚défilé‘, schon alles zu sagen. Hier wird etwas wie durch den Fleischwolf gedreht, und ist es nicht dieser selbst, der die Haupt-Bedeutung in sich trägt? Ist er doch zudem auch noch ‚Wurm‘, das klassische ‚phallische Symbol, das Lacan mit dem großen griechischen Buchstaben Φ (Phi) schreibt!
Wenn die Strings von den Physikern selbst als schwingende Saiten bezeichnet werden, dann ist die „défilés signifiantes“ so etwas wie ein Musikinstrument, das bei Lacan auch „symbolischer Automatismus“ heißt. Lacan hatte diesen Automatismus, diese ‚Lautrhythmik‘ mit dem Pluszeichen (+) für sprachliche Anwesenheit und dem Minuszeichen (-) für Abwesenheit markiert, und dann aus alternierenden Gruppenverteilungen (+++ oder ---, +-+ oder -+-, sodann ++- , --+, -++, +--) weiter Ketten formiert, so dass eine dem Symbolischen entsprechende Systematik entstand. Das Gegenuniversum scheint nämlich genauso wie das psychoanalytische Sprechzimmer aus Klängen zu bestehen wie in dem Kapitel mit dem ‚Zirpen der Neutronensterne‘ noch beschreiben will.
Viele psychoanalytische Autoren haben diesbezüglich ebenfalls von ‚Laut‘- und ‚Klang‘-Strukturen des Unbewussten gesprochen. Die Psychoanalytikerin S. Maiello hat beispielsweise aus ihrer Arbeit mit psychisch gestörten Patienten heraus das „Klang-Objekt“ als eines der ersten seelisch-psychischen ‚Objekte‘ des Menschen beschrieben. Das „Klang-Objekt“ stellt exakt jenen frühzeitig auftretenden Vorgang dar, der mit „Widerhalleffekten“ von Mutter und Kind noch vor der Geburt, mit den Echo-Neuronen oder der ersten Signifikanten-Kombination beschrieben ist. Maiello geht davon aus, dass das Kind durch die Wahrnehmung erster Klanggeräusche, wie etwa der Stimme der Mutter, ihres Herzschlags etc., durch Laute also, deren Einordnung in das beim Menschen bereits früh ausgeprägte Hör-Sprech-System schon während der Schwangerschaft stattfindet, dieses echoartige seelische ‚Objekt‘ aufbaut.5
Abb. 1 Dreimannigfaltigkeit und Kleinsche Flasche
Ich bin etwas zu rasch vorangegangen. Ich wollte eigentlich nur die enge, ‚naive‘ Analogie der physikalischen und psychoanalytischen ‚défilés‘ vorstellen und bin dann auch noch zusätzlich bei Analogien zur Musik, Klangstrukturen und Lacans Signifikanten gelandet. Nun haben Lacans Signifikanten nicht nur Nähe zu Klangphänomenen, Lacan bezeichnet sie auch als ‚akustisches Bild‘, denn sie haben Akustik (Schwingung) und das Aussehen geometrischer Linien (Saiten), also Optik. Die Linien sind topologisch gewoben. Lacan ist wie gesagt Topologe, er ist oder genauer war ein Anhänger dieser Einstein’schen Geometrie, auch – wie im Vorwort auf Seite 2 gesagt – Gummigeometrie genannt. Für Lacan ist beispielsweise das Loch einfach grundsätzlich der Anfang von allem, oder noch besser: alles beginnt mit der Rand-Linie eines Lochs, einer Leere. Zur Illustration zeige ich daher gleich jetzt schon eine Abbildung (siehe oben) , die von dieser Wissenschaft, von dieser Topologie, eine Kleinigkeit vermittelt.
Die Abbildung 1 stellt zwei topologische Figuren dar, die dieses Loch-Rand-Phänomen zeigen. Das Loch der Kleinschen Flasche z. B. besteht nur aus Rand, da das eigentliche Loch wieder in sich zurückfließt. Auch die linke Figur mit ihren sich zudem noch drehenden Schichtungen ist den als 3-Mannigfaltigkeit bezeichneten Figuren gleichwertig. Für Lacan gibt es nun also gleich zu Beginn, diese Lücke, das Loch, den Mangel in Form eines derartigen Randes. „Etwas fehlt an seinem Platz“, sagt Lacan, und damit nimmt das Paradoxe seinen Lauf. Das Loch mit seinem Ring-Rand bestimmt den Anfang. Nicht mit etwas, sondern mit dem die Leere, mit einer die primäre Kluft umspannenden Rand, mit dem Nichts oder der Minus Eins beginnt die Welt und das Leben. Wirklich seltsam, aber vielleicht auch originell.
Doch wenn man die String Theorie die Supersymmetrie und die Schleifenquantengravitation kennt, wundert es einen nicht, dass auch hier, in der Astrophysik, alles so, also in Form einer Topologie, beginnt. Denn auch die String Theoretiker benutzen die gleiche Topologie, um ihre Vorstellungen als Realität anschaulich zu machen. Man könnte es auch so sagen: in der Astrophysik fehlt nicht unbedingt etwas an seinem Platz, sondern dieses Etwas befindet sich eben woanders, in der Parallelwelt, die scheinbar nicht sichtbar ist. Es befindet sich anderswo, nämlich in der Mathematik, Topologie oder im Hypersphärischen. Vielleicht auch im menschlichen Gehirn oder im Unbewussten? Zwar fehlt auf jeden Fall in der Astrophysik jeglicher Hinweis, jeder Zusammenhang mit dem menschlichen Subjekt als solchem, also als einer durch Signifikanten bestimmten Wesenheit. Doch dass solch ein Zusammenhang fehlt, heißt nicht, dass er keine s...