Die Abtei von Northanger
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Die Abtei von Northanger

  1. 300 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die Abtei von Northanger

Über dieses Buch

Kloster Northanger ist ein unterhaltsamer, erzähltechnisch erstaunlich moderner Roman, der ganz nebenbei die vornehme britische Gesellschaft mit ihren Sprach- und Lese-Konventionen auf den Arm nimmt. Jane Austens postum erschienenes Werk Kloster Northanger ist der erste ihrer Romane, den die Autorin zur Veröffentlichung bestimmte.

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Information

Verlag
mehrbuch
Jahr
2020
eBook-ISBN:
9783969443033

Siebentes Kapitel

In einer halben Minute hatten sie den Brunnenhof durchquert und den Bogengang gegenüber der Union-Passage erreicht. Dort wurden sie aufgehalten. Wer schon einmal in Bath war, wird sich der Schwierigkeiten erinnern, die das Überqueren der Cheap Street an dieser Stelle bietet. Diese Straße ist tatsächlich so heimtückisch und in so unglücklicher Weise mit den Durchgangsstraßen von London und Oxford verbunden -und hier liegt auch der größte Gasthof des Ortes -, daß kein Tag vergeht, an dem nicht ganze Gruppen von Damen durch Kutschen, Reiter und Wagen in ihren wichtigsten Besorgungen aufgehalten werden, die darin bestehen, noch einiges Gebäck einzukaufen, nach einer Putzmacherin oder - wie in diesem Falle - nach zwei jungen Männern auszuschauen. Diesen Übelstand beklagte Isabella täglich wiederholt und heute erneut; denn als sie die Union Street erreichten und die Herren wieder sichteten, die sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnten, wurden sie am Übergang durch ein herannahendes Gig gehindert, das auf dem schlechten Pflaster von einem höchst verwegen aussehenden Kutscher in einer Geschwindigkeit gelenkt wurde, die sein und seiner Gefährten Leben sowie das des Pferdes aufs stärkste gefährdete.
»Oh, diese entsetzlichen Gigs!« rief Isabella aufblickend, »Wie ich sie hasse!« Aber diese gerechte Abneigung dauerte nur kurze Zeit, denn nach einem zweiten Blick rief sie: »Entzückend! Mr. Morland und mein Bruder!«
»Guter Gott! Es ist James!« stammelte Catherine. Aber im gleichen Augenblick hatten die jungen Leute sie auch schon entdeckt und das Pferd mit einer Heftigkeit zum Stehen gebracht, daß es fast auf die Hinterhand niederging. Die Herren sprangen heraus, der Diener eilte herbei, und sie übergaben den Wagen seiner Aufsicht.
Catherine kam diese Begegnung völlig unerwartet, und sie begrüßte ihren Bruder mit lebhafter Freude; da er seinerseits auch ein freundlicher Mensch und seiner Schwester herzlich zugetan war, äußerte er die gleiche Freude. Währenddes forderten die blitzenden Augen von Miß Thorpe seine Aufmerksamkeit ständig für sich. Er kam dieser Forderung mit einer Freude und Verlegenheit nach, die Catherine hätte zeigen müssen, daß ihr Bruder Miß Thorpe mindestens ebenso hübsch fand, wie sie es tat, hätte sie sich nur in den Gefühlen anderer Menschen besser ausgekannt.
John Thorpe hatte derweil dem Kutscher Anweisungen wegen des Pferdes gegeben. Er gesellte sich nun zu ihnen, und während er Isabellas Hand nur oberflächlich und nachlässig berührte, zollte er Catherine sogleich die schuldige Aufmerksamkeit und brachte es zu einem tiefen Kratzfuß und einer halben Verbeugung. Er war ein untersetzter, mittelgroßer junger Mann, der wegen seines unansehnlichen Gesichtes und seiner ungelenken Figur zu fürchten schien, man könne ihn für zu schön halten, wenn er nicht den Anzug eines Stallknechtes trüge, und er sehe einem Edelmann zu ähnlich, wenn er nicht nonchalant wäre, wo Höflichkeit angebracht war, oder unverschämt, wo er vielleicht nonchalant sein durfte. Er zog seine Uhr aus der Tasche: »Schätzen Sie einmal, Miß Morland, wie lange haben wir wohl von Tetbury hierher gebraucht?« »Ich kenne die Entfernung nicht.« Ihr Bruder bemerkte, es seien dreiundzwanzig Meilen.
»Dreiundzwanzig Meilen?« rief Thorpe, »fünfundzwanzig auf den Zoll.« Morland wehrte ab und berief sich auf die Autorität von Landkarten, Gastwirten und Meilensteinen; aber sein Freund spottete ihrer aller. »Ich weiß, es müssen .fünfundzwanzig sein«, bekräftigte er, »nach der Zeit, die wir gebraucht haben. Es ist jetzt halb zwei, und als wir aus dem Hof des Gasthauses in Tetbury fuhren, schlug die Rathausuhr gerade elf. Das macht genau fünfundzwanzig Meilen.«
»Du hast dich um eine Stunde geirrt«, sagte Morland; »wir fuhren um zehn von Tetbury ab.« »Zehn Uhr? Nein, es war elf! Ich habe doch die Schläge gezählt. Ihr Bruder möchte mich am liebsten um den Verstand reden, Miß Morland. Sehen Sie sich nur mein Pferd an. Haben Sie je in Ihrem Leben ein Tier gesehen, das mehr für Geschwindigkeit geboren ist? (Der Diener war gerade aufgestiegen und fuhr von dannen.) Reines Vollblut! Drei und eine halbe Stunde und nur dreiundzwanzig Meilen! Sehen Sie sich das Tier an, und glauben Sie es, wenn Sie können!« »Es sieht zumindest sehr erhitzt aus.«
»Erhitzt? Es hatte bis zur Kirche von Walcot kein feuchtes Haar. Aber sehen Sie sich seine Vorderhand an, seine Weichen, seinen Gang; das Pferd kann einfach nicht langsamer traben als zehn Meilen die Stunde. Binden Sie ihm die Beine zusammen, es wird dennoch vorwärtskommen. Und was halten Sie von meinem Gig, Miß Morland? Hübsch, nicht wahr? Hängt gut; für die Stadt gebaut. Ich habe es noch keinen Monat. Es war für einen Studenten vom Christ Church College gebaut, er ist ein Freund von mir, ein sehr netter Bursche. Er fuhr den Wagen nur ein paar Wochen und wollte ihn dann wieder loswerden. Ich suchte gerade nach irgendeinem leichten Gefährt, obgleich ich mich eigentlich schon für ein Kabriolet entschlossen hatte. Zufällig traf ich ihn an der Magdalenenbrücke, als er nach Oxford hineinfuhr. >Ach, Thorpe<, sagte er, >möchtest du nicht so ein leichtes Ding wie dieses? Es ist einzig in seiner Art, aber ich habe es verflucht satt.< - >Oh, verdammt sagte ich, >da mach ich mit. Was verlangst du dafür?< Und wieviel glauben Sie, Miß Morland, forderte er?«
»Das kann ich nicht erraten.«
»Gefedert wie ein Kabriolet, sehen Sie; Sitz, Koffer, Degenkasten, Spritzleisten, Lampen, Silberbeschlag, alles dran; das Eisenwerk ist so gut wie neu oder noch besser. Er verlangte fünfzig Guineen. Wir wurden sofort handelseinig. Ich legte das Geld auf den Tisch, und der Wagen war mein.«
»Und ich bin gewiß so unerfahren«, erwiderte Catherine, »daß ich nicht einmal sagen kann, ob es billig war oder teuer.«
»Keins von beiden. Wahrscheinlich hätte ich ihn auch billiger bekommen können; aber ich hasse das Feilschen, und der gute Freeman brauchte Moneten.«
»Das war aber freundlich von Ihnen«, sagte Catherine beifällig.
»Verdammt noch mal, wenn man die Mittel hat, einem Freund etwas Gutes zu tun, bin ich nicht kleinlich.«
Bei dieser Gelegenheit wurden die Damen nach ihren weiteren Plänen gefragt, und als man von ihrer Absicht erfuhr, beschloß man, sie zu den Edgarvillen zu begleiten und Mrs. Thorpe aufzuwarten. James und Isabella gingen voran. Die junge Dame war zufrieden mit ihrem Los und sehr darauf bedacht, einem jungen Mann den Weg so angenehm wie möglich zu machen, der den großen Vorzug genoß, gleichzeitig der Freund ihres Bruders und der Bruder ihrer Freundin zu sein. Ihre Gefühle waren so rein und bar jeder Koketterie, daß ihr beim Überholen der beiden aufdringlichen jungen Leute in der Milsom Street nichts daran lag, deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sie sich nur dreimal nach ihnen umsah.
John Thorpe hielt sich selbstverständlich neben Catherine und nahm nach kurzem Schweigen seine Unterhaltung über sein Gig wieder auf. »Auch andere Leute halten den Wagen für billig, wie Sie daraus ersehen, daß ich ihn am nächsten Tage zehn Guineen teurer wieder hätte verkaufen können. Jackson vom Oriel College bot mir sogleich sechzig. Morland war damals gerade dabei.«
»Ja«, warf Morland ein; »aber du vergißt, daß der Gaul einbegriffen war.«
»Mein Pferd! Oh, verdammt noch mal! Mein Pferd gäbe ich nicht für hundert her. – Fahren Sie gern im offenen Wagen, Miß Morland?«
»Ja, sehr! Ich habe so selten Gelegenheit dazu; aber ich tue es für mein Leben gern.«
»Das freut mich. Ich will Sie jeden Tag spazierenfahren.«
»Vielen Dank!« entgegnete Catherine ziemlich betrübt, da sie nicht genau wußte, ob die Annahme eines solchen Angebotes schicklich war.
»Morgen fahre ich Sie den Landsdown-Weg hinauf.«
»Vielen Dank, aber Ihr Pferd braucht doch ein wenig Ruhe.«
»Ruhe! Es ist heute doch nur dreiundzwanzig Meilen gelaufen. Unsinn! Gerade die Ruhe schadet den Pferden; nichts gibt ihnen so schnell den Rest. Nein, nein, ich werde meines während des hiesigen Aufenthaltes wenigstens vier Stunden lang täglich bewegen.«
»Wirklich?« fragte Catherine ernsthaft, »Das wären vierzig Meilen jeden Tag.« »Vierzig, ja, oder auch fünfzig. Was macht mir das aus! Ich werde Sie morgen nach Landsdown hinauffahren. Also denken Sie daran. Ich habe mir das vorgenommen.« »Wie reizend wird das sein«, rief Isabella und wandte sich zurück. »Meine liebste Catherine,
ich beneide dich ordentlich. Aber ich fürchte, daß für drei der Platz nicht reicht.« »Für drei? Nein, unter keinen Umständen. Ich bin auch nicht nach Bath gekommen, um meine
Schwestern spazierenzufahren. Das wäre ein netter Spaß! Für dich muß Morland sorgen.« Darauf tauschte das andere Paar einige Höflichkeiten; aber Catherine konnte weder Einzelheiten noch das Ergebnis erhaschen. Die Unterhaltung ihres Begleiters änderte sich jetzt. Von der vorherigen Lebhaftigkeit wechselte er zu kurzen, bestimmten Ausrufen des Wohlgefallens oder der Ablehnung über das Gesicht jeder ihnen entgegenkommenden Frau. Catherine hörte beipflichtend zu, solange sie es vermochte; denn sie fürchtete, eine eigene Meinung auszusprechen, die womöglich der eines selbstbewußten jungen Mannes widerspräche, zumal in Fragen der Schönheit des eigenen Geschlechtes. Schließlich aber wagte sie doch, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken durch eine Frage, die ihr schon geraume Zeit auf der Seele gebrannt hatte: »Haben Sie auch >Udolpho< gelesen, Mr. Thorpe?«
»>Udolpho<? Oh, ich, nein! Ich lese niemals Romane! Ich habe Besseres zu tun.« Catherine war gedemütigt und schämte sich. Sie setzte schon zu einer Entschuldigung an, als er sagte: »Romane sind so flach und ohne jeden Sinn. Seit >Tom Jones< ist kein anständiger mehr geschrieben worden, außer dem >Mönch<, wie ich neulich las. Aber alle anderen sind der größte Blödsinn der gesamten Schöpfung.«
»Ich glaube, >Udolpho< würde Ihnen aber doch gefallen, wenn Sie ihn läsen. Es ist so interessant.«
»Nein, mir nicht! Bestimmt nicht! Wenn ich überhaupt Romane lese, dann nur die von Mrs. Radcliffe. Ihre Romane sind ganz lustig. Sie sind noch lesenswert; sie machen wenigstens ein bißchen Spaß und sind obendrein natürlich.« . »Aber >Udolpho< ist ja von Mrs. Radcliffe«, meinte Catherine zögernd, in der Furcht, ihn zu beschämen. »Nein, wirklich? Ach ja, ich entsinne mich, das stimmt ja auch. Ich dachte an das andere alberne Buch von der Frau, um die man so viel Wesens macht. Wissen Sie, die den französischen Emigranten geheiratet hat.« »Oh, meinen Sie >Camilla<?«
»Ja, das ist es. Solch unnatürliches Zeug! Ein alter Mann, der auf die Schaukel geht. Ich blätterte einmal im ersten Band, aber ich erkannte schnell, daß es nichts taugt; ich wußte eigentlich schon vorher, was es für ein Unsinn war, ehe ich es wirklich gesehen hatte. Als ich nur hörte, sie habe einen Emigranten geheiratet, war ich vollkommen sicher, daß ich es nie zu Ende bringen würde.« »Ich habe es nie gelesen.«
»Das ist auch kein Verlust! Es ist das größte Gewäsch, das Sie sich vorstellen können. Es kommt nichts anderes drin vor, als daß ein alter Mann sich auf die Schaukel setzt und Latein lernt. Wirklich, so ist es.«
Unter solchen kritischen Betrachtungen langten sie vor Mrs. Thorpes Wohnung an, und die Gefühle des selbstbewußten, unvoreingenommenen Lesers der »Camilla« wichen denen des liebevollen und pflichtbewußten Sohnes. Sie begegneten Mrs. Thorpe auf dem Korridor, die sie schon von oben recht lebhaft begrüßt hatte. »Ah! Mutter! Wie geht es?« fragte er und schüttelte ihr herzhaft die Hand. »Wo hast du diesen scheußlichen Hut erstanden? Du siehst damit aus wie eine alte Hexe. Hier ist auch Morland. Wir wollen ein paar Tage bei euch bleiben. Du mußt dich also irgendwo nach ein paar guten Betten umsehen.« Diese Art der Begrüßung schien alle liebevollen Wünsche der Mutter zu befriedigen, denn sie hieß ihn mit begeisterter und überschwenglicher Liebe willkommen. Darauf schenkte er seinen beiden jüngeren Schwestern ähnliche Zärtlichkeit und stellte gelassen fest, sie seien beide außerordentlich häßlich.
Seine Art sagte Catherine gar nicht zu; immerhin, er war James’ Freund und Isabellas Bruder. Ihr Urteil milderte sich durch Isabellas Versicherung, John hielte sie für ein äußerst reizendes Mädchen, wie ihr berichtet wurde, als sie sich zurückzogen und den neuen Hut bewunderten. Auch bat John sie, mit ihm zu tanzen. Diese Angriffe hätten wenig bedeutet, wenn sie älter oder eitler gewesen wäre. Aber wo sich Jugend mit Schüchternheit paart, bedarf es einer ungewöhnlichen Festigkeit, um dergleichen Schmeicheleien zu widerstehen. Nach dieser bei den Thorpes verbrachten erfolgreichen Stunde begaben sich die beiden Morlands zu Mr. und Mrs. Allen. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, meinte James: »Nun, Catherine, wie gefällt dir mein Freund Thorpe?« Worauf sie sogleich erwiderte: »Er gefällt mir sehr gut, er ist sehr angenehm«, anstatt zu sagen: »Ich mag ihn gar nicht«, was sie wohl getan hätte, wenn sie nicht sowohl Freundschaft wie Schmeichelei erlegen wäre.
»Er ist der gutmütigste Kerl, der je gelebt hat; ein wenig prahlerisch; aber das liebt ihr Frauen ja! Und wie gefällt dir die übrige Familie?«
»Sehr, sehr gut, wirklich - und Isabella ganz besonders.«
»Das höre ich gerne, sie ist die geeignete Freundin für dich, so vernünftig, natürlich und liebenswürdig. Ich hatte schon immer gewünscht, ihr möchtet einander kennenlernen. Und sie scheint dich auch sehr zu schätzen. Sie lobte dich in den höchsten Tönen. Und auf ein Lob von Miß Thorpe kannst sogar du, Catherine, stolz sein.« Dabei nahm er ihre Hand liebevoll in die seine.
»Das bin ich auch«, erwiderte sie. »Ich mag sie sehr und bin entzückt, daß du sie auch schätzt. Als du mir seinerzeit über deinen Besuch bei den Thorpes schriebst, hast du sie kaum erwähnt.« :»Weil ich glaubte, dich bald selbst zu sehen! Hoffentlich kommt ihr in Bath recht oft zusammen. Sie ist ein liebenswürdiges Mädchen - und so klug! Sie scheint der Abgott der Familie zu sein. Und hier wird man sie wohl auch sehr bewundern, ist es nicht so?«
»Ja, sehr sogar! Mr. Allen hält sie für das hübscheste Mädchen in Bath.« »Das glaube ich auch! Und Mr. Allen kennt sich in weiblicher Schönheit aus. Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob du hier glücklich bist, meine liebe Catherine. Mit einer solchen Gefährtin wie Isabella Thorpe kann es gar nicht anders sein; und die Allens sind gewiß auch sehr freundlich zu dir.«
»Ja, sehr freundlich. Ich war noch nie so glücklich. Und jetzt, wo du da bist, wird es noch reizender. Wie nett von dir, daß du den weiten Weg nicht gescheut hast, nur um mich zu sehen!« James nahm diese Dankbarkeitsbezeigung ruhig entgegen und sprach auch sein Gewissen für deren Annahme frei, indem er mit völliger Aufrichtigkeit sagte: »Wirklich, Catherine, ich habe dich sehr lieb.«
Darauf tauschten sie Fragen und Berichte über das Ergehen ihrer Geschwister aus, und außer James kleiner lobender Abschweifung zu Miß Thorpe unterhielten sie sich auf diese Weise, bis sie die Pulteney Street erreichten, wo James mit großer Freundlichkeit von Mr. und Mrs. Allen empfangen, zum Essen eingeladen und von Mrs. Allen fast im gleichen Atemzug aufgefordert wurde, den Preis und die Vorzüge eines neuen Muffs und Pelzkragens zu erraten. Seine Verabredung in den Edgar-Villen gestattete ihm nicht, Mr. Allens Einladung anzunehmen, und er mußte bald wieder davoneilen, nachdem die Anforderungen von Mrs. Allen befriedigt waren. Die Zeit, zu der sich die beiden Familien treffen wollten, war festgelegt, und so konnte sich Catherine ganz dem Genuß ihrer erregten, ruhelosen und erschreckten Phantasie über den Seiten von »Udolpho« hingeben, so daß sie für alle Kleider und Essenssorgen unempfindlich war und auch Mrs. Allen nicht über das Ausbleiben einer erwarteten Schneiderin trösten konnte. Von sechzig Minuten blieb ihr kaum eine für ihr eigenes Glück, nämlich, daß sie für den Abend bereits vergeben war. »Udolpho« und der Schneiderin zum Trotz erreichte die Familie aus der Pulteney Street die großen Gesellschaftsräume rechtzeitig. Die Thorpes und James Morland waren nur wenig früher eingetroffen, und nachdem Isabella die übliche Begrüßungszeremonie in lächelnder und liebevoller Hast hinter sich gebracht, den Sitz ihres Kleides gebührend bewundert und ihre Locken voll Neid betrachtet hatte, folgten die beiden jungen Mädchen ihren Beschützerinnen Arm in Arm in den Ballsaal. Wenn ihnen ein Gedanke kam, raunten sie einander zu, aber noch häufiger verständigten sie sich durch einen Händedruck oder ein verständnisinniges Lächeln. Der Tanz begann fast sofort. Und James, der mindestens ebensolange schon vergeben war wie seine Schwester, hatte es erschreckend eilig, sich mit Isabella einzureihen; John jedoch fehlte. Er hatte in Gesellschaft eines Freundes das Spielzimmer aufgesucht; und so war Isabella durch nichts eher zum Tanzen zu bewegen, bevor ihre liebe Catherine sich nicht ebenfalls unter die Paare mische.
»Nicht um alles in der Welt tanze ich ohne Ihre liebe Schwester. Es würde uns wahrscheinlich für den ganzen Abend trennen.« Catherine war über diese Freundlichkeit gerührt, und so blieb alles für einige Minuten in der Schwebe, bis Isabella ihre Unterhaltung mit James unterbrach und Catherine zuflüsterte: »Liebstes, ich werde dich doch verlassen müssen; dein Bruder ist so ungeduldig, er drängt zum Tanzen. Du nimmst es mir nicht übel, nicht wahr, und John wird wohl auch im Augenblick zurückkommen, dann kannst du mich leicht finden.« Catherine war zwar ein wenig enttäuscht, aber viel zu gutmütig, um Einwände zu erheben; und da James sich erhob, hatte Isabella nur noch Zeit, ihrer Freundin die Hand zu drücken und zu sagen: »Auf Wiedersehen, Liebes!« Dann eilten sie davon. Da auch die jüngeren Damen Thorpe tanzten, war Catherine jetzt der Gnade von Mrs. Thorpe und Mrs. Allen überlassen, zwischen denen sie Platz genommen hatte. Wie ärgerlich, daß Mr. Thorpe nicht wiederkam! Nicht nur, daß sie sich auf das Tanzen gefreut hatte, sie teilte nun auch mit mancher anderen jungen Dame die Schande, ohne Tänzer zu sein, denn die ihr bereits widerfahrene Ehre war ihr nicht anzusehen. In den Augen der Welt gedemütigt zu sein, äußerlich Schande zu tragen, während das Herz rein und unschuldig und nur das schlechte Benehmen eines anderen die Ursache der Erniedrigung ist, gehört zu den dem Leben einer Heldin eigentümlichen Umständen, und standhafte Haltung ist ihrem Charakter vor allem eigen. Auch Catherine besaß diese Standhaftigkeit; sie litt, aber keine Klage drang über ihre Lippen.
Aus dieser Demütigung wurde sie nach zehn Minuten zu angenehmeren Empfindungen erweckt, zwar nicht durch Mr. Thorpes, sondern durch Mr. Tilneys Anblick. Leider schien es nur so, als ob er sich ihr nähere, und deshalb verflog das Lächeln wie das Erröten, welches Catherines Wangen bei seinem plötzlichen Erscheinen übergoß, ohne ihre heldische Bedeutung zu schmälern. Er sah so hübsch und lebhaft aus wie je und sprach angeregt mit einer eleganten, freundlich aussehenden jungen Dame an seinem Arm, seiner Schwester, wie Catherine sogleich erkannte. So hatte sie keine Gelegenheit, den Helden für alle Zeiten verloren zu halten, weil er schon einer anderen gehörte. Da sie sich immer nur vom Wahrscheinlichsten leiten ließ, kam es ihr gar nicht in den Sinn, Mr. Tilney könne schon verheiratet sein. Er erinnerte auch nicht in Benehmen oder Unterhaltung an die verheirateten Männer ihres Bekanntenkreises, hatte nie seine Frau erwähnt, aber von einer Schwester gesprochen. Hieraus schloß sie sofort, daß die Dame an seiner Seite diese Schwester sei. Daher saß Catherine aufrecht da, blieb all ihrer Sinne mächtig, anstatt erbleichend an Mrs. Allens Busen zu sinken. Nur ihre Wangen glühten ein wenig.
Mr. Tilney und seine Gefährtin näherten sich zwar nur langsam, aber sie folgten im Kielwasser einer Dame, die mit Mrs. Thorpe befreundet war. Diese Dame begrüßte Mrs. Thorpe und die beiden taten ein gleiches, da sie zu ihr gehörten. Nun erblickte Mr. Tilney Catherine und schenkte ihr ein Lächeln des Wiedererkennens, das sie freudig erwiderte. Er kam noch dichter heran und sprach sie und Mrs. Allen an, die ihn höchst freundlich mit den Worten begrüßte: »Ich freue mich, Sie wiederzusehen; ich fürchtete schon, Sie hätten Bath verlassen.« Man erfuhr, er sei eine Woche verreist gewesen, und zwar gleich an dem Morgen nach ihrer Bekanntschaft.
»Die Rückkehr wird Sie hoffentlich nicht reuen, denn Bath ist so recht der Ort für junge wie für ältere Leute. Wenn mein Mann einmal äußert, er sei seiner überdrüssig, dann rate ich ihm jedesmal, nicht zu klagen, denn Bath sei wirklich der angenehmste Badeort. In dieser langweiligen Jahreszeit ist es hier doch viel schöner als zu Hause. Ich halte ihm immer wieder das Glück vor Augen, daß ihm gerade dieses Bad verordnet würde.«
»Hoffentlich wird Ihr Gatte sich auch diesem Ort verpfl...

Inhaltsverzeichnis

  1. Erstes Kapitel
  2. Zweites Kapitel
  3. Drittes Kapitel
  4. Viertes Kapitel
  5. Fünftes Kapitel
  6. Sechstes Kapitel
  7. Siebentes Kapitel
  8. Neuntes Kapitel
  9. Zehntes Kapitel
  10. Elftes Kapitel
  11. Zwölftes Kapitel
  12. Dreizehntes Kapitel
  13. Vierzehntes Kapitel
  14. Fünfzehntes Kapitel
  15. Sechzehntes Kapitel
  16. Siebzehntes Kapitel
  17. Achtzehntes Kapitel
  18. Neunzehntes Kapitel
  19. Zwanzigstes Kapitel
  20. Einundzwanzigstes Kapitel
  21. Zweiundzwanzigstes Kapitel
  22. Dreiundzwanzigstes Kapitel
  23. Vierundzwanzigstes Kapitel
  24. Fünfundzwanzigstes Kapitel
  25. Sechsundzwanzigstes Kapitel
  26. Siebenundzwanzigstes Kapitel
  27. Achtundzwanzigstes Kapitel
  28. Neunundzwanzigstes Kapitel
  29. Dreißigstes Kapitel
  30. Einunddreißigstes Kapitel