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Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
- 186 Seiten
- German
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Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
Über dieses Buch
Ein Roman über den Aufstieg und Fall eines Mannes: Diethelm entstammt einer armen Familie und schafft es aufgrund seiner Heirat, zum Bauern aufzusteigen. Doch als er in finanzielle Nöte kommt, heckt er einen Plan aus, wie er mithilfe von Brandstiftung vielleicht doch seine Ehre retten kann – so glaubt er zumindest...Die "Schwarzwälder Dorfgeschichten" bestehen aus 27 Erzählungen, die Berthold Auerbach zwischen 1843 und 1880 verfasste und mit denen er die literarische Gattung der Dorfgeschichte maßgeblich prägte. Sie spielen alle im ländlichen Raum des Schwarzwalds und charakterisieren das Dorfleben und seine Bewohner.
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Information
Thema
LiteraturSiebenundzwanzigstes Kapitel.
Wie ein Mensch aus höheren Regionen, der sich bescheidentlich herablässt, mit niederen Erdgeborenen zu verkehren, so ging Diethelm durch Budenberg; er hatte mit fürstlichen Personen, mit hohen Staatsmännern verkehrt und ein Staatsanwalt — denn das war er geworden — war sein Schwiegersohn! Es dünkte ihn wie ein Traum, dass er sein einziges Kind einst einem armen Schäfer hatte geben wollen. Wenn er seiner That gedachte, war sie ihm wie längst. abgethan und die Gunst der Grossen, denen er so nahe gestanden, erschien ihm als Schild und Schirm, dass nie mehr auch der leiseste Verdacht sich gegen ihn erheben dürfte. Wenn der Eilwagen durch das Dorf fuhr und bald darauf Briefe kamen, sah Diethelm immer, ob keiner mit einem grossen Siegel darunter sei, der ihm einen Orden zubrächte oder irgend eine andere unverhoffte Auszeichnung. Es kamen aber meist Bettelbriefe von allen Orten, von den entferntesten Verwandten, von Schulmeistern geschrieben, die in hochtrabendem Tone den hochverehrten Herrn Vetter um Gaben und Darleihen baten. Diethelm glaubte genug gethan zu haben und liess sie unbeantwortet. Am erfreulichsten waren noch die Briefe von Fränz; zwar waren sie in steifer ungelenker Redeweise, aber diese erschien Diethelm gerade recht schön und erbaulich, und von Brief zu Brief ward die Schrist zierlicher und geläufiger. Diethelm konnte nicht umhin, manche davon, besonders aber auch die Briefe des Staatsanwalts, durch den Vetter im Waldhorn vorlesen zu lassen.
Die Verehrung im Dorfe schien ihm indess doch minder bedeutend, als die in der Stadt sich darthat. Mit Martha, die er nun nicht mehr allein liess, fuhr er oft dahin, um allerlei Hausrath zu kaufen. Er richtete sich nur nothdürftig ein, da er ja bald wieder verkaufen wollte.
Alles liess sich zu grösster Beruhigung an, nur Martha war nicht aus ihrer beständigen Trauer und Kümmerniss zu reissen, und wenn Diethelm sie damit abwies, sagte sie klagend:
„Ich hab’ ja sonst Niemand, dem ich mein Herz aufschütten kann, und mir bangt vor dem neuen Haus, wo der Medard verbrannt ist.“
Diethelm hörte sie geduldig an, aber dieses ewige Klagen machte ihn stumpf gegen die Vorhersagung der Frau, dass sie den Einzug ins Haus nicht erleben werde.
„Nur nicht prophezeien,“ war seine beständige Rede, „das ist das Schlechteste was man thun kann. Ich hab’ dir versprochen, dass ich dich nie, mehr allein lasse, aber du treibst mich aus dem Haus, wenn du so fort machst.“
Martha hatte in der That falsch prophezeit: der Sommer ging zur Rüste und im Herbste zog sie, abgesehen von ihrem beständigen Leid, wohlbehalten in das wochenlang durchheizte neue Haus ein und nachdem das erste Missbehagen überwunden, schien sie sich dessen zu freuen; zumal da Diethelm die junge Frau Kübler mit ihrem Kinde während der Abwesenheit der Fränz zu sich ins Haus genommen hatte.
Nun erlaubte er sich auch allmälig seinem Versprechen untreu zu werden und buchstäblich hielt ei es doch, wenn er wieder Tage und Nächte über Land blieb: Martha war ja nicht allein, die junge Frau mit dem Kinde war bei ihr. Wenn Martha ihn dennoch an sein Versprechen gemahnte, war er ungehalten und voll Jähzorn über diese unerträgliche Sklaverei und über dieses ewige Erinnern an ein Versprechen, das er schon von selbst halte und viel lieber, wenn er nicht daran gemahnt werde. Er blieb nun mehr als gewöhnlich zu Hause und jetzt erkannte er deutlich was er schon oft flüchtig wahrgenommen: wenn er im lebhaften Verkehr mit Menschen, und zwar mit recht vielen war, wich das Frösteln von ihm, in der Einsamkeit aber war es immer wieder da, unabwendbar. Diethelm knirschte über die neue Gefangenschaft, in der er sich befand, und jetzt fiel ihm das Mittel des alten Schäferle ein. Er kaufte Erlenholz und sägte Tage lang, als müsste er sein Brod damit verdienen. Der stolze in grünen Saffianpantoffeln stolzirende und alle schwere Arbeit verhöhnende Diethelm war in das Loos, eines armen Taglöhners verfallen, aber er war dabei doch froh, denn er fühlte in der That eine lange nicht empfundene Wärme; das Holz, das haufenweise in den Ofen gesteckt, ihn nicht von seinem Frösteln befreit hätte, erwärmte ihn jetzt bei dessen Verarbeitung. Vom Morgen bis zum Abend arbeitete er im Schuppen und lauschte dann oft selbstvergessen den wunderlichen Tönen der Säge; wie das klingt und schrillt beim ersten Einschnitt und dann zum Kern des Scheites gelangend so dumpf tönt und wieder ins Schrille, Kurzathmige übergeht beim Ende des Durchschnittes. Mochte es aber klingen wie es wollte, wohlige Wärme durchströmte den Körper. Die Leute sagten, der Diethelm sei geizig geworden, seitdem sein Reichthum gestiegen sei; er liess sich diese Nachrede, die ihm wieder zukam, gern gefallen, denn auch im Geiz liegt ein gewisser Ruhm, da seine unbezweifelte Voraussetzung der Reichthum ist.
Wenn er manchmal einen Tag in seiner mühseligen Arbeit aussetzen wollte, kam wiederum das Frösteln über ihn, als wollte sich alles Zurückgedrängte auf Einmal geltend machen; er musste auf’s Neue wider Willen an die unscheinbare und doch so mühselige Arbeit, als hätte ein Zauber ihn darin festgebannt. Es half nichts anderes.
Da kam ein neues Ereigniss, das ihn von dieser Arbeit und seiner häuslichen Gefangenschaft befreite, ohne dass Martha zu einer Einsprache berechtigt war.
Das Schwurgericht, das man in stürmischen Zeiten verheissen hatte, wurde jetzt nach Herstellung der nöthigen Bauten in der That eingesetzt. Der veränderten Zeitrechnung zufolge wurden aber die Geschworenen nicht nach allgemeinem Wahlrechte frei gewählt, sondern die Amtsversammlung, bestehend aus den meist gefügigen Schultheissen und einem Theil der Obmänner des Gemeindeausschusses wählte einen sogenannten Siebenerausschuss und dieser ernannte die Geschwornen aus der Zahl der Höchstbesteuerten und Nichtdemokraten. Eines Tages kam der Vetter Waldhornwirth hastig mit der Landeszeitung in der Hand und sagte zu Diethelm:
„Da kommet Ihr in der Zeitung, Vetter.“
„Ich? Wie?“ erwiderte Diethelm sich verfärbend, und nahm mit Zittern das Blatt in die Hand. Er las die Liste der Geschworenen und als Dritter stand sein Name. Lange starrte er darauf hin und rieb sich mehrmals die Stirn, er wollte den Schreck vergessen, den er gehabt hatte, und jetzt war es ihm doch eine Freude, sich gedruckt zu lesen; er äusserte diess aber nicht, sondern sagte nur, dass er um Dispensation bitten werde, da er in seinem Anwesen noch viel zu thun habe, und dass er auch seine Frau nicht verlassen dürfe. Martha entgegnete rasch:
„Meinetwegen kannst du’s schon annehmen, im Gegentheil, mir ist’s lieb, wenn du ein paar Wochen fortgehst, lieber als wenn du so all Ritt verschwindest, wie in den Boden gesunken.“
Der Vetter sagte, dass Diethelm gar nicht ablehnen dürfe; man wisse nicht, was die Menschen denken könnten, wenn er sich davon losangle; das ginge ihn zwar nichts an, aber er dürfe es auch ohnediess nicht, er habe das Schwurgericht zu allen Zeiten gepriesen, und jetzt müsse er auch dabei sein.
Diethelm schäumte innerlich vor Wuth. So hatte seine Freisprechung, hatten alle die hohen Ehren, die er genossen, nichts genützt; die Menschen, die so unterwürfig waren, hegten noch immer Verdacht gegen ihn, der allzeit bereit war loszubrechen. Der erstickte Argwohn in den Gemüthern glich der Flamme in einem niedergebrannten Hause, die immer wieder aufschlägt, sobald man einen Balken weghebt. Diethelm verfluchte die ganze Welt und zankte mit dem Vetter, als dieser entschuldigend sagte: er habe noch nichts, gehört, von Niemand, er habe nur so gemeint.
„Was hast du vorzudenken, was andere Leute denken können? oder bist du schlecht genug und blasest den Leuten selber ein, dass sie mich, verunehren?“
„Ihr wisset ja, wie ich zu Euch bin,“ sagte der Vetter mit schelmisch bedeutungsvollem Blick. Diethelm sah das und wieder kam ihm Die Vermuthung, dass der, den er sich am Nächsten glaubte, schlimmen Verdacht gegen ihn hegte; aber das Klügste war doch, immer zu thun, als ob er das nicht glaube; er sagte daher:
„Wenn’s nicht anders ist, nehm’ ich’s an. Hast Recht Vetter, es kann mir Eins sein, was die Leut’ denken, und ich freu’ mich auch bei meinem Schwiegersohn zu sein. Weisst was, Frau?
Martha verneinte und Diethelm wiederholte seinen Vorschlag. nicht. Denn wie Alles in der Welt seine vielfachen Gründe hat, so ging es auch hier. Diethelm wollte nicht nur zeigen, dass er keinen Gerichtshof scheue, er wurde auch von der Oede im Hause und den ewigen Klagen seiner Frau erlöst, wenn er sich davon machte.
Diethelm hatte bei der bald darauf folgenden Amtsversammlung die Genugthuung, vom Amtmann Niagara — der so genannt wurde, weil er im Gespräche immer ein mächtig schätterndes Gelächter erhob — mit besonderem Ruhme erwähnt zu werden, während den Anderen mit Recht vorgehalten wurde, dass sie gern freie Staatseinrichtungen hätten, aber dafür keinen Tag aufwenden wollten, so dass ihnen schon jedes Wählen zu viel Mühe sei.
Diethelm sah stolz und selbstbewusst drein und bei dem gemeinsamen Mahle, das nach der Amtsversammlung gehalten wurde, erhielt Diethelm den Ehrenplatz neben dem Amtmann Niagara und half ihm tapfer lachen. Es gab besonders viel Witzreden über Diejenigen, die da gehofft hatten, dass den Geschworenen reiche Taggelder aus der Staatskasse ausgesetzt würden; der Steinbauer vor Allem musste sich viele Neckereien gefallen lassen, weil er auf sein Dispensationsgesuch einen abschlägigen Bescheid erhalten hatte. Der Angegriffene wagte es nicht, den Spässen des freundlichen Amtmanns entsprechenden Widerstand zu leisten und ohne sich auf eine nähere Erklärung einzulassen, behauptete er, dass er doch noch frei werde.
Noch nie kam Diethelm frohgemuther nach Hause, als von der heutigen Amtsversammlung und er wünschte sich, dass die Gerichtssitzungen nur bald beginnen möchten. Die Ehrenbezeigungen von den Beamten thaten ihm gar wohl.
Als der Tag der Abreise kam, wollte es Diethelm wiederum bange werden, es erschien ihm als ein gefährliches Spiel, das er mit sich treibe. Er nahm sein Gefährte nur bis G. mit, dort gesellten sich im Eilwagen die anderen Geschworenen zu ihm, der Sternwirth und der Steinbauer waren auch dabei.
Es war das erste Schwurgerichtstagen seit undenklichen Zeiten und alle Mitwirkenden waren in feierlich gehobener Stimmung, der der Vorsitzende des Gerichtshofes und der Staatsanwalt wie der Altmeister der Rechtsanwälte beredte Worte gaben. Besonders ein Wort des Vorsitzenden drang Diethelm ins Herz, denn er hatte gesagt: Ein Verbrechen, das ungesühnt in der Seele ruht, gleicht dem Brand in einem Kohlenbergwerke; man stopft es zu und will das Feuer ersticken, aber es brennt weiter, unterirdisch, ungesehen, und eine Oeffnung, die sich aufthut, lässt die Flamme emporschlagen.
Diethelm fühlte bei diesen Worten, wie es wirklich in seinen Eingeweiden brannte, er hätte laut aufschreien mögen vor Schmerz, aber er bezwang sich. Als jetzt die Rechtsgelehrten der verschiedenen Stellungen gesprochen hatten, trat eine Pause ein. Man erwartete eine Ansprache aus der Mitte der Geschworenen. Einer stiess den Andern an, er möge reden, und doch hätte Jeder gern selbst gesprochen, die Pause dauerte peinlich lange, da erhob sich Diethelm. Er glaubte gerade besonders zeigen zu müssen, wie sehr er die Bedeutsamkeit der neuen Einrichtung erkenne, die Worte des Amtmanns bei der Wahlversammlung kamen ihm wohl zu statten, und hatte er sich vordem nicht gescheut, mit fremdem Geld und Gut gross zu thun, so hatte es mit einem fremden Gedanken, gewiss viel weniger auf sich Anfangs bebend, dann aber mit fester Stimme wiederholte er, in seine Weise übertragen, jene Worte; und Alle standen auf, als er plötzlich stotternd abbrach und die Hände faltend mit gehaltenem Tone das Vaterunser sprach.
Bevor die Namen der Geschworenen verlesen wurden, liess der Vorsitzende durch den Gerichtsschreiber ein ärztliches Zeugniss vortragen, das der Steinbauer beigebracht hatte und das ihn befreien sollte. Nach kurzer leiser Berathung erklärte der Schwurgerichtshof, dass die Befreiungsgründe nicht zureichend seien. Diethelm schaute mit triumphirendem Lächeln auf den Steinbauer, der aber keine Miene zuckte.
Nun ging es an das Verlesen der Namen. Der Vorsitzende nahm bald rechts bald links die Zettel auf, die ihm die beiden Schwurrichter reichten und warf sie in die Urne. Dieses Aufraffen, Ausrufen und Versenken der Namen hatte für Diethelm etwas Eigenthümliches, bang Räthselvolles, es war ihm, als wäre er wie sein Name in fremde Gewalt gegeben.
Als jetzt die Namen aus der Urne gezogen wurden, ballte Diethelm bei Jedem, der ausgerufen wurde, die Fäuste, um keinen Schreck zu zeigen, wenn er den Seinigen hörte, aber er kam nicht. Beim Namen des Steinbauern sprachen Staatsanwalt und Vertheidiger zugleich: Abgelehnt! worüber ein Lächeln in der Versammlung entstand, und dem Vertheidiger mit höflicher Handbewegung die Ablehnung dem Staatsanwalt überliess. Der Steinbauer schaute herausfordernd auf Diethelm, seine Mienen sagten: ich hab’s gewusst, dass ich frei werde.
Die zwölf Männer waren ernannt, Diethelm war nicht unter ihnen; er athmete frei auf. Nun aber erklärte der Vorsitzende, dass er noch zwei Ersatzgeschworene ausloose, und der erste Name, der jetzt erschien, war der Diethelms. Als er mit schweren Schritten nach der Geschworenenbank an dem dichtgefüllten Zuhörerraume vorüberging, hörte er dort sagen: schade, dass der nur Ersatzgeschworener ist, das wäre ein tüchtiger Obmann geworden. Diethelm schloss die Augen, als er in seinem Armstuhl sass: der Ehrenzuruf aus den Zuhörern hatte ihm sein fast stillstehendes Herz freudig bewegt. Durch ein Geräusch wurde Diethelm aus seiner inneren Versunkenheit erweckt, die Stühle rutschten und brummten, die ganze ruhige Versammlung kam plötzlich in Bewegung, dort auf der Erhöhung, wo das Gericht sass, war es dunkel geworden, denn die Mitglieder des Gerichtshofes, hinter deren Rücken die Fenster waren, hatten sich erhoben, und nun sprach der Vorsitzende den Geschworenen mit feierlicher Stimme ihren Eid vor, und Einer nach dem Andern erhob die Hand und sprach: „Ich schwör’ es, so wahr mir Gott helfe.“ Es waren ruhige überzeugungsfeste Stimmen und Jeder, der es hörte, wie hier die innere Wahrhaftigkeit sich laut betheuerte, musste ergriffen und erschüttert werden; es war eine rechtsprechende Gemeinde, darin ein Jeder aus Herzensgrund sein Bekenntniss aussprach, und über der ganzen Versammlung ruhte eine ernste Gehobenheit, denn die Heiligkeit des Beginnens, der Geist der Wahrhaftigkeit schwebte darüber.
Diethelm sprach den Eid, und wie er die Hand emporhob, fühlte er’s, wie wenn eine unsichtbare Macht seine Hand fasste, er senkte sie nicht, bis er sich niedersetzte und jetzt erst eine Müdigkeit fühlte, als wären ihm die Kniee zerbrochen.
Auf der Anklagebank sassen zwei junge Männer, des Complott-Diebstahls beschuldigt. Der verlesenen Anklage gemäss erschien dennoch der Eine mehr als Verführter. Der Staatsanwalt begründete in scharfsinniger Weise die Anklage, seine Stimme hatte etwas zitternd Melancholisches und dieses sowohl wie seine Beweisführungen hatten so viel Bestimmendes, dass der Nachbar Diethelms, der Schultheiss von Rettinghausen, ihm zuraunte: Die sind schuldig. Diethelm antwortete nicht. Mit eingekniffenen Lippen und weit aufgesperrten Augen betrachtete er die Angeklagten: diese finster blickenden Augen, die nur bisweilen zuckten, diese starren Züge, diese in einander gelegten Hände, diese Gestalten mit ihrem ganzen Leben sind in fremde Gewalt gegeben. Dort hinter den Angeklagten sitzt der Landjäger, das gezückte Schwert in Händen. Wie es so gierig blinkt! Das ist das Schwert der Gerechtigkeit über den Angeklagten schwebend. Immer und immer musste Diethelm denken, wie es diesen Menschen zu Muthe sei, wie die Blicke der Anwesenden sie treffen müssen, wie scharfe Schwerter; er konnte diese Gedanken nicht los werden, bis er endlich die Hände zusammen presste, ein Schauer durchrieselte ihn und zum Erstenmal betete er in innerster Seele voll Reue über das Geschehene. Vor seinen dreinstarrenden Augen verschwammen die Menschengestalten, nur das blanke Schwert dort an der Wand blinkte und die Stimme des Staatsanwalts tönte. Da erklärte der Vorsitzende die Verhandlung für diesen Morgen als geschlossen und beraumte eine zweite Sitzung auf Nachmittag.
Als jetzt Alles sich erhob, rieb Diethelm sich lange die Stirn i und wie taumelnd verliess er den Saal und drängte sich dann hinaus, als würde er festgehalten. Erst in freier Luft fand er sich selber wieder, er trat fest auf und schaute zurück nach dem Gerichtssaal, wie ein Angelandeter dem schwankenden Schiffe nachschaut, das er eben verlassen.
Die Mehrzahl der Geschworenen hatten sich einen gemeinsamen Mittagstisch in einem ihnen genehmen Wirthshause angeordnet und wie von selbst war Diethelm hier der Vorsitzende, zumal da die wenigen „Herren“ unter den Geschworenen sich in einen vornehmeren Gasthof begeben hatten. Diethelm fühlte sich ganz wohlgemuth: er war fest überzeugt, dass er heute alles Peinliche seiner Lage überwunden habe und dass nichts mehr über ihn kommen könne.
Es waren hier die gewichtigsten Bauern eines ganzen Kreises versammelt, die sich zum Theil noch nicht persönlich kannten, sie fanden aber schnell eine Einigung und sogar ein allgemeines Gespräch; denn nichts vereinigt die Menschen so leicht als eine Anhänglichkeit oder ein Widerspruch gegen eine Persönlichkeit. Gegen den Steinbauern, der sich bald nach seiner Erledigung heim gemacht hatte, brannte wie beim Scheibenschiessen ein Jeder seine Kugel los. Man erzählte sich, dass der Steinbauer das Gerücht verbreitet habe; er werde Jeden unbedingt für schuldig erklären und darum werde er stets abgelehnt werden und könne daheim ausdreschen. Diethelm fand in dem Schultheiss von Rettinghausen und in einem jungen Manne zierlichen Angesichtes, es war der Gemeindeschreiber von Reindorf, fertige Beihülfe, die mit ihm die Gewissenlosigkeit und Niedrigkeit eines solchen Gebarens brandmarkten und schon jetzt zeigte sich die unverwüstliche Ehrenhaftigkeit des Volkscharakters, die nur der rechten Erweckung bedarf: ein Jeder betheuerte mit aufrichtigen Worten, dass er sich nicht um Vieles von einer so schönen Ehrensache losmachen möchte und wenn nur die Schwurgerichte besonders zur Winterszeit wären, möchten sie immer dabei sein.
Das Gespräch verlief sich nach allen Seiten, und Diethelm ärgerte sich, dass seiner Rede bei Eröffnung des Schwurgerichtes gar keine Erwähnung geschah; er war nicht der Mann, der eine glorreich vollbrachte That gern unbeachtet sah. Nach Tische hatte er indess die Genugthuung, dass sein Schwiegersohn, der als Assessor bei dem Gerichtshof war, zu ihm kam, und sich zu ihm setzte; bald drängte sich eine grosse Menschenmenge aus allen Gegenden zu ihm, theils alte Bekannte, theils neue, die ihn wegen seiner ergreifenden Rede kennen lernen wollten. Diethelm klagte indess seinem Schwiegersohn, dass ihn die Sache doch mehr angreife als er erwartet habe, besonders das lange ruhige Sitzen werde ihm peinlich; der Assessor getröstete ihn aus eigener Erfahrung, dass er sich schon daran gewöhnen werde, und Diethelm lächelte, als er hörte, dass er als Ersatzgeschworener nicht mit zu urtheilen habe.
„So bin ich nur Vorspann für die Gefahr,“ sagte Diethelm und dieses Wort setzte sich fest und seit jener Zeit nennen die Geschworenen die Ersatzgeschworenen „den Vorspann.“
Als man am Nachmittag wieder in den Gerichtssaal kam, war die Weihe des ersten Eindruckes zwar verschwunden, aber der Ernst des Unternehmens blieb. Diethelm fühlte sich noch besonders beruhigt, da er nicht zu urtheilen hatte; er lehnte sich bequem in seinem Stuhle zurück, er betrachtete sich den Saal, der sich in einem alten Deutschmeisterhause befand, aber aus den übereinanderpurzelnden Genien und halbnackten Krieger...
Inhaltsverzeichnis
- Titel
- Kolophon
- Erstes Kapitel.
- Zweites Kapitel.
- Drittes Kapitel.
- Viertes Kapitel.
- Fünftes Kapitel.
- Sechstes Kapitel.
- Siebentes Kapitel.
- Achtes Kapitel.
- Neuntes Kapitel.
- Zehntes Kapitel.
- Elftes Kapitel.
- Zwölftes Kapitel.
- Dreizehntes Kapitel.
- Vierzehntes Kapitel.
- Fünfzehntes Kapitel.
- Sechzehntes Kapitel.
- Siebzehntes Kapitel.
- Achtzehntes Kapitel.
- Neunzehntes Kapitel.
- Zwanzigstes Kapitel.
- Einundzwanzigstes Kapitel.
- Zweiundzwanzigstes Kapitel.
- Dreiundzwanzigstes Kapitel.
- Vierundzwanzigstes Kapitel.
- Fünfundzwanzigstes Kapitel.
- Sechsundzwanzigstes Kapitel.
- Siebenundzwanzigstes Kapitel.
- Achtundzwanzigstes Kapitel.
- Neunundzwanzigstes Kapitel.
- Dreissigstes Kapitel.
- Über Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
- Anmerkungen