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- German
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Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
Über dieses Buch
Die Geschichte eines Mannes, der zu seinem Glauben steht: Als Luzian, ein wohlhabender und von allen geschätzter Bauer, sich gegen den Pfarrer stellt, der sagt, Gott bestrafe die Bauern mit einer Missernte aufgrund ihres sündigen Lebens, wird er mit dem Kirchenbann belegt. Nach einer Gefängnisstrafe ist klar, dass er nicht im Dorf bleiben kann, und so fasst Luzian eine große Entscheidung...Die "Schwarzwälder Dorfgeschichten" bestehen aus 27 Erzählungen, die Berthold Auerbach zwischen 1843 und 1880 verfasste und mit denen er die literarische Gattung der Dorfgeschichte maßgeblich prägte. Sie spielen alle im ländlichen Raum des Schwarzwalds und charakterisieren das Dorfleben und seine Bewohner.
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Information
Thema
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ClásicosEin Herz ist aufgegangen.
Schliessen wir uns an Wendel und Egidi an. Wir treffen Luzian hemdärmelig hinter dem Tische sitzen heitern Blickes dreinschauend. Die Angehörigen aber standen in der Stube und auf der Hausflur, so in starrem Schmerz in sich gebannt als läge in der Kammer nebenan eine geliebte Leiche, deren ewiger Schlaf wie zu leisem Auftreten gemahnte. Die Schwiegertochter, die hochschwangere Frau Egidi’s, hielt die Kinder behutsam zum Schweigen an; sie wussten nicht was all der stille Kummer bedeute und liessen sich’s gefallen, dass sie gegen alle Hausregel kurz vor dem Mittagsessen ein Butterbrod bekamen. Das Feuer auf dem Herde war ausgegangen und schickte seine Rauchwolken in die Hausflur und in die Stube sobald sich diese öffnete; Niemand blies das Feuer an. Die Knechte und Mägde trieben sich draussen umher, alle Ordnung schien aufgelöst.
„Willst’s mithalten, Wendel?“ fragte Luzian den Eintretenden, ,,von den Meinigen will keins an den Tisch; sie meinen, das sei mein Henkermahl, jetzt gleich nach dem Essen werde ich geköpft. Und ich sag’ dir, ich habe einen weltsmässigen Hunger, so hab’ ich mein Lebtag keinen gespürt, grad wie wenn ich übers Hungerkraut gangen wär’. Ich möchte’ nur wissen, ob die Hauptketzer, die den Pfaffen ins Zeug gefahren sind, auch allemal so einen Hunger gehabt haben, so einen grundrührigen. Weisst nicht?“
„Ich hab’ noch nichts davon gehört, was der Doktor Luther zu Mittag gessen hat wie er vom Reichstag in Worms in seine Herberge heimkehrt ist,“ entgegnete Wendel, Luzian die Hand schüttelnd und dieser begann wieder: ,,Also du musst mir doch auch Recht geben?“
„Freilich, es ist genug Heu unten gewesen.“
„Du bist halt der Wendel, du weisst, dass man die Birnen schütteln kann,“ sagte Luzian aufstehend. Er ging die Stube auf und ab, in seinem Blicke, in seiner Haltung lag etwas Hoheitliches, wie wenn er plötzlich zum Feldherrn ausgerufen worden wäre und draussen harrten seiner die geschaarten Völker. Er schlug sich ruhig mit beiden Händen mehrmals auf die Brust, als wollte er die sich bäumende Kraft darin beschwichtigen. „Also wie Ein Mann muss die Gemeinde zu mir stehen,“ sagte er endlich stillhaltend.
„O Luzian!“ sagte Wendel und schaute mitleidsvoll zu dem Abgewandten auf.
,,Was ist?“ rief Luzian in halber Wendung sich umkehrend sprühenden Auges, „was ist? wollen sie nicht?“ fuhr er in scharfem Tone fort, indem er Wendel mächtig schüttelte, als wäre dieser der Unterbefehlshaber der aufrührerisch gewordenen Truppen.
„O Luzian!“ sagte Wendel kopfschüttelnd, „lehr’ mich die Menschen nicht kennen. Ich bin nur um ein Jahr älter als du, aber ich bin weit in der Welt herumkommen. Guck, da zerren und bellen sie das ganze Jahr und wenn Einer heraustritt und er packt die Niedertracht bei der Gurgel und er kommt dafür in die Patsch, hui! da ist das Kätzle auf der Mauer, da will Keiner was dabei haben, da duckt sich ein Jedes und sagt: ja warum hat er’s auch so dumm angefangen? warum hat er sich so weit eingelassen? Er dauert mich — das ist noch das Höchste. Und wenn sie ja zusammenhalten thäten, wär’ ihnen geholfen, aber da denkt Keiner dran, da —“
,,Also du glaubst —“ fuhr Luzian auf und seine Hand fasste krampfhaft den Sprecher.
„Dass du allein schaffst,“ fuhr Wendel fort. ,,Du bist ein reicher Mann, du kennst’s nicht aus Erfahrung, weisst aber doch: das schwerste Geschäft ist — allein dreschen. Wenn’s mehr bei einander sind, thut sich’s noch so ring, es ist wie wenn der Gleichschlag den Flegel von selber heben thät. Lieber allein tanzen als allein dreschen. So ist’s recht, lach’ nur. Es geschieht dir auch nicht so viel. Der Pfarrer hat in der Predigt auf dich angespielt, das darf —“
„Nichts da, davon will ich nichts,“ entgegnete Luzian. ,,Er oder ich. Aber du bist immer so ein Schneesieber gewesen. Lass du nur mich machen. Egidi! hol jetzt das Bäbi, es soll das Essen ’rein thun, ich muss bald fort.“
Egidi kam nach einer Weile wieder und sagte, Bäbi sei in ihrer Kammer eingeschlossen, sie weine, gebe keine Antwort und mache nicht auf.
„Es wird gleich da sein,“ sagte Luzian, die Lippen schärfend. Die Frau hielt ihn unter der Thüre fest und rief: „Um Gotteswillen gieb doch Fried’, ich will das Essen bringen.“
„Nein, das Bäbi muss her.“
Er machte sich los und ging die Treppe hinauf. Droben rief er: „Bäbi! mach auf!“
Keine Antwort.
,,Bäbi, ich, dein Vater ruft“
Man hörte Jemand schwer sich vom Boden aufrichten; ein Riegel wurde zurückgeschoben.
Luzian stand selbst eine Weile erschüttert beim Anblick des Mädchens.
„Was hast? was ist? komm abi,“ sagte Luzian sanft.
„Vater, schlaget mich todt, aber ich kann mich vor keinem Menschen mehr sehen lassen,“ rief Bäbi schluchzend und warf sich auf das Bett.
„Warum? warum? Gieb Anwort, red’, red’, sag’ ich.“
,,Wenn ich nur todt wäre und der Paule auch,,“ stöhnte in Bäbi endlich.
„Bäbi!“ fuhr Luzian auf, die Haare standen ihm zu Berge, es überrieselte ihn eiskalt, ,,Bäbi, ich will nicht hossen, dass es Gil’ hat mit deiner Hochzeit; Bäbi, ich erwürg? dich jetzt da gleich,“ fuhr er zitternd fort, ,,wenn’s an dem ist. Soll der Pfaff sagen: so geht’s bei dem Gottlosen her und so sind seine Kinder? Bäbi, red’ oder ich weiss nicht was ich thu’.“
„Vater! Ich mach’ Euch kein’ Schand,“ erwiderte Bäbi.
Unwillkürlich hatte sie das Wort Ich so scharf betont, dass es Luzian durchzuckte; er hielt an sich und plötzlich kam eine seltsame Wandlung über ihn. Blitzschnell kam ihm der Gedanke, dass er seinem Kinde Unrecht thue, weil er selber in Wallung war. Er schalt sich, dass er seinen Zorn an dem unschuldigen Kinde auslasse und er sagte: „Verzeih mir Bäbi, ich hab’ dir Unrecht than — ich will keinem Menschen Unrecht thun, sonst bin ich verloren,“ sprach er wie zu sich selber und fuhr dann fort: ,,Bäbi, dein Vater macht dir auch kein’ Schand.“
Diese letzten Worte sprach er wie mit stockender Stimme, so dass Bäbi allen Kummer aus dem Antlitz wischte und wie erhoben zu ihm aufschaute.
Wie rasch schossen hier die Empfindungen hin und wieder. Bäbi wäre gern niedergekniet vor dem Vater, der sich so vor ihr demüthigte.
Man muss sich die machtvollkommene, über Widerspruch und Einrede erhabene Stellung des Vaters im Bauernhause vergegenwärtigen, um zu ermessen, was es heisst, dass Luzian sich seinem Kinde wie ein Büssender gegenüberstellte. Ist es schon in anderen Kreisen für einen abgeschlossenen in sich ruhenden Charakter schwer, sich zu beugen, Irrthum, Fehl und Uebereilung offen zu bekennen, umgeht man gern das Geständniss in Worten und will solches stillschweigend aus der nachfolgenden That erkennen lassen — wie unsäglich mehr war solche rasche Reumüthigkeit für den Vater hier. Das empfand Bäbi und es that ihr tief wehe, dass sie den Vater so niedergedrückt hatte.
Heischt man auch in augenblicklichen Unmuthe oft ein merkliches Reubekenntniss, so wird doch ein edles Gemüth die Beugung rasch aufheben und möchte lieber sich selbst niederwerfen und um Verzeihung flehen, dass man es so weit getrieben.
Wie vieler an Ton und Zeichen gebundener Worte bedarf es, um dem unendlich raschen Fluge der Empfindung schwerfällig nachzugehen.
Vater und Tochter standen hier einander gegenüber und in ihrer Haltung schien nichts erkennbar von der Weichmüthigkeit, dem sanften Fassen und Heben in ihrem Geiste.
Der Blüthenkelch eines Menschengemüthes öffnete sich, das, wer weiss wie lange noch, verschlossen in sich geruht hätte.
Bäbi erkannte nur einfach, dass sie ihrem Vater helfen und beistehen müsse, statt ihr zu härmen; und schwingt sich ein Herz über das eigene Leid hinaus und sucht fremdes zu heilen, so ist die Erlösung gefunden.
Zum erstenmale in ihrem Leben wagte es Bäbi, die Hand ihres Vaters zu fassen, dann sagte sie: „Kommet, ich will das Essen auftragen.“
Victor ward herbeigerufen und sprach das Tischgebet. Luzian hörte zu, als vernehme er’s zum Erstenmale, ero schien jedes einzelne Wort in seinen Gedanken zu prüfen.
Wie er verkündet, so war’s. Luzian hatte in der That einen weltsmässigen Hunger, wie er’s genannt hatte; er war dabei überaus heiter und wohlgemuth. ,,Mich freut das Essen und ich thue ihm seine Ehr’ und Respect an, ich mein’ das wär’ der beste Dank gegen Gott,“ sagte er einmal. Niemand antwortete. Die Frau schöpfte sich auch heraus, aber sie ass nicht. Egidi war eben so lautlos.
Bäbi betrachtete den Vater immer mit freudestrahlendem Antlitze, als hätte er ihr eben erst das Köstlichste und Herrlichste geschenkt. Niemand ahnte was in dem Mädchen vorging und selbst Luzian wusste nicht, welch eine Wunderblume neben ihm aufgesprossen war. Bäbi, die es sonst nie gewagt hatte, bei Tische im Beisein des Vaters ungefragt ein Wort zu reden, sagte jetzt, lange nachdem der Vater gesprochen hatte: „Ja Vater, lasset Euch nur nichts zu Herzen gehen.“
„Sei ohne Sorg’, es geschieht mir nichts, an Leib und Leben,“ erwiderte Luzian staunend, „aber jetzt halt’ der Ahne das Essen warm und pass auf, dass es nicht anbrengelt.“
Die Ahne war nämlich bald nach der Morgenkirche in der Kammer eingeschlafen. Luzian schöpfte ihr bei Tische zuerst und das Beste heraus.
Bäbi ging immer ab und zu, sie verkostete keinen Bissen, es kam ihr fast sonderbar vor, dass die Menschen durch Speise und Trank ihr Leben auffrischen, sie betrachtete die Speisen wie Etwas das sie gar nichts anginge; sie war so satt, so tiefgetränkt, dass sie glaubte, hundert Jahre so fortleben zu können.
In dem Hause, wo sie geboren und erzogen war, das sie noch nie verlassen hatte, schaute sich jetzt Bäbi um, als käme sie eben aus der Luft herabgeflogen und hätte sich nur hier niedergelassen; fragend schien sie zu forschen, wer denn gekocht habe, wer das Haus gebaut und eingerichtet, wie der Mensch so vielerlei nöthig habe — sie wollte doch von Allem nichts; sie schien fragen zu müssen, ob denn früher schon eine Welt da war, während ihr eigen Leben jetzt erst aufging. Ein neugeboren Kind, das reden könnte, müsste so die Welt erfassen.
Bäbi stand oft still, schloss die Augen und schaute in sich. Sie konnte es nicht in Worte und feste Gedanken setzen, aber sie fühlte es, in dieser Stunde war sie zum Bewusstsein ihrer selbst erwacht, wieder geboren. Wie hatte heute am Morgen namenloser Schmerz ihr ganzes Wesen aufzehren wollen, die süsseste, zuversichtliche Hoffnung war in unabsehbare Ferne gerückt. Jetzt war’s ihr, als ob ein fremder Mensch in all den Klagen gerungen habe, sie selber war ja froh, wie abgelöst aus einer fremden Hülse. Sie musste sich fast gewaltsam die Erinnerung zurückrufen, dass sie Braut sei, dass sie auf der Schwelle stehe, ein eigen Heimwesen zu gründen. Das war ein Kind das solches erlebt hatte, wo ist es hin? Sie wäre gern zu allen Menschen hingeeilt und hätte ihnen gesagt, dass sie ihren Vater über Alles liebe, dass er mehr sei als die ganze Welt. Und Paule? Der war ja eins mit ihr, der musste ja Alles mit erfahren und gedacht haben wie sie — oder war’s nicht so?
Ein Mädchen, das den Vater verlassen, besinnt sich jetzt erst in der Entfernung der stillen Verehrung, die es für den Würdigen gehegt, sehnsuchtsvoll öffnet sich das innerste Heiligthum des Herzens, und hell strahlt das erhabene Bild aller Kraft und alles Edelsinns. Wie ganz anders tritt dann wieder die Tochter dem Vater entgegen.
Bäbi hatte sich von ihrem Vater mehr als räumlich entfernt und sie erschaute ihn jetzt wie einen Heiligen, der ihr geraubt war. Nicht durch äussere Lehre, aus dem innersten Zusammenhang der Familie sollte Bäbi zum höchsten Leben erweckt werden.
Wir werden vielleicht das geheimnisvoll dunkle Walten in der Seele des Mädchens noch näher kennen lernen, wenn es nicht die scharfe Wirklichkeit in sich bricht.
„Was ist das für ein Lärm?“ rief plötzlich Alles in der Stube. Man sprang ans Fenster. Des Schützen Christoph drehte vor dem Hause die grosse „Rätsch“ das ist der Kasten aus gesspannten Brettern, die ein Kammrad in Bewegung jetzt. Die Rätsch dient statt der Kirchenglocken, wenn diese zur Fastenzeit nach Rom zur Beichte wallfahren. Was sollte das aber jetzt mitten im Sommer? Ein Theil der Tischgenossen rannte auf die Strasse, um Erkundigungen einzuziehen, die Uebrigen eilten in die Kammer, wo die Ahne von dem plötzlichen Knattern der Rätsch aufgewacht war und laut schrie: das Haus stürze ein.
Bald erfuhr man was vorging. Der Pfarrer hatte verordnet, dass, weil die Kirche entweiht sei, keine Glocken geläutet werden dürfen; er musste wohl, dass die Kirche das Herz der Gemeinde, zumal am Sonntage, und dieses Herz kehrte er um und um; er liess den Altar, die Gefässe u. s. w. aus der Kirche bringen und im Freien aufstellen, um dort den Mittagsgottesdienst zu halten.
„Kannst du das lesen?“ fragte Luzian den Wendel, als sie in der Kammer waren und deutete auf die innere Seite der Thüre.
,,Ja,“ entgegnete Wendel und las das mit Kreide hingeschriebene Wort: Thomasius!
„Komm heraus, ich muss dir was erzählen,“ sagte Luzian und fuhr dann in der Stube fort: „Guck, wenn ich den Namen wieder seh’ und hör’, da weiss ich’s ganz deutlich, wie es bei mir angefangen hat, dass ich den Pfaffen so auf den Haken sitze; die Hexen sind daran schuld und die Ahne drin.“
,,Wie so? Hältst du denn die Ahne, für eine Hex’?“
,,Umgekehrt ist auch gefahren. Ich hab’ mir so denkt, wenn die Ahne in alten Zeiten gelebt hätt’, wer weiss ob sie nicht verbrannt wär’, sie hat oft so gewundrige Sachen an sich. Und da, da ist mir’s siedig heiss eingefallen, wie doch vor Alters, die Welt so grausam verdammt dran gewesen ist. Ich hab’ den alten Pfarrer darüber befragt, warum denn die Geistlichkeit das so lang zugeben hat, und da hat er mir bestanden, dass man wirklich und wahrhaft an Hexen glaubt hat. Wie ein Blitz ist mir’s da ins Herz geschlagen: also so? Euer Sach’ ist auch nicht unfehlbar? Ihr könnet auch den letzen (falschen Weg gehen und die Weihe und der heilig’ Geist hilft nicht? . . . Und da hab’ ich dem Pfarrer gesagt, warum denn die Lüge von den Hexen und der Zauberei in der Bibel steht. Da hat er die Achseln zuckt und mir ein Pris’ anboten, weisst, wie er oft than hat, wenn er nimmer hat reden dürfen. Er hat hernach wieder sein’ alt Sach vorbracht, ich soll das Bibellesen sein lassen, das pass’ nicht für einen katholischen Christen, da kuspern die Lutherischen immer drin ’rum. Wie ich fortgeh’, giebt er mir ein Buch mit zum Lesen. Da steht Alles drin. Der Hexenglaube ist ein Bestandvieh, das der alt’ Moses aus Aegyptenland bei uns eingestellt hat und wir müssen Kälber davon ziehen, oder aber es mästen mit dem besten Futter von unseren Matten. Die Lügengeschicht’ von den Hexen ist uns von den Juden und aus der Heidenzeit verblieben. Der Doktor Luther hat dem Teufel auch nicht den Genickfang geben, er hat ihm nur das Tintenfass an den Kopf geschmissen und er ist schon vorher schwarz. Guck, und weil ich jetzt gewusst hab’, das es keine Hexen und keinen Teufel giebt, da ist Alles bei mir zusammengepoltert, grad wie wenn man bei einem alten Haus auf der einen Seite eine Wand einreisst und auf der andern fällt’s von selber ein.“
„Was hast du denn aber mit dem Thomasius?“
„Ja, der Mann hat dem Fass den Boden ausgeschlagen. Jetzt horch. Von all den tausend und aber tausend Geistlichen ist Keiner dem Lügenwesen von Teufel und Hexen auf den Leib gangen, Narr, es steht ja in der Bibel und sie brauchen’s zum Pelzmärte, der Thomasius allein hat die Sach am rechten Zipfel gefasst. Die Geistlichen sind immer mit gangen, wenn man so eine arme alte Frau verbrannt hat und haben noch betet aus ihrer Bibel und aus Anderem. Ich hab’ dem alten Pfarrer offen bestanden, dass Vieles bei mir nichts mehr gilt, da hat er nur so geschmunzelt und hat gesagt: das sei schon lang und wird immer so sein, dass die Gescheiten auf Vieles nichts mehr halten, aber der grosse Haufe, das Volk kann nicht davon lassen. Was meinst, wie mich das grimmt hat? „Jetzt wenn ich nicht von selber drauf kommen wär’, so stecket’ ich auch noch im grossen Haufen? Eure verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist’s, ihr Geistlichen, dass Keiner in der Geschichte stecken bleibt und an Teufel und Hexen glaubt, die es gar nicht giebt. Da predigen und lehren sie das ganze Jahr Sachen, von denen sie so wenig wissen wie wir, da stopfen sie die Kinder voll mit Zeugs — ich möcht’ oft die Wänd’ ‘nauf, wenn ich hör’, was mein Victor Tag für Tag auswendig lernen muss — und wenn sich das hernach in den Gedanken verhärtet und verbuttet, da schreien sie: man darf dem Volk nicht an seinem alten Glauben anrühren. Ja wer hat ihn denn hineingepflanzt? . . . Das Volk! das Volk! Weisst denn, wer das Volk ist? Wenn ich das Wort hör’, geht mir allemal die Gall’ über. Wer halt nicht mit regiert, geistlich oder weltlich, der ist Volk.
Der neue Pfarrer ist doch gewiss mein Mann nicht, aber da hat er Recht: was die Herren nimmer mögen, das sollen wir, das soll das Volk auffressen. Aber es ist grad das Gegentheil von dem was er gesagt hat: die Aufklärung ist’s nicht, hingegen aber der Lutschebrei.
Aber die Bibel? das Wort Gottes? Es steht die Geschicht’ von den Hexen und dem Teufel und der Zauberei drin — ich will nichts von der Bibel. Guck, noch jetzt wenn ich das sag, ist mir’s, wie wenn ich einen Stich mitten durch den Leib bekäm’, aber es geht nicht anders. Dazumal bin ich dir Tage und Wochen herumgelaufen, wie wenn mir Einer das Hirn aus dem Kopf genommen hätt’! Es nützt aber Alles nichts, in die Bibel hinein kriegt man mich nimmer.“
„Ja, Luzian,“ schaltete Wendel ein, „ich seh’s wohl, du bist weit ab vom Fahrweg.“
„Freilich, aber ich hab’ doch ganz allein den Weg zu unserem Herrgott gefunden, ganz allein, ohne Pfaff. Ich werd’ die Nacht nie vergessen, es ist mir wie wenn’s heut wär“! Ich bin im Spätjahr in G. und mach’ mit dem R. einen Bretterhandel ab, du kennst ihn ja, er ist ein gescheiter Mann, er kämmt sich seinen borstigen Backenbart allfort mit einem Weiberkämmle und macht viel Späss’, er ist auch beim Landtag. Wie wir nun beim Weinkauf sitzen, geht mir das Herz auf und ich klag’ ihm mein’ Noth; da lacht er, dass er sich am Tisch heben muss und die Butellen mit wackeln. Ich mag’s nimmer sagen, was er vorbracht hat, und wie er sieht, dass es mir bitterer Ernst ist, klopft er mir auf die Achsel und sagt: „ „Luzian, folget mir und schlaget Euch die Sachen aus dem Kopf, das Sprüchwort sagt: es ist kein Strick so ...
Inhaltsverzeichnis
- Titel
- Kolophon
- In die wogende Saat.
- Ein Blick ins Haus und in die Rathsstube.
- Es donnert und blitzt abermals.
- Das Nachspiel und ein kalter Schlag.
- Ein Herz ist aufgegangen.
- Das Haus wankt.
- Es regt sich im Dorfe.
- Ein Kämpfer in seinen Gedanken allein.
- Wie endet der Sonntag!
- Sühneversuch und neuer Zerfall.
- Ein Kind bleibt, und ein Kind geht.
- Ueber sich hinaus.
- Verlassen und verstossen.
- Ein neues Familienglied.
- Ein Kind im Walde und ein Ruf im Munde der Menschen.
- Ich bin der ich bin.
- Ein Gang ins Pfarrhaus.
- Nicht mehr daheim.
- Die Befreiung.
- Über Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
- Anmerkungen