
- 205 Seiten
- German
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eBook - ePub
Dr. Katzenbergers Badereise
Über dieses Buch
Gewalt ist eine Lösung - jedenfalls manchmal...Um einem Kollegen seine Missgunst mit Fäusten zu zeigen, reist Dr. Katzenberger mitsamt seiner Tochter Theoda nach Bad Maulbronn. Während der Kutschenfahrt versucht der einzige andere Fahrgast, Herr von Nieß, das Herz Theodas zu erbobern, was ihm aber nicht gelingt. Sein Ass im Ärmel ist jedoch, dass er in Wirklichkeit der berühmte Bühnendichter Theudobach ist, der in Bad Maulbronn einen Auftritt vorbereitet. Doch das Schicksal setzt noch einen anderen Theudobach zwischen ihn und der Tochter Katzenbergers!-
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Information
Thema
LiteraturZweite Abteilung
17. Summula
Blosse Station
Ihr Wirtshaus war ein Posthaus, und zwar glöcklicherweise für den Doktor. Denn während der Posthalter sich mit der Missgeburt abgab: fand jener Gelegenheit, einen dicken unfrankierten Briefwürfel, an sich überschrieben, ungesehen einzustecken als Selbstbriefträger.
Nicht etwa dass er’s stehlen wollte — was er am liebsten getan hätte, wäre nicht der unschuldige Posthalter dadurch doppelt schuldig geworden, einmal an Ruf, dann an Geld —, sondern er nahm’s, um es ehrlich wieder hin zu legen, wenn er’s mit zarter Hand aufgemacht, um zu erfahren, was darin sei und ob der Bettel das Porto verlohne, oder ob er aussen auf den Umschlag zu schreiben habe: retour — wird nicht angenommen. Vor der Nase des Briefträgers konnt’ er nicht, ohne zu bezahlen, erbrechen; ob er gleich das Aufmachen, in der Hoffnung, einen recht gelehrten und bloss der Sicherheit wegen unfrankierten Brief zu gewinnen, selten lassen konnte. Indes der Schreck, dass er vor einigen Wochen eine schwere, grobe Briefhülse und -schale aufgeknackt, woraus er für sein Geld nichts herauszuziehen bekommen als die grüne Nuss von einer Pränumerantenwerbung für einen Baud poetischer Versuche samt einigen beigelegten, dieser Schreck fuhr ihm bei jedem neuen Briefquader in die Glieder. — Zum Unglück aber war in dem fein geöffneten Brieftestament diesmal eine herrliche Erbschaft von den wichtigsten, mit kleinster Schrift geschriebenen Bemerkungen über alle seine Werke, und zwar von Doktor Semmelmann, fürstlichem Leibarzt in Maulbronn. Auf der Stelle versiegelte er entzückt das Paket und legt’ es auf den alten Platz zurück, um eine Viertelstunde darauf vor dem Posthalter sich anzustellen, als säh’ er eben ein an sich adressiertes Briefschreiben, das er sofort auslösen und bezahlen wolle.
Aber der kurzstirnige Posthalter gab es durchaus nicht her. ,Er halt’ es als Posthalter postfest“, sagte er, ,bis auf die Station, und da könn’ es der Herr selber holen, wenn er keine posträuberischen Absichten habe, was ein Posthalter nicht riechen könne.‘ Nie bereute Katzenberger seine Ehrlichkeit aufrichtiger als dieses Mal; aber in die dicke Kurzstirn war kein Licht und kein Blitz und kein Donnerkeil zu treiben; und Katzenberger hatte von seinem Wünschen nichts weiter, als dass der Posthalter, über ein so unsinniges Ansinnen erbittert, ihm die Zeche verdoppelt anschrieb und er selber zwischen Fortreisen nach Maulbronn und zwischen Umkehren, dem Semmelmannschen Pakete hintennach, ins Schwanken geriet.
Im ganzen bewahrte Katzenberger sich durch einen gewissen Egoismus vor allem Nepotismus. Eigentlich ist jede Menschenliebe, sobald sie auf besonderes Beglücken, nicht auf ruhiges Liebhaben anderer ausgeht, vom Nepotismus wenig unterschieden, da alle Menschen ja, von Adam her, Verwandte sind. Daher auch Männer in hohen Posten den Schein eines solchen Nepotismus gegen adamitische Verwandte so sehr fliehen. Übrigens lässet gerade diese Verwandtschaft von Jahr zu Jahr mehr ruhige, kalte Behandlung der Menschen hoffen; denn mit jedem Jahrhundert, das uns weiter von Adam entfernt, werden die Menschen weitläufigere Anverwandte voneinander und am Ende nur kahle Namensvettern, so dass man zuletzt nichts mehr zu lieben und zu versorgen braucht als nur sich.
18. Summula
Männikes Seegefecht.
Um den Leser nicht durch zu viel Ernst und Staatsgeschichte zu überspannen, möge ein unbedeutendes Seegefecht, im Städtchen Höflein, wo die Pferde Vesperbrot und Vesperwasser bekamen, hier eine kurze Unterbrechung gewähren dürfen, ohne dadurch den Ton des Ganzen zu stören.
Der Wasserspringer Männike hatte nämlich den genzen Höfleiner Adel und Pöbel auf die Brücke des Ortes zusammengeladen, damit beide sähen, ab er auf dem Wasser so viel vermöchte und gewinne als die Briteninsel, diese Untiefe und Klippe des strandenden Europas. Der Springer, der sowohl bemitleidet als bewundert zu werden wünschte und der unten im Nassen recht in seinem Elemente sein wollte, hatte dem Städtchen versprochen, im Wasser Tabak zu rauchen, mit einem Schiebekarren zu fahren, anderthalb Klafter hoch Freudenwasser wie Freudenfeuer zu speien, gleich einem Flussgotte von Stein, und dann im Strome noch grössere Kunststücke für mors gen der erstaunten Brücke zu versprechen.
Die Reisegesellschaft, die Pferde ausgenommen, begab sich gleichfalls auf die Brücke und machte gern einer herfliegenden gebratenen Taube den Mund auf.
Der Wasserspringer tat in der Tat, soweit Nachrichten reichen, das Seinige und den Rittersprung vom Geländer ins Wasser zuerst und stahl sich in viele Herzen. Inzwischen stand auf der Brückenbrüstung ein längst in Höflein angesessener Hallore aus Halle, der mehrmals murmelte: die Pestilenz über den Hallbursch! Er wollte sich wahrscheinlich in seiner Sprache ausdrücken und sich so Luft verschaffen, da er durch den Nebenbuhler unten im Wasser so lange auf dem Geländer gelitten. Katzenberger neben ihm zeigte mit den Fingern wechselnd auf Männike und den Halloren, als woll’ er sagen: Pavian, so spring nach! Endlich hielt der Hallore es auch nicht mehr aus — sondern warf seinen halben Habit hinter sich, die Lederkappe — fuhr wie ein Stechfinke auf das Finkenmännchen in seinem Wassergehege — und machte den Sprung auf Männikes Schienbeine herunter, als dieser eben zurückliegend sein Freudenwasser aufwärts spie und, den offnen Himmel im Auge, anfangs gar nicht wusste, was er von der Sache halten sollte, vom Kerl auf seinen Beinen. Aber sein Nebenmann und Badgast zündete eilig Licht in seinem Kopf an, indem er den letzten bei den Haaren nahm und so — die Faust sollte den Raufdegen oder Raufer spielen — geschickt genug das Lusttreffen einleitete. Denn da diese neue Seemacht die Knie als Anker auf Männikes Bauchfell auswarf und zuvörderst die Zitadelle der Festung, nämlich den Kommandanten, d. h. dessen Kopf, besetzt und genommen hatte: so musste sich für jedes Herz auf der Brücke ein anmutiges Vesperturnier anfangen oder eine flüchtige republikanische Hochzeit, folglich deren Scheidung auf dem nassen Wege. In der Tat prügelte jeder von beiden den andern genug — keiner konnte im lauten Wasser sein eignes Wort hören, geschweige Vernunft; nicht nur nach Lebensluft des Lebens, sogar nach Ehrenwind der Fama mussten beide schrappen — die schönsten Daten und Stösse entwischten der Geschichte. Glücklicherweise stiess der Hallore und Flussmineur unten auf den Schiebkarren, womit Männike als auf einem Triumphkarren vor wenigen Minuten wie ein glänzender Wassermann oder wässriges Meteor gefahren war und sich von der Brücke hatte mit Lob beregnen lassen. — Der Hallore fasste den Vorspringer und stülpte ihn so abgemessen auf den Karren, dass dessen Gesicht aufs Rad hinaussah und die beiden Beine mit den Zehen auf die Karrengabel festgeheftet lagen. So schob er den verdienten Artisten ans Ufer hinaus, wo er erwartete, was die Welt zu seiner Fischgerechtigkeit, Fischer zu fangen, sagen würde.
Die Freude war allgemein, Herr Männike wünschte während derselben auf dem terminierenden Teller Brückenzoll im schönern Sinne einzufordern; aber die Höfleiner wollten wenig geben. Der Doktor nahm sich der Menge an und sagte: Mit Recht! Jeder habe, wie er, bloss dem guten eingepfarrten ansässigen Halloren, der’s umsonst getan, zugesehen, weiter keinem; am wenigsten Herrn Männike, dem spätern Nebenregenbogen des Hallensers. „Ich selber“, beschloss er, „gebe am wenigsten, ich bin Fremder.“ Da nun das Wenigste nichts ist, so gab er nichts und ging davon; — und der Ketzerglaube, gratis zugesehen zu haben, frass auf der Brücke auffallend um sich.
19. Summula
Mondbelustigungen
Auf der kurzen Fahrt nach Fugnitz wurde sehr geschwiegen. Der Edelmann sah den nahen Lunas Abend mitten im Sonnenlichte schimmern; und der Mondschein mattete sich, aus dieser Seelenferne geschauet, zu einem zweiten zärtern ab. Theoda sah die niedergehende Sonne an und ihr Vater den Hasen. Die stille Gesellschaft hatte den Schein einer verstimmten; gleichwohl blühte hinter allen äussern Knochengittern ein voller hängender Garten. Woher kommt’s, dass der Mensch — sogar der selber, der in solchem Dunkel überwölbter Herzensparadiese schwelgt und schweigt — gleichwohl so schwer Verstummen für Entzücken hält, als fehle nur dem Schmerz die Zunge, als tue bloss die Nonne das Gelübde des Schweigens, nicht auch die Braut, und als geb’ es nicht so gut stumme Engel wie stumme Teufel?
Im Nachtquartiere traf sich’s für den Edelmann sehr glücklich, dass in die Fenster der nahe Gottesacker mit getünchten und vergoldeten Grabmälern glänzte, von Obstbäumen mit Zauberschatten und vom Mond mit Zauberlichtern geschmückt. Es wurd’ ihm bisher neben Theoda immer wohler und voller ums Herz; gerade ihr Scherz und ihr Ungestüm, womit ihre Gefühle wie noch mit einer Puppenhülse ausflogen, überraschten den Überfeinerten und Verwöhnten; und die Nähe eines entgegengesetzten Vaters hob mit Schlagschatten ihre Lichter; denn er musste denken: wem hat sie ihr Herz zu danken als allein ihrem Herzen? — Hätte er die Erfahrung der Soldaten und Dichter nicht gehabt, zu siegen wie Cäsar, wenn er käme und — gesehen würde oder gar gehört — wie denn schon am Himmel der Liebesstern sich nie so weit vom dichterischen Sonnengott verliert, dass er in Gegenschein oder Entgegensetzung mit ihm geriete — wäre dies nicht gewesen, Niess würde anders prangen in dieser Geschichte.
Im Fugnitzer Wirtshaus geriet er mit sich in folgendes Selbstgespräch: „Ja, ich wag es heute und sag ihr alles, mein Herz und mein Glück. — Blickt sie neben mir allein in den stillen Mond und auf die Gräber und in die Blüten: so wird sie das Wort meiner Liebe besser verstehen; oh, dann soll das reine Gemüt den Lohn empfangen und der geliebte Dichter sich ihm nennen. Wenn sie aber dein sagte? — Kann sie es denn? Geb ich ihr nicht meinen Stand und alles und mein Herz? Und bist du denn so unwert, du armes Herz? Schlägst du nicht für fremde Freuden und Leiden stark? Und noch niemand hab ich unglücklich machen wollen. Nicht stark genug ist mein unschuldiges Herz, aber ich hasse doch jede Schwäche und liebe jede Kraft. O wären nur meine Verhältnisse anders und hätte ich meine Seelenzwecke erreicht: ich wollte leicht trotzen und sterben. Woraus schöpft’ ich denn meinen ,Ritter grösserer Zeit‘ als aus meiner Brust? — Meinetwegen! — Sagt sie doch nein und verkennt mich und liebt nur den Autor, nicht den Menschen: so bestraf ich sie im Badort und nenne mich — und dann verzeih ich ihr doch wieder von Herzen.“
Am Ende und zumal hier nach dem Lesen dieses Selbstgesprächs werf ich mir selber vor, dass ich vielleicht meinem fatalen Hange zum Scherztreiben zu weit nachgegeben und den guten Poeten in Streiflichter hineingeführt, in denen er eigentlich lächerlich aussieht und fast schwach. Kann er denn so viel dafür, dass seine Phantasie stärker als sein Charakter ist und Höheres ihm abfordert und andern vormalt, als dieser ausführen kann? Und soll denn ein Petrus, weil er einmal dreimal verleugnete, darum keine zwei Episteln Petri schreiben? — Freilich von Eitelkeit kann ich ihn nicht losschwören, aber diese bewahrte (wie Hautausschläge vor der Pest) ihn vor Beulen des Hochmuts und Geschwulst des Stolzes. — Denn was sonst Theoda betrifft, die er so sehr lieben will, und zwar auf alle seine Kosten, so täte wohl jeder von uns dasselbe, wenn er nicht schon eine hätte oder gar etwas Besseres.
Wir kommen nun wieder auf die Sprünge seiner Freierfüsse zurück. Er schlug, als das Glück die Gabe verdoppelt, nämlich den Doktor ausgeschickt hatte, Theodan den Nachtgang ins rechte Nachtquartier der Menschen, in den Gottesacker vor. Sie nahm es ohne Umstände und Ausflüchte an; so gern sie lieber ihre heutige Herzenge nur einsam ins Weite getragen hätte; Furcht vor bösen Männern vorher und vor bösen Zungen nachher war ihr ungewohnt. Als nun beide im Mondhelldunkel und im Kirchhofe waren und Theoba heute beklommener als je fortschritt und sie vor ihm mit dem neuen Ernste (einem neuen Reize) dem alten Scherze den weichen Kranz aufsetzte, und als er den Mond als eine Leuchtkugel in ihre Seelenveste warf, um zu ersehen und zu erobern: so hörte er deutlich, dass hinter ihm mit etwas anderm geworfen wurde. Er schaute sich um und sah gerade bei dem Gitterpförtchen einige Totenköpfe sitzen und gaffen, die er gar nicht beim Eintritte bemerkt zu haben sich entsinnen konnte. Inzwischen je öfter er sich umkehrte, desto mehr erhob sich die Schädelstätte empor. Sehr gleichgültige und verdriessliche Gespenstergedanken wie diese bringen um den halben Flug, und Niess senkte sich.
Katzenberger — vor dem kam alles — hatte sich nämlich längst in unschuldiger Absicht auf den Gottesacker geschlichen, weniger um Gefühle als um Knochen einzusammeln, das einzige, was der Menschenfresser, der Tod, ihm zuwarf unter den Tisch. Zufällig war das Beinhäuschen, worin er aus einer Knochen-Ährenlese ein vollständiges Gerippe auszuheben arbeitete, am Eingangsgitterpförtchen gelegen und hatte mehr den Schein eines grossen Mausoleums als eines kleinen Gebeinhauses. Katzenberger hörte das dichterische Eingehen und zwei bekannte Stimmen, und er sah durch das Gitter alles und erhorchte noch mehr. Die Natur und die Toten schwiegen, nur die Liebe sprach, obwohl keine Liebe zur andern. Für den wissenschaftlichen Katzenberger, der eben mitten unter der scharfen Einkleidung des Lebens wirtschaftete, war daher der Blick auf Niess, der, wie der Doktor sich in einem bekannten Briefe ausdrückte, „seinen Kopf, wie ein reitender Jäger den Flintenlauf, immer gen Himmel gerichtet anhängen hatte“, kein sympathetischer Anblick, obwohl ein antipathetischer. Bei ihm wollte das wenige, das Niess über Tote und vermählte Herzparadiese auf dem Wege hatte fallen lassen, sich wenig empfehlen. Vor allem Warmen überlief gewöhnlich des Doktors innere Menschen eine Gänsehaut; kalte Stichworte hingegen rieben wie Schnee seine Brust und Glieder warm und rot. Übrigens verschlang sich seine Seele ziemlich mit der Niessschen, so wie der Werbeoffizier bei dem Rekruten schläft und immer einen Schenkel oder Arm auf ihn legt, um ihn zu behalten im Schlafe. Er nun hatte die Köpfe und Ellenbogen am Pförtchen angehäuft. — Endlich liess er gar ein rundes Kinderköpfchen nach dem Dichter laufen als nach seinem Kegelkönig. Aber hier nahm Niess aus übermässiger Phantasie Reissaus und schwang sich auf einen nahen Birnbaum an der niedern Gottesackermauer, um allda — weil das Knochenwerk als Flossrechen und gestachelter. Herisson die Pforte versperrte — ins Freie zu sehen und zu springen. Umsonst rief die über seinen Schrecken erschrockne Theoda bange nach, was ihn jage, ihr Vater sammle nur Skelette. Nun trat der Doktor selber aus seinen Schiessscharten heraus, ein wohlerhaltenes Kindergerippe wie eine Bienenkappe auf den Kopf gestülpt, und begab sich unter den Birnbaum und sagte hinauf: „Am Ende sind Sie es, die selber droben sitzen, und wollen den Gottesacker und die Landschaft besser übersehen?“ Aber Niess, längst verständigt, war während des Hinaufredens des Doktors schon um die Mauer herum und durch das Pförtchen zurückgerannt und erfasste jetzo, mit zwei aufgerafften Armknochen in Händen, hinten den Doktor an den Achselknochen, worüber er die bleichen ragen liess, mit den Worten: „Ich bin der Tod, Spötter!“ Katzenberger drehte sich selber ruhig um; da lachte der Poet ungemein, mit den Worten: „Nun, so haben wir beide unsern lustigen Zweck einer kleinen Schreckenszeit verfehlt; nur aber Sie zuerst!“ — „Ich für meine Person fahre gern zusammen“, versetzte der Doktor, „weil Schrecken stärkt, indes Furcht nur schwächt. In Hallers Physiologie 8 und überall können Sie die Beispiele zusammenfinden, wie durch blossen starken Schrecken — weil er dem Zorne ähnlich wirkt — Lähmung, Durchfall, Fieber gehoben worden, ja wie Sterbende durch auffliegende Pulverhäuser vom Aufflug nach dem Himmel gerettet worden und wieder auf die Beine gebracht; — und ganze matte Staaten waren oft nur zu stärken durch Erschrecken. Furcht hingegen, Herr von Niess, ist wie ihre Leiberbin und Verwandte, die Traurigkeit, nach demselben Haller und den nämlichen andern, wahres Lähmgift für Muskeln und Haut, Hemmkette des umlaufenden Bluts, macht Wunden, die man sich durch eigne Tapferkeit oder von fremder geholt, erst unheilbar und überhaupt Leicht toll, blind und stumm. Es sollte mir daher leid tun, wenn ich Sie mit meinen Versuchen in Furcht, anstatt in Schrecken und Zusammenschaudern mit Haarbergan geletzt hätte; und Sie werden mich belohnen, wenn Sie mir sagen, ob Sie gefürchtet haben oder nur geschaudert.“ —
„Ich bin ein Dichter und Sie ein Wissenschaftsweiser; dies erklärt unsern Unterschied“, versetzte Niess. Theoda aber, die ihren eignen Mut bei Männern verdoppelt voraussetzte, glaubte ihm gern. Aber ihr Vater hatte seine Gedanken, nämlich satirische. — Übrigens ging er selig mit doppelten Gliedern (wie ein Englischkranker), mit mehren Köpfen und Rückgraten. Behangen, die er aus der Trödelbude und Rumpelkammer des Todes geholt, nach Hause.
20. Summula
Zweiten Tages Buch
In der Nacht schrieb Theoda an ihre Freundin:
„Vor Verdruss mag ich dir vom dummen Heute gar nichts erzählen (das ohne Menschenverstand bleibt) bis morgen früh, wenn wir in Maulbronn einfahren. Denke, wir nachtlagern noch drei Stunden davon. Himmel, wie göttlich könnt’ ich morgen dort aufmachen und meinen Kopf aus dem Fenster stecken in die Aurora und in Alles hinein! Aber dieses Feindschaftsstückchen hab ich bloss dem Freundschaftsstückchen zu danken, dass Herr von Niess nach mir etwas fragt, ob ich ihm gleich meine Person und Seele so komisch geschildert habe, dass er selber lachen musste. Aber sieh, so kann eine Mädchenseele dem Männerpoltergeist auch nicht unter einem Kutschenhimmel nahe kommen, ohne wund gezwickt zu werden. Gib dem Teufel ein Haar, so bist du sein, gib einem Manne eines, so zerrt er dich daran so lange, bis er das Haar samt dem Kopfe hat. Der Bienenstich wird sonst mit Honig geheilt; aber diese Wespen geben Dir erst die Honigblase und dann die Giftblase. Ich wollt’, ich wär’ ein Mann, so duellierte ich mich so lange, bis keiner mehr übrig...
Inhaltsverzeichnis
- Titel
- Kolophon
- Erste Abteilung
- Zweite Abteilung
- Dritte Abteilung
- Über Dr. Katzenbergers Badereise
- Anmerkungen