Quintus Fixlein
eBook - ePub

Quintus Fixlein

  1. 135 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Quintus Fixlein

Über dieses Buch

Auf Quintus Fixlein lastet ein Fluch - sein 32. Lebensjahr wird sein letztes sein. Obwohl er sein genaues Alter nicht kennt, genießt der Leipziger Lehrer trotzdem sein Leben. Er schafft es, zum Konrektorat zu avancieren, zu heiraten, zum Pfarrer ernannt zu werden und ein kleines Vermögen zu erben. Doch sowie er auf dem Sterbebett liegt, betritt die Person, mit der alle wohl am wenigsten gerechnet hatten, den Raum...-

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Quintus Fixlein von Jean Paul im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Altertumswissenschaften. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Fünfter Zettelkasten

Der Kantatesonntag — zwei Testamente — Pontak — Blut — Liebe
Die Frühlingsmonate kleiden die Erde neu und bunt, aber den Menschen meistens schwarz. Gerade wenn unsere Eisregionen zu fruchtbaren werden und die Blumenwellen der Auen über unseren Weltteil zusammenschlagen: so stoßen uns überall Menschen in Floren auf, deren Frühlingsanfang voll Tränen ist. Aber auf der anderen Seite ist ja das Aufblühen der verjüngten Erde die beste Kurzeit gegen den Schmerz über die, die in ihr liegen, und Blumen verhüllen uns Gräber besser als Schnee. — Der alte Lehrer des Konrektors, Astmann, begegnete im April, der weniger veränderlich als tödlich ist, dem Tode, der ihm das am Magen siechende Gehirn eindrückte. Man wollte seinen Abschied der Rittmeisterin verdecken; aber das ungewöhnliche Leichengeläute trug ihr seinen Schwanengesang ans Herz, und setzte die Abendglocke ihres Lebens allmählich in ähnlichen Schwung. Alter und Leiden hatten an ihr schon dem Tode die ersten Einschnitte vorgezeichnet, daß er wenig Mühe brauchte, sie ganz zu fällen; denn den Menschen geht es wie den Bäumen, die lange vor dem Umsägen eingekerbt werden, damit ihnen der Lebenssaft entfließe. Der zweite Schlagfluß traf sie in geringer Entfernung vom letzten: es ist sonderbar, daß der Tod wie Gerichte die Schlagflüssigen dreimal zitiert.
Die Menschen schieben ihren letzten Willen gern so lange hinaus wie ihren bessern: die Rittmeisterin hätte vielleicht alle ihre Stunden bis auf die sprachlose und taube ohne Testament verrollen lassen, hätte nicht Thiennette in der letzten Nacht, ehe sie aus der Krankenwärterin die Leichenfrau wurde, die Sieche auf den armen Konrektor gebracht und auf sein darbendes Leben und auf die schmalen Lebensdiäten, die ihm das Glück ausgeworfen, und auf seine leere Zukunft, wo er als gelbes mattes Gewächs in den trockenen Dielenfugen der Schulstube zwischen Schülern und Gläubigern welken werde. Ihre Dürftigkeit war ihr das Modell zur seinigen, und ihre inneren Tränen waren die flüssige Tusche ihres Gemäldes. Da die Rittmeisterin nur für Domestiken testierte und bei den männlichen anfing, so stand Fixlein obenan — und der Tod, der ein besonderer Hausfreund des Konrektors sein muß, hob nicht eher seine Sense auf und tat den letzten Schnitt, als bis sein Muttersöhnchen mit vernehmlicher Stimme zum Testamentserben erklärt war: dann schnitt er alles ab, Leben, Testament und Hoffnungen. —
Als der Konrektor auf einem Wäschezettel seiner Mutter diese zwei Todes- und Hiobsposten in seiner Sekunda erfuhr, so war das erste, was er tat, daß er die Sekundaner entließ und in Tränen ausbrach, ehe er im Konrektorat angekommen war. Ob ihm gleich die Mutter mitgeschrieben hatte, daß er im Testament bedacht geworden — ich wünschte aber, der Gerichtshalter hätte ausgeplaudert, wieviel es gewesen — so fielen ihm fast mit jedem O, das er in die deutsche Bibel eintrug, große Tropfen in die Feder und machten die Tinte zu blaß. Ihn zerfraß nicht der poetische Schmerz des Dichters, der die klaffenden Wunden in Leichenschleier hüllet und den Schrei durch sanftes Trauergetöne bricht, noch der Schmerz des Philosophen, sondern ihn preßte das Weh eines Kindes, einer Mutter, die schon der Gedanke — ohne Nebenbetrachtungen — bitter zerknirscht: „so soll ich dich nicht mehr sehen, so sollst du verwesen und ich sehe dich, du gute Seele, niemals, niemals mehr.“ — Eben, weil er weder den poetischen noch philosophischen Kummer hatte, machte jede Kleinigkeit einen Absatz, eine Lücke in dem seinigen; und er war wie ein Weib noch denselben Abend fähig, sich einige künftige Gebrauchszettel seiner angekündigten Erbschaftsmasse zu entwerfen.
Vier Wochen darauf, d. h. den fünften Mai, wurden die Testamentssiegel aufgebrochen, aber er ging erst den sechsten (am Kantatesonntag) nach Hukelum ab. Seine Mutter lief seinen Grüßen mit Tränen entgegen, die sie über die Leiche vergoß — vor Trauer, und über dás Testament — vor Freude. — Dem zeitigen Konrektor Egidius Zebedäus war verehrt: erstlich ein adeliges großes Bett mit einer Spiegeldecke, in dem der Riese Goliath sich hätte umwenden können, und an das nachher ich und die Leserin näher treten wollen, um es zu prüfen — zweitens wurde ihm als rückständiges Osterpatengeld für jedes Jahr, das er zurückgelegt, ein Zopfdukaten legiert — drittens sollten ihm alle Gelder, die ihn die Kreuzerhöhung in das Quintat und Konrektorat gekostet, bei Heller und Pfennig erstattet werden. — „Und weißt du denn“, fuhr die Mutter fort, „was die arme Fröhlen kriegt? — Ach Gott! nichts! nicht den roten Heller da!“ — Denn der Tod hatte die Hand starr gemacht, die sich gerade ausstrecken und der armen Thiennette einen kleinen Regenschirm gegen die Strichgewitter und Blutregen ihres Lebens reichen wollte. Die Mutter berichtete diesen Fußstoß des Glücks mit wahrem Mitleid, das bei den Weibern den Neid ablöst und das ihnen leichter wird als die Mitfreude, die mehr männlich ist. In manchen weiblichen Herzkammern sind Mitleid und Neid so nahe Wandnachbarn, daß sie nirgends tugendhaft wären als in der Hölle, wo die Menschen so erschrecklich viel ausstehen, und nirgends fehlerhaft als im Himmel, wo die Leute des Guten zuviel haben.
Der Konrektor hatte nun auf Erden den Himmel, in den seine Wohltäterin aufgeflohen war. Zu allererst sprang er — ohne sein Schnupftuch einzustecken, in dem seine Rührung war — die Treppe hinauf, um das große Bett aufgeschlagen zu sehen; denn er hatte eine weibliche Vorliebe für Möbel. Ich weiß nicht, ob der Leser schon in alte Ritterbetten geschaut hat oder gestiegen ist, in die man durch eine kleine Treppe ohne Geländer, die daran hängt, leichtlich kommen kann und in denen man im Grunde allemal eine Treppe hoch schläft? Als Fixlein von diesem kolossalischen Dormitorium die Vorhänge zurückgeschoben und den Betthimmel in einem großen Spiegel offen gesehen hatte, wär er gern darin gewesen. Die Mutter hätte ihn durch längere Kettenschlüsse und Kettenrechnungen, als das Bett war, nicht dahin lenken können, den breiten Spiegel oben ausbrechen zu lassen, obgleich sein großer Spiegeltisch sich in nichts besehen konnte als in einem Rasierspiegel; — er ließ den Spiegel oben daran: „solltʼ ich einmal heiraten, sagt‘ er, so kann ich doch gegen Morgen meine schlafende Frau ansehen, ohne daß ich mich im Bette aufsetze.“
Was den zweiten Artikel anlangt, nämlich die Patenpfennige, so machtʼ es gestern seine Mutter recht gut. Der Gerichtshalter hörte sie über die Jahre des Erben ab, und sie legte diesem geradezu die Dentalzahl zweiunddreißig bei. Sie hätte gern gelogen und den Sohn wie eine Inschrift für älter verkauft.
Und gerade unter der Erzählung sprach ein Aufhammerischer Bedienter ein und reichte gegen Revers und gegen Ratifikation des von der Mutter ausgestellten Geburtsscheines die Goldstange von zweiunddreißig Rechenpfennnigen des Alters dem Konrektor wie eine Lebensruderstange zu: Herr von Aufhammer war zu einem knauserischen Hader über einen bürgerlichen Geburtsschein zu stolz.
Und so ging durch eine stolze Freigebigkeit einer der besten Prozesse vor die Hunde, da man die Goldstange auf der Ziehbank der Richterbänke zu dem feinsten Golddraht hätte ausziehen können. —
Der abgeschickte Bediente hatte außer dem Goldlegat noch ein Dekret vom Gerichtshalter, worin dem Testamentserben auferlegt war, von den Prägekosten, die er zahlen müsse, da er als Quintus und Konrektor unter der Rändelmaschine seiner Vorgesetzten lag, Belege und Scheine beizubringen, worauf er sein Geld wiederbekommen sollte.
Der Konrektor, der sich gegenwärtig an die Reihe der Millionäre anschloß, hielt die kurze Goldrolle wie einen Zepter in der Hand.
Ich kann nicht alles auf einmal erzählen, sonst hättʼ ichʼs dem Leser, der schon lange darauf passen wird, eher gesagt, daß dem bemittelten Konrektor die zweiunddreißig Patenpfennige mehr als zu sehr die zweiunddreißig Jahre vormalten, an die noch dazu heute der Kantatesonntag, diese Bartholomäusnacht und dieser zweite September seiner Familie, anstieß. Die Mutter, die das Alter ihres Kindes hätte wissen sollen, sagte, es wärʼ ihr entfallen, sie wolltʼ aber wetten, schon vor einem Jahre wärʼ er zweiunddreißig gewesen und der Gerichtshalter hätte nur nicht mit sich reden lassen. „Ich wollte selber schwören“, sagte der Kapitalist: „ich weiß, wie dumm mir vorm Jahre am Kantatesonntag war.“
Der Konrektor hatte lange vor Sonnenuntergang dem Gemeinboten Botenlohn gegeben und ließ sich — denn er hatte ja ein ganzes Dukatenkabinett in der Tasche, das er den ganzen Tag im Finstern mit der Hand durchblätterte — für drei Taler Pontak aus der Stadt abholen. „Ich muß mir heute“, sagtʼ er, ,,eine Kantate-Lust machen; istʼs mein letzter Tag, wohl! nun so istʼs auch mein lustigster.“ Ich wünschte, er hätte eine größere Bestellung gemacht; aber er hatte überall den Zaum der Mäßigkeit zwischen den Zähnen, sogar vor einer gedrohten Todesnacht und mitten im Jubel. Es ist die Frage, ob er nicht auf eine Bouteille sich eingeschränkt hätte, wenn er nicht mit den zwei anderen die Mutter und das Fräulein hätte freihalten wollen.
Seine Freude war, daß er mit dem Legat seinen Hauptkreditor Steinberger abfinden und als ein ehrlicher Mann aus der Welt gehen konnte: gerade Leute, die sich viel aus dem Gelde machen, zahlen ihre Schulden am ehrlichsten.
Der purpurne Pontak kam an zu einer Zeit, da Fixlein die Rötelzeichnungen und roten Titelbuchstaben der Freude, die jener auf die Wangen seines Trinkers und seiner Trinkerinnen ziehen wird, mit dem Abendinkarnat der letzten Wolken um die Sonne zusammenhalten konnte . . .
Wahrlich, unter allen Zuschauern dieser Geschichte kann keiner mehr an die arme Thiennette denken als ich; aber ich kann sie doch wahrlich nicht vor der Zeit aus ihrer Stube auf meinen historischen Schauplatz jagen. Die Arme! Der Konrektor kann nicht heißer wünschen als sein Biograph, daß am Tempel der Natur eine besondere Pforte — außer der des Todes — offen sei, durch die bloß Bedrängte gehen, damit sie ein Priester aufrichte. Aber Thiennettens Brustschmerzen über alle ihre versunkenen Aussichten, über die eingesargte Wohltäterin, über ein ganzes mit dem Leichenflor zugesponnenes Leben hatte ihr bisher in einem Jammer, den der steinichte Rittmeister mehr blutig als gelinder machte, alles verwehrt. Geschäfte ausgenommen, alle Schritte gelähmt, die nicht zu einer Arbeit geschahen, und ihren Augen nichts gegeben, was sie trocknen oder freuen konnte, als ein niederfallendes Augenlid voll Träume und Schlaf.
Der Konrektor konntʼ es kaum abwarten, seiner Hausfreundin zu erscheinen, ihr seinen Dank — und heute seinen Pontak — zu bringen. Drei Pontakkelche und drei Kelchgläser waren außen auf die Fensterküste seiner Hütte gestellt, und so oft er von dem dunkeln Hohlwege zwischen Blütenwaldungen zurückkam, nippte er aus seinem Glase — und die Mutter trank in die Stube hinein durch das Schubfenster.
Ich habe schon gesagt: im nordwestlichen Winkel blühte eine Akazienlaube, gleichsam die Blumenkrone des Gartens. Fixlein trat auch dahin seine Lustfahrt an, um etwa aus der weitgegitterten Laube einen glücklichen Blick in die langen Wiesen nach Thiennetten auszuwerfen. Er fuhr ein wenig zurück vor zwei steinernen Staffeln, die in den Weiher, der auf seinem Gang zur Laube lag, mit frischem Blut betropft hinuntergingen. Auch an den nahen Binsen hing Blut. Den Menschen schauert vor diesem Öle unseres Lebensdochtes, wo er es vergossen findet: es ist ihm die rote Todesunterschrift des Würgengels. Fixlein eilte sorgend in die Laube — und fand hier seine bleichere Wohltäterin an Blütenbüsche angelehnt, ihre Hände waren mit dem Strickzeug in den Schoß gesunken, ihre Augen lagen in den Augenlidern gleichsam im Verbande des Schlummers, so wie ihr linker Arm im wirklichen Verbande der Aderlaß, und mit Wangen, denen die Abendröte so viel gab, als ihnen die bisherigen Verwundungen — die heutige dazu gerechnet — genommen hatten. Fixlein fing nach dem ersten Schrecken — nicht über diesen Blumenschlaf, sondern über sein lautes Hereintraben — an, die Schmetterlingspiralsauglinie seines Auges auseinanderzurollen und sie auf die stillstehenden Blätter dieser Blume hinzulegen. Im Grunde darf ich behaupten, warʼs heute das erstemal, daß er sie ansah: er war in die dreißig gekommen und glaubte noch fort, an einem Fräulein dürfʼ er nur die Kleider, nicht den Körper bemerken, und er habe ihr nur mit den Ohren, nicht mit den Augen aufzuwarten.
Ich messʼ es dem hebenden Flaschenzuge der elektrischen Verstärkungsflasche des Pontaks bei, daß der Konrektor den Mut faßte, umzu — kehren, um wiederzukommen und die erweckenden Mittel des Hustens, Niesens, Trabens und Rufens nach dem Pudel in stärkern Dosen an der Schläferin zu brauchen. — Sie etwa bei der Hand zu nehmen und unter einer medizinischen Entschuldigung aus dem Schlafe zu ziehen, das wäre ein Wagestück gewesen, dessen der Konrektor, so langʼ er noch vor Pontak stehen konnte und seinen Verstand hatte, niemals fähig war.
Kurz, er weckte sie anders auch auf.
Müde, Bedrängte! wie langsam geht dein Auge auf! Das wärmste Heilpflaster der Erde, der Schlaf, hat sich verschoben und die Nachtluft der Erinnerung weht wieder deine nackte Wunde an! — Und doch war dein lächelnder Jugendfreund noch das schönste, auf was dein Auge fallen konnte, wenn es aus dem hängenden Garten des Traums in den niedrigen um dich sank.
Sie wußte selber wenig davon — und der Konrektor gar nichts — daß sie ihre Blumenblätter unvermerkt nach dem Stande dieses Weltkörpers beuge, nämlich nach Fixlein. Sie stand langsam auf und ging mit zum Weinlager.
Aber er war kaum mit der Müden bis ans Ufer des Teichs, worein die abergläubische Furcht vor dem hexenden Mißbrauch das reine Blut ihres linken Armes gegossen hatte, gekommen: als er in der Angst, sie falle mit ihrem übrigen Blute die Küste hinunter, sich des siechen Armes ganz kühn bemächtigte. So setzen viel Pontak und ein wenig Mut einen Konrektor allezeit in Stand, ein Fräulein zu fassen. Welche sanfte Gruppe im Halbschatten der Erde, da das dunkle Gewässer der Nacht immer tiefer fiel, weil das Silberlicht des Mondes schon am kupfernen Turmknopf widerprallte! Ich nenne die Gruppe sanft, weil sie aus einem doppelt verbluteten Mädchen, aus einer Mutter, die ihr den Dank für das Glück ihres Kindes noch einmal mit Tränen bringt, und aus einem frommen, bescheidenen Menschen besteht, der beiden einschenkt und zutrinkt, und der in seinem Geäder einen brennenden Lavastrom verspürt, der durch sein Herz kochend zieht und der es endlich Stück vor Stück zu zerschmelzen und mitzutreiben droht. — Ein Talglicht stand außen zwischen den drei Bouteillen und den drei Gläsern, wie die Vernunft zwischen den Leidenschaften, — deswegen schauete der Konrektor in einemfort an die Fensterscheiben: denn auf ihnen färbte sich unter anderen Gesichtern, die Fixlein gern hatte, auch das liebste ab, das er nur im Wiederschein anzublicken wagte, das von Thiennette. —
Der Mond schimmerte schon aus dem Abendtau und der Pontak aus den Augen und die Bohnenstangen warfen kürzeres Schattengegitter. Die Quecksilberkügelchen der Sterne hingen immer mehr zusammenfließend im Flor der Nacht. Der heiße Dunst des Weines setzte beide wieder in Gang.
Nichts macht das Herz voller und kühner als Auf- und Abgehen in der Nacht. Fixlein führte jetzt das Fräulein ohne Bedenken. Des zerritzten Armes wegen konnte Thiennette nur die Hand umklammernd in seinen legen, und er, um ihr das Festhalten durch seines halb abzunehmen, drückte ihre Finger, so gut er konnte, mit seinem Arme an seine Brust.
Wie tief ging jetzt nicht vor dem unendlichen Ewigkeits-Antlitz der Nacht die Schneide des Gedankens in Fixleins warme Seele: „O du Arme neben mir! Keinen Glückszufall, kein Abendrot hast du, wie jetzt am Himmel nachglimmt, etwa zu einer Aussicht auf einen Sonnentag — ohne Eltern bist du, ohne Brüder, ohne Freunde: nur so allein auf einem ausblühenden ausgeleerten Platze der Erde, und du zurückgelassene Herbstblume schwankest einsam und erfroren über den Stoppeln der Vergangenheit“. — Das war der Sinn seiner Gedanken, deren innere Worte waren: „Das arme Fräulein! nicht einmal einen Lehnsvetter hat sie, es nimmt sie keiner von Adel, und sie altert so vergessen und sie ist doch so herzensgut — mich hat sie glücklich gemacht — ach, hättʼ ich die Vokation zur Hukelumischen Pfarrei in der Tasche, ich machte einen Versuch!“ . . . Ihr beiderseitiges Leben, das ein enges Bindwerk des Schicksals so nahe ineinanderknüpfte, trat jetzt mit Flor behangen vor ihn, und er lenkte geradezu seine Freundin zur letzten Flasche zurück, um damit alle aufschießenden Disteln und P...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kolophon
  3. Erster Zettelkasten
  4. Zweiter Zettelkasten
  5. Dritter Zettelkasten
  6. Vierter Zettelkasten
  7. Fünfter Zettelkasten
  8. Sechster Zettelkasten
  9. Siebenter Zettelkasten
  10. Achter Zettelkasten
  11. Neunter Zettelkasten
  12. Zehnter Zettelkasten
  13. Elfter Zettelkasten
  14. Zwölfter Zettelkasten
  15. Dreizehnter Zettelkasten
  16. Vierzehnter Zettelkasten
  17. Letztes Kapitel
  18. Über Quintus Fixlein